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Rudolf Welter: Innehalten – Kapitel 2, Teil 1

Rudolf Welter

II


ankommen   verweilen   ansiedeln


Lange Zeiten Nomaden gewesen, an einem Ort angekommen, sich eingerichtet und sesshaft geworden. Als Sesshafte geboren werden: In eine Familie, in eine Landschaft, in eine Wohnstätte hinein; Ansiedeln trotz widriger Umstände, sich nicht vertreiben lassen wegen Naturgefahren.

Wohnorte unfreiwillig aufgeben müssen: Keine Zukunft darin mehr sehen, an einem neuen Ort auf eine Zukunft hoffen. Zurückkehren an Orte, die einem vertraut waren, die aber vom Erdboden verschwunden sind.

Verlorene Sesshaftigkeit: Der Heimat beraubt, vertrieben werden, gezwungen werden umzusiedeln um woanders anzusiedeln. In die Verbannung getrieben. Ausgegrenzt.

Private Orte aufsuchen für intime Angelegenheiten. Temporäre Aufenthalte in vergänglichen Wohnstätten, Behausungen. Hütten, die nur Kindern gehören. Tiere, die Nester oder Höhlen bauen, die nach Nichtgebrauch verlassen werden. Wohnen in Gebäuden, die erst zweidimensional auf Plänen existieren.




Ortsverbundenheit

Bewohner und Bewohnerinnen von Heimen, denen Halter in seiner Arbeit begegnet, sind erstaunlich scharfe Beobachter. Wenn die für die Raumpflege verantwortlichen Menschen Zimmer, Flure oder Aufenthaltsräume reinigen, und dabei Möbel verschieben, sei dies Absicht oder nicht, reagieren die Bewohner und Bewohnerinnen darauf unverzüglich. Auch wenn Stühle oder Tische nur um einige Zentimeter verschoben wurden, wird dies wahrgenommen. Und alles muss wieder in die ursprüngliche Ordnung der Möbellandschaft gebracht werden. Wünschen diese Menschen vielleicht, dass die Möbel angeschraubt werden, damit gewohnte Stellungen nicht verändert werden? Bieten Gewohnheiten dafür Gewähr, eine fremde Umgebung zu einer Heimat zu machen?
Halter besucht im Rahmen eines Forschungsprojektes Frau Z., eine Bewohnerin eines Krankenheimes. Er hatte mit ihr vorher Kontakt aufgenommen und sie gefragt, ob er mit ihr ein Gespräch führen könnte. Ihn interessierte in diesem Projekt, wie Bewohner und Bewohnerinnen solcher Heime deren räumliche Bedingungen wahrnehmen und was sie darüber aussagen können.
Halter betritt das Zweibettzimmer, in dem Frau Z. wohnt und begrüßt sie. Frau Z. ist seit längerer Zeit ans Bett gebunden, weil sie an der noch immer nicht heilbaren Multiplen Sklerose, in einem fortgeschrittenen Stadium, leidet. Sie ist fast immobil geworden. Halter schaut sich im Zimmer um und bemerkt, dass die Lage des Bettes ihr weder erlaubt, die Außen- noch die Innenwelt des Heimes zu sehen. Frau Z., im Kopf noch sehr klar, sagt Halter, dass sie diese Situation als sehr beengend empfände, sie sich oft einsam fühle, weil sie vom Geschehen im und außerhalb des Heimes ausgeschlossen sei. Er fragt sie, ob sie die Lage ihres Bettes in der Nähe des Fensters bevorzugen würde. Frau Z. gibt keine Antwort. Er sagt ihr, dass er mit der Bettnachbarin, sie ist gehfähig, und mit dem Pflegepersonal über diese Möglichkeit sprechen würde. Sie reagiert nicht darauf. Nach einer Weile sagt sie, dass sie keine Veränderungen im Zimmer mehr auf sich nehmen möchte.
Halter verabschiedet sich von Frau Z. und bleibt im Flur mit Fragen stehen: Hat sich Frau Z. so sehr an ihre Zimmersituation gewöhnt, dass sie sich keine anderen Bettenstellungen vorstellen kann? Hat sie Hemmungen gegenüber ihrer Nachbarin, weil sie ihr nicht zumuten will, selber eine Veränderung auf sich nehmen zu müssen? Kann sie in der Lage des Bettes in der Nähe des Fensters keine Verbesserung ihrer Lage erkennen?
Langsam reift in Halter eine Hypothese, die er als Frage so formuliert: Kann es sein, dass ein Mensch sich so stark mit einem Ort, so unwirtlich er auch sein mag, identifiziert, an dem er über Jahre eine unheilbare Krankheit, ohne Aussicht auf Besserung erduldet? Sich an diesen Ort festklammert? Sich davor fürchtet, diesen Ort und die damit verbundene Identität zu verlieren? Kann länger andauerndes Leiden an einem Ort dazu führen, dass dieser wie zu einer zwar erdichteten, aber vertrauten Person wird?





Abgewohnt

Berti B. schläft fast seit ihrer Geburt im selben Bett, wohnt in derselben Wohnung und lebt im selben Haus. Nie hat sie neue Möbel angeschafft. Nie ist sie umgezogen, sie wüsste nicht wozu.
Nun zeigen die Möbel und die Räume deutliche Spuren der Abnutzung. Ihr Bett ist abgenutzt, ihr Schlafzimmer, die ganze Wohnung ist abgewohnt. Ihr Bett würde keinen anderen Körper mehr darin ruhen lassen. Die Wände ihres Schlafzimmers würden keine anderen Stimmen tolerieren. Die Wände in der Stube keine anderen Flötentöne reflektieren können. Die Küche keine fremden Kochgerüche zulassen. Und die Treppenauftritte im Treppenhaus kennen ganz genau die Schuhgröße der Berti B.



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