Thursday, May 31. 2012
 Heute vor 75 Jahren kam Heinz Kersting in Aachen zur Welt. Nach einem Studium der Philosophie in Frankfurt (1958–1960) und der katholischen Theologie in Frankfurt, Bonn und Innsbruck (1961–1964) machte er eine Ausbildungen in Social Group Work (1989–1970) und in Supervision, studierte Sozio-Linguistik, Erziehungswissenschaft und Soziologie an der RWTH-Aachen und promovierte in Erziehungswissenschaften bei Horst Sitta und Louis Lowy über die Kommunikationstheorie der Palo-Alto-Schule. Seit 1970 arbeitete er als Hochschullehrer, ab 1981 als Professor für Didaktik und Methodik der Sozialen Arbeit an der Hochschule Niederrhein in Mönchengladbach. 1985 gründete er das Instituts für Beratung und Supervision (IBS) in Aachen und leitete es als Wissenschaftlicher Direktor ebenso wie den Wissenschaftlichen Verlages des IBS. Er gehört zu den Wegbereitern der systemischen Supervision in Deutschland und war Mitbegründer und Gründungsvorsitzender (1989–1991) der Deutschen Gesellschaft für Supervision (DGSv), später deren Ehrenvorsitzender. Als Mitglied der Systemischen Gesellschaft arbeitete er im Supervisionsausschuss der SG mit, dessen Vorsitzender er zeitweise war. In seinem wissenschaftlichen Verlag sind zahlreiche Bücher zur systemischen Supervision und Gruppenarbeit erschienen. Der Volltext des Bandes "Irritation als Plan - Konstruktivistische Einredungen", den er gemeinsam mit Theodor M. Bardmann, Hans-Christoph Vogel und Bernd Woltmann 1991 veröffentlichte, ist auf der ibs-website nachzulesen: "Heinz Kersting befasst sich im letzten Teil dieses Bandes in seinem Beitrag "Intervention – die Störung unbrauchbarer Wirklichkeiten", mit Vorgehensweisen, deren sich Planer und Berater bedienen können, um psychische oder soziale Systeme in ihrer Autopoiese unbrauchbarer Wirklichkeiten zu stören. Selbstreferentiell arbeitende Systeme lassen sich durch Interventionen nicht instruktiv verändern, sondern allenfalls in ihrer Wirklichkeitskonstruktion irritieren. Der konstruktivistische Interventionist greift dazu gerne die Geschichten seiner Ratsuchenden auf, hört sie auf seine Art (selbstbezüglich) an und konfrontiert diese mit seiner veränderten Version der "alten" Geschichte. Er beobachtet und beschreibt, was sein Gegenüber mit dieser Geschichte macht: das ist die Geschichte, die sich der Berater selbst schreiben muss und die er dann "Intervention" nennt." Zum Volltext…
Wednesday, May 30. 2012
Von Alexander Korittko erreichte uns folgende Nachricht: "Am 23.5.2012 verstarb Prof. Dr. Martin Kirschenbaum in Orinda, Californien, im Alter von 83 Jahren. Martin Kirschenbaum war einer der ersten Familientherapie-Ausbilder im deutschsprachigen Raum. Er war ein Schüler Virginia Satirs und entwickelte die Systemisch-Integrative Paar- und Familientherapie. Er war Gründer und Leiter der California Graduate School in San Rafael, California. Zwischen 1975 und 2004 leitete er, zunächst zusammen mit Dr. Carole Gammer und Dr. George Downing, Weiterbildungsgänge in München, Berlin, Hamburg, Wiesbaden und in der Schweiz. In den letzten Jahren unterrichtete er zusammen mit seiner Frau Dr. Inger Kirschenbaum. Alle, die Martin Kirschenbaum kennen lernen durften, werden seinen kreativen, warmherzigen und authentischen Stil in Therapie-Sitzungen und seine humorvolle und zugewandte Art in persönlichen Begegnungen gerne in Erinnerung behalten". Die undogmatische Art von Martin Kirschenbaum kommt auch in einem sehr schönen Gespräch zum Ausdruck, das er 1993 mit Angelika Faas und Thomas Krauß für das "Journal für Psychologie" führte. Zum vollständigen Text…
Tuesday, May 29. 2012
 Heiko Kleve, Professor für Soziologische und sozialpsychologische Grundlagen sowie Fachwissenschaft der Sozialen Arbeit an der Fachhochschule Potsdam, hat mit seinem Kollegen Frank Früchtel (Foto: FH Potsdam), an der FH für die Lehre von Ethik, Theorie und Methoden der Sozialen Arbeit zuständig, ein Gespräch über die Wirkfaktoren erfolgreicher Sozialer Arbeit gesprochen. Das Gespräch ist im Sozialmagazin 1/2011 erschienen und nun auch online zugänglich.  In der Einleitung heißt es: "Wirkung ist seit geraumer Zeit Thema sozialarbeiterischer Reflexionen. Immer nachdrücklicher wird gefragt und aufwendig gemessen, ob und wie „nachhaltig“ Interventionen wirken. Dazu gibt es inzwischen groß angelegte Forschungsprojekte (z.B. www.wirkungsorientierte-jugendhilfe.de). Aber wie können wir uns das Konstrukt „Wirkung“ in der Praxis, die von hoher Komplexität gekennzeichnet ist, überhaupt vorstellen? Das ist die Frage unseres Beitrages, dessen Dialogform unseren Thesen entspricht, verstehen wir doch Wirksamkeit als etwas evolutionär Dialogisches – als etwas, das nicht einseitig und technologisch, sondern nur durch kommunikative Wechselwirkungen und gekonnte Variationen vollbracht werden kann." Zum vollständigen Text…
Monday, May 28. 2012
 Als Jürgen Kriz kürzlich auf dem Heidelberger Kongress "Wie kommt Neues in die Welt?" äußerte, dass das in diesem Frühling bei V&R erschienene Buch des Schweizer Systemtherapeuten Martin Rufer "Erfasse komplex, handle einfach. Systemische Psychotherapie als Praxis der Selbstorganisation" zu den besten Büchern gehöre, die er seit langem gelesen habe, waren die 60 Exemplare, die am Kongressbüchertisch vorrätig waren, schnell vergriffen. In der Tat bietet dieses Buch etwas, das in der Systemischen Therapie nur wenig vorkommt, nämlich eine Kasuistik, die sich nicht in kurzen Fallvignetten oder in der Darstellung toller Interventionen erschöpft, sondern theoriegestützt das therapeutische Handeln im therapeutischen Prozess rekonstruiert. Nachdem bereits ein Vorabdruck im systemagazin erschienen ist, folgt nun eine Rezension von Andreas Manteufel. Auch er ist voll des Lobes: "Das ist ähnlich der wöchentlichen Taktik-Exegese im „ZDF-Sportstudio“, der sogenannten „3-D-Analyse“. Hierbei werden in Filmausschnitten von Fußball-Bundesliga-Begegnungen wie durch Zauberhand Ball und Spieler über den Bildschirm geschoben, verpasste Laufwege und Zuspiele simuliert und ständig der Blickwinkel des Zuschauers verändert, um zu beweisen, was die eine Mannschaft und ihr Trainer richtig, die anderen falsch gemacht haben. Auch hier gilt: Wenn man weiß, wie die Spielszene und das ganze Spiel ausgegangen sind, fällt es leicht, alles als richtig, oder eben auch als falsch zu bewerten. Dass die Dinge immer auch anders hätten laufen können, auch das ist ein vielbeschworener Gedanke, der im systemischen Diskurs als „Kontingenz“ behandelt wird. So bescheiden und differenziert, wie Rufer schreibt, kommt allerdings nie der Verdacht auf, er wolle uns irgendetwas als „beste“ oder „notwendige“ therapeutische Praxis verkaufen." Zur vollständigen Rezension…
Saturday, May 26. 2012
 Heute feiert Michael Wirsching, der am 26.05.1947 in Berlin zur Welt kam, seinen 65. Geburtstag. Sein Studium der Medizin führte ihn nach Heidelberg, wo er nach Helm Stierlins Rückkehr aus den USA 1974 dessen erster Assistent und bald Oberarzt wurde. Gemeinsam mit Gunthard Weber, der als Assistent dazustieß, organisierte Michael Wirsching erste Weiterbildungen mit der Mailänder Gruppe und trug wie die gesamte in dieser Zeit entstehende "Heidelberger Gruppe" maßgeblich zur Verbreitung der Familientherapie in Deutschland bei. Parallel absolvierte er eine Ausbildung als Psychoanalytiker, blieb der systemischen Entwicklung aber immer verbunden. Nach einem Zwischenspiel an der Universität Gießen übernahm Michael Wirsching 1986 nach der Emeritierung von Johannes Cremerius dessen Lehrstuhl und ist seitdem Leiter der Abteilung Psychosomatik und Psychotherapapeutische Medizin des Universitätsklinikums Freiburg. Aus der ersten Generation der Familientherapeuten und Systemiker in Deutschland ist er damit der Einzige, der überhaupt eine C4-Professur erhalten hat. In Freiburg war er 1992 Mitbegründer des Freiburger Familientherapeutischen Arbeitskreises FFAK, der seitdem Ausbildung in systemischer Therapie anbietet und im Herbst 2012 die Jahrestagung der DGSF ausrichten wird. Neben den zahlreichen Weiterbildungsaktivitäten im In- und Ausland engagierte er sich von Anfang an in der Deutschen Arbeitsgemeinschaft für Familientherapie, von 1988 bis 1999 auch im Vorstand, davon die ersten fünf Jahre als erster Vorsitzender. systemagazin gratuliert ganz herzlich zum 65. Geburtstag und wünscht noch viele erfüllte Schaffensjahre!
Friday, May 25. 2012
 Revital Ludewig-Kedmi (Foto: www.tamach.org) ist Psychologin und Familientherapeutin, die ihre Ausbildung in Deutschland gemacht hat, aber schon seit langem in der Schweiz lebt und arbeitet. Sie ist vor allem durch ihre Forschung mit Holocaust-Überlebenden und deren Kindern bekannt geworden und gehört zu den Mitbegründerinnen der Psychosozialen Beratungsstelle für Holocaust-Überlebende und ihre Angehörigen "Tamach" in der Schweiz. Zu den vielen lesenswerten Veröffentlichungen gehört auch ein Artikel "Bewältigungsstrategien einer Holocaust-Familie", den sie 1997 in systhema veröffentlicht hat, und in dem es um die unterschiedlichen sowie die gemeinsamen Bewältigungsmöglichkeiten traumatischer Erfahrungen von Holocaust-Überlebenden und ihren Partnern und Kindern geht. Als Vorteil des systemischen Ansatzes für die therapeutische Arbeit mit Holocaust-Familien sieht sie dabei "die Berücksichtigung des Gesamtsystems sowie der Komplexität von Phänomenen. Im Zentrum des systemischen Ansatzes steht die Ablehnung des linear-kausalen Denkens. D.h. die traumatischen Holocaust-Erfahrungen führen nicht zu einer einzigen möglichen psychischen Reaktion („Überlebenden-Syndrom“). Vielmehr existiert eine Vielfalt von individuellen und familiären Reaktionen, die sich wechselseitig beeinflussen. Das Individuum als ein Teil des Gesamtsystems wird vom System beeinflusst und beeinflusst das System selbst. Ich gehe davon aus, dass die individuellen Bewältigungsstrategien der Familienmitglieder aus der ersten und zweiten Generation das gesamte Familienleben beeinflussen. Umgekehrt beeinflusst auch die Familiendynamik die individuellen Bewältigungsstrategien der einzelnen Familienmitglieder hinsichtlich der Shoah. Um diese vielfältigen Bewältigungsstrategien und Ressourcen erfassen zu können, soll man den Überlebenden Raum geben, um ihre Lebensgeschichte – vor, während und nach der Verfolgungszeit – zu erzählen, anstatt sich ausschließlich auf die Symptome zu konzentrieren." Zum vollständigen Text…
Wednesday, May 23. 2012
 Die Systemische Gesellschaft (SG) schreibt im Wechsel mit der Deutschen Gesellschaft für Systemische Therapie, Beratung und Familientherapie (DGSF) einen wissenschaftlichen Förderpreis aus. Mit dem Förderpreis leistet die Systemische Gesellschaft einen Beitrag, Systemische Therapie, Beratung, Supervision und Coaching interdisziplinär weiter zu entwickeln und dieses Anliegen fachöffentlich und gesellschaftspolitisch zu fördern. Der Preis ist bewusst als Förderpreis konzipiert. Vor allem jüngere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind angesprochen. Die Ausschreibung verfolgt das Ziel, die Relevanz Systemischen Denkens für die therapeutische und beraterische Praxis zu verdeutlichen und die Forschung in diesem Bereich anzuregen. Ausgezeichnet werden eine Diplomarbeit, Dissertation, Habilitation oder ein anderes (auch außeruniversitäres) Projekt, - das empirische Forschungsdesigns entwickelt,
- das eine mit Systemischen Modellen kompatible und innovative Methodik aufweist und
- das sich auf praxisrelevante Bereiche aus der Therapie, Gesundheitsversorgung, Supervision, Beratung und auf institutionelle Innovationsprozesse bezieht.
Der wissenschaftliche Förderpreis ist mit 3.000,- Euro dotiert. Ein unabhängiges fünfköpfiges Gutachtergremium entscheidet über die Vergabe des Preises. Die Preisvergabe erfolgt im Rahmen der SG-Mitgliederversammlung im April 2013 in Berlin. Bitte reichen Sie Ihre Arbeit bis zum 14. Dezember 2012 in dreifacher Ausführung ein an: Systemische Gesellschaft e.V. "Wissenschaftlicher Förderpreis" Brandenburgische Straße 22, D-10707 Berlin fon: +49-30-53 69 85 04 fax: +49-30-53 69 85 05 mail: info@systemische-gesellschaft.de www: http://www.systemische-gesellschaft.de
Tuesday, May 22. 2012
 Die Beschäftigung mit komplexen Systemen hat nicht nur Komplexität zum Gegenstand, sondern lässt sich angesichts der digitalen Datenflut, die das Internet in Hinblick auf (fast) jede relevante Fragestellung bietet, selbst als komplexes System verstehen. Wie kann man mit solchen Datenmengen nicht nur als Konsument, sondern auch als Forscher auf sinnvolle Weise umgehen? Wie kann diese Reduktion auf sinnvolle Weise reduziert werden? Wie kann die Datenmenge, aber auch die Milliarden von inhaltsbezogenen Online-Interaktionen, die täglich stattfinden, auf eine Weise untersucht werden, die selbst wieder Aufschluss über die dem zugrundeliegenden inhaltlichen Prozesse geben können? Welche empirischen Gesetzmäßigkeiten und welche grundlegenden Theoriekonzepte lassen sich in diesem Zusammenhang entwickeln? Mit diesen Fragestellungen beschäftigt sich ein neues Online-Journal, das als SpringerOpen Journal unter Open Access Bedingungen ab sofort verfügbar ist. Versprochen wird: "All articles published by EPJ Data Science are made freely and permanently accessible online immediately upon publication, without subscription charges or registration barriers." Allerdings sollen die Autoren bzw. die hinter ihnen stehenden Forschungsinstitute dann eine ordentliche Gebühr für einen veröffentlichten Artikel berappen. Im Editorial der Schriftleiter Frank Schweitzer (ETH Zürich) und Alessandro Vespignani (Northeastern University, USA) heißt es: "The idea to launch a new journal, EPJ Data Science, was formed exactly around the challenge of tackling massive amounts of data in a scientific manner, by exploring its engineering but even more so its conceptual challenges. Accordingly, the journal’s scope goes well beyond technical issues of gathering data from “sensors” or programming issues of data crawlers. It also goes beyond the classical statistical analysis. Our focus here is on identifying new empirical laws emerging from massive data sets and the “How?” question, i.e. on conceptually new scientific methods for analyzing and synthesizing these laws. We want to recognize the picture that is hidden in these mas- sive data streams, to predict its occurrence in a statistical sense, and to control it. But we also want to go further, to the “Why?” question, by linking these findings to theoretical concepts in a broader sense, to understand their origin and their impact. Going for the latter implies more than plotting data the right way, fitting curves, or mapping regularities to known dynamics. New concepts need to be established - notably about social systems - that support and contain these findings, models of basic social interactions need to be developed to predict a certain outcome on the system level, and we have to pay attention to those empirical findings that do not nicely fit with established theories." Die erste Ausgabe des Journal ist hier zu finden…
Monday, May 21. 2012
 Ein buntes Potpourrie an Beiträgen ist im aktuellen Heft der systhema versammelt. Zwei der Beiträge gehen der Frage nach, wie Luhmanns abstrakte Theorie für systemische Praktiker fruchtbar gemacht werden kann, weitere Beiträge beschäftigen sich mit Macht, Theologie und Seelsorge, systemischem Arbeiten im Gefängnis, Geschwisterbeziehungen und anderem mehr. Zu den vollständigen abstracts…
Friday, May 18. 2012
 Gestern startete in Heidelberg bei bestem Wetter und freundlicher Atmosphäre der Kongress "Wie kommt Neues in die Welt? ...systemisch weiter denken!". Im Gegensatz zu früheren systemischen Großveranstaltungen war die Stadthalle leider nicht sehr voll. In den drei Eröffnungsvorträgen kamen der Philosoph Thomas Macho, Altmeister Gottlieb Guntern und der Philosoph und Soziologe Oskar Negt zu Wort. Macho setzte sich anhand vieler schöner Literaturzitate mit der Idee auseinander, dass Kreativität immer auch mit Zerstörung des Alten einhergehe, die sich aus der Genieästethik ableiten lässt, und stellte die Frage in den Raum, ob man diesen Zusammenhang nicht zukünftig aufgeben sollte... G. Guntern wies daraufhin, dass man bei der Schaffung des Neuen erst einmal das Alte verstanden haben sollte und vergaß auch nicht, auf seine eigenen Beiträge zum systemischen Diskurs in den 70er Jahren hinzuweisen. Oskar Negt berührte das Publikum mit einer sehr emotionalen politischen Rede - und erinnerte in Hinblick auf das Tagungsthema an eine schöne Anekdote um den Philosophen und Mathematiker Leibniz. Dieser wurde auf dem Weg zum König von diesem schon ungeduldig mit den Worten erwartet: "Leibniz, was hat er Neues zu berichten?", worauf Leibniz geantwortet haben soll: "Aber wissen Majestät denn schon alles Alte?"...
Ein schöner und anregender Auftakt!
Wednesday, May 16. 2012
  Nachdem am vergangenen Donnerstag die eindringliche Rezension von Michael B. Buchholz über ein englischsprachiges Buch zur Beteiligung von Psychologen an US-amerikanischen Folterprogrammen im systemagazin erschienen ist, hat mich Wolfgang Loth auf einen Text des Kieler Wahrnehmungspsychologen Rainer Mausfeld (Foto: UNi Regensburg) mit dem Titel " Foltern für das Vaterland. Über die Beiträge der Psychologie zur Entwicklung von Techniken der ‚weißen Folter’" aufmerksam gemacht, der als Ergänzung gelesen werden kann. Ein weiterer Text von Mausfeld ist in der Psychologischen Rundschau 2009 erschienen, der sich noch einmal speziell mit der Beteiligung der American Psychological Association an Folterprogrammen auseinandersetzt: " Psychologie, 'weiße Folter' und die Verantwortlichkeit von Wissenschaftlern": "Die Techniken psychischer Folter, wie sie in den 'innovativen Verhörtechniken' zum Ausdruck kommen, wurden konzipiert, um das absolute Folterverbot des internationalen Rechts zu unterlaufen. Dies kann nur in dem Maße erfolgreich sein, wie es gelingt, juristisch den Folterbegriff auf intentional zugefügte schwerste Schmerzen zu reduzieren. Mit einer solchen Neudefinition, wie sie vom Justizministerium der Bush-Regierung versucht wurde, wird jedoch das bestimmende Merkmal von Folter verdeckt. Sowohl physische wie auch psychische Folter lassen sich nicht allein von der konkreten Ebene der Schwere der physischen oder psychischen Schmerzen her erfassen, die eine Person einer anderen zufügt. Der Schlüssel zur Erfassung von Folter liegt vielmehr in der Art der durch sie hergestellten interpersonalen Situation. In ihr erfährt sich der Gefolterte als ein vollständig rechtloses Objekt. Der mit einer solchen Situation verbundene vollständige Kontrollverlust und das grenzenlose Ausgeliefertsein eines Menschen an einen anderen stellt die höchste Steigerungsform des Totalitären dar. Daher wird im internationalen Recht die mit der Folter herbeigeführte Totalinstrumentalisierung einer Person zu einem Mittel des Staates als eine der schwersten Verletzungen der Würde und Autonomie des Menschen angesehen. Nur auf der Basis eines solchen Verständnisses wird die Absolutheit des Folterverbotes verständlich und die sich in ihm ausdrückende Auffassung, dass Folter und Rechtsstaat sich ausschließen."
Tuesday, May 15. 2012
 Heute vor fünf Jahren ist Tom Andersen, einer der wichtigen Pioniere der Systemischen Therapie, beim Klettern an der Küste tödlich verunglückt. John Shotter, mittlerweile Emeritus Professor of Communication in the Department of Communication, University of New Hampshire und bekannter Autor im sozialkonstruktionistischen Spektrum, hat 2007 auf der 12. Internationalen Konferenz zur Behandlung von Psychosen in Palanga (Litauen) einen wunderbaren Vortrag im Andenken an Tom Andersen ("Not to forget Tom Andersen’s way of being Tom Andersen: the importance of what ‘just happens’ to us") gehalten, der in der Zeitschrift Human Systems erschienen ist: "It is easy to think that tom Andersen’s central contribution was the introduction into psychotherapy and family therapy of the “reflecting team” – later to be developed into “reflecting processes.” But Tom thought of himself as “a wanderer and worrier” – he was constantly reflecting on his own practice, on his way of ‘going on’, to further develop and refine it, and then continuing further to worry about the right words in which to express what seemed to be his new way. Each new way came to him as he reached a ‘crossroads’, a moment when he could no longer continue in the same way, a moment when he stopped doing something he came to see as ethically wrong. In these special moments, he found that “alternatives popped up almost by themselves” (Anderson and Jensen, 2007, p.159) – a special phenomenon in itself, as we shall see. There are thus many, many more features to tom’s way of therapy than just his use of the reflecting process. Central to Tom’s way of being in the world was what came to him as he moved around in the world, as a participant in it rather than an observer of it. Thus below I will try to set out many of the small detailed changes Tom made in his way-of- being-with those around him in his meetings with them, and the large changes these small changes led to. These changes matter to us all. Thus we must do more than merely commemorate his achievements, we must work out how not to forget them, ever." Der Text ist auch online zu lesen, und zwar hier…
Sunday, May 13. 2012
 Das aktuelle Heft der Zeitschrift "Psychotherapie im Dialog" beschäftigt sich mit dem Thema Diagnostik und Evaluation. Ein wunderbares Thema, über das man die unterschiedlichen Therapieschulen und -Praktiken mitsamt ihren jeweiligen wissenschaftlichen Orientierungen miteinander in einen Dialog bringen könnte, ganz abgesehen davon, dass es auch an soziologischen sowie wissenschaftstheoretischen bzw. -historischen Diskursen zum Thema Diagnostik keineswegs mangelt. Gerade angesichts der heftigen Auseinandersetzungen um die Erstellung des DSM-V, die momentan im Gange ist (und verdeutlicht, dass es hier keineswegs nur um Fragen der Operationalisierung forschungsrelevanter Daten geht, sondern auch um handfeste Interessen der unterschiedlichsten Akteure), öffnet man gespannt das neue Heft in der Hoffnung, dass der Aspekt des psychotherapeutischen Dialogs nach einer erschlafften Phase vorwiegend symptomorientierter Informationssammlung in der Zeitschrift mal wieder etwas befeuert wird. Das Editorial "Diagnostik und Evaluation - zähneknirschend oder neugierig?" setzt auch dementsprechend ein Fragezeichen, das aber schon im Eröffnungsbeitrag von Jürgen Hoyer durch ein nachhaltiges Ausrufungszeichen ersetzt wird: "Psychotherapie braucht strukturierte Diagnostik!". Und damit ist der Tenor des Heftes auch schon vorgegeben. Diskussion von Theorie und Praxis der Diagnostik, von quantitativen vs. qualitativen Ansätzen, von gesellschaftlichem Stellenwert der Konstruktion von diagnostischen Kategorien (und ihren Konsequenzen): Fehlanzeige. Da passt es auch hinein, dass entgegen der normalen PiD-Praxis dieses Heft keinen Beitrag eines ausgewiesenen Systemikers aufweist. Ob das nicht vorgesehen war, oder ob alle angefragten Systemiker sich zu diesem Thema lieber nicht äußern wollten, ist dem Heft nicht zu entnehmen. Der diskussionsinteressierte Leser muss sich daher angesichts der angebotenen mainstream-Engführung an anderen Quellen orientieren. Immerhin ist der Verlag auch diesmal seiner Linie treu geblieben, die Literaturangaben von Beiträgen aus der Print-Version herauszunehmen und nur im Internet unter verwirrenden Dateinamen zu veröffentlichen (diesmal trifft es fünf Texte). Dafür sind auf der website mit den Inhaltsangaben auch nicht alle Seitenzahlen korrekt. Zu den vollständigen abstracts…
Thursday, May 10. 2012
 Im vergangenen Jahr hat Michael B. Buchholz im Rahmen seiner regelmäßigen "Psychonewsletter" auf ein Buch aufmerksam gemacht, dass sich mit der Rolle von Psychotherapeuten und Psychoanalytikern im Umgang mit Krieg und Folter beschäftigt. Offenbar ist dabei noch nicht ausgemacht, auf wessen Seite sie stehen. Die Herausgeber fassen ihr Konzept folgendermaßen zusammen: "We look first at the history and contemporary work on the injuries and repair of soldiers. We look then at the use of psychoanalysis in the service of warmaking and torture, the demonic side. We take up, in a third section, the use of psychoanalysis as a deconstructive tool for understanding warmaking and militarism. Finally, we address, from a sociohistorical, political, as well as a psychoanalytic perspective, the question of resistance." Allerdings sollte außer Frage stehen, dass dies keinesfalls ein Thema ist, dass nur Psychoanalytiker beträfe - ganz im Gegenteil. Der Titel "First Do No Harm" spielt auf den Grundsatz jeden ärztlichen Handelns an, bei der eigenen Arbeit der Leitmaxime zu folgen, niemandem Schaden zuzufügen. In der Ära von George W. Bush ist in den USA die Folter von Häftlingen in Guatanamo und anderenorts als legitimes Mittel im Kampf gegen den Terrorismus salonfähig geworden. Wie längst bekannt ist, sind Ärzte und Psychologen aktiv an der Ausarbeitung von Verhörprogrammen beschäftigt gewesen, die man nicht anders als Folter bezeichnen kann. Erstaunlich, dass diese Tatsache weltweit nur ein sehr verhaltenes Echo in Fachkreisen gefunden hat. Im vorliegenden Buch wird u.a. die Beteiligung der American Psychological Association an diesen Programmen (und der Versuch ihrer Vertuschung) rekonstriert. "Die Conclusio lautet: APA-Psychologen waren im Dienst der Bush-Administration; sie wussten, dass ihre Tätigkeiten gegen Ethik-Konventionen verstießen, weshalb sie es zu vertuschen versuchten und hohe APA-Funktionäre sorgten dafür, dass es keinen Zusammenprall zwischen solcher Tätigkeit und der offiziellen APA-Politik gab." Mit freundlicher Erlaubnis von Michael B. Buchholz präsentiert systemagazin einen Auszug aus seinem Newsletter, der dieses Buch betrifft. Zur ausführlichen Rezension…
Wednesday, May 9. 2012
Einen kurzen Überblick über die Entwicklung systemisch-konstruktivistischen Denkens von Ludwig von Bertalanffy bis hin zu Heinz von Foerster gibt Sarah B. Jutoran in ihrem online 2005 veröffentlichten Paper "The Process From Observed Systems to Observing Systems". Im abstract schreibt sie: "In the present paper I intend to describe some of the founding systemic cybernetic ideas starting from the second half of the XXth century up to the present. I have therefore limited the focus to what I consider the more representative concepts of General Systems Theory, Communication Theory and Cybernetics, plus the important contributions of renowned scientists such as Gregory Bateson, Heinz von Foerster and Humberto Maturana, who, I consider, constitute the spine of systemic-cybernetic thinking." Zum vollständigen Text…
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