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systemagazin-special: "Besondere Begegnungen"

Lothar Eder: Von den Grenzen und der Familienloyalität


Wenn ich darüber nachdenke, wer mich auf dem Weg in die systemische Therapie beeinflußt hat, so fallen mir zahlreiche Menschen und Umstände ein. Im Nachdenken kommt mir aber, warum auch immer, zuerst die Arbeit mit einem bestimmten Patienten in den Sinn. 
Es ist mehr als 20 Jahre her und ich arbeitete als Gruppen- und Bezugstherapeut in einer Suchtklinik in der Eifel. Neben der täglichen Gruppentherapie waren für die Patienten sogenannte Angehörigenseminare vorgesehen, die ein- oder zweimal während des Aufenthaltes an einem Wochenende stattfanden. Hierzu wurden vor allem die Partner der Patienten eingeladen; mit den Paaren wurde ihre gemeinsame Geschichte beleuchtet und es wurden bestehende Konflikte besprochen. 
Den Patienten, an den ich mich erinnere, kann man als eine Art "stiller Säufer" bezeichnen. Er war ein kleiner, unscheinbarer Mann mittleren Alters, sehr zurückhaltend, meldete sich in der Gruppentherapie kaum zu Wort und es wurde sehr schnell deutlich, daß es einen Zusammenhang zwischen seiner Zurückhaltung, seinen Ängsten im Kontakt mit anderen, seinem geringen Selbstbewußtsein und seinem Alkoholkonsum gab. Im Laufe seiner Therapie nun blühte er förmlich auf, meldete sich mehr zu Wort, knüpfte Kontakte mit Mitpatienten und schmiedete Pläne für sein "neues Leben". Eine Entwicklung also, wie Therapeuten und klinische Teams sie gerne sehen. In den Gesprächen mit ihm wurde deutlich, wie sehr er sich auch in seiner Ehe zurückgezogen, seiner Frau alle Aufgaben und die Verantwortung für die laufenden Angelegenheiten der Familie überlassen hatte. Am Horizont erschien nun eine neue Perspektive, in welcher der Patient sich nun seiner Verantwortung bewußt werden und damit auch seine Frau entlasten werde. Zu der geplanten Verlängerung der Therapie (es gab ja noch so viel aufzuarbeiten!), welcher der Patient zustimmte und in der er von seinen Gruppenmitgliedern bestärkt wurde, schien das Angehörigenseminar gerade recht zu kommen.
Manchmal jedoch macht man bekanntlich die Rechnung ohne den Wirt, in diesem Fall ohne die Wirtin. Die Frau, einen Kopf größer als ihr Mann (oder rekonstruiere ich sie mir nur so in meiner Erinnerung?) erschien, und sie rührte während der zwei Tage des Seminar Zement an. Sie wollte über nichts sprechen, außer darüber, daß ihr Mann jetzt endlich nach Hause kommen solle, er wäre jetzt lange genug weg gewesen und es gäbe schließlich genug Aufgaben in Haus und Hof. Da war kein Fuß in die Tür zu bekommen. Wir erlebten einen Patienten, der innerhalb kurzer Zeit wieder den gleichen Gesichtsausdruck und die gleiche Zurückhaltung annahm wie zu Beginn der Therapie. Und dies blieb auch in der Folgezeit so. Seine Bereitschaft zur Verlängerung zog er zurück und wollte regulär zum ursprünglich geplanten Zeitpunkt entlassen werden. Zu besprechen hatte er auch nichts mehr, es sei alles gesagt. Die Klinikregeln wollten es so, daß sein Weggang als Therapieabbruch galt (eine Art unehrenhafter Entlassung, wenn man so will). 
Als relativ unerfahrener Therapeut war ich einigermaßen entsetzt über diesen Verlauf. Wie konnte ein Patient, der "so gute Fortschritte" (!) gemacht hatte, derart in sich zusammen fallen und für uns Außenstehende zurückgehen in seiner Entwicklung anstatt vorwärts? Eine Ahnung hatte ich schon, und in meiner systemischen Ausbildung, die nicht lange danach begann, habe ich verstanden: die Loyalität zu den Angehörigen, zu Eltern und  Partnern ist allemal größer als die zu Therapeuten. Und wer mit solch einem Widerstand, wie er sich hier zeigte, arbeiten will, muß das System verstehen (und respektieren) und darf nicht lediglich an vermeintlich guten Zielen festhalten. Und es war für mich ein gutes Beispiel für die Grenzen, die einem in der Arbeit manchmal gesetzt sind. 
Was aus dem Patienten geworden ist, weiß ich nicht (und damit ist dies bestimmt keine schöne Advents- oder Weihnachtsgeschichte). Ich hoffe, es möge ihm gut ergangen sein.



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