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Thursday, May 15. 2014
Einerseits hat sich mittlerweile eine Art von Ressourcenrhetorik etabliert, die sich wie ein roter Faden durch Konzepte professioneller psychosozialer und therapeutischer Hilfen zieht. Andererseits zeigen sich im Kontext von Anerkennungsdebatten und –bemühungen solche Argumente als besonders robust, die auf störungsspezifische Power bestimmter Verfahren und Methoden abheben. Das kann unter Umständen Glaubenskämpfe nähren, kann jedoch auch Anlass zu neugierig-differenziertem Nachspüren sein. Zu letzterem dürfte die Dissertation von Lisa Johanna Groß gehören, die sie im Jahr 2013 an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg vorlegte. Der Titel ihrer Arbeit: „Ressourcenaktivierung als Wirkfaktor in der stationären und teilstationären psychosomatischen Behandlung“. In dieser empirischen Arbeit setzt Groß einen ressourcenorientierten Akzent im Unterschied zum aktuellen Mainstream in der Forschungslandschaft, der auf Materialgewinnung zu Gunsten „evidenzbasierter störungsspezifischer Behandlungsmethoden und daran orientierte Manuale“ zielt. Groß stellt dem empirischen Teil eine sehr gut lesbare, sehr informative Zusammenstellung der neueren und neuesten Befunde zur Wirksamkeitsforschung voraus, mit den Arbeiten von und nach Grawe, Lambert, Duncan und Miller, sowie Wampold als tragenden Säulen. Wer sich über den Stand der Dinge zur Diskussion um allgemeine Wirkfaktoren und um kontextuelle Wirksamkeitsmodelle, sowie um „Effektstärken und Varianzaufklärung verschiedener therapeutischer Aspekte“ kundig machen möchte, ist hier sehr gut bedient. In ihrer empirischen Untersuchung konzentriert sich Groß auf „die Bedeutung von Ressourcenrealisierung und Ressourcenaktivierung für den Therapieerfolg in der stationären und teilstationären psychosomatischen Behandlung“. Die Autorin skizziert das Anliegen ihrer Arbeit: „Dabei werden die Konzepte Ressourcenrealisierung und Ressourcenaktivierung im Hinblick auf ihre Relevanz für die psychosomatische Behandlung untersucht und mit verschiedenen Maßen des Wohlbefindens und der psychischen Belastung sowie mit dem Therapieerfolg in Zusammenhang gebracht. Zusätzlich werden Zusammenhänge zwischen wertschätzendem Therapeutenverhalten und dem Ausmaß der Ressourcenaktivierung sowie dem Therapieerfolg betrachtet. Darüber hinaus wird die Rolle von Bewältigungserfahrungen als potentieller Mediator des Einflusses der Ressourcenaktivierung auf den Therapieerfolg untersucht“ (S.3). Die Materialien, die Groß für ihre Untersuchung verwendet (z.B. Fragebögen) illustrieren die theoretisch erörterten Positionen umfänglich und differenziert. Wer sich weniger für die typischen und spezifischen Details der Untersuchung selbst interessiert, kann sich gegen Ende der Arbeit wieder in die „Abschließende Diskussion“ einklinken. Die Ergebnisse werden übersichtlich gebündelt und plausibel dargestellt. Hier heißt es u.a.: „Insgesamt sprechen die Ergebnisse deshalb in hohem Maße dafür, Klienten als aktive Mitgestalter des psychotherapeutischen Prozesses zu konzeptionalisieren (…) und ihre Fähigkeiten und Stärken verstärkt in den psychotherapeutischen Prozess mit einzubeziehen. Aktuell sind ein derartiger Ressourcenfokus und eine derartige Haltung in der Psychosomatik noch nicht selbstverständlich. (…) Eine weitere Entwicklung in Richtung eines verstärkten Fokus auf Klientenressourcen sowie eines verstärkten Respekts vor Beiträgen der Klienten zum Gelingen der Therapie stellt eine wünschenswerte Entwicklung in der stationären und teilstationären psychosomatischen Therapie
dar“ (S.155). Als Zugabe gibt es am Ende noch einen im Jahr 2012 publizierten Text von L. J. Groß, M. Stemmler und M. de Zwaan über „Ressourcenaktivierung in der klinischen Psychologie und Psychotherapie: Überblick über theoretische Hintergründe und aktuelle Forschungsansätze“ (S.228ff.). Zum Volltext von Dissertation und publiziertem Artikel geht es hier…
Sunday, March 23. 2014
 Seit Mitte der 1970er Jahre haben Edward Deci und Richard Ryan zum Thema Motivation, genauer zur Entwicklung motivationaler Haltungen im Kontext individueller und sozialer Wechselwirkungen geforscht, gelehrt und publiziert. Die beiden arbeiten an der renommierten University of Rochester (Foto: www.rochester.edu) und mittlerweile ist das Feld weit geworden, in dem sich ihre Konzepte und Forschungsergebnisse als fruchtbare Anregungen erweisen (siehe Rezension in systemagazin). Kernstück ist nach wie vor die Annahme der angeborenen Grundbedürfnisse nach Autonomie, Bezogenheit und Kompetenz, sowie die Annahme, dass sie nur in ihrer Gesamtheit betrachtet werden sollten. Nur im Blick auf ihre stets aufeinander bezogenen Wechselwirkung lassen sich gemäß Ryan und Deci brauchbare Aussagen über sinnstiftende Lebensweltkonzepte und ihre motivierenden (im Wortsinn: bewegenden) Eigenschaften treffen. Aus dieser Perspektive haben Deci und Ryan eine umfassendere „Makrotheorie menschlicher Motivation, Entwicklung und Gesundheit“ erarbeitet (informative Skizze in: Canadian Psychology 49(3): 182-185, 2008; im Volltext hier). Das als eine Art Markenzeichen verwendete „self-determination theory“ verstehe ich dabei eher als ein Kürzel. Die Selbstbestimmung macht „an sich“, gerade auch wegen der von den Autoren immer wieder betonten sozialen Verknüpfung eher wenig Sinn. Im Prinzip steht das Kürzel für eine Perspektive, in der persönlich-individuelle und soziale, inklusive gesellschaftliche Grundlagen gestärkt werden sollen, die ein öffnendes, wertschätzendes und kreatives Miteinander erlauben und fördern. Die daraus gestärkt erwachsende Erfahrung der Selbstwirksamkeit ist dann keine Eigenschaft gegen andere (Wettbewerbs- und Konkurrenz-Push), sondern für und mit anderen (Kooperations-Bias). Einen Überblick über das mittlerweile bestellte Feld ermöglicht die website von selfdetermination.org. In deutscher Sprache liegt ein (leider bei der Digitalisierung an manchen Stellen etwas verhunzter) Text vor, in dem Deci und Ryan „Die Selbstbestimmungstheorie der Motivation und ihre Bedeutung für die Pädagogik“ diskutieren (in: Zeitschrift für Pädagogik 39(2): 224-238, 1993). Das Konzept selbst, sowie empirische Befunde aus Labor- und Felduntersuchungen werden vorgestellt, sowie sich daraus ergebende Schlussfolgerungen für die pädagogische Praxis dikutiert. Die Autoren bezeichnen ihre Theorie als eine dialektische, „weil eine permanente interaktive Beziehung zwischen diesem organismischen lntegrationsprozeß und den Einflüssen der sozialen Umwelt unterstellt wird“. Als Querverbindung zu pädagogischen Konsequenzen lässt sich u.a. die folgende Aussage lesen: „Im Bemühen, sich mit anderen Personen verbunden zu fühlen und gleichzeitig die eigenen Handlungen autonom zu bestimmen, übernimmt und integriert die Person also Ziele und Verhaltensnormen in das eigene Selbstkonzept. Voraussetzung dafür sind Angebote und Anforderungen in einem akzeptierten sozialen Milieu, das die entsprechenden Verhaltenstendenzen verstärkt“ (S.4). Der Aufsatz ist im Volltext verfügbar und zwar hier...
Thursday, March 20. 2014
Vielleicht funktioniert das ja einfach so, dass sich Bewegungen immer wieder aus dem Auge verlieren, dann wieder aus ihrer Umlaufbahn auftauchen, anderen Bewegungen begegnen, ihnen vielleicht etwas entgegnen. Wer weiß. Manches wird vermisst, anderes nicht, und wieder anderes trägt länger als bemerkt. Es scheint, als ob existenzielle Perspektiven zur letzteren Kategorie gehören. Lange außer Mode, doch irgendwie scheint eine aus dem Ruder laufende Welt doch (wieder) nach existenzieller Orientierung zu fragen. Die Zeichen mehren sich. Eins dieser Zeichen ist die unter dem Dach der in San Francisco angesiedelten Saybrook University zu findende website „The New Existentialists“. Eine lebendige Vielfalt von Beiträgen zu Politik, Kunst, Kultur und Psychotherapie lässt sich dort finden. Wege zu einer existenziell ansprechbaren und ansprechenden Psychologie und Alternativen zur Medikalisierung von psychischen Problemen werden ebenso diskutiert, wie Kreativität oder der Umgang mit Tod und Sterblichkeit. Es gibt freien Zugang zu einer Vielzahl von Texten (z.B. Kirk Schneider: The Case for Existential Psychotherapy) und Videos (z.B. Interviews mit David Elkins über Empathie). Ein spezieller Service besteht in einer kontinuierlichen Auseinandersetzung mit dem DSM-V. Hierzu gibt es sowohl blogs wie auch stets aktualisierte links zum weltweiten Presse-Echo. Die das Ganze unerschütterlich rahmende Titelzeile: „It matters that people have a way to use the latest findings in psychology beyond buying a pill for depression. It matters that people have a way of looking at their lives that lets them ask the big questions and determine how they want to live – and that this is supported by therapists and mental health professionals”. Das wäre doch mal eine Perspektive.
Saturday, March 15. 2014
  Bruce Wampolds Buch „The Great Psychotherapy Debate“ ist seit seinem Erscheinen im Jahr 2001 eine feste Größe. Es gehört mittlerweile zu den meistzitierten und -diskutierten Beiträgen in der Debatte um Nutzen und Kosten von Psychotherapie. Möchte ich lieber sagen: Debatte um die Redlichkeit psychotherapeutischer Bemühungen, in dieser Welt Alternativen zum umgreifenden Wahnsinn zu liefern? Wenn das denn eine Debatte wäre. Anderes Thema, oder vielleicht auch nicht. Bruce Wampold jedenfalls, Professor für Counseling Psychology an der University of Wisconsin in Madison (Foto: counselingpsych.education.wisc.edu), hat ein Buch besprochen, in dem es um Existenziell-Integratve Therapie (EI) geht. Es handelt sich um: Kirk J. Schneider (Hg.) (2008): Existential-Integrative Psychotherapy: Guideposts to the Core of Practice. New York (Routledge). Allein schon der Umstand, dass ein so ausgewiesener wissenschaftlicher Fuchs wie Wampold sich eines Buches über ein therapeutisches Angebot annimmt, das wenig Chancen hat, im aktuellen Mainstream von Anerkennungs- und Goldstandards-Diskussionen Boden unter die Füße zu bekommen, scheint mir bemerkenswert. Wampold gehört zu denen, die mit einem Satz mehr inhaltliche Substanz verständlich machen können als andere mit langer Rede. Und so sind denn auch die in seiner Rezension nur flüchtig skizzierten Bemerkungen zum „doppelten Erbe“, auf das sich Psychotherapie stützt (nämlich humanistische und wissenschaftliche Traditionen) so gehaltvoll und verständlich, dass es anrührt, ebenso seine ebenfalls kurz skizzierte Historie der Versuche zur Integration in der Psychotherapie. Der (nach technischem und theoretischem) dritte Versuch der Integration, nämlich der „ common factors“-Ansatz kommt in Schneiders Reader noch nicht einmal vor. Und hier zeigt sich Wampolds Klasse unmittelbar. Er schließt die Lücke selbst, wenn er schreibt, vielleicht seien es die KlientInnen, die Psychotherapie existenziell werden lassen. „That is, clients come to therapy for an explanation for their disorder, which in a manner of speaking is a desire to give meaning to their experience, to understand, and to move ahead with life“ (S.4). Nach einer Reihe von Hinweisen auf Querverbindungen zwischen existenzieller Psychotherapie und dem im “common factors”-Ansatz mittlerweile grundlegenden Fokus auf individuelle Passung des therapeutischen Angebots fürchtet sich Wampold nicht vor der Frage, ob existenziell-integrative Therapie denn überhaupt wissenschaftlich sei. Nach den mittlerweile das Feld beherrschenden Goldstandard-Kriterien wohl nicht. Dem hält Wampold entgegen, die Prinzipien des Wandels seien in diesem Ansatz so wissenschaftlich wie in allen anderen psychologischen Behandlungen auch. Und schließlich die Frage: Wer soll das bezahlen? Natürlich kein Fall für managed-care-Konstellationen, zu lang, zu persönlich, zu offen. Dazu Wampold am Schluss: „The issue is complex, but it is an unfortunate situation that immense sums are spent on end-of-life medical treatments and a fraction of that cannot be spent on quality-of-life therapy“. Wampolds Rezension ist im Volltext zugänglich, und zwar hier …
Tuesday, March 11. 2014
Im Oktober 2000 hat eine Arbeitsgruppe des Lehrstuhls für Empirische Pädagogik und Pädagogische Psychologie an der Münchener Ludwig-Maximilians-Universität im Rahmen einer Projektskizze kurz und bündig einen informativen Überblick über Konzept und Methodik des Story-Telling geliefert [G. Reinmann-Rothmeier, C. Erlach & A. Neubauer (2000): Erfahrungsgeschichten durch Story Telling - eine multifunktionale Wissensmanagement-Methode (= Forschungsbericht Nr. 127)]. Es scheine, so die AutorInnen, "als seien die meisten Organisationen blind für die "Lehren der Vergangenheit" - vor allem für Fehler und Fehlentscheidungen. Insbesondere in wirtschaftlichen Organisationen wollen Führungskräfte wie Mitarbeiter oft nicht wissen, was passiert ist, sondern sie wollen wissen, was sie als Nächstes tun sollen; hier passt das Bild vom Manager als "Macher". Die Forderung nach Reflexion oder gar der Hinweis auf eine historisch gefärbte Herangehensweise an zentrale Vorkommnisse gelten entsprechend als suspekt" (S. 8 ). Im Rahmen einer interdisziplinären Hochschul-Industrie-Kooperation mit dem Studienabschluss "Knowledge Master" ging es im vorliegenden Fall um Möglichkeiten und Formen des Story-Telling, zum einen im Hinblick auf nützliche Effekte für betroffene Unternehmen, zum anderen für eine Stärkung kontextsensitiven Wissensmanagements. Als "Kernidee hinter dem Story Telling" steht der Gedanke, dass "die gemeinsame Reflexion über gemachte Erfahrungen" eine unbedingte Voraussetzung dafür sei, dass "eine Organisation Lehren aus der Vergangenheit ziehen und für erfolgreiches Handeln auch nutzen kann" (S. 9). Die AutorInnen stellen eingangs fest, dass zwar nach wie vor "Technische Plattformen und Werkzeuge (....) eine tragende Rolle beim Wissensmanagement [spielen], insbesondere in größeren Organisationen; aber selbst dort ist der ungetrübte Optimismus im Rückzug, insbesondere was den erwarteten universellen Nutzen technologischer Wissensmanagement-Lösungen angeht. Motivations-, Akzeptanz- und Nutzungsprobleme sowie schleppende oder gar fehlende tatsächliche Veränderungen in Organisationen infolge des Technikeinsatzes erhöhen derzeit die Bereitschaft, sich auch nichttechnischen Wissensmanagement-Methoden zu öffnen. Das Story Telling ist eine solche nicht-technische Wissensmanagement-Methode - eine Methode, der es mehr um nachhaltige Veränderungsprozesse und weniger um prestigeträchtige 'Schnellschüsse' geht, die nicht eine bestimmte Wirkung, sondern Effekte in mehrere Richtungen erzielt und von daher auch als 'multifunktional' bezeichnet werden kann" (S. 2). In ihrem Beitrag skizzieren die AutorInnen sechs Stufen des Story Telling (Planen, Interviewen, Extrahieren, Schreiben, Validieren und Verbreiten). Das praktische Vorgehen wird im einzelnen geschildert. Das Ganze hat generativen Charakter: "Das Erfahrungsdokument selbst kann im Laufe der Zeit auch revidiert werden - es ist damit ein "lebendiges Dokument" und weniger ein Ergebnis als vielmehr ein Prozess" (S. 11). Als Kennzeichen dieses Prozesses erweist sich die konstruktive Dynamik zwischen "Sensibilität und offenem Zugang", "Validität und schonungslose Analyse", sowie "Gefühle und gemeinsam Erzähltes" (S. 14). Im Hinblick auf Wissensmanagement wird Storytelling als geeignetes Mittel beschrieben, die Faktoren des "Wissens" (-kommunikation, -generierung, -transparenz und Handlungsfähigkeit) zu stärken und in ihrer Wechselwirkung zu optimieren. Den Beitrag gibt es im Volltext hier …
Friday, March 7. 2014
Spätestens seit seinem fulminanten Reader „ Psychotherapy Relationships That Work“ aus dem Jahr 2002 gilt John Norcross als einer der tonangebenden Forscher und Theoretiker zum Thema therapeutische Beziehung, insbesondere zur Bedeutung der therapeutischen Beziehung für den Therapieerfolg ( siehe hier). John Norcross ist Professor für Psychologie an der Universität Scranton, Pennsylvania. Auf Youtube ist seit einiger Zeit dieses kurze Video verfügbar, in dem Norcross darlegt, dass es die Einschätzung der therapeutischen Beziehung durch die KlientInnen ist, die das Ergebnis am meisten beeinflusst. Er selbst stelle im Grunde nicht viel mehr als (Variationen von) drei Fragen: Wie geht es allgemein mit der Psychotherapie voran? Wie geht das mit uns in dieser Psychotherapie? Wovon hätten Sie lieber mehr und wovon weniger? Die US-amerikanische National Registry of Evidence-based Programs and Practices (NREPP), eine Online-Datenbank für Mental Health Themen und Fragen der Behandlung von Substanz-Abhängigkeiten, hat eine Reihe von neueren Forschungsergebnissen, die in der 2. Auflage des oben genannten Buches aufgeführt wurden, ins Netz gestellt („ Evidence-Based Therapy Relationships“). Während nach wie vor die Wechselwirkung von KlientInnen, TherapeutInnen, Methode, Kontext und Beziehung die Richtung angibt, gerät doch die Wahrnehmung der Beziehung durch die KlientInnen in den Vordergrund. Zur Zusammenstellung der Ergebnisse geht es hier. Schließlich sei noch hingewiesen auf einen kurzen und informativen Beitrag von Norcross und Bruce Wampold, in dem sie die erwähnten Ergebnisse skizzieren und daraus sich ergebende Perspektiven anreißen. Der Aufsatz mit dem Titel „ Evidence-Based Therapy Relationships: Research Conclusions and Clinical Practices“ findet sich in der Zeitschrift Psychotherapy 48(1): 98-102 (2011) und ist im Volltext im web zu finden unter folgender Adresse.
Tuesday, March 4. 2014
Ag  gressives Verhalten von Kindern und Jugendlichen ist eines der häufigsten Themen, die in Erziehungs- und Familienberatung, wie auch in kinder- und jugendtherapeutischen Praxen zur Sprache kommen. Zwar hat Roland Schleiffer mit seinen Überlegungen zur funktionalen Analyse solchen Verhaltens eine gute Basis für ein konstruktives und interaktionelles Verständnis dieser Phänomene geliefert, doch ist für praktische Anregungen immer noch Bedarf. So wird „Ressourcenorientierte Aggressionsprävention“ aus systemischer Sicht zu einem Blickfang. Unter diesem Titel hat Eva Kneise im Juli 2008 ihre Dissertation an der Humanwissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln abgeliefert, mit dem Untertitel: „Zu den Chancen ressourcenorientierter Ansätze bei Aggression und Dissozialität von Jugendlichen aus pädagogischer Sicht“. Die Autorin (Foto: Universität Köln) geht von der Unterscheidung zwischen Ursachenanalyse und „Begründungen des eigenen Verhaltens und dessen Beurteilung im Nachhinein“ aus. Es gehe „also um die subjektiven Rekonstruktionen des eigenen Handelns und die Frage, wann Heranwachsende eine Konsistenz zwischen ihrem moralischen Denken, Fühlen und Handeln herausbilden“ (S.17). Im weitesten Sinne lässt sich hier eine Querverbindung zu der von Hans Lieb herausgearbeiteten Idee der Kontextsensibilität als genuin systemischer Wirkvariable herauslesen. Mit den Worten der Autorin: „Die Arbeit (…) stellt die Frage nach den Chancen einer pädagogisch-ressourcenorientierten Prävention von Aggression und Dissozialität bei Jugendlichen in den Mittelpunkt, die diese nicht primär als ‚Störer‘ oder ‚Gestörte‘ wahrnimmt, sondern vielmehr deren Stärken und kompetenten Anteile als Ausgangs- und Angelpunkt pädagogischer Förderprozesse in den Fokus rückt (S.17f.). In ihrem Fazit unterstreicht Eva Kneise ihre zentrale These, dass „(e)rst eine systemisch-ressourcenorientierte Blickwendung auf das Phänomen der Aggression ermöglicht, (…) pädagogisch angemessene und nachhaltige Zugangsweisen zur Bearbeitung und Präventionjugendlicher Dissozialität“ zu entwickeln. „Ein solcher Perspektivenwechsel, wie er sich im Zuge von Konzeptionen der Salutogenese und der entwicklungspsychologischen Resilienzforschung ergibt, macht darauf aufmerksam, Heranwachsende stärker auch in ihren positiven Möglichkeiten und individuellen Stärken wahrzunehmen und zu fördern. Ebenso werden durch eine Verbindung mit humanökologischen Konzeptionen soziale Unterstützungsmöglichkeiten in den bedeutsamen Umwelten sowie Optionen zur Erleichterung und Gestaltung ökologischer Übergänge systematisch gesucht und ausgebaut“ (S.259). Und weiter heißt es: „Diese Perspektive legt es dann nahe, Dissozialität auch als subjektiv sinnvolles Bewältigungsverhalten zu begreifen und in seinem Zusammenwirken mit verschiedenen, den Heranwachsenden umgebenden Einflüssen seiner Umwelten zu verstehen. Aggressiv-dissoziales Verhalten wird entsprechend als Bewältigungsversuch erkannt, um Orientierung und Kontrolle in subjektiv unübersichtlichen oder undurchschaubaren sozialen Konfliktsituationen zurück zu gewinnen. Das Ausblenden oder Neutralisieren moralischer Anforderungen in stressigen Sozialsituationen dient dabei dem Erhalt eines positiven Selbstbildes als ‚gute‘ bzw. ‚moralische‘ Person und somit zum Schutz und zur Stabilisierung des Selbstwertes“ (S.260). Am Ende resümiert Kneise, dass „(a)ufs Ganze betrachtet (…) die Stärke und Überzeugungskraft des systemisch-ressourcenorientierten Ansatzes vor allem in dem Perspektivenwechsel (liegt), der die Fixierung auf Lern- und Verhaltensprobleme aufgibt, dadurch dass Probleme grundsätzlich im Verhältnis zu den Stärken des Individuums und im Zusammenhang mit biographischen wie lebensweltlichen Bedingungen betrachtet werden. Diese Sichtweise rückt konsequent die Aktivierung und Erschließung individueller Vermögen und Fähigkeiten sowie potentiell verfügbarer Ressourcen und Unterstützungsmöglichkeiten aus den zentralen Lebenswelten in den Vordergrund“ (S. 262). Die Dissertation von Eva Kneise ist (kapitelweise) im Volltext verfügbar, und zwar hier …
Friday, February 28. 2014
 In Zeiten, in denen Schulsozialarbeit je nach öffentlicher Aufmerksamkeitslage gehypt (Schulmassaker) oder abgewimmelt (Finanzlage) wird – zurzeit liefern sich Bund und Länder wieder „interessante“ Gefechte zu diesem Thema – in solchen Zeiten scheint es umso notwendiger, auf den praktischen Nutzen dieser Arbeit hinzuweisen. Einen Teilaspekt hat Oliver Bösch (Foto: sauer-partner.ch) im Jahr 2008 in seiner Masterarbeit an der Schweizer Hochschule für Soziale Arbeit in Olten sehr praxistauglich und plausibel diskutiert . „Klarsicht für die Schulsozialarbeit“ hat er seine Arbeit überschrieben, mit dem Untertitel: „Anregungen, wie mit einer systemisch-lösungsorientierten Arbeitsweise Arbeitsbündnisse hin zu klar definierten Aufträgen gestaltet werden“. Bösch fasst zusammen: „Auf der Grundlage der Erkenntnisse aus Systemtheorie, Sozialem Konstruktivismus und Lösungsorientiertem Beratungsansatz werden hilfreiche ,Werkzeuge' vorgestellt, mit welchen ein Unterstützungsprozess im System Schule in einer kooperativen und neutralen Art und Weise entwickelt werden kann. Dieser Prozess hin zu ,funktionierenden' Aufträgen wird methodisch untermauert und mit Beispielen unterlegt: Angefangen von der Auftragsgestaltung am Telefon bis hin zur Evaluation“ (S.2). Der Autor diskutiert das „Arbeitsfeld Schule“ im Allgemeinen und in ihrer momentanen Verfassung, aktuelle Entwicklungen der Schulsozialarbeit und kommt auf diesem Weg zu systemisch-lösungsorientierter Beratung in der Schule. Kernstück ist die Auseinandersetzung mit Auftragsklärung. Hier gibt Bösch einen guten und praxistauglichen Überblick über aktuelle Konzepte und Orientierungshilfen. In seinen Überlegungen zur Begründung einer lösungsorientiert-systemischen Praxis der Schulsozialarbeit schreibt Bösch: „Hinter diesen Arbeitsprinzipien steht letztlich auch eine Ideologie. Diese Ideologie trägt aber zur Öffnung bei, ist in sich selbstreflexiv und gründet auf Beobachtungen und Erkenntnissen, wie lebende und nicht lebende Systeme agieren und funktionieren. Auf die Beschreibung einer objektiven Wirklichkeit wird bei diesem Beratungsansatz bewusst verzichtet. Demnach wird auch ein Problem, welches in der Schule sichtbar wird, nicht als ein objektiv beschreibbarer Gegenstand gesehen, sondern als eine von verschiedenen Interpretationen der im Fall involvierten Personen“ (S.106f.). Zum vollständigen Text geht es hier
Friday, November 23. 2012
 Schule ist mittlerweile von einem Lehr- und Lern- zu einer Art Lebensort geworden. Ganztagsschulen werden zur Regel. Das ist nicht nur eine Zeit- und Organisationsfrage. Vielmehr ent- und verwickeln sich in diesem Rahmen Lebensthemen, die weit über das mehr oder weniger erfolgreiche Erlernen von "Stoff" hinausgehen. Die Menschen, die diese Lebensthemen am eigenen Leib erfahren und zur sozialen Realität werden lassen, zu begleiten, ihnen Orientierung zu geben, womöglich Halt, ist zu einer besonderen Herausforderung für Schulen und ihre LehrerInnen geworden. Zwar mag ein erfolgreicher "Abschluss" immer noch im Vordergrund stehen. Doch dürfte es einer der tragischen Irrtümer sein, dies für bare Münze zu nehmen. Was ist gemeint, wenn es von Schulen heißt, sie seien "weiterführend"? Wohin? Und auf welcher Basis? Unerschöpfliche Themen. Um so notwendiger dürften Anregungen und Orientierungshilfen sein, die über die Grenzen sogenannter Sachzwänge hinausweisen. Hierzu scheint mir eine Arbeit interessant, die Birgit Jäpelt (Foto: Universität Erfurt) im Jahr 2004 unter dem Titel „Ressourcenorientierte und reflexive Beratung – Erfurter Moderations Modell – Prozess eines Curriculums zur systemisch – konstruktivistischen Beratung und Moderation“ als Disserta tion an der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät der Universität Erfurt vorlegte. Die Autorin skizziert, es solle mit dieser Arbeit „ein Versuch unternommen werden, systemisch – konstruktivistische Theorien zum Ausgangspunkt für Veränderungen vertrauter Konzepte vom Lehren, Lernen, Beraten und Forschen zu nehmen. Damit soll ein Fortbildungskonzept in ressourcenorientierter und reflexiver Beratung und Moderation begründet werden. Der hier dokumentierte Kurs nimmt eine Fortbildung von (Sonder-)PädagogInnen in systemisch – konstruktivistischer Beratung und Moderation (8 x 3 Tage) zum Ausgangspunkt für die Erarbeitung eines Ausbildungscurriculums“ (S.5f.). Kontextdekonstruktion und Kooperation erweisen sich dabei als Schlüsselwörter. Das Curriculum spiegelt eine vertiefte und sinnstiftende Auseinandersetzung mit Prämissen und Begrifflichkeiten der „Postmoderne“ wieder, und basiert auf Ressourcen und Partizipation als Leitmotiven. „Die Inszenierung konkreter Lehr- und Lernprozesse beginnt und endet in ihrem je spezifischen Kontext“, schreibt Jäpelt, „Lehrende sind dabei Begleitung für eine Etappe auf dem Weg der Lernenden zu einer erwünschten Kompetenz, die mit einem relativen Anteil in der Zukunft liegen kann. Ein solches Denken entspricht dem Anspruch von lebenslangem Lernen. Es geschieht ein Übergang von der einen in eine andere (Lern-)Umgebung. Diesen Prozess explizit zum Thema zu machen, ist aus meiner Sicht die eigentliche Konsequenz der hier vertretenen theoretischen Anbindung. Dabei scheint es mir besonders bedeutsam, über weitere Möglichkeiten der Kooperation nachzudenken und dafür genügend Raum und Zeit einzuplanen“ (S.265). An letzterem geht kein Weg vorbei – auch das vorliegende Konzept geriert sich nicht als Zaubermittel – doch dürfte das als Hürde oft schon zu hoch sein. Da jedoch über das jetzt forcierte Thema der Inklusion eine engere Kooperation von Regel- und Sonderpädaogik notwendig werden wird, könnte das in dieser Arbeit vorgestellte, auf SonderpädagogInnen zugeschnittene Curriculum, eine „weiterführende“ Chance haben: „Veränderungen beginnen „im Kopf“. Diese Annahme sollte dazu führen, im schulischen Kontext mehr als bisher üblich, die eigenen Vorannahmen in Frage stellen zu können und neugierig zu sein auf andere(s). Damit würde der Beitrag der SonderpädagogInnen für die Institution Schule darin bestehen, den PädagogInnen der Grund- und Regelschulen „ein Werkzeug“ / eine Idee anzubieten, mit den als anders erlebten SchülerInnen umzugehen und Aussonderungsprozesse zu reduzieren“. Zum Volltext der Dissertation geht es hier…
Friday, November 2. 2012
 Pflegen als Beruf ist so wenig ein Pappenstiel wie die Erkenntnis, selber einmal auf Pflege angewiesen zu sein. Die Zeitungen sind von Zeit zu Zeit voll von beunruhigenden Nachrichten dazu. Und wer es in seinem Umfeld schon einmal erlebt hat, weiß, dass es neben viel Kompetenz und nicht zuletzt materiellen Ressourcen auch noch Glück braucht, wenn ein Pflegetag ein guter Tag sein soll. Kurzum, Pflegen kostet wohl mehr als über Geld zu machen ist. Wenn es bei Altenpflegekräften eine um fast die Hälfte erhöhte Wahrscheinlichkeit für psychosomatische Beschwerden im Vergleich zum Durchschnitt der arbeitenden Bevölkerung gibt, liegt das sicher nicht nur an einer kleinzügigen Entlohnung. Pflegenotstand also auf beiden Seiten der Medaille. Was könnte helfen? Im Jahr 2007 legte Christoph Abel an der Universität Mannheim (Foto: Universität Mannheim) eine Dissertation zum Thema „Systemisch-lösungsorientierte Beratung zur Prävention von Stress und Burnout in Pflegeberufen“ vor. Ziel war „die Konzeption und Evaluation eines ressourcenorientierten Trainingsprogramms, basierend auf der Stärkung spezifischer interner Ressourcen gegen Stress und Burnout“ (S.3). Das Trainingsprogramm firmierte als ein Einführungskurs in systemisch-lösungsorientierte Beratung: „Der Kurs sollte systemisch-lösungsorientierte Beratungskompetenz als interne Ressource vermitteln. Daneben sollten kognitive Ressourcen wie Wissen oder allgemeine Selbstwirksamkeit gefördert werden. Außerdem sollten sich die sozialen Beziehungen der Teilnehmer verbessern bzw. die interpersonellen Probleme abnehmen“ (S.183). Als zusammenfassendes Ergebnis teilt der Autor mit: „Die vorliegende Evaluationsstudie konnte zeigen, dass es in nur zehn Kursstunden möglich ist, wesentliche interne Ressourcen zu mobilisieren und zu fördern, welche für die Prävention von Stress und Burnout wesentlich sind. Das Trainingsmanual ist geeignet, diese Ressourcen zu stärken. Hierbei wurde der Ansatz einer Stressprävention durch Förderung interner Ressourcen verfolgt. Die Zielsetzung der Arbeit, nämlich eindeutige Effektivitätsnachweise des Kurses auf die entsprechenden Ressourcen, wurde im Wesentlichen erfüllt“ (S.195). Es gab im Detail dabei auch Hinweise darauf, dass trotz der pragmatischen Konzentration des Kurses nicht nur Techniken und Wissen gelernt wurden, sondern sich auch Veränderungen in der Haltung zeigten. Abel weist z.B. darauf hin, dass hinsichtlich der Fähigkeit eine kooperative Beziehung mit Gesprächspartnern zu gestalten, „die Effektstärken ebenso groß [waren] wie bei den verhaltensnahen Items. Diese eher „weichen“ Faktoren sind im Hinblick auf die alltägliche Anwendung vielleicht ein noch wichtigerer Hinweis auf die Effektivität des Kurses als die Beherrschung der Fragen und Standard-Interventionen, die relativ leicht einstudiert werden können“ (S.185). Trotz der für Dissertationen mit statistischer Ausrichtung kennzeichnenden Lesemühen könnte diese Arbeit auch für PraktikerInnen in diesem Bereich eine Hilfe sein. Auch die in dieser Arbeit vorgestellten Mittel und Wege garantieren alleine keine „Lösung“, sind im Gegenteil nach wie vor eingebunden in mehr oder weniger hilfreiche Kontexte. Doch können sie offenbar wirksam dabei helfen, mit einem Bein im Möglichkeitenland verankert zu sein, während man das andere not-falls in jemandes Hölle einen Stand finden lässt (gemäß Bill O’Hanlons wunderbarem Motto). Abels Dissertation findet man im Volltext hier…
Wednesday, October 31. 2012
  Spinoza, der seinerzeit die eigene Unabhängigkeit einer sicheren, doch abhängigen Anstellung vorzog, beschrieb Reue als ein „doppeltes Elend“. Sie mache einem nicht nur klar, dass man etwas verschuldet hat, sondern lasse einen auch noch an diesem Umstand leiden. Was also sollte es mit Reue Brauchbares auf sich haben, immerhin hat sie sich als reale Möglichkeit gehalten über all die Zeit, allen Konkurrenzen in Form heiteren Übergehens von Gewesenem zum Trotz. Sie ist nicht ausgemendelt worden, scheint also für etwas gut zu sein. Doch für was nur? Dirk Kranz (Foto: Universität Trier) hat im Jahr 2005 an der Universität Trier eine Dissertation zum Thema vorgelegt: „Was nicht mehr zu ändern ist. Eine Untersuchung zur Reue aus bewältigungstheoretischer Sicht“. Erstgutachter war Jochen Brandtstädter, Zweitgutachterin war Sigrun-Heide Filipp. Beide stehen für das Forschungsprojekt einer Entwicklungspsychologie der Lebensspanne. Dirk Kranz gehört mittlerweile zum Team an der Universität Trier, dem Jochen Brandtstädter bis zu seiner Emeritierung vorstand. Brandtstädter hat sich in seinem Modell assimilativer und akkomodativer Prozesse intensiv mit der Dynamik „zwischen hartnäckiger Zielverfolgung und flexibler Zielanpassung“ befasst. Kranz greift Brandtstädters Überlegungen auf und diskutiert in seiner Dissertation u.a. die Frage „nach der Funktion der Reue im Hinblick auf Selbstregulation und Wohlbefinden“. Er fügt der situationalen Unterscheidung zwischen „tätiger Reue“ und „lähmender Reue“ die Frage nach der Disposition hinzu: „Ob man es bei irreversiblen Fehlern schafft, diesbezügliche Reuegefühle zu überwinden, hängt maßgeblich davon ab, wie man im Allgemeinen mit Zielen, insbesondere mit bislang unerreichten wie künftig unerreichbaren, umgeht. Zentral ist die Fähigkeit, persönliche Vorhaben mit gegebenen Realisierungsmöglichkeiten abzustimmen und sich nötigenfalls von aussichtslosen Bestrebungen zu trennen. Diese akkommodative Flexibilität sollte gerade im Falle selbstverschuldeter, daher besonders belastender Zielblockaden vor einer lähmenden Reue schützen. So gesehen kann die Reue je nach Randbedingung eine durchaus intelligente Emotion sein“ (S.145). Die Dissertation endet mit einer existenziell anmutenden Überlegung. Kranz bekennt sich zu „der Ansicht, dass Einsicht in eigene Fehler ohne Reue nicht „zu haben“ ist. Emotionen sind eben nicht – das mal lästige, mal willkommene – Beiwerk unserer Kognitionen, sondern sie sind dringliche Kognitionen, und zwar jene, die primär uns betreffen, – unser Handeln, unsere Entwicklung, unsere Beziehungen. Gewiss möchte sich jeder eine konkrete Reue ersparen, aber wünscht man sich ernsthaft, für Reue generell unempfänglich zu sein? Wohl kaum, denn Reue erfüllt wesentliche Aufgaben: Einsicht in das eigene Fehlverhalten und Antrieb zur Wiedergutmachung. Dieser funktionale Aspekt ist der Globalkritik der Reue entgegenzuhalten. Er öffnet vielmehr eine differenziertere Sichtweise auf die Rationalität der Reue: Wir erkennen eine Fehlentscheidung oder -handlung und machen diese wieder gut, indem wir bereuen. Wenn die Einsicht in den eigenen Fehler aber geschehen, dieser jedoch nicht mehr zu beheben ist, bekommt nachhaltige Reue tatsächlich ein irrationales Moment.“ (S.147). Die Dissertation von Dirk Kranz gibt’s im Volltext hier
Monday, October 29. 2012
 Als im Mai 1981 Mehmet Ali Ağca das Attentat auf Papst Johannes Paul II. verübt hatte, sagte der Vater von Oktay Saydam: „Wir Türken werden jetzt darunter leiden!“. Oktay Saydam lebte mit seiner Familie, einer „Arbeitsmigrationsfamilie“, in Tübingen. Gegen die generalisierende Betrachtung der Nachbarn wehrte sich der Junge: Türke ja, aber den Papst habe er doch nicht umgebracht! Oktay Saydam lehrt jetzt an der Trakya Universität in Edirne in der Türkei (Foto: trakya.edu.tr) und hat im Jahr 2009 im Rahmen des XI. Türkischen Internationalen Germanistik-Kongresses in Izmir einen Vortrag über die „Orientrezeptionen Ernst Blochs und Bertolt Brechts“ gehalten, mit dem Untertitel: „ Ein Beitrag zur Rekontextualisierung oder Kontexterweiterung des globalen Humanismus versus Terrorismus“. In diesem Zusammenhang erweist sich der „11. September 2001“ als ein weiteres wirkungsmächtiges Kürzel für eine in der Folge ansteigende „Islamophobie“ in der sog. Westlichen Welt. Ein Aspekt der Globalisierung, der unter (nicht seltenen) Umständen mit einer „erheblichen Strapazierung menschlicher Alltagsbeziehungen“ im lokalen Nahraum korrespondiert. Saydam stellt viele Fragen und eröffnet fragend einen Gedankenraum, in dem sowohl zeittypische wie auch zeitraumübergreifende Dynamiken im Umgang mit dem Fremden aufscheinen. Er geht u.a. auf die Versuche Ernst Blochs und Bertold Brechts ein, in der Auseinandersetzung mit orientalischen Philosophen den interkulturellen Blick zu weiten – und verhehlt nicht, „dass die von Bloch rezipierten Philosophen in der islamischen Welt durchgehend als „Häretiker“ eingestuft wurden. Sie wurden verfolgt, ihre Bücher wurden verbrannt“. Dies könnte dafür sprechen, dass die kulturübergreifende Homogenität der allgemeinen Praktiken von Machtausübung der Heterogenität weltbildnerischer Alltagsbezüge und deren Stiftung kultureller Identität vorausgeht. Dem könnte ein erkenntnistheoretisches, schriftstellerisches und/oder philosophisches Interesse an einer „Globalisierung einer humanen Werteauffassung“ entgegengesetzt werden. Oktay Saydam fasst seinen Aufsatz so zusammen, er beschränke sich, „weitgehend auf die offene, vorurteilsferne, wache und diesseitige Forscher- und Betrachter-Haltung Blochs und Brechts sowie auf die diesseitig orientierten Vertreter des auch türkisch geprägten heterodoxen Islam gegenüber anderen Kulturen“ und wolle zeigen, „dass diese urteils- oder vorurteilsferne Forscher- und Betrachterhaltung eine existenzielle philosophische sowie literarisch/poetische Notwendigkeit ist, um aus anderen Kulturen, Philosophien, Erkenntnisse zu ziehen. Eine solche Betrachtungsweise oder Forscher-Haltung hegen jedoch diejenigen - ungeachtet ihrer Herkunft - die sich m.E. grundsätzlich als „humanistisch“ bezeichnen, bezeichnet werden“ (S.142). Der Aufsatz kann hier im Volltext heruntergeladen werden. [Bibliographische Angaben: Der Aufsatz erschien in: Yadigar Eğit (Hg.) (2010) XI. Türkischer Internationaler Germanistik Kongress, 20.-22. Mai 2009. İzmir: Ege Üniversitesi Matbaası (S.140-155)].
Monday, June 11. 2012
 Es bleibt ein Thema, das einen angeht. Und wenn ich das auch noch wörtlich nehme, kommt etwas zum Tragen, was im sprachlastig erscheinenden systemischen Denken bisweilen zu kurz kommt – Körper und Leiblichkeit. Kein metaphorisches Sprachspiel, sondern womöglich Methode und im Hinblick auf die zunehmende Bedeutung cyberweltlicher Kontexte eine interessante Frage: geht uns das noch etwas an? Wenn ich unter „angehen“ das Spüren von etwas mitdenke, bin ich an einer Grenze und an dieser entscheiden sich Blickwinkel und Zugehörigkeiten und auf diesem Weg womöglich Bedingungen für Krieg oder Frieden. Für beide sind der Umgang mit dem Thema „Identität“ wichtig, vielleicht ist es Zufall, dass zur Zeit das Thema „Hells Angels“ en vogue ist und mit ihrer/seiner Hilfe das Thema Ausgrenzung/Zugehörigkeit/Gewalt durchgenommen wird. „Krise der Identität“ als vielfältig relevantes Thema also, und Hille Haker (Foto: www.ethik.uni-frankfurt.de) setzt in ihrem informativen, spannenden und anregungsreichen Aufsatz ein Fragezeichen dahinter. Sie liefert einen kompakten und dennoch lesbaren Einstieg in eine Fragestellung, die sich an der Grenze zwischen herkömmlicher und Cyberwelt entwickelt hat. Von der herkömmlichen Erzähl-Identität zur Cyber-Identität geht eine Reise, doch was wie eine zunehmende Entfernung aussehen mag, führt doch wieder zu alten Fragen mit neuen Mitteln. „Allerdings kehrt mit dem Internet die Mündlichkeit in ganz neuer Weise wieder“, schreibt Haker. Und: „Zugleich wird aber auch erkennbar, dass die herkömmlichen sozialen Grenzziehungen eine eindeutige Orientierungsfunktion haben, die sie außerhalb des Netzes selbstverständlich noch immer haben, die aber durch den Kontrast der Netzidentität viel stärker wahrgenommen werden kann – und die womöglich durch die flexible Netzidentität zersetzend wirkt. Schapp hatte noch die Leiblichkeit des Menschen auf die Narrativität beziehen wollen – heute stellt sich demgegenüber die Frage umgekehrt: gibt es Narrativität ohne die Referenz der Leiblichkeit? Welche Rolle spielt der Körper im Netz? Ist er überflüssig? Wird er, die 'wetware', mit der 'hardware' des Computers überwunden? Und wäre dies das Ende der Moral? Auffällig ist, dass es kaum Möglichkeiten gibt, die Rezeption der Auto-Erzählungen zu überprüfen. Obwohl der Schein der Interaktivität herrscht, sind die Identitätserzählungen, die etwa auf Homepages dargestellt werden, monologisch. Jenseits der Chatrooms mit ihren flexiblen Identitäten fehlt im Netz weitgehend die intersubjektive Kontrolle, sei es durch die Körpersprache des Gegenübers im Gespräch, sei es durch körperliche Individualität. Wenn die narrative Identitätskonzeption zum einen mit Leiblichkeit, zum anderen mit der Theorie der sozial vermittelten Identität zusammenhängt, ist hier erst noch herauszuarbeiten, was das Fehlen der sozialen Kontrolle für die neuen Identitätskonzepte bedeutet.“ Und schließlich: „Die Imagination und das Spiel mit Imaginationen betrifft nicht zuletzt die ethische Frage der Verletzung anderer – in ihrer individuellen Integrität und in ihrer sozialen Identität.“ Hille Hakers Aufsatz „Krise der Identität? Leiblichkeit, Körper und erzählte Identität in der Informations- und Wissensgesellschaft“ erschien 2005 in : G. Berthoud et al. (Hg.): Informationsgesellschaft. Geschichten und Wirklichkeit. 22. Kolloquium der Schweizerischen Akademie der Geistes – und Sozialwissenschaften. Fribourg: Academic Press, S. 323-340. [Nachtrag 29.10.2012: Der Text ist mittlerweile nicht mehr an der ursprünglich angegebenen Stelle im Netz zu finden. Es besteht jedoch die Möglichkeit, den Text zumindest in großen Teilen via google-books einzusehen. hier
link dazu; WL]
Thursday, March 10. 2011
 Was tun, wenn Reden zwar nutzt, doch nicht genug bringt? Einbringt, wäre genauer gesagt. Gerhard Seidenstücker (Universität Trier), mit dem ich gelegentlich korrespondiere, schickte mir nun einen Link zu einem Beitrag in der New York Times vom 5. März 2011, der erzählt, was passiert, wenn die Eingangsfrage zu sehr pressiert. „Reden zahlt sich nicht aus“ heißt es in der Überschrift, daher setze die Psychiatrie stattdessen auf medikamentöse Therapie („ Talk Doesn’t Pay, So Psychiatry Turns Instead to Drug Therapy“). Es mag verwundern, dass dem erst jetzt so sei, doch geht es mir hier jetzt nicht um die grundsätzliche Unterscheidung psychosozialer und psychiatrisch-medikamentöser Konzepte. Offensichtlich nötigen die finanziellen Rahmenbedingungen in den Vereinigten Staaten auch solche psychiatrischen PsychotherapeutInnen zu einer medikamentös gestützten Kurztherapie, die bislang auf die Wirksamkeit des kommunikativen Rahmens gesetzt haben. Die interviewten Psychiater wirken nicht so, als wären sie mit fliegenden Fahnen übergewechselt, eher nolens volens. Ich denke, es ist notwendig, sich auch solche Entwicklungen vor Augen zu halten, wenn es darum geht, mit allen Mitteln einen Fuß in die Tür des real existierenden Krankenkassensystems zu bekommen. Wenn es eng wird, ändern sich auch die Spielregeln, und davon dürften weder Wissenschaft noch Sozialrecht unbetroffen bleiben. Wäre gut, dann nicht aus dem Alternativ-Training gekommen zu sein, könnte man denken. Zum Text der New York Times geht es hier
Saturday, March 5. 2011
 Wann ist ein Gespräch ein Gespräch? Und wie zeigt sich, ob es sich dabei um mehr handelt als um eine Wechselrede, ein Hin und Her von Worten? In Zeiten, in denen Talk und Show zusammengehören wie Beliebig & Keit oder Unter & Haltung, sind solche Fragen vielleicht etwas seltsam. Mag sein. Vor kurzem nun stieß ich auf eine Sammlung von Interviews und Gesprächen mit Karl Jaspers. In dieser Sammlung befindet sich unter anderem ein Gespräch zwischen ihm und dem Journalisten Thilo Koch. Es fand im Mai 1960 statt. Während Koch immer wieder darauf zu drängen scheint, dass Jaspers eine richtungsweisende Stellung beziehe, nähert sich Jaspers den jeweiligen Themen mit einem weiten Blick und einer Art neugierig-strenger Demut. Vieles kommt zur Sprache, Freiheit etwa, Würde des Menschen, Philosophie und Meditation, Ideenwelt und Handlungswirklichkeit. Als Zitat möchte ich jedoch den Schluss dieses Gesprächs anführen, in dem mir die Essenz, der lebende Kern dessen, was ein Gespräch ist, in Worten gesagt zu werden scheint. Das wirkt wohl fremd heutzutage, diese Wortwahl, dieser Duktus, dieser lange Atem, doch iFeel dass diese iWords sich lohnen, zur iKenntnis genommen zu werden: Koch: "[...] Es war in meinen Fragen ja anscheinend immer sehr stark der Wunsch zu spüren, und das wird mir im Augenblick erst klar, von Ihnen ein Dogma zu hören, obwohl ich in dem Wunsch kam, von den Dogmen mich zu befreien. Ich wollte von Ihnen auch eine Art Rezept. Was Sie aber geben wollen und können, wenn ich es jetzt zusammenfassen müßte, wäre wohl, eine Denkungsart zu erwecken, zu erziehen, die in einer ganz speziellen menschlichen Situation diesen einzelnen befähigt, Entscheidungen zu treffen, die durch kein Dogma vorherbestimmt werden können oder beeinflußt werden sollten, sondern die aus dieser Denkungsart dann allein möglich werden. Habe ich das einigermaßen richtig ausgedrückt?" Jaspers: "Ich glaube ja, Herr Koch. Sie haben, glaube ich, verstanden, in welche Richtung ich möchte, soweit ich es selber verstehe. Mir scheint, das Gespräch bezeugt die Möglichkeit, sich berühren zu können in solchen Dingen, die sich nicht wie Steine auf den Tisch legen lassen, so daß man sie greifen kann, sondern die ungreifbar sind, unsichtbar, in gewissem Sinn unfaßlich. Das Gespräch hat mir darum wohlgetan. Ich danke Ihnen." [In: Offener Horizont. Ein Gespräch mit Thilo Koch (Sendung des NDR am 31.5.1960). In: Karl Jaspers (1969) Provokationen. Gespräche und Interviews (hgg. von Hans Saner). München: R. Piper (Zitat S. 61f.).]
Thursday, February 3. 2011
 Dass Pflegefamilien vor besonderen Herausforderungen stehen, dürfte bekannt sein – auch wenn medienwirksame Aufmerksamkeit sich üblicherweise nur dann einstellt, wenn etwas spektakulär schief geht, ein Pflegekind zu Schaden, gar zu Tode kommt. Für Jugendämter, bzw. Allgemeine Soziale Dienste gerät das Thema insofern eher unter Stressbedingungen in den Vordergrund. Dabei gibt es durchaus Grund zur Verknüpfung von Überlegungen zu Grundlagen gelingender Hilfen in Pflegefamilien und einer konstruktiv verstandenen Qualitätsdiskussion. Genau dazu hat Carmen Thiele (Foto: PFAD) im Jahr 2009 eine Dissertation an der FU Berlin vorgelegt. Ihr Thema: „Gelingende Hilfen in Pflegefamilien - Ein Beitrag zur Qualitätsentwicklung im Hilfesystem Vollzeitpflege“. Die Autorin stellt fest, dass sich „das Erleben der Pflegeeltern, also der Menschen, die als Hilfedurchführende wirken – (…) in den vorhandenen Forschungsarbeiten und selbst in den Diskussionen der Fachkräfte der Sozialen Arbeit kaum wieder“ fanden. „Des Weiteren fiel auf, dass der wissenschaftliche Blickwinkel sich überwiegend auf die Schwierigkeiten, die Probleme und auf Ursachen und Beendigungsgründe von gescheiterten Pflegebeziehungen konzentrierte. Diese besondere Wahrnehmung vor allem der Schwierigkeiten, die das Alltagserleben der Pflegefamilie bestimmen, läuft jedoch auf eine Vereinseitigung, eine Verengung des wissenschaftlichen Blicks hinaus. So entstand die Idee, eine andere, bisher vernachlässigte wissenschaftliche Perspektive zu nutzen und zu fragen: Wie konstruieren Pflegeeltern bzw. Pflegefamilien ihre Wirklichkeit? Was kann man aus der Konstruktion pflegefamilialer Wirklichkeit lernen?“
„In ihrer Konstruktion von sich als Familie vereint die Pflegefamilie scheinbar Unvereinbares“, so Thiele (S.10), sie sei „in ihrer Konstruktion als Familie, als Einheit, grundsätzlich nicht in der Lage, keine Unterschiede zu machen. Sie ist ein Unterschied“ (S.242). In ihrer einleitenden Zusammenfassung schreibt die Autorin: „In den Versuchen, mich diesen Widersprüchen theoretisch zu nähern, wurde immer deutlicher, dass es dafür einer neuen wissenschaftlichen Konzeptualisierung bedarf, die die Grenzen bisheriger Ansätze bereit ist zu überschreiten. Es wird daher der Versuch unternommen, Pflegeverhältnisse in einem ambivalenztheoretischen Rahmen zu betrachten. (…) Es wird herausgearbeitet, wie Gelingende Hilfen im Hilfesystem Vollzeitpflege kritisch verstanden werden können. Von den Spannungsverhältnissen, die in einer Pflegefamilie wirken, (…) werden hier insbesondere die Fragen des Schließens und Öffnens des Familiensystems und damit überhaupt die Frage von Elternschaft diskutiert. Familiale Systembildung, Paradoxie der Zeit, Macht-Ohnmacht-Beziehungen werden als Eckpfeiler des theoretischen Rahmenkonzepts herausgearbeitet“ (S.10). Wie bei Dissertationen üblich, handelt es sich nicht um einen süffigen, leicht zu konsumierenden Text. Dennoch bietet er auch PraktikerInnen wertvolle Anregungen, zumindest Fragen, die zu stellen sich lohnt. Und im weitesten Sinn fördert diese Arbeit die Idee, sich den besonderen Themen und Herausforderungen von Pflegefamilien eben nicht nur unter Stressbedingungen zuzuwenden, sondern perspektivisch, mit Ruhe und einem Ziel: die Rahmenbedingungen des angestrebten Gelingens zu fördern. Zum Volltext der Dissertation geht es hier…
Sunday, May 9. 2010
Im Jahr 2004 publizierte Eddie Gallagher zwei Beiträge im Australian and New Zealand Journal of Family Therapy, in denen er darüber nachdachte, wie sinnvoll mit Kindern und Jugendlichen gearbeitet werden könne, die ihre Eltern drangsalierten („Parents Victimised by Their Children“, ANZJFT 25(1): 1-12; „Youth Who Victimise Their Parents“, ANZJFT 25(2): 94–105). Im ersten Text diskutiert Gallagher einige Grundlagen und Möglichkeiten der Arbeit mit den Eltern. Der zweite Text, der auch online zur Verfügung steht, konzentriert sich auf die Arbeit mit den betreffenden Kindern und Jugendlichen. Für die praktische Arbeit dürfte eine Sammlung von Fragen interessant sein, die im Wesentlichen verschiedene Möglichkeiten ins Spiel bringen, wie Verhaltensimpulse, die bislang womöglich auch die tätigen Kinder und Jugendlichen „überwältigten“, im besten Sinne relativiert werden können: in Beziehung gesetzt zu erlebten Ausnahmen, zu bisher wirksamen Mythen über Schwäche, Macht oder Gewalt, zur Erfahrung tatsächlicher Stärke, oder zur Erfahrung von Selbstkontrolle und Wählen können. Das alles sollte nicht mit der Weisheit letzter Schluss verwechselt werden, imponiert jedoch durch das unverdrossene Annehmen der Möglichkeit, auch unter erschwerten Bedingungen miteinander ins Gespräch zu kommen. Zum Text über die Arbeit mit den Kindern und Jugendlichen geht es hier...
Thursday, May 6. 2010
Wem die Praxistauglichkeit ressourcenorientierter Konzepte ein Anliegen ist, findet bei Michael Hoyt immer wieder reichhaltige, fundierte und kreative Anregungen. Im Jahr 2002 veröffentlichte Victor Yalom ein Interview mit Michael Hoyt. Äußerer Anlass war die seinerzeit erfolgte Publikation von Hoyts Buch „Some Stories are Better than Others“ (siehe Besprechung im systemagazin). In diesem Gespräch entfaltet sich nicht nur eine Fülle von anregenden Impulsen für die Praxis, sondern auch ein nachhaltiger Eindruck von der souveränen Haltung, in der sich Hoyt den drängenden Herausforderungen unserer Profession zwischen ökonomisierten Managementvorgaben und biologistischen Wirkversprechen stellt. Mehrfach unterstreicht Hoyt, wie wichtig es sei, dass wir unsere Erinnerung an die positiven Gründe wach halten, weswegen wir in diesen Beruf gegangen sind, und macht dennoch keinen Hehl daraus, dass dies nicht immer leicht sei. Im Übrigen gibt Hoyt wieder einmal zu erkennen, wie viel Potenzial darin steckt, die Kundigkeit der Hilfesuchenden selbst anzunehmen und entsprechend zu handeln. Das Interview illustriert aufs Beste, was die vielleicht schon etwas abgegriffene Floskel „über den Tellerrand schauen“ tatsächlich meinen könnte. Zum Gespräch von Victor Yalom mit Michael Hoyt geht es hier…
Friday, April 9. 2010
Dass Therapie (wie auch Beratung oder andere Hilfen) nicht im luftleeren Raum stattfinden ist eine Binsenweisheit. Spätestens seit Michael Lamberts berühmtem Verteilungskuchen gilt die herausragende Bedeutung von KlientInnen- und Beziehungsvariablen für den Erfolg von Therapien als Richtschnur. Die Plausibilität solcher Ergebnisse sollte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass mit ihnen auch eine Vertrauensfrage im Spiel ist. Vieles von dem, was in solchen Studien publiziert wird, dürfte für PraktikerInnen augenscheinlich und stimmig sein, sie finden sich darin wieder. Wie solche Studien zu ihren Ergebnissen kommen, dürfte PraktikerInnen jedoch meist nicht wirklich interessant erscheinen. Muss es im Effekt wohl auch nicht, doch könnte das eine – wenn vermutlich auch ungewollte – Tendenz unterstützen, die aus Forschungsdaten gewonnenen Interpretationen mit objektiven Gegebenheiten zu verwechseln. Das wäre normal – statistisch gesehen. Dennoch besteht die Möglichkeit, sich zu informieren. Ein gutes Beispiel dafür bietet eine Dissertation von Markus Zillgens (2009) zum „ Einfluss emotionaler Unterstützung in Beziehungen und deren Fluktuation auf den Erfolg einer Psychotherapie“, an der Medizinischen Fakultät der TH Aachen unter der Betreuung von G. Schiepek und E. Petzold erstellt. Die Arbeit untersucht die Gültigkeit einiger aus der Synergetik abgeleiteter Hypothesen für die Psychotherapie. Die Identifikation von Rahmenbedingungen, die für einen Therapieerfolg von Bedeutung sind, ist dabei das Kernmotiv. In verschiedenen Varianten untersucht Zillgens nun, in welcher Weise das Erleben von wahrgenommener sozialer Unterstützung zum Erfolg von Psychotherapien beiträgt. Während die dabei geleistete differenzierte Erörterung spezifischer forscherischer und statistischer Fragen für PraktikerInnen tatsächlich nicht übermäßig anschlussfähig wirken dürfte, ergeben sich zwischendurch immer wieder interessante Gesichtspunkte, auch solche, mit denen man nicht gerechnet hätte. Allgemein, so Zillgens, „konnte gezeigt werden, dass emotionale Unterstützung in Beziehungen zu erfolgreicheren Therapien führt“. Des Weiteren heißt es: „Emotionale Unterstützung in Beziehungen während einer Phase kritischer Instabilität bedingt hohen Therapieerfolg. Gering ausgeprägte soziale Ressourcen als Ausdruck ungünstiger Rahmenbedingungen gehen mit einer weniger erfolgreichen Therapie einher“. In der Zusammenschau „unterstreichen [die ermittelten Daten] wieder die herausragende Bedeutung der Patient-Therapeuten-Beziehung“. Andererseits scheint es jedoch so zu sein, dass „die wahrgenommene emotionale Unterstützung in Beziehungen für einen positiven Ausgang einer Krise nicht speziell zur Zeit einer kritischen Instabilität hoch sein muss, sondern eher im Mittel. Letztlich relativiert dieser Schluss die Forderung, in Zeiten kritischer Instabilität konzentriert Unterstützung anzubieten“ – spricht andersherum aber auch für die Notwendigkeit, über einen als signifikant erlebten Zeitraum als unterstützend wahrgenommen zu werden. Wie auch immer, deutlich wird auch, dass therapeutische Maßnahmen stets kontextspezifische Überlegungen einbeziehen sollten, denn, so ein Ergebnis, „bei schlechten Rahmenbedingungen [können] Destabilisierungen in einigen Fällen auch kontraproduktiv sein“. Dies wäre dann etwas, was PraktikerInnen auch aus eigenem Augenschein vertraut ist – schön dass private und forscherische Empirie hier wie von selbst zusammenkommen. Die Dissertation von M. Zillgens lässt sich hier im Volltext lesen.
Thursday, November 5. 2009
 Im Jahr 2006 veröffentlichte das Online Journal PLoS MEDICINE der Public Library of Science eine Sammlung von Artikeln zum „Disease Mongering“. Das engl. „Mongering“ kann übersetzt werden mit: „Handeln, Schachern und dabei einschüchtern“. Die publizierten Beiträge lassen an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Beschrieben und diskutiert werden vielfältige Versuche und Strategien, den Krankheitsbegriff verkaufsfördernd auszuweiten und auf der Basis entsprechend hervorgerufener Ängste die Nachfrage nach Hilfen zu maximieren. In ihrem Beitrag “Female Sexual Dysfunction: A Case Study of Disease Mongering and Activist Resistance” zitiert L. Tiefer ein von Lynn Payer herausgearbeitetes Muster des Disease Mongering: - eine normale Funktion so beschreiben, dass es klingt als sei etwas nicht in Ordnung und sollte behandelt werden
- ein Leiden andichten, das nicht notwendig vorhanden ist,
- einen Anteil der Bevölkerung so groß wie möglich definieren, der an der „Störung“ leide,
- eine körperliche Verfassung als Störung im Sinne eines Defizits definieren oder als hormonelles Ungleichgewicht,
- die richtigen Leute finden, die das streuen und pushen („spin doctors”),
- die dazugehörigen Themen spezifisch rahmen,
- selektiver Gebrauch von Statistiken, um den Nutzen der Behandlung aufzubauschen,
- in die Irre führen (“Using the wrong end point”),
- Technologie als risikofreie Magie promoten,
- ein normales Symptom, das alles und nichts bedeuten kann, so darstellen, dass es wie ein Anzeichen einer ernsthaften Erkrankung wirkt.
Typische Beispiele für Disease Mongering finden sich etwa im Versuch, „Schüchternheit“ zu einer „Sozialphobie“ umzudefinieren, „Trauer“ zu „Depression“ zu machen oder „gelegentliche Lustlosigkeit“ zur „Female Sexual Dysfunction" aufzubauschen. Als weiteres Beispiel werden bipolare Störungen aufgelistet: Im DSM seit 1980 geführt, erhöhte sich durch Erweiterungen der Krankheitskriterien die Zahl der Betroffenen von 0,1 auf fünf Prozent (vgl. den Beitrag von Healy in der aufgeführten Aufsatzsammlung). Zur Startseite der Aufsatzsammlung der PLoS geht es hier. Einen informativen Überblick zum Thema verschafft auch ein Beitrag von Sepp Hasslberger: Disease Mongering: Corporations Create New 'Illnesses'“.
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