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01.07.2007
Astrid Riehl-Emde: Liebe im Fokus der Paartherapie
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Klett-Cotta, Stuttgart 2003
255 S., geb. mit Schutzumschlag
Preis: 27,50 €
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Klett-Cotta
Wolfgang Traumüller, Worms: Von der Liebe in Heidelberg …
Nicht vielerorts - außer in der Kirche - wird beständig von Liebe geredet, und das nicht nur zur Weihnachtszeit. Wie jeder weiß, wird durch solche Rede die Beständigkeit des Gegenstands nicht erhöht. Er bleibt flüchtig, manchmal wie das Haschen nach Wind. Es wächst statt seiner im Hörer gelegentlich eher Argwohn, er sieht eher rot denn rosa und verabschiedet sich, je mehr die Wirklichkeit jener Wirklichkeit der verbalen Beschwörung als der ihrer durch Verhalten begründeten Bewährung ausgesetzt ist und Verkündigung des Evangeliums zur langweilenden Sonntagsrede mutiert. Ähnliche Erfahrungen aus eigener Forschungstätigkeit und therapeutischer Praxis liegen der neueren Arbeit von Astrid Riehl-Emde zugrunde, die seit ein paar Jahren das Team von Manfred Cierpka in der Abteilung für Psychosomatische Kooperationsforschung und Familientherapie am Universitätsklinikum Heidelberg mit dem Schwerpunkt „Paartherapie“ bereichert, wo sie nach ihren Zürcher Jahren bei Jürg Willi die stellvertretende Leitung inne hat: Ein Gewinn für Heidelberg und erst recht einer für die Liebe, über die es so viel zu sagen gibt, aber über die man nicht ständig reden muss, weil sie niemals bleibt, was sie eben noch schien. Hierin ist sie wirklich gottähnlich. Und weil sie so unsäglich ist und man über das schweigen soll, worüber man nicht reden kann, wie schon Wittgenstein einschärfte, so lässt wie manches auch diese manchmal eher still werden, und das ist gut so. Dennoch muss, wer mit Liebenden seelsorgerlichen oder therapeutischen Umgang pflegt, seinen Gegenstand und Arbeitsfeld professionell reflektieren. Die Verfasserin hat nun monographisch das beherzt aufgegriffen, was lange Zeit ein Desiderat war und worum es neben und abseits aller Beziehungspathologie in der Arbeit mit Paaren auch geht: Liebe. Ihre Arbeit, erwachsen aus der Entwicklung eines Fragebogens zur Qualität und Stabilität von Paarbeziehungen und damit einhergehenden empirischen Studien an rund 1000 Personen, beleuchtet nach einer Einführung zur (Wieder-)Entdeckung der Liebe im paartherapeutischen Arbeitsfeld das Phänomen im gesellschaftlichen Kontext und aus psychologischer Sicht, illustriert es anhand von vier sorgsam ausgewählten Fallbeispielen und endet mit Hinweisen zur Diagnostik und Therapie der Liebesbeziehung. Liebe ist und bleibt demnach gerade wesentlich im einem Kontext, in dem es überwiegend um ihr Nichtgelingen geht. Beeindruckende Befunde im Vergleich von Therapie- vs. Referenzpaaren belegen dies. Im Gegensatz zu Luhmanns These vom Niedergang des erst seit den ausgehenden 18. Jahrhundert entwickelten romantischen Liebesideals ist die romantische Liebe noch immer das dominante Konzept und vermischt sich in der Praxis mit Prozessen der Individuation und Demokratisierung. Auf „Neue Zweisamkeit“ und „Sehnsucht nach Beziehungsidylle“ verweisen Titelgeschichten meinungsführender Zeitschriften. Dass dies in der Geschichte der Ehe jahrhundertelang anders war, ist auch aus der praktisch-theologischen Kasualforschung bekannt. Luther etwa „kopulierte“ das Paar vor dem Kirchenportal, weil die Ehe ein „weltlich Ding“ sei und feierte hernach einen Gottesdienst „intra muros“ aus Anlass jener „Eheschließung ante portas“. Im Spannungsfeld zwischen Liebe und Ökonomie diente die Ehe überwiegend den Erfordernissen der Ökonomie. Im Kommunikationssystem heutiger Paarbeziehungen bestehen beide mit je verschiedenen Handlungslogiken nebeneinander und nicht ohne beträchtliche Spannungen und Paradoxien fort: Liebe ist Liebe und Partnerschaft ist Partnerschaft. Das gute Balancieren beider wird zum Gegenstand vieler Paartherapien und Eheberatungen. Die mythologische und psychoanalytische Ausleuchtung der Phänomenologie der Liebe und Verliebtheit anhand von Betrachtungen Platons und Freuds verweisen ebenso auf die zwiespältige Natur der Liebe wie empirische Befunde der psychologischen Forschung, die primäre und sekundäre Liebesstile und Spielarten der Liebe gefunden und strukturelle Rahmenkonzepte und Systemmodelle entwickelt haben, innerhalb derer verlässlichere Aussagen über Ehequalität und Ehestabilität getroffen werden können. Die Ergebnisse führender deutscher und US-amerikanischer Paarforscher sind hier eingeflossen. Die Verankerung im Alltag hat eine ebenso hohe Bedeutung wie das Erfordernis des Wandels gemäß der jeweiligen inneren und äußeren Bedingungen. Weiterführende Entwicklungsprozesse sind entscheidend abhängig von positiver Gegenseitigkeit. Liebe bleibt dabei ein Katalysator für inneres Wachstum, und die Ehe als Weg bezogener Individuation ist - so die Verfasserin im Anschluss an Helm Stierlin - „ein Heilsweg“. Betrachtungen über die gereifte Liebe im Alter runden das in der öffentlichen Meinung meist mehr mit Jugend assoziierte Thema ab. Die Verfasserin führt mit ihren Buch die seit längerem begonnene, erfreuliche Linie Jürg Willis u.a. fort, Beziehungen nicht mehr ausschließlich pathologie- und defizit-, sondern ressourcenorientiert zu sehen und den Fokus wesentlich auf das zu richten, was sie zustande bringt und zusammenhält. Dafür ist ihr zu danken. Komplexe Forschungslagen sind kenntnisreich und auf die wesentlichen Züge beschränkt dargestellt. Neue Einsichten sind daher nicht zu vermeiden und gute Lesbarkeit ist garantiert. Die Seelsorge und praktische Arbeit mit Paaren in der Gemeinde wird hiervon ebenso wie die therapeutischen Bemühungen in anderen Kontexten der Kirche profitieren. Dem dienen nicht zuletzt die sorgsam ausgewählten und das sensible therapeutische Arbeiten der Verfasserin veranschaulichenden kommentierten Falldarstellungen. Nicht minder wertvoll für die Praxis sind die Hinweise zur Diagnostik und Therapie der Liebesbeziehung samt deren Fallen und Stolpersteinen. Philosophische Einflüsse der alt-neuen Lebenskunst-eudaimonia-Diskussion, die auch im therapeutischen Arbeitsfeld an Einfluss gewinnt, und theologische Eindrücke im Erbe von Paulus und Augustinus, freilich ohne explizit benannt zu werden, gewinnen hier unmittelbaren und praktischen Wert. Alles, was ihr tut, lasset in der Liebe geschehen! Es beeindruckt mich immer wieder, mit welch kreativer Freiheit im säkularen therapeutischen Arbeiten aus vielerlei Quellen geschöpft wird, wo sich Theologen vor noch nicht allzu langer Zeit im Gefolge von Freud und Rogers in der Seelsorge allzu heftig zierten und Debatten über das Proprium führten, das sie soeben „in der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes“ aufgelassen hatten, während andere ihres Standes sie darob unter Häresieverdacht stellten. Erfrischend für Geist und Herz, was in nämlicher Freiheit unter den Kindern der Welt möglich ist! Wie wollten wir Wissen schaffen, wenn wir das Staunen verlernten?! Der systemische Schalk sitzt der ursprünglich im tiefenpsychologischen Denken verwurzelten Autorin, Paar- und Psychotherapeutin nicht minder im Nacken. „…bleiben sie mit demselben Ehepartner immer ein bisschen unverheiratet!“ ist ein guter paartherapeutischer und auch der Liebe wohltuender Schluss und Ermutigung zum Leben und Aushalten der Paradoxie und Ambivalenz der Liebe - egal wo der „Ruf der Freiheit“ sie an die Kette zu legen versucht! Nicht zuletzt dadurch wird die Lektüre zur Lust und zu einem Gewinn, auch für in Heidelberg oder anderwärts verlorene oder wiedergefundene Herzen samt ihren Besitzern und Besitzerinnen. Astrid Riehl-Emde hat sich mit dieser Arbeit unter den deutschsprachigen PaartherapeutInnen einen führenden Platz gesichert.
(Erstveröffentlichung im DtPfBl)
Die website von Astrid Riehl-Emde
Verlagsinformation:
Ist es überhaupt sinnvoll, die Liebe zum Thema in der Paartherapie zu machen? Wo liegt der Gewinn? Verträgt Liebe überhaupt die Offenheit in einer therapeutischen Situation oder verflüchtigt sie sich, wenn man darüber spricht? Und wenn es hilfreich wäre, von und über Liebe zu reden, wie läßt sich ein solches Gespräch gestalten? Obwohl es zumeist Liebesprobleme sind, die Paare zu einer Therapie veranlassen, ist die Liebe eine vernachlässigte Dimension in der Paartherapie. Weil das Thema Liebe in der Ausbildung zum Paartherapeuten nicht vorkommt, fehlen praktische Empfehlungen im Umgang damit. Deswegen kommt die Liebe des Paares auch in der Paartherapie meist nicht zur Sprache, zumal Kommunikation und sexuelle Verhaltensweisen als leichter veränderbar gelten als Gefühle. Allenfalls wird gewarnt vor zu hohen Erwartungen an Liebesbeziehungen. Mit mehr Wissen und Kenntnis um die Liebe kann es Therapeuten jedoch gelingen, dem zentralen Anliegen von Paaren besser gerecht zu werden. Das Buch richtet sich in erster Linie an Paar- und Familientherapeuten sowie an Eheberater. Es bietet zwar keine Patentrezepte dafür an, wie Liebesbeziehungen herzustellen oder zu erhalten sind, erweitert aber die Denk- und Handlungsspielräume im therapeutischen Umgang mit dem Phänomen Liebe. Konkrete Hinweise für den Praktiker veranschaulichen das diagnostische und therapeutische Konzept der Autorin. Ausführliche Fallbeispiele runden das Buch ab.
Über die Autorin:
Astrid Riehl-Emde, Priv.-Doz. Dr. phil., Dipl.-Psych., Paar- und Familientherapeutin, hat von 1990 bis 1999 als Oberassistentin der Psychiatrischen Poliklinik der Universität Zürich mit Professor Jürg Willi zusammengearbeitet. Sie ist heute stellvertretende Abteilungsleiterin der Abteilung für Psychosomatische Kooperationsforschung und Familientherapie am Universitätsklinikum Heidelberg.
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