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Vorabdruck aus Wiltrud Brächter: Geschichten im Sand. Grundlagen und Praxis einer narrativen systemischen Spieltherapie

Brächter: Geschichten im Sand Carl-Auer-Verlag, Heidelberg 2010 (September)

245 S., kartoniert

Preis: 27,95 €

ISBN-10: 3896707442
ISBN-13: 978-3896707444

Verlagsinformation: "Oft wissen die Hände ein Geheimnis zu enträtseln, an dem der Verstand sich vergebens mühte" (C. G. Jung). Diese Verbindung zwischen Unterbewusstem und Gestaltungswillen macht sich die Sandspieltherapie zunutze, bei der Kinder in Sandkästen Szenen gestalten, deren Themen rein sprachlich nicht zu fassen sind. Wiltrud Brächter verbindet die klassische Sandspieltherapie mit narrativen Konzepten und entwickelt so eine neue Form der Kindertherapie: eine narrative systemische Spieltherapie, die sich an den Geschichten von Kindern orientiert und mit ihnen arbeitet. Neben den Grundlagen und Hintergründen stellt die Autorin verschiedene Techniken vor, darunter Rollenspiele, die Arbeit mit Handpuppen und kreative Methoden, die sie jeweils mit zahlreichen Fallbeispielen illustriert. Der ausführliche dritte Teil zeigt für unterschiedliche Praxisfelder auf, wie Kinder die Möglichkeiten narrativer Therapie nutzen. Hier werden die Vorteile des Ansatzes sehr deutlich, weil klar wird, wie Eltern Zugang zu der Sicht des Kindes gewinnen und in der Familie eine intensive Kommunikation entstehen kann. 

Über die Autorin: Wiltrud Brächter, Studium der Sozialwissenschaften und Pädagogik; Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin, Systemische Therapeutin (SG). Weiterbildbildungen u. a.: Gestalttherapeutische Arbeit mit Kindern (Analytisches Gestalt Institut, Bonn); Psychoanalytisch-systemische Therapie (APF, Köln); Hypnotherapeutische und Systemische Konzepte für die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen (MEG). Langjährige Arbeit in autonomen Frauenhäusern mit Frauen und Kindern nach häuslicher Gewalt; Mitgründung des zweiten Kölner Frauenhauses; Schwangerschaftsberatung zu pränataler Diagnostik im Kölner Geburtshaus; Tätigkeit in einer Frauenberatungsstelle. Seit 2000 Spiel- und Familientherapeutin in einer kinder- und jugendpsychiatrischen Praxis; Veröffentlichungen und Weiterbildungstätigkeit im Bereich systemischer Kindertherapie. Schwerpunkte: Konzeptionelle Fragen zur Entwicklung einer systemischen Spieltherapie; lösungsorientierte und familienbezogene Anwendungsformen des Sandspiels; Entwickung eines eigenen therapeutischen Ansatzes (narrative Spieltherapie).      


Beispiele aus verschiedenen Anwendungsbereichen (S. 184-200)


Narrative Spieltherapie greift die Geschichten auf, die von Kindern in die Therapie eingebracht werden. Das Vorgehen ist am einzelnen Fall orientiert; entsprechend gibt es keine manualisierten Konzepte zur Therapieplanung. Da sich die Geschichten individuell unterscheiden, gibt es auch kein spezifisches Vorgehen, das bei bestimmten Symptomen Anwendung finden könnte (1). Ein narrativer Zugang ist wohl aber geprägt von einer Achtsamkeit, wie die Spielthemen des Kindes mit seinem Lebenshintergrund und seiner aktuellen Symptomatik in Beziehung stehen. Unter dieser Fragestellung verfolge ich, in welcher Weise die vom Kind gewählte Erzählperspektive hilfreich sein kann und wie sich im Spiel erweiterte Handlungsoptionen gewinnen lassen.
Statt Konzepte zu »Störungsbildern« zu präsentieren, die von Therapeutenseite aus anwendbar wären, stelle ich im Folgenden vor, wie Kinder als Akteure die Möglichkeiten narrativer Therapie nutzen. Dabei entsteht ein Überblick, in welchen Problemlagen ein narratives Vorgehen besonders hilfreich sein kann.
Ordnet man Anwendungsbereiche nach Symptomen, gewinnt die diagnostische Ebene an Definitionsmacht. Manche der in diesem Buch bereits referierten Fallbeispiele würden bei einer Zuordnung zu medizinisch-psychiatrischen Klassifikationen beispielsweise unter den Punkt »AD(H)S« subsumiert. Folgt man dieser Einteilung, wird zwischen den betroffenen Kindern eine Gemeinsamkeit konstruiert, die sich tatsächlich nur auf einen Bereich ihrer Wahrnehmung und ihres Verhaltens bezieht. Lebensfaktoren, die für die Entwicklungsmöglichkeiten des Kindes mindestens ebenso relevant sind, sich aber auf den Ebenen von Beziehungen und sozialer Umwelt bewegen, bleiben dabei ausgeblendet. Ob ein Kind misshandelt wird, ob die Erwartungen der Eltern zu seinen Besonderheiten passen, wie ihre Bindung gelungen ist, in welcher sozialen Position und welchem Beziehungsgefüge eine Familie steht, lässt sich mit einem individuumszentrierten Raster nicht erfassen. Soweit ich mich selbst bei der folgenden Themenwahl auf Symptomaspekte beziehe, ist es mir wichtig, dies mit zu bedenken.
Um die Anwendungsmöglichkeiten narrativer Spieltherapie zu veranschaulichen, habe Themenbereiche zusammengestellt, die bisher noch nicht behandelt wurden oder die ich aus einem bestimmten Blickwinkel vertiefen möchte. Die Auflistung der Themen erhebt dabei keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Da Konzepte zu einer systemisch-narrativen Gesprächsführung bereits in vielen Varianten vorliegen, beschränke ich mich in der Darstellung weitgehend auf die Ebene der Spieltherapie. Soweit ich die Arbeit im Einzelsetting vorstelle, ist dies jedoch in der Praxis jeweils nur ein Baustein der therapeutischen Arbeit mit der Familie.

Zugang zu der Sicht des Kindes

»Damit kann man wirklich etwas sagen«, zitiert Lowenfeld einen Jungen, der bei ihr die Sandspielmethode kennenlernte (1969, S. 443, Hervorhebung im Original).
In Familien, die ein Kind zur Therapie vorstellen, ist die Kommunikation oft in eine Schieflage geraten. Sie verläuft überwiegend von den Eltern zum Kind, dessen Verhalten ihnen nicht mehr nachvollziehbar erscheint. Je stärker seine Verhaltensbeiträge der Kritik ausgesetzt sind, umso mehr zieht sich ein Kind zurück. Es entsteht ein negativer Kreislauf, dem verhaltenstherapeutisch orientierte Konzepte mit der Verstärkung gewünschten Verhaltens entgegenzusteuern versuchen. Auch Strategien, die auf Belohnung setzen, kehren jedoch den dominanten Fluss der Kommunikation von den Eltern zum Kind nicht um. Das Kind bleibt Objekt einer Bewertung, auch wenn sie unter positivem Vorzeichen erfolgt (Rosenberg 2007). Wenn die Beziehung zu den Eltern bereits belastet ist, reagieren viele Kinder aversiv auf Versuche der Verhaltenssteuerung, die aus meiner Sicht oft einer authentischen Kommunikation im Wege stehen. Versagen auch die von Experten erteilten Erziehungsratschläge, steigert sich das Gefühl elterlicher Inkompetenz (Rotthaus 2002); die Entfremdung zwischen Eltern und Kind nimmt zu. In zugespitzten Fällen wird nur noch darauf reagiert, wie sich ein Kind nach außen sichtbar verhält; ein Bemühen, Gefühle und Motivationen des Kindes zu erkunden, findet nicht mehr statt.
Spieltherapie ermöglicht es in vielen Fällen, wieder eine Annäherung zwischen Eltern und Kind in Gang zu bringen. Viele Kinder nutzen das Spiel, um schwierige Aspekte in der Beziehungsgestaltung zu den Eltern zu thematisieren. Vermittelt durch ihre symbolischen Gestaltungen, kann ihr Erleben den Eltern wieder zugänglich gemacht werden. Eltern können dem Kind wieder mit neuem Verständnis begegnen, beide Seiten können auf befriedigendere Weise miteinander in Kontakt treten.
Die therapeutische Arbeit berührt auf dieser Ebene intime Bereiche der Eltern-Kind-Beziehung. Vom Kind werden Aspekte veröffentlicht, die in der Vergangenheit zwischen Eltern und Kind nicht gut gelungen sind. Die auf Symbolebene gefundenen Bilder können sehr deutlich sein; Scham- und Schuldgefühle werden berührt. Damit die Begegnung mit Spielinhalten zu einer guten Erfahrung wird, ist ein behutsames Vorgehen nötig. Besteht zu den Eltern ein Vertrauensverhältnis, das von Respekt vor der Intention ihrer Erziehungsbemühungen getragen wird, können sich bedeutsame Wendepunkte ergeben. Es erleichtert einen Zugang, wenn im Rahmen einer mehrgenerationalen Perspektive auch Lebenshintergründe der Eltern erkundet werden.
Wie sich die Beziehungen in seiner Familie im Verlauf einer solchen Arbeit verändert haben, reflektiert Justin, neun Jahre alt, in einer Sandbildgeschichte:

In einem alten Zoo werden zwei Löwenkinder geboren. Sie werden zuerst von ihren Eltern getrennt, weil sich die Löweneltern noch an die Babys gewöhnen müssen. Die Eltern werden nur unter Aufsicht der Tierpfleger zu ihren Kindern gelassen, unter Aufsicht werden sie brav.
Zur gleichen Zeit wie der Zoo entstand eine alte, »rumpelige« Stadt. In der Nähe des Zoos wird eine neue Stadt gebaut, sie ist modern und reich. Die Löwen werden vorübergehend dort untergebracht.
Währenddessen wird der Zoo modernisiert. Die Vögel, früher in einem geschlossenen Käfig gehalten, können frei herumfliegen. Es gibt ein Netz, mit dem sie eingefangen werden können, wenn das nötig sein sollte. Auch die Löwen werden in ihr neues Gehege gebracht. Dort können Eltern und Kinder zueinanderkommen, sie können aber auch mit einer Schiebetür voneinander getrennt werden. Für die Anfangszeit gibt es eine Videoüberwachung, weil die Zoowärter den Eltern noch nicht ganz trauen. Anschließend wird die alte Stadt neu aufgebaut.

Als Metapher für den eigenen Raum der Spieltherapie lässt Justin die Löwen eine Zeit lang an einem anderen Ort unterbringen. Die entscheidende Veränderung vollzieht sich unterdessen in der Umgestaltung des Zoos, die sowohl größere Freiheit als auch eine nähere Form der Beziehungsgestaltung ermöglicht. Justin war in seiner Familie keiner physischen oder psychischen Gewalt ausgesetzt. Für sensible Kinder stellt es aber bereits eine Belastung dar, den Erwartungen ihrer Eltern nicht entsprechen zu können. Wie in Justins Familie betrifft dies oft die Einhaltung von Alltagsregeln, die eher auf die Bedürfnisse von Erwachsenen als von Kindern zugeschnitten sind.
Damit sich Eltern an ihre »Löwenkinder« gewöhnen können, ist ein Wiedereinzug des Spielerischen in den Familienalltag hilfreich. Oft setzt dies eine bessere Abgrenzung gegenüber Stressoren voraus, die aus dem Berufsleben in die Familie hineingetragen werden, daneben auch eine konstruktive Konfliktgestaltung auf Paar- und Elternebene.
Das Leben mit Kindern aktualisiert darüber hinaus eigene Kindheitserfahrungen, die einen gelassenen Umgang mit Alltagssituationen erschweren können. Als Kindertherapeutin teilen sich mir Eltern auch mit eigenen Kindheitsanteilen leichter mit. Die Spieltherapie öffnet sich zu einer Arbeit in anderen Settings, in denen im Spiel angestoßene Themen weiter verfolgt werden können.

Am Ende einer Sandbildgeschichte lässt Katharina ein Rhinozeros in einen Spiegel schauen. Dort kann es beobachten, wie hinter ihm junge Tiere miteinander spielen. Die Rhinozerosmutter hatte vergessen, wie sie selbst früher gespielt hat. Deshalb war sie zuvor wütend auf ein junges Pferd losgegangen, das sich mit seinem Bruder gebalgt hat.
Der »Spiegel« des Sandbilds konfrontiert Frau L. mit Erinnerungen an ihre Kindheit, in der unbeschwertes Spiel von Sorgen überschattet wurde. Statt die Beziehung zu Katharina weiter mit eigenen Erlebnissen zu belasten, nimmt sie sich Zeit zur Reflexion. In Elterngesprächen findet sie Anerkennung dafür, was sie als Kind für ihre kranke Mutter getan hat. Zur Trauer über verpasste Möglichkeiten treten dabei auch Erinnerungen an das, was in der eigenen Kindheit trotz allem schön war. Frau L. kann Katharina mit neuem Verständnis begegnen.

Unterbrechung von Misshandlung und Gewalt

Sehr oft treten in der Spieltherapie Themen zutage, die aus der familiären Kommunikation ausgeblendet werden.

Sebastian, sechs Jahre alt und eher verträumt und schüchtern, greift sich in der ersten Therapiestunde eine Haipuppe. Mit ihr auf der Hand führt er mir wilde Kämpfe vor, aus denen jeweils der Hai als Sieger hervorgeht. Sebastian bestätigt, dass ihm das Spiel Spaß gemacht hat. Ich erfahre, dass er selbst gern so sei wie der Hai. Auf die Frage, was dann in seinem Leben anders sei, erhalte ich die Antwort: »Als Hai würde ich königlich behandelt.«
Weitere Nachfragen fördern Erschreckendes zutage: Als Hai würde Sebastian von seinem Bruder nicht mehr geärgert, vor allem aber würde er von seinen Eltern nicht mehr mit einer Reitgerte geschlagen.

Sebastian ist kein Einzelfall. Viele Mitteilungen, die Kinder in der Spieltherapie machen, beziehen sich auf Erfahrungen von Gewalt und Misshandlung. Das Schlagen geht dabei über die verbreiteten »Klapse« oft weit hinaus; zum Einsatz kommen trotz geänderter Gesetzgebung auch heute noch Stöcke, Riemen und Gürtelschnallen. In der Spieltherapie höre ich – nach meinem Eindruck – öfter von solchen Übergriffen als Kollegen, die rein familientherapeutisch arbeiten.
Spieltherapie kann in einem systemisch orientierten Setting viel dazu beitragen, Misshandlungsprozesse zu unterbrechen und ihnen vorzubeugen. Meine Position als Therapeutin sehe ich dabei an der Seite des Kindes, ohne eine zugewandte Haltung zu allen Mitgliedern des Systems aufzugeben. Misshandlungen erfolgen in einem multifaktoriellen Kontext, sie sind eingebunden in ein mehrgenerationales Beziehungsgefüge. Für ein ressourcenorientiertes Vorgehen ist es wenig gewinnbringend, den lebensgeschichtlichen Hintergrund von Eltern auszublenden und eine Interpunktion vorzunehmen, in der ein misshandelnder Elternteil ausschließlich als Täter wahrgenommen wird.
Bewahrt man eine Haltung von Allparteilichkeit, bei der ein Schutz des Kindes Priorität hat, ist es möglich, parallel mit Kind und Eltern zu arbeiten, da Kinder trotz erlebter Gewalt Loyalität zu ihren Eltern empfinden. Als Erstes müssen die Misshandlungen beendet werden, damit das Kind in einer sicheren Umgebung lebt. Ist dies in der Elternarbeit erreicht worden, kann sich eine traumatherapeutisch orientierte Bearbeitung anschließen.
Meist reagieren Eltern erleichtert, wenn das Thema der Misshandlungen vom Kind geöffnet wurde. Manche Therapieanfragen wirken auf mich wie ein indirekter Versuch, für einen anderen Umgang mit dem Kind Unterstützung zu finden.

Tim, sechs Jahre alt und kurz vor der Einschulung, wird mit den Symptomen von Enuresis und Enkopresis zur Therapie angemeldet. Sein erstes Sandbild zeigt einen Zug, in dem Schulkinder zu einer Kirche fahren. Das Bild wirkt friedlich und unspektakulär. Bei der Erkundung der einzelnen Elemente ergibt sich jedoch ein anderes Bild: Ich erfahre, dass Tim mit einem ähnlichen Bambusstock geschlagen wird, wie er ihn im Sandbild neben die Schienen gelegt hat.
Ich erzähle Tim, dass ich schon viele Kinder kennengelernt habe, die von ihren Eltern geschlagen wurden, und es mir wichtig ist, zu helfen, dass dies aufhört. Ich teile ihm auch mit, dass die meisten Eltern meiner Erfahrung nach selbst gern mit dem Schlagen aufhören würden. Tim ist damit einverstanden, dass ich ein Gespräch mit seinen Eltern suche. Beim Aufräumen erfahre ich, dass ein kleiner Zwerg aus dem Zug gesprungen ist, der sich jetzt im Sandspielregal versteckt hält: Symbolisch sucht Tim bei mir Sicherheit.
Tims Eltern wirken erleichtert, als ich sie auf die Misshandlungen anspreche. Zu Schlägen kam es vor allem dann, wenn der Vater nach der Arbeit auf den Sohn traf, der, in sein Spiel versunken, nicht auf Ansprache reagierte. Er erkennt, wie seine eigene Impulsivität und die Verträumtheit des Sohnes auf ungünstige Weise zusammentreffen; Tims Nichtreagieren bezieht er nicht länger auf sich. Um in ruhigerer Stimmung zu Hause anzukommen, legt der Vater nach der Arbeit »Auszeiten« ein, in denen er sich körperlich betätigt. Daneben suchen wir nach einem Ritual, mit dem der zum Schlagen verwendete Rohrstock ausrangiert werden kann. Die Eltern entwickeln die Idee, ihn seiner ursprünglichen Bestimmung zuzuführen und an ihm Blumen hochranken zu lassen; diese Verwendung soll den Wunsch symbolisieren, dass sich jeder in der Familie auf seine Art entfalten kann.
Parallel zu den Interventionen auf Elternebene baut sich Tim im Sand sichere Orte, dabei findet er positive Gegenbilder zur erlebten Gewalt. Als Sandbild entsteht ein Paradies, danach eine ganze Serie von Bildern aus der heilen Welt der sieben Zwerge, die im Bergwerk arbeiten und abends einen gedeckten Tisch vorfinden.
Als die Welt auch für Tim wieder sicher geworden ist, kann er sich den Erlebnissen der Vergangenheit zuwenden. Im Rollenspiel lässt er mich erleben, was ihm passiert ist: Als Hund werde ich von Schlangen erschreckt, von Tigern gebissen und von Pferden getreten. Als ich anschließend ohne Essen in der Hütte liege und meine Schmerzen beklage, werde ich von Tim getröstet. Was mich erschreckt hat, waren nur Attrappen. Ich habe sie für wilde Tiere gehalten; in Wirklichkeit war es »nur« ein Stock. Die Konfrontation mit Tims subjektivem Erleben der erlittenen Misshandlungen bestärkt die Eltern noch mehr in ihrem Entschluss, in der Erziehung auf körperliche Gewalt zu verzichten. Tim erzählt mir, zu Hause seien alle »viel lieber« geworden. Im Sandkasten baut er anschließend die Geschichte des Hundes noch einmal nach. Diesmal findet sie ein gutes Ende. Die Katze, Gegenspielerin des Hundes, hat eine Krone, von der sie noch nichts weiß; der Hund besitzt eine Schatzkarte, mit der man die Krone finden kann. Zunächst ist die Karte so vollgeregnet, dass man sie nicht erkennen kann, später bleibt sie lange unter einer Schneedecke verborgen. Wieder wird dem Hund Gewalt angetan; vor dem Einschlafen fragt er sich, ob das denn nie aufhören wird. Doch dann taut der Schnee, Gras kommt zum Vorschein. Der Hund wird wach und ist fröhlich. Hund und Katze sehen sich an – jetzt sind sie Freunde. Mithilfe der Schatzkarte entdecken sie die Krone der Katze. Sie ist jetzt »ein Haus für eine kleine Maus.«

Narrative Traumabegegnung in der Spieltherapie

Tims Geschichte leitet zu der Frage über, wie traumatische Erlebnisse spieltherapeutisch bearbeitet werden können. Sein Rollenspiel zeigt bereits einige Faktoren, die dabei günstig sind. Oft werden sie von Kindern spontan angewendet:

  • Tim öffnet das Thema der Misshandlungen indirekt, indem er seinem Sandbild einen Gegenstand hinzufügt, der zunächst keine Bedeutung zu haben scheint. Er überlässt es mir, dies mitzubekommen und genauer nachzufragen. Damit testet er meine Aufmerksamkeit als Therapeutin, die in der Begleitung traumatherapeutischer Prozesse besonders wichtig ist.
  • Zu Beginn der Therapie baut er sich ausschließlich gute »Gegenbilder« zu den Schreckensbildern der erlebten Gewalt (Reddemann 2001).
  • Tim wendet sich einer spieltherapeutischen Traumabegegnung erst zu, als für ihn im Alltagsleben Sicherheit hergestellt ist.
  • Er kleidet seine Misshandlungserlebnisse in eine Geschichte, die nicht von ihm, sondern einer neutralen Figur, einem Hund, handelt.
  • Im Rollenspiel spielt er nicht selbst dessen Rolle, sondern delegiert die Opferposition an mich – beides ermöglicht ein dissoziierteres Erleben der Traumageschichte.
  • Die Geschichte wird jeweils in einem Durchgang bis zum Ende gespielt, ohne in der traumatischen Szene stecken zu bleiben.
  • In der Einordnung der Traumaereignisse findet eine Neubewertung statt: Überwältigendes Erleben (Schlangenbisse und Tritte von Pferden) verwandelt sich in die neutralere Schilderung, mit einem Stock geschlagen worden zu sein.
  • In beiden Spielvarianten gibt es ein Ende, das Trost bzw. Versöhnung beinhaltet.
Traumatherapie folgt heute allgemein einem Phasenmodell, nach dem zunächst eine ausreichende Stabilisierung erfolgt, bevor gegebenenfalls mit geeigneten Mitteln zu einer Traumabegegnung bzw. -konfrontation übergegangen wird. Den Abschluss bildet eine Integration der Traumaereignisse in die eigene Lebensgeschichte.
Neben anderen Verfahren hat die imaginative Traumatherapie Techniken bereitgestellt, die im Therapieverlauf vor Retraumatisierungen schützen können (Reddemann 2001 und 2004). Die Tresortechnik hilft dabei, sich aufdrängende Erinnerungen sicher zu deponieren. Sichere Orte stellen einen inneren Raum zur Verfügung, der sich jederzeit aufsuchen lässt; innere Helfer unterstützen die Stabilisierung.
Auch in der Traumakonfrontation werden imaginative Techniken eingesetzt: Die Handlung wird auf einen imaginären Bildschirm projiziert, wobei der Grad des Abstands zum rekonstruierten Geschehen von den Klienten selbst kontrolliert werden kann. Das Vorgehen wurde für die Arbeit mit Kindern adaptiert (u. a. Krüger u. Reddemann 2007, Hanswille u. Kissenbeck 2008) und durch Maltechniken ergänzt, auf die an dieser Stelle nur hingewiesen werden kann (2).

Umgang mit posttraumatischem Spiel und der Aufbau von Spielfähigkeit

Dorothea Weinberg merkt an, dass eine Arbeit mit Imaginationen Bedingungen voraussetzt, die traumatisierten Kindern oft nicht zur Verfügung stehen. Sie berichtet von einem Screeningverfahren für Grundschulkinder, mit dem in Kroatien kriegstraumatisierte Kinder herausgefiltert und einer Traumabehandlung zugeführt werden sollten. Genutzt wurde dazu die Methode der Fantasiereise: »Die Lehrerin führte eine solche Fantasiereise mit ihrer Klasse durch, und wer dabei die Augen offen hielt, unruhig war oder erstarrt auf seinem Platz hockte, galt mit hoher Wahrscheinlichkeit als traumatisiert.« (Weinberg 2005, S. 213).
Als »sicherer und stabiler« empfiehlt Weinberg für solche Kinder ein »Arbeiten auf der Ebene der ›zweiten Realität‹« (a. a. O., S. 214), der Ebene des Spiels. Das Handeln im Spiel kann dabei helfen, dem Erleben von Hilflosigkeit und Ausgeliefertsein neue Erfahrungen entgegenzusetzen. Spieltherapie ist darüber hinaus auch in Fällen anwendbar, in denen andere Vorgehensweisen an ihre Grenzen stoßen: Strukturierte Traumatherapiemethoden eignen sich vor allem zur Behandlung bewusster und abgrenzbarer Traumata; als Indikationen für traumabezogene Spieltherapie gelten dagegen »nicht erinnerbare oder permanente Trauma-Erfahrungen«, darunter sehr frühe Ereignisse, Vernachlässigung und Gewalt durch Hauptbezugspersonen (a. a. O., S. 118).
Um Spiel als Medium nutzen zu können, benötigen manche Kinder zunächst eine strukturierende Unterstützung. Misshandelte oder vernachlässigte Kinder waren in der Vergangenheit einem Übermaß oder einem Mangel an Stimulation ausgesetzt. Fehlt ihnen die Fähigkeit, ihre Umgebung spielerisch zu erkunden, sind sie mit einer nondirektiven Therapiegestaltung überfordert.

»Kinder, die körperlich misshandelt oder sexuell missbraucht wurden, können ängstlich, extrem wachsam und depressiv sein, dissoziative Zustände und/oder Entwicklungsverzögerungen aufweisen. Sie können sozial unreif sein und darauf angewiesen sein, dass ihre Umgebung ihnen Verhaltenshinweise gibt. Vielleicht haben sie in einer gefühlsarmen Umgebung gelebt, in einer von chaotischer Emotionalität geprägten oder in einer unbeständigen Umgebung. In jedem Fall können ihre natürlichen Spielneigungen gestört worden sein und so zu ängstlichem, ungeordnetem oder chaotischem Spiel geführt haben.« (Gil 1991, S. 71).

Um Spielfähigkeit zu fördern, muss die Gestaltung des Spielkontakts an die Besonderheiten des Kindes angepasst werden. »Das chaotische, zerfahrene Kind« benötigt nach Eliana Gil eine »restriktivere Umgebung«, die seine Wahlmöglichkeiten begrenzt (a. a. O., S. 71). Da in meinem Arbeitskontext ein Raumwechsel oder eine Anpassung der Einrichtung zwischen den Therapiestunden nicht möglich sind, führe ich ein solches Kind zielgerichtet zu einer Aktivität hin, die seine Aufmerksamkeit absorbiert und ihm erleichtert, ein Spiel aufzunehmen. Zu wenig stimulierte Kinder können durch ein modellhaftes Spielverhalten der Therapeutin dazu angeregt werden, in ein Spiel einzusteigen.
Eine Strukturierung durch konkrete Spielvorschläge kann darüber hinaus nötig sein, um Kindern aus Zuständen von Lähmung und Dissoziation herauszuhelfen. Dies gilt auch, wenn ein Kind in posttraumatischem Spiel verharrt. Posttraumatisches Spiel ist gekennzeichnet durch ständige Wiederholungen bei gleichzeitiger Affektvermeidung; es enthält weder eine narrative Struktur, Höhepunkte noch das Ende eines Handlungsbogens.
Einen potenziellen Nutzen solchen Spiels sieht Gil darin, dass das Kind bei der Erinnerung an Angst auslösende Ereignisse in eine aktive Haltung übergeht und dabei ein Gefühl von Beherrschung und Befähigung gewinnen kann. Wenn es fixiert bleibt und sich keine Veränderungen ergeben, sollte das Spiel jedoch unterbrochen werden:

  • Das Kind kann aufgefordert werden, die Spielsituation zu verlassen und sich körperlich zu bewegen.
  • Um starre Abläufe zu unterbrechen, kann es gebeten werden, die Wahrnehmungen und Gefühle einer Figur zu beschreiben.
  • Hypothetische Fragen können eine Veränderung des Spielablaufs anregen; insbesondere die Frage nach einer möglichen Hilfsfigur.
  • Bedrohliche Figuren können eingesperrt, bedrohte Figuren in Sicherheit gebracht werden.
  • Gespräche und zielgerichtete Interventionen können helfen, zwischen »damals« und »heute« zu unterscheiden (Gil 1991, S. 82; Brächter 2008, S. 43).
Traumatisches Spiel lässt sich auch transformieren, indem Sicherheit spendende Interventionen aus einer Spielrolle heraus in den Spielverlauf eingebracht werden. Weinberg beschreibt ein solches Vorgehen am Beispiel eines Jungen, der bei einem Unfall mehrere Familienangehörige verlor und selbst schwerverletzt überlebte. Nachdem Jonas während traumatischer Reinszenierungen im Spiel ungeschützt mit dem Kopf auf den Boden fiel, bot sie sich ihm als »Alarmsystem« an:

»Er hatte sich bei seinen Schaukeleien als Flugzeugpilot vorgestellt, sodass ich mich jetzt zum in seinem Bordcomputer eingebauten Alarmsystem erklären konnte. Jonas griff diese Idee mit Erleichterung und Begeisterung auf: Endlich konnte er angstfrei spielen! Denn das Alarmsystem schaltete sich automatisch ein – indem ich ihn in seinem wilden Schaukeln auffing und zur Ruhe brachte –, wenn er die Kontrolle verlor. Seine Schaukelspiele steuerten nun nicht mehr zwanghaft auf den Absturz zu, sondern er konnte Meere überfliegen und erste Abenteuer im Spiel erleben. Wenn es schließlich zum Flugzeugabsturz kam, wurde er integraler Bestandteil eines Rollenspiels mit Rettungseinsätzen, Martinshorn und Sanitätern. Und damit löste sich das typische, repetitive traumatische Spiel auf.« (Weinberg 2005, S. 57 f.)

Traumatisches Erleben und die Arbeit mit Trauma-Narrativen

Die Bezeichnung »posttraumatisches Spiel« wird teilweise kritisiert, da die eigentlichen Qualitäten des Spiels hierbei gerade nicht gegeben sind. »Gelingt ein Spiel, welches spielerisch daherkommt, also wirklich Spiel im ursprünglichen Sinn des Wortes ist, ist bereits eine Distanzierung von traumatischen Erlebnisinhalten hergestellt« (Krüger u. Reddemann 2007, S. 231; Hervorhebungen im Original). Werden traumatische Szenen reinszeniert, fehlt dem Spiel der Möglichkeitsraum des »Als-ob«, in dem neue Lösungen gefunden werden können. Hierbei auftretende Dissoziationen sind nicht zu verwechseln mit der therapeutischen Nutzung einer Außenperspektive bei Traumarekonstruktionen, durch die Klienten den Grad der Erlebnisintensität bewusst steuern können.
Traumatisches Erleben lässt sich Kindern mit dem Bild eines zerbrochenen Spiegels beschreiben, bei dem jeder Splitter einen Teil der Erinnerung enthält (Hanswille u. Kissenbeck 2008). Losgelöst von einer zeitlichen Einordnung, werden traumabezogene Erinnerungseindrücke als gegenwärtig und bedrohlich wiedererlebt. Sie werden nicht den modulierenden Prozessen des Gedächtnisses unterworfen, die mit der Zeit »ein in sich stimmiges, narratives und ganzheitliches Erinnerungsmodell der eigenen Vergangenheit schaffen« (Weinberg 2005, S. 89). Die mangelnde Möglichkeit, das Geschehene zu verbalisieren, erschwert die Verarbeitung und die Integration in die Lebensgeschichte. Traumatherapie gleicht einer Zusammenfügung des Spiegels, damit die Erinnerung im Gedächtnis abgelegt werden kann. Dies bedeutet gleichzeitig, aus Erinnerungsfragmenten eine Geschichte zu konstruieren, die in die eigene Biografie integriert werden kann.
Hier setzt eine Arbeit mit Trauma-Narrativen an. Verschiedene traumatherapeutische Verfahren• verwenden die Technik, Geschichten über ein Tier oder ein (anderes) Kind zu erzählen, die Details der erlebten Traumasituation enthalten und vom Kind aus ausreichender Ich-Distanz verfolgt werden können. Beim Erzählen werden die Ebenen von Verhalten, Gefühl, Körpererleben und Gedanken angesprochen; von einem sicheren Anfangspunkt wird die Geschichte zu einem sicheren Ende gebracht.
In der Spieltherapie entwickeln Kinder selbst Traumageschichten, die der Struktur solcher Trauma-Narrative entsprechen. Wie in Tims Hundegeschichte wird das eigene Erleben dabei oft an eine Stellvertreterfigur delegiert. Das Kind kann regulieren, wie stark es sich während des Spiels in die Figur einfühlt; bei Bedarf kann es in eine Außenperspektive wechseln. Spielt es selbst die Rolle der Figur, ist eine assoziiertere Traumabearbeitung möglich. Hier ist die Therapeutin als Regisseurin besonders gefordert, um das Kind vor intrusivem Erlebnismaterial zu schützen.
Traumatherapeutische Verfahren gehen bei der Annäherung an belastende Erfahrungen zum Teil sehr vorsichtig vor. Sie arbeiten mit dem Konzept des inneren verletzten Kindes, das in gefährlichen Situationen an einen sicheren Ort gebracht wird; daneben werden von Therapeutenseite aktiv Hilfsfiguren ins Spiel eingeführt. Beide Interventionen haben in emotional fragilen Situationen ihre Berechtigung, aber auch den Nachteil, dass die Spielhandlung des Kindes durch therapeutische Interventionen unterbrochen wird.
Solange es zu verantworten ist, halte ich es für eine stärkendere Erfahrung, wenn ein Kind im Spiel selbst den Weg aus einer rekonstruierten Traumasituation findet und sich einen geschützten Ort aufbaut. Dies schließt auch die Erlebnismöglichkeit eigener körperlicher Stärke mit ein.
Nach meiner Erfahrung hat die Angst vor möglicher Retraumatisierung dazu geführt, dass manche traumatisierten Kinder in einer Art Vakuum leben, in dem ihnen handfestere Kontaktangebote versagt bleiben. Gunther Schmidt formuliert ein Unbehagen an pathologieorientierten Traumatherapiekonzepten, die »suggerieren, dass man traumatisierte KlientInnen wie zerbrechliche Porzellanfiguren behandeln müsse«, ohne ihre zum Teil »ungeheure Überlebenskompetenz« zu sehen (im Vorwort zu Hanswille u. Kissenbeck 2008, S. 15). Körpertherapeutische Konzepte betonen die Bedeutung von Körperprozessen bei der Traumabewältigung (Levine u. Kline 2005). Entsprechende Erfahrungen können Kinder nicht machen, wenn in der Therapie auf eine körpernahe Erlebnisebene verzichtet wird.
In der Spieltherapie mit traumatisierten Kindern verwende ich traumatherapeutische Techniken als Hintergrundkonzept. Sie bieten mir die Sicherheit, Geschichten der Kinder folgen zu können, ohne dass sich die Angst vor Retraumatisierung auf Beziehungsebene störend auswirkt. Zu wissen, was ich tun könnte, falls sich ein Kind zu früh mit Erinnerungen konfrontiert, hilft dabei, dem Spiel einen sicheren Rahmen zu bieten. Nach meiner Erfahrung reicht es in den meisten Fällen aus, den Umgang mit assoziiertem und dissoziiertem Erleben sicher zu handhaben. Geht ein Kind zu intensiv in eine Situation herein, kann es sich daraus wieder lösen, wenn man auf Metaebene Fragen zur Spielgestaltung stellt. Im Gegenzug kann assoziiertes Erleben gefördert werden, wenn ein Kind Zugang zu seinen Ressourcen gewinnt und seine Kraft spürt. Hierzu gehört auch ein Nachholen von Bewegungsmöglichkeiten, die ihm in der Traumasituation versagt blieben.
 Wählt ein Kind in einer rekonstruktiven Spielsequenz die Ebene des Rollenspiels, ist eine sorgfältige Handhabung der Rollen besonders wichtig. Kleinschrittig kann daran erinnert werden, dass man sich auf der Ebene von Rollen bewegt. Täterrollen lassen sich an Puppen delegieren, um dem Kind als Therapeutin stützend zur Verfügung zu stehen.
Zentral ist bei intensiven Erlebnisprozessen die Möglichkeit einer Trennung zwischen »damals« und »heute«. Mit dem Trauma verknüpfte Ereignisse, auf die sich das Kind im Spiel bezieht, müssen gegenüber der Gegenwart deutlich abgegrenzt werden. Zum Ende einer Stunde muss sichergestellt sein, dass sich das Kind wieder in der Gegenwart verankert hat und die Therapie gut verlassen kann.
Mich beeindruckt immer wieder, wie Kinder mit Traumaerfahrung ihre Therapie im freien Spiel so gestalten, dass sich ein heilsamer Prozess entwickeln kann:

Sarah, zu Therapiebeginn fünf Jahre alt, hatte in den ersten Lebensmonaten einen relativ guten Start, bis ihre Mutter durch einen Rückfall in Drogenabhängigkeit nicht mehr in der Lage war, sich ausreichend um sie zu kümmern. In den folgenden drei Jahren wurde Sarah vernachlässigt, oft allein gelassen und am Bett festgeschnallt, hinzu kamen Misshandlungen und mehrere Krankenhausaufenthalte. Zusätzliche sexualisierte Gewalt durch Bekannte im Umfeld lässt sich weder ausschließen noch bestätigen.
In der Therapie steigt Sarah schnell in Rollenspiele ein. Sie fällt vom Pferd, wird vom Auto überrollt und stürzt beim Krankentransport von der Bahre. Im Krankenhaus muss sie operiert werden; sie darf sich nicht bewegen, obwohl sie dabei Schmerzen hat. In der Rolle einer Sanitäterin versuche ich, Sarah schützend zu begleiten, bin aber angesichts der immer neuen Verletzungen selbst in einer machtlosen Position. Sarah lässt mich spüren, wie viel ihr in ihrem Leben schon passiert ist. Statt im Spiel einen Schutz bieten zu können, den es im realen Leben nicht gegeben hat, erhalte ich die Funktion, »Zeuge« zu sein und »dadurch Wirklichkeit, auch die Wirklichkeit des Leidens anzuerkennen« (Oestereich 2005, S. 69). Gleichzeitig sucht Sarah im Spiel aktiv Körperkontakt: Sie will von mir aufgehoben, getragen und gehalten werden. Im Gegensatz zu früher ist sie in furchterregendem Erleben nicht allein.
Die Therapie verläuft in den nächsten Wochen unter engmaschiger Supervision. Anfangs bewegt sich die Spielhandlung an der Grenze posttraumatischen Spiels, bei dem Spielszenen unverändert wiederholt werden. Nach und nach verändert sich jedoch der Ablauf; nach Unfallszenen und Rettungsaktionen verlagert sich der Schwerpunkt zur Begegnung am Krankenhausbett. Teile der Handlung werden spielerischer; im Sinne eines »Ich wär’ jetzt vom Pferd gefallen, das müssen wir nicht groß spielen« findet Sarah einen distanzierteren Umgang mit ihrer Geschichte. Daneben sorgt sie in einer für ihr Alter unglaublichen Art für eine sichere Rahmung des Spielgeschehens. Rollenspiele werden von ihr selbst so rechtzeitig beendet, dass noch Zeit bleibt, die Stunde gut abzuschließen. Im Sandkasten entstehen Sicherungsbilder, auf denen Kinder beim Spielen von Polizisten beschützt werden; beim Malen vergewissert sich Sarah ihrer gegenwärtigen Lebenssituation, indem sie sich im Kreis ihrer Pflegefamilie zeichnet.
Da Sarah auch während traumabezogener Szenen nicht in Gefahr scheint, zu dissoziieren oder von Erinnerungen überwältigt zu werden, setze ich das Rollenspiel fort. Sarah kontrolliert den Spielablauf und erteilt mir genaue Regieanweisungen. Zu einer Gratwanderung wird es, als ich in einer Arztrolle Operationen vornehmen soll, vor denen sie Angst zeigt. Obwohl ich sie körperlich nicht berühre, unterbreche ich immer wieder, um den Spielcharakter der Handlungen zu betonen; manche Anforderungen lehne ich ab. Zunehmend spüre ich, dass es Sarah darauf ankommt, der »Behandlung« Widerstand entgegenzusetzen: Zuerst vorsichtig, dann immer kräftiger erprobt sie die Kraft ihrer Arme und Beine. Ich gebe ihr dazu Gelegenheit, indem ich dagegen halte; später tritt Sarah gegen Kissen und Decken. Hatte sie in früheren Spielsequenzen teils regungslos auf dem Bett gelegen, löst sich jetzt die Traumastarre. Nach heftigem Beginn wird das Kräftemessen spielerischer; Anspannung und Aggression gehen über in ein Genießen korrektiver Bewegungserfahrungen.
Nach einigen Wochen beginnt Sarah damit, die Rollenspielhandlungen in eine Zeitfolge einzuordnen: Auf einer Tafel lässt sie mich das Alter notieren, in dem das Kind ins Krankenhaus eingeliefert wird. Wir sprechen darüber, was Kinder in diesem Alter bereits gelernt haben, ob sie schon laufen oder sprechen können. Sarah spielt die entsprechenden Aktivitäten nach, krabbelt durch den Raum und spricht Babysprache. Jenseits der Traumaerfahrungen rekonstruiert sie ihre eigene Entwicklungsgeschichte. Dem Mädchen im Krankenhaus gibt sie einen anderen Namen; die dort spielenden Erlebnisse grenzt sie von ihrer sonstigen Biografie ab. Auch im Krankenhaus nehmen »behandlungsfreie« Phasen zu, in denen sie sich versorgen lässt und die Zuwendung der Krankenschwestern genießt.
In der letzten Phase der Krankenhausspiele konfrontiert sich Sarah mit ihrer Mutter, zu der im realen Leben kein Kontakt besteht. Sie bringt ihre Mutter in Verbindung mit dem Erleben von Gewalt und Verlassensein. Neben Angst, Wut und Trauer zeigt sie ihr gegenüber auch eine starke Sehnsucht.
Im Krankenhaus möchte das Mädchen von seiner Mutter besucht werden. Ich stelle die Mutter durch eine Puppe dar. Zunächst soll sie nur durch ein Fenster ins Zimmer schauen. So, wie ich es von Sarahs Mutter weiß, lasse ich die Puppe darüber sprechen, wie leid es ihr tut, was ihre Tochter erleben musste, und wie sehr sie sich darüber freut, dass sie sich so gut entwickelt hat. Mit großer Aufmerksamkeit hört Sarah zu, anschließend darf ihre Mutter näherkommen. Sarah umarmt die Puppe, sie möchte sie im Arm halten und von ihr eine Geschichte erzählt bekommen. Mit der Puppe zwischen uns liegen wir lange ruhig nebeneinander. Während sie meinen Geschichten zuhört, streichelt Sarah die Mutterpuppe; sie kann sich entspannen.
Als das Mädchen im Spiel drei Jahre alt geworden ist, braucht es keine Krankenhausbehandlung mehr. Da es aber weiß, wie es verletzten Kindern dort geht, möchte es ihnen helfen. Sarah wählt die Rolle eines Clowns, der Kinder im Krankenhaus fröhlicher macht. In der anschließenden Therapiephase setzt sie sich mit ihrem aktuellen Lebenskontext in Schule und Pflegefamilie auseinander.

Das »unfühlbare und unsagbare Innere mit Sprache zusammenzuführen« bedeutet einen Schritt zur Integration (Weinberg 2005, S. 56). Als Ziel einer Traumatherapie gilt die Entstehung eines kohärenten Trauma-Narrativs, das in die eigene Lebensgeschichte eingegliedert werden kann. Dazu gehört eine Realisierung des Geschehenen im Sinne einer »Personifikation (›Es ist wirklich mir […] passiert‹)« und einer »Präsentifikation (›Es war damals‹)« (Hanswille u. Kissenbeck 2008, S. 320).

Mit längerem Abstand zu den Krankenhausgeschichten begegnen wir uns gegen Ende der Therapie in den Rollen von Hund und Katze. In diesem Spiel lässt mich Sarah erleben, was ihr selbst geschehen ist. Als Hund werde ich geschlagen und getreten, ich habe Schmerzen und große Angst. Sehr treffend beschreibt Sarah den Vorgang der Dissoziation: »Dann hättest du dich tot gestellt.« Lange sieht sie zu, wie ich reglos am Boden liege, bevor sie fortfährt: »Am nächsten Morgen wärst du aufgewacht und dir hätte alles wehgetan.«
Selbst noch als Katze verkleidet, sieht mich Sarah an und sagt: »Das ist mir auch passiert.«

Dekonstruktion traumadeterminierter Geschichten im Umfeld des Kindes

Trauma-Narrative, mit denen überstandene Lebensereignisse in die eigene Biografie integriert werden, unterscheiden sich von Traumaerzählungen, die eine dauerhafte Prägung durch das Erlebte betonen und einen Opferstatus festschreiben können (Levold 1994). Welche Geschichten im Umfeld eines Kindes über traumatische Ereignisse erzählt werden, hat entscheidenden Einfluss darauf, wie das Trauma verarbeitet werden kann und welche Entwicklungsmöglichkeiten Betroffenen offenstehen (Oestereich 2005).
Traumatheorien fördern eine Sichtweise, nach der eine Traumatisierung kausal determiniert bestimmte Erlebens- und Verhaltensaspekte nach sich zieht. Dass auch hier äußere Einwirkungen durch den Organismus autonom verarbeitet werden, wird weit weniger rezipiert. Das Gleiche gilt für therapeutische Veränderungsmöglichkeiten. In manchen Lebenskontexten wachsen Kinder unter dem Einfluss von Überzeugungen auf, die im Kern eine negative Prophezeiung beinhalten: einmal Trauma, für immer traumatisiert.
In der Arbeit mit Bezugspersonen ist eine Neukonstruktion von Traumageschichten oftmals unverzichtbar. Werden statt der erlebten Schrecken Bewältigungskompetenzen in den Vordergrund gerückt, erhält die Lebenserzählung eines Kindes eine andere Akzentuierung. Wenn Narrative über persönliche Stärken und hilfreiche Begegnungen entstehen, hat dies auch Auswirkungen auf die aktuelle Beziehungsgestaltung zum Kind.
 Ressourcenorientierte Therapiekonzepte fokussieren auf Elemente, die es aus der Bewältigung einer traumatischen Situation zu bewahren gilt; »das, woran man sich erinnern soll«, wird getrennt von anderen Aspekten im Gedächtnis abgelegt (Signer-Fischer, Gysin u. Stein 2009, S. 128; Signer-Fischer 2001; 2007). Hierzu gehören alle Verhaltensaspekte, durch die sich ein Kind in einer Traumasituation schützen konnte: eine Körperdrehung beim Sturz aus großer Höhe ebenso wie ein Heraustreten aus dem Körper bei extremer Gewalt. Betont wird die Würde des Kindes, die durch die Traumatisierung nicht verletzt werden konnte, und der Kern der Persönlichkeit, der unverletzt blieb und in der Therapie visualisiert und gemalt werden kann (ebd.).
Bestärkend wirkt darüber hinaus die Suche nach Wachstumsprozessen, die durch ein Trauma angestoßen wurden (Hanswille u. Kissenbeck 2008, S. 138).

Sarah findet ein schönes Bild für posttraumatisches Wachstum, indem sie sich nach ihrer »Heilung« anderen Kindern zuwendet: Sie hat besondere Erfahrungen gemacht, die sie in der Tätigkeit als Krankenhausclown nutzen möchte.

Anmerkungen:

(1) Benannt nach der Abkürzung der schwedischen Bezeichnung »barnorienterad familjeterapi« – BOF.

(2) Für die narrative Spieltherapie habe ich auf Altersangaben verzichtet, da die Eignung der Methoden sehr von Entwicklungsstand und Vorlieben des Kindes abhängt. Da die Kinder selbst einen methodischen Zugang wählen, stellt sich die Frage nach Altersgrenzen in der Praxis nicht. Rollenspiel ist in der Regel eher für Kinder im Vor- und Grundschulalter interessant; Sandspiel und kreative Methoden sind auch mit Jugendlichen gut anwendbar. 

Literatur:

Brächter, W. (2008): »Dann mach ich die Kiste ganz fest zu!« Methoden der lösungsorientierten Kindertherapie bei Kindern mit Gewalterfahrungen. In: Frauen helfen Frauen, Köln (Hrsg.): Dokumentation der Fachtagung »30 Jahre Frauenhäuser in der BRD. Gewalt gegen Frauen im globalen Kontext«, S. 42–45.
Gil, E. (1991): Die heilende Kraft des Spiels. Spieltherapie mit missbrauchten Kindern. Mainz (Matthias-Grünewald).
Hanswille, R. u. A. Kissenbeck (2008): Systemische Traumatherapie. Konzepte und Methoden für die Praxis. Heidelberg (Carl-Auer).
Krüger, A. u. L. Reddemann (2007): Psychodynamisch Imaginative Traumatherapie für Kinder und Jugendliche. PITT-KID – Das Manual. Stuttgart (Klett-Cotta).
Levine, P. A. u. Kline, M. (2005): Verwundete Kinderseelen heilen. Wie Kinder und Jugendliche traumatische Erlebnisse überwinden können. München (Kösel).
Levold, T. (1994): Die Betonierung der Opferrolle. Zum Diskurs der Gewalt in Lebenslauf und Gesellschaft. System Familie (7): 20–32.
Lowenfeld, M. (1969): Die »Welt«-Technik in der Kinderpsychotherapie. In: G. Bierman (Hrsg.): Handbuch der Kinderpsychotherapie, Bd. 1. München/Basel (Ernst Reinhardt), S. 442-451.
Oestereich, C. (2005): Nach dem Trauma: Nichts ist mehr wie zuvor! Wie können Traumata in die Lebenserzählung integriert werden? Systeme 19 (1): 46–71.
Reddemann, L. (2001): Imagination als heilsame Kraft. Zur Behandlung von Traumafolgen mit ressourcenorientierten Verfahren. Stuttgart (Pfeiffer bei Klett-Cotta).
Reddemann, L. (2004): Psychodynamisch Imaginative Traumatherapie. PITT – Das Manual. Stuttgart (Pfeiffer bei Klett-Cotta).
Rosenberg, M. B. (2007): Kinder einfühlend ins Leben begleiten: Elternschaft im Licht der gewaltfreien Kommunikation. Paderborn (Junfermann).
Rotthaus, W. (2002): Wozu erziehen? Entwurf einer Systemischen Erziehung. Heidelberg (Carl-Auer), 4. Aufl.
Signer-Fischer, S. (2001): Die Bedeutung der Erinnerung für das Individuum – Umgang mit traumatischen Erlebnissen. In: W. Rotthaus (Hrsg.): Systemische Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie. Heidelberg (Carl-Auer), S. 436-445.
Signer-Fischer, S. (2007): Die Stärkung des Selbstvertrauens in der Hypnotherapie. In: K. H. Holtz et al. (Hrsg.): Neugierig aufs Großwerden. Praxis der Hypnotherapie mit Kindern und Jugendlichen. Heidelberg (Carl-Auer), 3. Aufl., S. 34-54.
Signer-Fischer, S., T. Gysin u. U. Stein (2009): Der kleine Lederbeutel mit allem drin. Hypnose mit Kindern und Jugendlichen. Heidelberg (Carl Auer).
Weinberg, D. (2005): Traumatherapie mit Kindern. Strukturierte Trauma-Intervention und traumabezogene Spieltherapie. Stuttgart (Pfeiffer bei Klett-Cotta).



(Veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung des Carl-Auer-Verlages)



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