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systemagazin-Adventskalender: "Von Klienten lernen"

Sabine Klar: Einfach sein


Schreiben ist mir früher doch so leicht gefallen – wieso muss ich mich jetzt fast dazu zwingen? Noch dazu, wo das „mein Thema“ ist: was habe ich von meinen KlientInnen gelernt, was hat mich vorangebracht, berührt, überrascht, korrigiert? Im Moment erinnere ich mich an nichts und niemanden, will auf alte Texte zurückgreifen und schreibe stattdessen einfach drauflos. Irgendwie erscheint mir ständig alles neu – es gibt keine „deja vues“ bei mir. Meine geistige Kapazität und mein Gedächtnis erweisen sich als geradezu Besorgnis erregend schwach, vielleicht eine Auswirkung hormoneller Einbrüche, unter denen ich genauso leide, wie viele meiner schwitzenden weiblichen Klientinnen. Gleichzeitig ist mein Leben dicht angefüllt mit Arbeit und nahen menschlichen Kontakten, die Achtsamkeit und Sorgsamkeit verlangen, so dicht, dass ich mich über den Augenblick hinaus kaum an etwas oder jemanden erinnere. Ich kann nur mehr von Moment zu Moment leben, befinde mich sozusagen gezwungenermaßen ständig im „Hier und Jetzt“. Zuweilen erkenne ich meine KlientInnen erst wieder, wenn sie vor mir sitzen (was auf der Straße zu peinlichen Situationen führen kann). In diesen Momenten ist in meinem Kopf „tabula rasa“ – ich weiß nichts mehr von der Geschichte dieses Menschen, nichts mehr über die vergangenen Stunden, müsste es eigentlich vorher durchlesen, doch dazu fehlt mir die Zeit. In meinen Regalen stapeln sich gelesene und noch mehr ungelesene Bücher, die als wichtig gelten und die ich doch nicht einbeziehen kann in mein Tun. Gleichzeitig sind da eine große Offenheit und herzliche Verbundenheit – ich habe mit diesem Menschen Vertrautheit erlebt, das ist mir in Fleisch und Blut übergegangen, das fühlen und wissen wir beide. Exzessives Mitschreiben hat mir über viele Jahre gegen die Vergesslichkeit und daraus resultierende Unsicherheit geholfen. Ich praktizierte es, privat wie beruflich mit akribischem Fleiß, fasste zusammen, erstellte Konzepte, gab keine Ruh, selbst damals nicht als ich wegen einer kaputten Schulter meinen rechten Arm nicht heben konnte. Nun aber geht auch dieser letzte Halt verloren – ich merke, dass mich diese zähneknirschenden Bemühungen zu sehr anstrengen und von etwas Wichtigerem abhalten. Und wie es bei mir immer ist: letzthin treffe ich immer häufiger auf KlientInnen, von denen ich es mir verbieten lasse zu schreiben, ja sogar nach Aufträgen und Zielen zu fragen. Dann sitze ich also da, das vormals Gewusste in verschlossenen Laden verborgen, die sich unversehens öffnen, wie und wann sie wollen, anscheinend immer wenn es gerade passt, aber oft gerade dann nicht, wenn ich danach suche. Diverse gängige Ideen über die Wichtigkeit störungsspezifischer, akademischer, methodisch-technischer Wissensinhalte machen mich angesichts dessen, was ich da mit mir erlebe, verzweifelt und lassen mich ein Ungenügen spüren, das sich in der Praxis des zwischenmenschlichen Kontakts dann allerdings nicht als stimmig erweist, denn da läuft es wider Erwarten trotzdem mehr als gut. Wenn ich daran denke, dass ich seit fünfzehn Jahren lehrend in der Ausbildung tätig bin, komme ich mir lächerlich vor, wie in allzu großen Schuhen steckend. Deshalb ziehe ich sie aus und steige hinunter von allen Stockerln, auf die ich meinte, mich im Sinn der Verantwortlichkeit stellen zu müssen. Am Boden ist es gut sein, da brauche ich nicht größer scheinen als ich im Moment gerade bin. Als ich einmal mit zwei wilden Kindern angeblich kluge und wichtige Dinge bereden sollte, kam ich mir auf meinem Sessel hockend, besonders peinlich vor und deshalb setzte ich mich wirklich auf den Boden, kroch mit ihnen herum, berührte sie, wenn mir danach war und wartete bis sie mir auf ihre Art etwas „sagten“. Mit den etwas erstaunten Eltern dieser Kinder redete ich „von unten herauf“, das fühlte sich für mich sicherer und echter an und brachte sie angesichts meiner Unbeweglichkeiten zum Lachen. Sie konnten sich anschließend mehr akzeptieren und ihre Kinder fragloser gern haben. Viele meiner KlientInnen haben mir in der letzten Zeit beigebracht, dass ich nicht wissender, klüger, gebildeter, geschickter, gesünder, weiser sein muss als ich halt bin, denn schließlich geht es in dem therapeutischen Geschehen ja gar nicht um mich. „Nehmen Sie sich doch nicht so wichtig“, sagte mir einmal eine glücklicherweise sehr direkte Studentin als ich mich besonders verantwortlich zeigte. In der Landschaft, die wir beschreiten, gibt es unendlich viele Wege, umfassendes Wissen und vielfältigste Informationen liegen überall herum – bei den KlientInnen genauso wie bei mir  - es muss gar nicht mehr mühsam aufgestöbert, gesammelt und vermittelt werden, sondern tut sich auf, wenn der Moment dafür gekommen ist. Wir leben in einer Überfülle möglicher Geschichten und Perspektiven, sodass eine gewisse Reduktion im Sinn einer Fähigkeit, Wesentliches von Unwesentlichem zu unterscheiden, aus meiner Sicht nötiger ist als weitere Anhäufungen fachspezifischer Inhalte. Meine KlientInnen haben in letzter Zeit weniger nach meinem Störungswissen oder nach einer elaborierten und schnell wirksamen Methode gefragt, sondern nach meiner Aufmerksamkeit dafür, was sie jenseits aller ihrer angeblichen Gestörtheiten im Kern berührt und bewegt. Wenn ich allzu bemüht oder gar „elegant“ - „trüffelschweinartig“ dahinschnuppernd – mein zuweilen ja doch vorhandenes methodisches Geschick zeige, dann unterbricht mich mein philosophischer Kollege Reithmayr, mit dem ich aus gutem Grund seit zwölf Jahren zusammenarbeite, auf zuweilen recht rüde Art – und unsere KlientInnen geben ihm fast immer recht: Ich bin dann zu erfahren, professionell, effizient, glatt in meinem Tun. Demgegenüber stört sie alle nicht, wenn ich nach Worten ringe, meine Gefühle ausspreche, stocke und zögere, mich als Mensch zeige, zweifle – solange das im Dienst der KlientInnen geschieht. Ich darf sichtbar werden lassen, dass ich – genauso wie jeder andere - Schwächen und Einengungen, Vorurteile, Abhängigkeiten, kaum nachvollziehbare Bedürfnisse und sogar „Störungen“ habe, dass ich – nur weil ich zufälligerweise ein paar Stunden am Tag therapeutisch arbeite – deshalb noch keineswegs ein „ausgeglichener“, „reiferer“ oder gar „besserer“ Mensch bin als sie. Es wird dadurch klar, dass wir uns einerseits in unserem Menschsein nicht wesentlich unterscheiden – und andererseits doch sehr unterschiedlich sind. Dieser anscheinende Widerspruch eröffnet Raum, einander zu vertrauen und voneinander zu lernen, jedes Mal wieder von Neuem. Um meinen KlientInnen zu begegnen, muss ich den Dunstkreis des professionellen Dünkels verlassen um in professioneller Weise achtsam für sie bleiben zu können. Was mir dabei u.a. auch hilft, sind Formen des kontemplativen Rückzugs, die ich betreibe – Zen etwa und manches andere, z.B. Hüttenaufenthalte, Klosterzeiten und Kontakte mit einem Pferd und einem Cello. In dem Raum, in dem ich üblicherweise arbeite, hängen zwei Kalligraphien, die mich diesbezüglich erinnern sollen: „Offene Weite – nichts Heiliges“ und „von Herz zu Herz“. Sie bewirken, dass mir die vormals bemühte Haltung, die ich Menschen gegenüber haben will, die ich begleite, ganz selbstverständlich und leicht wird. Sie ergibt sich – ich muss sie nicht mehr „einnehmen“. Außerdem haben sich ein paar Sätze in mir verankert, die mir von Personen gesagt wurden, welche ich besonders schätze, weil sie sich kein Blatt vor den Mund nehmen: „Muss das jetzt sein?“; „Mach dich nicht so klein – du bist nicht so groß“; „Es geht nicht um dich“; „Das Problem ist nicht deine Angst, sondern dein Misstrauen“. Das sind einige davon. Das Vertrauen in mich und in die Menschen, die mir über den Weg laufen, wächst jedenfalls. Auch die KlientInnen gehören zu diesem Menschen dazu, vor allem jene, die vorerst befremdlich unkooperativ, besonders „gestört“ oder stur erscheinen. Psychotherapie ist für mich eine sehr menschelnde Angelegenheit geworden, die halt (leider?) in einer zunehmend am Geld orientierten professionellen Rahmung stattfinden muss. Ich vertraue unseren spontanen Impulsen, unseren animalischen Bedürfnissen, unseren tastenden Versuchen zu begreifen, unseren Reibungserfahrungen und den behütenden Stimmen und Gedanken in uns. Ich vertraue dem Vertrauen, dass alles was wir brauchen, gerade jetzt da ist oder in der ihm gemäßen Form in den Raum treten wird, wenn wir einander danach fragen. Meine KlientInnen haben mir beigebracht, dass ich überraschenderweise auch in Therapien so sein darf, wie ich halt gerade bin. Wenn ich ihre Erlaubnis annehme, ermöglicht es ihnen, dasselbe zu tun. Wir sind dann halt und haben miteinander zu tun und das ist auch schon alles, was in diesem Moment nötig ist. Einfach sein. Puh – welche Erleichterung!



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