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20.07.2007
Jürg Willi, Bernhard Limacher (Hrsg.): Wenn die Liebe schwindet. Möglichkeiten und Grenzen der Paartherapie
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Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2005
244 S., gebunden
Preis: 24,50 €
ISBN-10: 3608944095
ISBN-13: 978-3608944099 |
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Klett-Cotta Verlag
Wolfgang Traumüller, Worms: Wenn Menschen sich paaren und die Liebe schwindet…
Alles verhält sich - manches paart sich. Wie aber verhält es sich im und mit dem Modus der Paarung von Menschen? Sie geschehe zur Erhaltung der Art, sagen funktionalistische Evolutionsbiologen. Damit der Mensch nicht alleine sei, sagt die Bibel und redet von Eva als Gespielin Adams. Am prachtvollen hochgotischen Südportal des Wormser Domes etwa ist es in Stein gemeißelt, wie aus dem mageren Rippchen jenes Erdlings ihm ein Mädchen oder Weibchen erwächst und ihr Schöpfer beide nun paarig in paradiesische Umstände entlässt und bald auch wieder aus diesen. Aus Liebe, wird gesagt, geschehe das Paaren. Ver-liebtheit heißt jener Zustand persönlicher Entgrenzung, in den sie sich ver-rennen und in dem es nur möglich erscheint, einen anderen so weit an sich heran zu lassen, wie in der Regel nur Liebende dies tun, ohne Bedrohung zu empfinden. Dazu muss man vor Liebe ver-rückt sein! Seine symptomorientierte, medizinische Beschreibung könnte im Anschluss an Rolf Verres, ärztl. Direktor der Abteilung für Medizinische Psychologie der Universität Heidelberg, etwa so lauten: „meist akut, manchmal auch chronisch auftretendes, fakultativ ansteckendes, polymorphes psychovegetatives Syndrom, das mit Tachykardie, Diarrhoe, intermittierenden Schweißausbrüchen, Mydriasis der Pupillen, gesteigerter Erregbarkeit der Meißnerschen Tastrezeptoren der Epidermis, wechselnd stark erhöhtem Blutdruck bei gelegentlichem, anfallsweise auftretendem, anankastisch-haftschwachem Drang zu kurzfristiger Bettlägerigkeit, ferner mit Gedankenflüchtigkeit, aber auch starken Fixationen in den Vorstellungsinhalten, Konzentrationsschwäche sowie partiellen Depersonalisationserscheinungen einhergeht...“ Daraus ergibt sich nur allzu berechtigt die Frage: Wie therapiert man das? Lässt sich die Liebe überhaupt therapieren? Eine Krankschreibung ist jedenfalls nicht auszuschließen, solange man seinem Arzt allein die Symptome und nicht auch eine(n) Geliebte(n) präsentiert. Zwar zieht sich entgegen der landläufigen Meinung gleiches an, aber nicht immer paart sich gleiches mit gleichem. Die Kollusionstypologie, die Jürg Willi als einer der erfahrensten und profiliertesten Paartherapeuten, langjähriger Direktor der Psychiatrischen Poliklinik am Zürcher Universitätsspital und nach seiner Emeritierung Leiter des Instituts für ökologisch-systemische Therapie, bereits in den 70er Jahren erarbeitet hat, belegt dies bis heute auf eindrückliche Weise. Gerät dieses ungleiche Beziehungsmodell aus der Balance, drohen Krisen und ernsthafte Gefährdungen. „Eine glückliche Ehe ist die, in der sie ein wenig blind und er ein wenig taub ist.“ soll Loriot einmal ebenso schalkhaft wie weise bemerkt haben. Was aber, wenn die Liebe schwindet? In einem Psychotherapie-Kongress „Paartherapie - im Fokus der Liebe“ an der Universität Zürich sind die Mitarbeiter des Instituts für Ökologisch-systemische Psychotherapie im Herbst 2004 dieser Frage nachgegangen, dessen Erträge von Jürg Willi und Bernd Limacher als Herausgebern im vorliegenden Band einer breiteren Öffentlichkeit vorgestellt werden. Elf namhafte Paartherapeuten sind darin mit ihren Hauptbeiträgen vertreten, die es wert sind, nicht nur von Paar- und Psychotherapeuten, sondern auch von Seelsorgern, Theologen und anderen zur Kenntnis genommen zu werden, die es ja nicht nur mit Eheschluss, sondern gleichermaßen auch mit Ehe-Bruch zu tun haben. Die besten fand er zur eigenen Überraschung im deutschen Sprachraum, wie Willi nach weltweitem Headhunting zu seiner eigenen Überraschung einräumt. Die meisten von ihnen arbeiten systemisch. Betrachtet man sich die einschlägigen Veröffentlichungen der letzten 3 Jahrzehnte, so wird sofort augenfällig, wie sehr sich die Akzente verschoben haben. Standen zu Anfang eher Psychopathologie und Defizitorientiertheit im Vordergrund der Betrachtung, was nicht nur Therapeuten, sondern auch vielen Paaren im Kontext sich rapide wandelnder gesamtgesellschaftlicher Bedingungen der Nach-68er ein willkommenes Inventar zur Konzeptualisierung von Beziehungsproblemen an die Hand gab, so verschob sich der Fokus im Anschluss daran auf Entwicklungsphasen von Beziehungen im Lebenslauf und das, was Paare zusammenhält. Normalität vor Abweichung. Weithin ausgespart blieb dabei erstaunlicher weise das eine und, wie man heute auch aus empirischen Forschungen weiß, entscheidende: die Liebe - insbesondere in ihrer absoluten und romantischen Form. Erst kurz nach der Jahrtausendwende wurde sie im deutschen Sprachraum in einer ganz erstaunlichen Koinzidenz von mehreren Forschern und Paartherapeuten zugleich in den Vordergrund gerückt. Insbesondere J. Willi, A. Riehl-Emde und A. Retzer traten seit 2002 mit Aufsätzen und Monographien hervor, die Beachtung verdienen und z.T. auch hier bereits besprochen wurden. Sie alle weisen darauf hin, dass Liebe von einem Heer von Befragten als der wichtigste Faktor für den Zusammenhalt von Beziehungen bezeichnet wird, beschreiben die Bedürftigkeit des DU für das ICH in seinem Wachstum und Entwicklung, die gänzlich verschiedenen Konzepte und Handlungslogiken von Liebe und Partnerschaft oder die hohe Bedeutung des Liebes-Mythos für die Liebenden und die therapeutische Arbeit. Der vermeintlichen Banalität der Selbstverständlichkeit des Liebeskonzepts gegenüber erscheint es mehr als paradox, dass man sich auch unter Experten so lange darüber ausschwieg. Es folgten in den nächsten drei Jahren die Bücher von G. Bodenmann zur Verhaltenstherapie mit Paaren sowie von U. Clement und Gunther Schmidt zur Systemischen Sexualtherapie und Modernisierung des Sexuellen. Neben gründlichen empirischen Studien zur Entwicklung und zum tiefgreifenden Wandel der Sexualität in den letzten 30 Jahren werden unter Rekurs auf die Arbeiten von D. Schnarch und in radikaler Abgrenzung von den inzwischen ein halbes Jahrhundert alten technizistisch-behavioralen Auffassungen von Masters und Johnson hier nun unter den Stichworten des „Begehrens“ und der „Leidenschaft“ die Akzente auf eine bessere Qualität der Intimität und Differenzierung von Liebesbeziehungen gesetzt. Die Andersartigkeit, Fremdheit, das Geheimnis des anderen als Person und Persönlichkeit wird zur Voraussetzung und zum Förderer auch der sexuellen Lust auf ihn und zum belebenden Elixier der Liebe. Von ihnen allen findet man sehr grundlegende Beiträge in diesem Band. Darüber hinaus jedoch auch kritische Stimmen, wie etwa von der Philosophin A. Holzhey-Kunz, die die Möglichkeit prinzipiell bestreitet, Liebe gar zweck-rational in den Fokus von Paartherapien zu rücken. Andere, wie G. A. Cöppicus Lichtsteiner, weisen darauf hin, dass Paartherapie nicht in jedem Falle das geeignete Setting abgibt, um Paarprobleme zu bearbeiten, sondern innerhalb bestimmter Kontexte und Fragestellungen -etwa bei frühen Störungen und Missbrauch- korrigierende Liebeserfahrungen in der einzeltherapeutischen Beziehung zur Therapeutin vordringlich sind, deren Aufkeimen gelegentlich geradezu religiöse Qualität eignet, wie an Beispielen eindrücklich belegt wird. M. Schäppi zielt als „Advokatin der Liebe“ unmittelbar auf jenes dritte, das unter Liebenden entsteht und sie verbindet, und zeigt anschaulich auf, wie sich therapeutisch für sie Partei nehmen lässt. B. Limacher exemplifiziert, wie mit Vorwürfen die Liebe zu retten ist, wenn man dabei die Partner als füreinander kompetente Kritiker und damit Spezialisten ihrer Beziehung in therapeutischen Prozess auffasst. Konklusionen der Herausgeber beschließen das Buch. Nicht eine Methode oder therapeutische Technik kann die Liebe direkt und zielgerichtet fördern oder gar erzeugen. Lediglich vermag sie einen Rahmen zu stiften, innerhalb dessen sie als Wunder, Geschenk und Herausforderung mit allen ihr inhärenten Ambivalenzen neu oder alt wieder ersteht. Gerade aufgrund der Kontroversen der einzelnen Positionen wird die vorliegende Veröffentlichung zu einem wertvollen und anregenden Hilfsmittel, sich sein eigenen Standpunkt zu erarbeiten, zu dessen Vertiefung die größeren Arbeiten der Referenten sehr geeignet sind. Die Dinge sind in Bewegung und werden es bleiben - zum Nutzen von Liebenden, Paaren und solchen, die sich paaren wollen, und selbstverständlich auch derer, die in Therapie und Beratung mit ihnen befasst oder einfach nur interessiert sind.
Die website von Jürg Willi
Verlagsinformation:
International bekannte Psychotherapeuten stellen ihr Verständnis von Liebessehnsucht und Liebesleid dar und erörtern die Frage, wie in der Therapie mit diesem Thema umgegangen werden kann. Neuere Befragungen zeigen es: Liebe ist heute der wichtigste Faktor für den Zusammenhalt von Paaren. International bekannte Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten behandeln daher in diesem Buch Themen wie Liebessehnsucht und Umgang mit Liebesleid, Veränderungen in der Gestaltung von Liebesbeziehungen in den letzten Jahrzehnten, Unterschiede zwischen den Leitbildern von Partnerbeziehungen und Liebesbeziehungen oder Selbstakzeptanz als Voraussetzung von Partnerliebe. Aufgezeigt wird zudem, wie in der Sexualtherapie das Thema »Liebe« von der bloßen Wiederherstellung sexueller Funktionsfähigkeit wegführt und wie die Entwicklung von Leidenschaft und Erotik in Paarbeziehungen in den Vordergrund gerückt wird. Kontrovers behandelt wird die Frage, ob Liebe direkt zum Thema einer Paartherapie gemacht werden kann und soll. Das Buch will Psychotherapeuten und auch Interessierten ermöglichen, ihr Verständnis von Liebe allgemein und im Hinblick auf die therapeutische Praxis zu vertiefen.
Inhalt:
Willi, Jürg: Einleitung. S. 7-11
Willi, Jürg: Die Sehnsucht nach der absoluten Liebe. S. 15-42
Schmidt, Gunter: Partnerschaft in drei Generationen. Zum gesellschaftlichen Hintergrund paartherapeutischer Arbeit. S. 43-60
Retzer, Arnold: Liebesmythen und ihre Funktion. S. 61-79
Riehl-Emde, Astrid: Liebe im Fokus der Paartherapie. S. 80-95
Holzhey-Kunz, Alice: Kann und soll die Liebe in den Fokus zweckrational konzipierter Paartherapie rücken? S. 99-115
Cöppicus Lichtsteiner, Gisela Ana: Das Aufkeimen der Liebe nach frühen Verletzungen des Selbst. S. 116-135
Schäppi, Monika: Paartherapeutin – Advokatin der Liebe. S. 136-149
Bodenmann, Guy: Liebe in der Verhaltenstherapie mit Paaren. S. 150-169
Clement, Ulrich: Erotische Entwicklung in langjährigen Partnerschaften. S. 170-183
Schnarch, David: Die leidenschaftliche Ehe. Die Rolle der Liebe in der Paartherapie. S. 184-211
Limacher, Bernhard: Mit Vorwürfen die Liebe retten? – Paartherapeutische Möglichkeiten. S. 212-224
Limacher, Bernhard & Jürg Willi: Liebe als Thema der Paartherapie. S. 227-241
Einleitung von Jürg Willi:
In diesem Buch sind die überarbeiteten Vorträge des Psychotherapiekongresses Paartherapie – im Fokus die Liebe zusammengestellt, den das Institut für Ökologischsystemische Therapie vom 23.–25. September 2004 an der Universität Zürich durchgeführt hat. Es war für alle Mitwirkenden eine außergewöhnlich anregende Veranstaltung, weshalb wir uns entschlossen, die Hauptbeiträge in diesem Buch einem breiteren Leserkreis zugänglich zu machen. Schon im zeitlichen Vorfeld des Kongresses kam es zu lebhaften Auseinandersetzungen, über die ich in dieser Einleitung kurz berichten möchte. Zum Thema Paartherapie – im Fokus die Liebe waren wir durch den fast gleich lautenden Titel von Astrid Riehl-Emdes Buch Liebe im Fokus der Paartherapie (Klett-Cotta, 2003) angeregt worden, das während der Planungsphase des Kongresses erschien. Astrid Riehl-Emde hatte in der Zeit, als sie noch Dozentin unseres Ausbildungsteams in Zürich war, eine Studie zum Thema Was hält Paare zusammen? ausgearbeitet, ursprünglich in der Absicht, die Thesen meines gleich lautenden, 1991 erschienenen Buches zu überprüfen. Sie untersuchte eine repräsentative Stichprobe von Paaren mit einem von ihr ausgearbeiteten Fragebogen mit 18 Items. Viele Befragte wiesen darauf hin, dass nach dem Wichtigsten, was Paare zusammenhält, nicht gefragt worden sei, nämlich nach der »Liebe«. Es zeigte sich in der Folge, dass »Liebe« neben »Identifikation mit der Partnerbeziehung « von den Befragten als wichtigster Faktor für den Zusammenhalt ihrer Beziehung bezeichnet wurde. Dieses Ergebnis mag für Laien selbstverständlich und banal erscheinen. Umso erstaunlicher ist es, dass »Liebe« bis vor wenigen Jahren kein Stichwort der Paartherapie war und in der Fachliteratur bisher kaum behandelt wurde. Aus der Überzeugung heraus, dass offensichtlich ein zentraler Gesichtspunkt in der Paartherapie vernachlässigt wird, entschlossen wir uns, erstmalig die Liebe ins Zentrum eines wissenschaftlichen Kongresses über Paartherapie zu stellen. Doch das erwies sich als schwieriger als erwartet. Zunächst hatten wir die Absicht, mit einem breiten Spektrum internationaler Referenten das Thema Liebe und Paartherapie abzudecken. Angefragt wurden Referenten zu Fragen der Biochemie, Soziologie, Ethnologie und Ethologie von Partnerwahl und Liebesbeziehungen sowie zu »Stalking«, einem bei uns noch wenig bekannten psychopathologischen Begriff. Wir hatten dann aber den Eindruck, dass Beiträge aus diesen Disziplinen vom eigentlichen Kongressthema zu weit entfernt lägen. Als »Headhunter« begab ich mich daraufhin im Oktober 2003 nach Long Beach, Kalifornien, zur AAMFT-Conference, dem Jahrestreffen der American Association for Marital and Family Therapy, der weltweit größten Gesellschaft für Paar- und Familientherapie. Aber mit Ausnahme von David Schnarch gelang es mir nicht, Referentinnen oder Referenten ausfindig zu machen, die etwas Interessantes zu unserem Kongressthema hätten beitragen können. Doch dann stellten wir auf einmal fest, dass die interessantesten Wissenschaftler nicht in Übersee zu suchen waren, sondern im deutschen Sprachraum selbst. Fast wie Pilze aus dem Boden schießen, so erschien in den letzten Jahren hintereinander eine Vielzahl von Fachbüchern über Liebe und Paartherapie/Sexualtherapie, und zwar Bücher, die sich voneinander deutlich unterschieden und eine Vielfalt neuer Gesichtspunkte in origineller Weise bearbeiteten. 2002 publizierte ich das Buch Psychologie der Liebe, in welchem ich mich vor allem mit der persönlichen Entwicklung durch die Herausforderung der Liebe befasste und dabei die partnerschaftliche Kritik als wichtigen Trigger dieser Entwicklungen beschrieb. Ebenfalls 2002 publizierte Arnold Retzer in der Zeitschrift Familiendynamik eine zweiteilige Arbeit über »Das Paar. Eine systemische Beschreibung intimer Komplexität«, ein Thema, das er in seinem 2004 erschienenen Buch Systemische Paartherapie (Klett-Cotta) noch weiter ausgeführt hat. Völlig anders als unsere eher koevolutive Sicht von Liebesbeziehungen, geht er vom Paar als Kommunikationssystem aus und beschreibt die Kommunikationscodes der Liebe. Der Kommunikationscode der Liebe stellen die kulturellen Vorschriften darüber bereit, was man sich unter »Liebe« vorzustellen hat, wie man Gefühle ausdrücken, anderen unterstellen und auch leugnen kann. Die Beziehungsgeschichte wird von den Paaren in Form von Liebesmythen erzählt, um der gegenwärtigen Beziehung Sinn und Bestand zu verleihen. Liebesmythen haben eine exklusive Funktion, indem sie die Familie und die Moral ausgrenzen und die entzauberte Welt wieder verzaubern. Retzer führt eine interessante Unterscheidung zwischen Liebesbeziehung und Partnerschaft an, welche für ihn unterschiedlichen Logiken folgen: Zur Logik der Partnerschaft gehört ein Austauschverhältnis von Leistung und geforderter Gegenleistung, die aufgerechnet und gerecht verteilt werden sollen. Zur Logik der Liebesbeziehung gehört dagegen die freiwillige, bedingungslose Gabe ohne Einforderung einer gerechten Gegenleistung. Astrid Riehl-Emde führt diese Klärung der Unterschiede zwischen Partnerschaft und Liebesbeziehung in ihrem 2003 erschienenen Buch Liebe im Fokus der Paartherapie weiter. Für viele Paare reicht die Funktionalität der Partnerbeziehung nicht aus. Wenn die Paarbeziehung auf Liebe verzichtet, verliert sie ihre Bindungskraft. Astrid Riehl-Emde zufolge bleibt der Ursprung der Liebe im Dunkeln. Konzepte des Unbewussten haben oft eine höhere Erklärungskraft als systemische Ansätze. Therapeutisch legt sie einen Schwerpunkt auf den Umgang mit zwiespältigen Gefühlen in der Liebe und auf deren Akzeptation. 2004 erschien Guy Bodenmanns Buch Verhaltenstherapie mit Paaren. Ein modernes Handbuch für die psychologische Beratung und Behandlung, in welchem er sich eingehend aus verhaltenstherapeutischer Sicht mit dem Begriff »Liebe« auseinander setzt und sich – im Kapitel über die Revitalisierung der Partnerschaft – mit der Wiederbelebung von Liebe in der Therapie befasst. Schließlich erschien kurz vor dem Kongress das Buch Das neue Der Die Das. Über die Modernisierung des Sexuellen (2004) von Gunter Schmidt, in welchem er verblüffende und spannende Aspekte des kulturellen Wandels, auch in Bezug auf das moderne Sexualleben beschreibt. Nachdem es um die Sexualtherapie in den letzten Jahrzehnten ruhig geworden war, befindet sie sich gegenwärtig in einer Aufbruchstimmung. Das ist u.a. auf David Schnarch zurückzuführen, der die auf Übungen beruhenden Techniken der Sexualtherapie von W. H. Masters und V. E. Johnson (Impotenz und Anorgasmie, 1973) radikal in Frage stellte und zur Belebung sexueller Beziehungen eine bessere Qualität der Intimität und Differenzierung von Liebesbeziehungen postuliert. Dabei haben die Partner zu lernen, sich selbst und den Partner so zu akzeptieren, wie sie sind, ein oft schmerzlicher und auch risikoreicher Weg. Auf unsere Empfehlung hin entschloss sich der Verlag Klett-Cotta, das umfangreiche Buch Passionate Marriage von David Schnarch (1998) ins Deutsche zu übersetzen (bei Klett-Cotta für 2006 in Vb.). Unmittelbar vor dem Kongress wurde Ulrich Clements Buch Systemische Sexualtherapie (Klett-Cotta, 2004) veröffentlicht, in welchem er sich u.a. aus systemischer Sicht mit dem sexuellen Begehren in langjährigen Paarbeziehungen beschäftigt. Er kommt dabei zu überraschenden und einleuchtenden Äußerungen zu verbreiteten Fehlmeinungen über sexuelle Beziehungen und therapeutischen Fehlern, die, damit zusammenhängend, oft begangen werden. Nachdem sich diese Autoren bereit erklärt hatten, bei unserem Kongress einen Hauptvortrag und/oder die Leitung eines Workshops zu übernehmen, gerieten wir in eine Krise. Die von uns eingeladene daseinsanalytische Psychotherapeutin und Philosophin Alice Holzhey-Kunz erteilte uns eine Absage, in der sie unser Kongresskonzept grundsätzlich in Frage stellte. Ich zitiere eine Passage aus ihrem Brief: »Der letzte Satz Eurer Vorankündigung: ›Strategien und Techniken einer auf Liebe fokussierten Paartherapie‹ hat mich zwar schon zu einigen Gedanken angeregt, die in der Frage kulminieren, ob das nicht ein Widerspruch in sich selbst ist. Liegt es nicht in der Natur der Sache bzw. der Eigenart von strategisch-technisch konzipierten Psychotherapien, dass hier die Liebe gar nicht hineinpasst? War es also nicht folgerichtig, dass die Liebe in der Paartherapie bisher kein Stichwort war? Über das so vieldeutige und abgründige Phänomen der Liebe kann man zwar versuchen zu reden (wenn auch immer nur annähernd und vorläufig), weshalb die Liebe in psychoanalytischen Psychotherapien durchaus immer schon ihren sogar wichtigen Platz hatte und weiterhin hat. Wenn man versucht, sie zweckrational in den Griff zu bekommen und die Leute anzuweisen, wie sie’s richtig machen sollen, was wird dann von der Liebe übrig bleiben? Ich zweifle, dass das Problem damit gelöst ist, dass man nun das Stichwort Liebe ins Vokabular zweckrational konzipierter Paartherapien einführt, ja die Liebe sogar zum eigentlichen Fokus der Therapie erklärt.« Diese Kritik machte uns deutlich, dass wir uns mit dem Kongressthema Paartherapie – im Fokus die Liebe etwas voreilig und unbedacht in ein äußerst spannendes, aber schwer fassbares Neuland hineingewagt hatten. Aber was will man Besseres für einen Kongress als eine kontroverse Diskussion? So setzte ich mit Erfolg alles daran, Alice Holzhey umzustimmen und doch für unseren Kongress zu gewinnen, um uns mit der Frage zu konfrontieren, ob und wie »Liebe« überhaupt zu einem rationalen Gegenstand und Ziel von Psychotherapie gemacht werden kann. Doch es folgte gleich die nächste Kritik, diesmal von der Psychologin Gisela Ana Cöppicus Lichtsteiner. Sie stellte in Frage, ob die Methode der Paartherapie ein geeignetes Therapiekonzept zur Bearbeitung von tiefer liegenden Liebesproblemen sei. In der therapeutischen Arbeit mit frühgestörten, meist sexuell missbrauchten Patientinnen gewann sie den Eindruck, dass bei diesen Patientinnen die Voraussetzungen zum Eingehen und Leben einer Paarbeziehung oft gar nicht vorliegen. Bei diesen Patientinnen ist das Urvertrauen in die Liebe oft gerade durch jene Personen zerstört worden, die sich ihnen für die grundlegenden, ersten Erfahrung von Liebe angeboten hatten. Früh verletzte Personen mussten ihrer Meinung nach mit einer geduldigen, subtilen und über einen größeren Zeitraum sich hinziehenden Einzeltherapie behandelt werden, um so eine korrigierende Liebeserfahrung in der Beziehung zur Therapeutin machen zu können. Die Patientinnen mussten sich zunächst noch lange davor schützen, Bindungssehnsüchte oder gar Liebesgefühle aufkommen zu lassen. Die Therapeutin erlebte, dass das Aufkeimen der Liebe in einem ersten Schritt oftmals eine religiöse Qualität hat, als Erfahrung einer bedingungslosen Gottesliebe. Diese Erfahrung ereignet sich, zeitlich lange bevor sich die Patienten in die Wechselseitigkeit einer liebevollen Interaktion mit einem konkreten Partner einlassen können. Es stellte sich somit die Frage, ob in ihrer Liebesfähigkeit schwer verletzte Menschen überhaupt von einer Paartherapie profitieren können oder ob sie zunächst die Möglichkeit haben sollten, eine korrigierende Erfahrung im stärker geschützten Einzelsetting zu machen. Ist die Paartherapie somit überhaupt die zuständige Therapieform zur Bearbeitung von tiefer liegender Liebesproblemen? In dieser Irritation entschlossen wir uns, die Hauptreferenten kurzfristig für den 24. und 25. April 2004 zu einem Gedankenaustausch über das Kongressthema einzuladen. Und siehe da: Obwohl es sich durchwegs um zeitlich stark in Anspruch genommene Referentinnen und Referenten handelte, kamen alle. Wir werteten das als Ausdruck des Interesses, aber auch der Verunsicherung in Bezug auf das Kongressthema. Die einleitende Diskussion zeigte, dass das Kongressthema Paartherapie – im Fokus die Liebe unterschiedlich verstanden werden kann, nämlich – wie für den Kongress vorgesehen – als Frage, welchen Stellenwert die Liebe in der Paartherapie haben sollte, oder – radikaler – als Postulat, wonach Liebe zum zentralen Fokus der Paartherapie gemacht werden sollte. Wie zu erwarten war, prallten in der weiteren Diskussion unterschiedliche therapeutische Haltungen aufeinander: auf der einen Seite die Überzeugungen der existenzialphilosophischen und religiös inspirierten Kritikerinnen und Einzeltherapeutinnen, auf der anderen Seite die von ihnen fast als zynisch erlebten Positionen der rationaler denkenden systemischen Paartherapeuten. Es wurde darüber gestritten, ob Liebe – oder eher die Liebesfähigkeit – durch Therapie gezielt gefördert werden kann und ob die Paartherapie nicht gut daran täte, das Liebesthema zu vermeiden. In dem Ausmaß, in dem die Debatte persönlicher wurde, rückte das Liebesverständnis der Therapeuten ins Zentrum, mit der Frage, welche Art von Gesprächsführung es den Klienten ermöglicht, sich dem Thema »Liebe« zu öffnen. Offensichtlich war das Kongressthema geeignet, heftige Diskussionen auszulösen. Alle Anwesenden hatten den Eindruck, dazu mehr Fragen als Antworten zu haben. Mit diesem Thema hatten wir etwas in die Welt gesetzt, für das sich keiner von uns als Experte fühlte. Wenn am Ende unseres Vorbereitungstreffens auch nur wenig konkrete Ergebnisse vorlagen, so hatte dieser Gedankenaustausch doch den Effekt, dass alle Referentinnen und Referenten sich in ihren Vorträgen wirklich mit dem Kongressthema auseinander setzten und sich dieses wie ein roter Faden durch die hier präsentierten einzelnen Beiträge hindurchzieht. Zum Formalen sei noch gesagt, dass die jedem Beitrag vorangestellten Vorspänne von uns Herausgebern verfasst wurden. Wir hoffen, dass das Buch die Leserinnen und Leser ebenso anregt, sich mit dem Thema Wenn die Liebe schwindet. Möglichkeiten und Grenzen der Paartherapie, dem Titel des Buches, auseinander zu setzen und dass viele der darin präsentierten Überlegungen in der therapeutischen Arbeit mit Einzelpersonen und Paaren nutzbar gemacht werden können.
Über die Herausgeber:
Jürg Willi, Prof. Dr. med. Dr. h. c., ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, war Direktor der Psychiatrischen Poliklinik am Universitätsspital Zürich und Ordinarius für Ambulante Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatische Krankheiten. Er leitet jetzt das Institut für ökologisch-systemische Therapie in Zürich. Sein Standardwerk »Die Zweierbeziehung« wurde in mehr als zehn Sprachen übersetzt und fand weltweit Beachtung.
Bernhard Limacher, lic. phil., Fachpsychologe für Psychotherapie FSP, arbeitet in eigener Praxis und ist Dozent des Instituts für Ökologisch-systemische Therapie in Zürich.
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