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Neuvorstellung zur Übersicht
02.11.2009
Dalai Lama & Paul Ekman: Gefühl und Mitgefühl. Emotionale Achtsamkeit und der Weg zum seelischen Gleichgewicht
Dalai Lama, Paul Ekman: Gefühl Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg 2009

354 S., gebunden

Preis: 24,95 €

ISBN-10: 3827421179
ISBN-13: 978-3827421173
Spektrum Akademischer Verlag





Andreas Manteufel, Bonn:

Das Buch dokumentiert ein echtes Gipfeltreffen. In mehreren Gesprächen von insgesamt 39 Stunden Dauer diskutierten der Altmeister der akademischen Emotionsforschung, Paul Ekman, bekannt für seine detaillierten Studien zum mimischen Ausdruck, und seine Heiligkeit, der Dalai Lama, über Gefühle. Was für ein Zusammentreffen! Östliche Weisheit begegnet westlicher Ratio, Religion trifft auf Wissenschaft, Erleuchtung auf Erkennen, Intuition auf Akribie… Nun, unter diesem Blickwinkel ist dieser Dialog eine Enttäuschung. Die beiden Herren mögen sich nicht nur, sie sind sich auch in allem einig. Es ist vor allem das Harmoniebedürfnis von Ekman, das permanente Übereinstimmung garantiert („Lassen Sie mich ein Beispiel anführen, damit wir sicher sein können, dass wir einander verstehen…“ (S. 21). Nach über 200 Seiten ahnt er es dann auch selbst: „Wir verbringen so viel Zeit miteinander. Wir sind vielleicht zu sehr einer Meinung“ (S. 222). Aber auch der Dalai Lama neigt bekanntlich nicht zum Provozieren: „Ich betrachte die Dinge immer aus dem Blickwinkel der Gleichheit, nicht aus dem der Unterschiede“ (S. 299).
Nichts von dem, was in diesem Buch steht, ist falsch oder irrelevant. Nur: Nichts überrascht, nichts ist neu, und die erwartete Spannung zwischen zwei Denk- oder Fühlkulturen blitzt nur selten auf. Am ehesten schimmern Unterschiede in der Art der emotionalen Reaktion der beiden Männer durch. Ekman redet, definiert, sucht händeringend nach den passenden Worten, etwa so: „Lassen Sie mich ein Beispiel anführen. Ich war mir nicht bewusst, welchen Druck meine Fußsohle auf den Fußboden ausübt, bis ich versuchte, mir ein Beispiel auszudenken. Aber ich kann mir dessen bewusst werden, und ich kann mir der Empfindungen in meinem Schuh völlig bewusst werden. Vorher gelangte das, was in meinem Schuh passiert, nicht in meine Bewusstheit […]". Der Dalai Lama lacht viel, nicht nur an dieser Stelle („Oh-ho-ho-ho-ho“, S. 233). Vielleicht, ganz sicher bin ich nicht, signalisiert er dadurch auch eine ironische Distanz zu der Ernsthaftigkeit seines Gesprächspartners.
Auf eine wenig originelle Ekmansche Elogie auf die Dialektik des Lebens („Nicht jeden Tag scheint die Sonne. Es gibt nicht nur Gesundheit; es gibt auch Krankheit. Wir haben nicht nur Glück; wir haben auch Pech. Wir haben Leben; wir haben Tod…“, S. 245) bemerkt der Dalai: „Das ist gut so, man weiß es aufgrund des gesunden Menschenverstands. Das ist meiner Meinung nach nützlich.“ (ebd.). Ja, der gesunde Menschenverstand scheint in diesen Gesprächen zu regieren, nicht Weltreligion hier oder Experimentalwissenschaft dort. Die Grundbotschaft des Dialogs lautet: Emotion ist gut, muss aber schon mal durch Nachdenken gebremst werden, sollen die so genannten „negativen“ Emotionen nicht aus dem Ruder laufen. Das liest sich meist eleganter, läuft aber auf nichts anderes hinaus. Ekman erinnert sich an den Ratschlag eines Supervisors, der diesen Gedanken für die therapeutische Arbeit formuliert: „Wenn Sie die zeitliche Lücke zwischen Impuls und Handlung vergrößern können, haben Sie Ihrem Patienten geholfen“ (S. 54). Auch die anderen Thesen des Buches (Stimmungen, Ärger, Groll und Hass, individuelles und globales Mitgefühl, Verzeihen, Achtsamkeit, Lernen von Mitgefühl) sind mit dem psychologischen Alltagsverständnis sofort greifbar.
Umgekehrt ist es natürlich auch bewundernswert, mit wie viel Geduld Ekman Begrifflichkeiten rund um das Thema Emotionen definiert. Richtig spannend ist das dennoch nicht, weil es ihm zu sehr um die Zustimmung des Dalai Lama geht, und zu wenig um praktische Schlussfolgerungen für professionelle Arbeit oder für das Alltagsleben. Didaktisch hilfreich sind die von verschiedenen Experten eingestreuten Erläuterungen zu Kernbegriffen aus der westlichen oder der buddhistischen Psychologie (z.B. Achtsamkeit, Moralität bei Tieren, elterliches Mitgefühl, die Kraft des Verzeihens). In einer solchen Zwischenbemerkung kommt auch der Neurowissenschaftler Richard Davidson zu Wort, der die These vertritt, dass regelmäßig eingeübte Meditation „bleibende Veränderungen in bestimmten Teilen des Gehirns bewirken kann, die wichtig für die Emotionsregulation und für die Aufmerksamkeitssteuerung sind“ (S. 120). Ekman selbst steht der modernen Neurobiologie skeptisch gegenüber, so dass dieses interessante Thema keine Gelegenheit erhält, die Diskussion zu bereichern. Schade! Und wenn die beiden die Chance genutzt hätten, die allgegenwärtige Neuroforschung einmal gegen den Strich zu bürsten, das aber wagen Paul und der Dalai nicht.
Aus psychotherapeutischer Perspektive spiegelt das Buch auch den Dialog zwischen westlicher und buddhistischer Psychologie wider, wie ihn die Dialektisch-behaviorale Therapie bei uns seit den 90er Jahren eingeführt hat. So spielt die Achtsamkeitsmeditation eine größere Rolle. „Dalai Lama: Aber trotzdem bin ich persönlich der Meinung, dass Praktiken wie die Achtsamkeitsmeditation und die Meditation, bei der man sich auf das Atmen konzentriert, sehr wirkungsvoll sind, um den Geist aus einer turbulenteren Emotionsschwankung in einen neutraleren Zustand zu versetzen.“ (S. 18). „Paul Ekman: Wenn jemand etwas Unverschämtes macht oder Sie beleidigt und Sie Ärger empfinden, würden Sie sich für einen Moment auf Ihre Atmung konzentrieren, um sich zu beruhigen, bevor Sie etwas sagen?“. Dalai Lama: Das ist richtig.“ (S. 264). Um Missverständnissen vor zu beugen: Eine Anleitung zum Meditieren finden Sie in diesem Buch, das ja kein Praxisbuch ist, nicht.
Eine Überraschung erwartet uns am Ende doch noch, als Paul Ekman offen über seine eigenen „emotionalen Wunden“ spricht, die aus der problematischen Beziehung zu seinem Vater herrühren. Plötzlich wird seine Frage nach dem Wesen der so genannten negativen (sprich: Leid verursachenden) Gefühle verständlich. Und es drängt sich die Idee auf, dass seine Forschertätigkeit den Charakter einer individuellen Bewältigungsstrategie angenommen hat. Dann beschreibt er eine frühere Begegnung mit dem Dalai Lama, in der eine Art „Wandlung“ mit ihm geschehen sei. „Ich glaube, dass in der Zeit zwischen meinem 18. und meinem 66. Lebensjahr keine Woche verging, in der ich nicht mehrere bedauerliche Episoden von Wut und Ärger durchmachte. Das war keine schöne Art, sein Leben zu führen.“ (S. 291). In den sieben Monaten nach der Begegnung mit dem Dalai im Jahre 2000 geschah der Einschnitt: „Ich spürte keinen Ärger in mir aufwallen – nicht ein Mal.“ (S. 290f). Danach flackerte zwar immer wieder Wut auf, der er aber kaum noch impulsiv nachgab. „Bisweilen erkenne ich den Impuls und lasse ihn einfach vorübergehen, selbst wenn ich provoziert werde.“ (ebd.). Die damalige Situation, das ist wichtig, war bereits im Vorfeld von Veränderung geprägt, nämlich der bevorstehenden Emeritierung. Nun sucht Ekman nach einer Erklärung für seine persönliche Wandlung durch die Begegnung mit dem Dalai Lama. „Glück“, „Ausstrahlung“, er ringt um die richtigen Worte, doch „als Wissenschaftler weiß ich nicht, wie ich es erklären soll“ (S. 295). Wie lautet nun die auch vom Leser sehnsüchtig erwartete Antwort des Dalai Lama? „Vom buddhistischen Standpunkt aus, ich weiß es nicht. Vom gesunden Menschenverstand aus… ich weiß es nicht. […]Ich kann nicht sagen, ich kann keine Antwort auf die Frage geben, wie es geschah, warum es geschah oder wie es in diesem speziellen Fall geschah.“ (S. 297 f). Na wunderbar. Amüsant ist an dieser Passage lediglich der Kontrast zwischen dem unstillbaren Hunger nach wissenschaftlicher Erklärung auf der einen, und der akzeptierenden Gelassenheit auf der anderen Seite.
Häufig wirken die Formulierungen des Dalai Lama ungeschickt, holprig und damit schwer verständlich. Nicht immer wird ersichtlich, ob es sich an solchen Stellen um schlechte Übersetzung handelt, oder ob der Herausgeber Ekman mit der Entscheidung, die wörtliche Rede auf keinen Fall zu „glätten“ („Ich habe es vermieden, seine Grammatik zu korrigieren“, schreibt er in der Einleitung) über das Ziel hinaus schießt. Dem Lesevergnügen ist das abträglich.
Natürlich sorgen sich die beiden Gesprächspartner um die junge Generation und denken darüber nach, wie Emotionskontrolle und Mitgefühl eingeübt werden können. Aber als pädagogischer Ratgeber taugt das Buch wahrlich nicht. „Wir sollten Videospiele bereitstellen, in denen man mit Konflikten konfrontiert wird und lernt, sie mit Achtung für den anderen zu lösen.“ (S. 286f), schlägt Ekman vor. Da hätte ich aber eine Alternative zum ohnehin problematischen Lerngegenstand Videogame erwartet. Und so gebe ich gerne dem Dalai Lama noch einmal das Wort, dessen Glanz einmal mehr darin liegt, mit irgendeinem didaktischen Ehrgeiz nichts zu tun zu haben: „Ekman: … Nehmen wir einmal an, Sie wissen, dass Sie in eine emotional schwierige Situation kommen werden, eine Situation, die Sie möglicherweise in Schrecken versetzt oder wütend macht. Gibt es dann etwas, was Sie vorbereitend tun können, bevor Sie in die Situation hineingeraten, um eher gewährleisten zu können, dass Sie konstruktiv reagieren? Dalai Lama: In meinem eigenen Fall besteht einer der Ansätze, die ich als nützlich empfinde, darin, die Dinge nicht so ernst zu nehmen. Etwas Frohsinn ändert eine ganze Menge.“ (S. 139).
Natürlich hat das Buch auch seine guten Seiten. Zwei hoch gebildete Menschen steigen vom Elfenbeinturm der Wissenschaft zu uns herab. Alles ist inhaltlich für Laien nachvollziehbar. Und vielleicht ist es ja für manchen auch tröstlich, zu wissen, dass man mit seinen „normalen“ Ideen, eben dem gesunden Menschenverstand, durchaus auf Augenhöhe mit Paul Ekman und dem Dalai Lama liegt. Dass das Buch dazu beiträgt, die eigene emotionale Intelligenz zu verbessern, wie es Daniel Goleman im Vorwort verspricht, das halte ich für viel zu hoch gegriffen. Wer auf Erleuchtung hofft, muss sich etwas anderes überlegen.





Zur website der englischsprachigen Originalausgabe

Leseprobe aus dem 3. Kapitel





Verlagsinformation:

Als sich seine Heiligkeit der Dalai Lama, das am innigsten verehrte spirituelle Oberhaupt der Welt, und der renommierte amerikanische Psychologe und Emotionsforscher Paul Ekman zum ersten Mal trafen, entwickelte sich zwischen ihnen eine bemerkenswerte Beziehung. Beide versuchen von unterschiedlicher Warte aus, das Wesen und die Eigenheiten unseres Gefühlslebens zu ergründen, und auf diesem Weg sind sie in einen intensiven Dialog über Wissenschaft und Spiritualität, östliche und westliche Denkansätze eingetreten.
In ihren tiefgründigen Zwiegesprächen ringen der Dalai Lama und Paul Ekman um Antworten auf bedeutende Fragen des emotionalen Erlebens. Wo in der Kultur und in der Evolution sind die Ursprünge für Hass und für Mitgefühl zu suchen? Sollte man sogar einem Folterer mit Mitgefühl begegnen – und ist das biologisch überhaupt möglich? Kann uns die Wissenschaft etwas über den Nutzen der buddhistischen Meditation verraten? Was ist das Geheimnis emotionaler Achtsamkeit? Lässt sich das buddhistische Gedankengebäude in Übungen übersetzen, die jedem einzelnen Menschen helfen, ein besseres Leben zu führen? Die Unterredung der beiden großen Persönlichkeiten ist in diesem Buch angereichert mit kurzen erläuternden Texten von Wissenschaftlern und buddhistischen Gelehrten, die uns an den Befunden der Emotionsforschung und an den Praktiken teilhaben lassen, wie sie in buddhistischen Texten beschrieben werden.
Wenn der Dalai Lama und Paul Ekman sich mit dem Wesen der Emotion auseinandersetzen, laden sie uns zugleich ein, jene Hilfsmittel und Traditionen zu erkunden, die uns beim Streben nach Erfüllung und seelischem Gleichgewicht zur Verfügung stehen. Ihr Dialog – oftmals amüsant, fesselnd, augenöffnend und bewegend – führt uns auf eine Reise zum Kern unserer Emotionen, aus der wir verändert wieder hervorgehen können.


Inhalt:

Vorwort von Daniel Goleman
Einleitung von Paul Ekman
1. Ost und West
Zwei Traditionen * Wissenschaft, Religion und Wahrheit * Der Filter der Stimmungen * Wenn Emotionen destruktiv sind * Bindung und Kontrolle * Die Armut der emotionalen Sprache 2. Emotionales Erleben
Was sind Emotionen? * Hindernisse for konstruktive emotionale Erfahrungen * Das Beruhigen schwieriger Menschen * Achtsamkeit * Die Refraktärphase * Emotionale Skripts
3. Emotionales Gleichgewicht
Meditative Praxis * Wie hoch die Latte liegt * Der Anstoß und die Reserve * Vergebung und Verantwortlichkeit
4. Ärger, Ressentiment und Hass
Sich auf Ärger vorbereiten * Der Ausdruck von Ärger * Die vielfältigen Formen des Ärgers * Akteur und Akt * Die Verwandten des Ärgers * Motivierender Ärger
5. Die Natur des Mitgefühls
Die Definition von Mitgefühl * Mitgefühl aus evolutionärer Perspektive * Intelligenz bei Tieren * Unvoreingenommenes Mitgefühl * Verbundenheit fördern * Bewusstsein fördern * Die Balance von Weisheit und Mitgefühl * Empathie, Intelligenz und Weisheit
6. Globales Mitgefühl
Über die Grenzen des Mitgefühls hinaus * Ressentiments freilassen * Altruismus lernen * Wege zum emotionalen Gleichgewicht * Dankbarkeit und Freude * Mentale Trainingsstätten
7. Persönliche Transformation
Das Erleben von Emotionen verändern * Das Geheimnis der Güte * Der Weg der Vernunft
Anmerkungen
Index


Über die Autoren:

Tenzin Gyatso, seine Heiligkeit der 14. Dalai Lama, ist Träger des Friedensnobelpreises und der weltliche und spirituelle Führer des tibetischen Volkes. Der Autor von Die Regeln des Glücks und zahlreichen weiteren Büchern ist das Oberhaupt der tibetischen Exilregierung und lebt in Dharamsala (Indien).

Paul Ekman ist der führende Mimikforscher der Welt und hat bahnbrechende Arbeiten zur Wissenschaft der Emotionen geliefert. Der emeritierte Psychologieprofessor von der Medical School der University of California in San Francisco ist Autor von 14 Büchern, darunter das ebenfalls bei Spektrum Akademischer Verlag erschienene Gefühle lesen, und lebt in Kalifornien.



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