Monday, April 26. 2010
Mit der Frage nach der praktischen Umsetzung systemtheoretischer Konzepte in die Arbeit der Kinder- und Jugendhilfe, ohne dass das Wort "systemisch" zu einem "leeren Modewort degeneriert", beschäftigt sich die Dissertation von Andrea Barth: "Die Frage nach dem Verhältnis von Theorie und Praxis stellt den Leitgedanken der vorlie- genden Arbeit dar. Auf der Grundlage von hermeneutisch-qualitativen Forschungsmethoden werden die Möglichkeiten sowie die Grenzen der praktischen Umsetzung systemtheoretischer Denkmodelle untersucht. Im ersten Teil der Arbeit werden die aus unserer postmodernen Gesellschaft resultierenden Bedingungen und die damit verbundenen neuen Anforderungen an die Pädagogik dargelegt. Im Mittelpunkt der Betrachtung steht hierbei die Modernisierung der Kinder- und Jugendhilfe. Ausgehend von den Maximen einer modernen Pädagogik, stellen systemtheoretische Ansätze aufgrund ihres komplexen und innovativen Charakters eine gewinnversprechende Möglichkeit dar, auf die veränderten Anforderungen adäquat zu reagieren. Die Inhalte systemischen Denkens werden mit Hilfe dreier theoretischer Ansätze herausgearbeitet. Dazu gehören die Systemtheorie nach Luhmann und die beiden ökosystemischen Ansätze in der Tradition nach Bronfenbrenner und Bateson. Inwiefern diese wissenschaftlichen Objektivationen in der Praxis pädagogischer Institutionen zu verwirklichen sind, ist Inhalt der beiden Fallanalysen, die den zweiten Teil der Arbeit bilden. Die Untersuchung zweier Felder der Kinder- und Jugendhilfe der Rummelsberger Anstalten bietet die empirische Grundlage für Aussagen über den Theorie-Praxis-Zusammenhang. Beleuchtet werden zum einen eine teilstationäre und zum anderen eine stationäre Einrichtung. In beiden Bereichen wurde mit analogen Forschungsmethoden Einzelfallstudien durchgeführt. Das Hauptaugenmerk ist dabei jeweils auf die Vernetzung der einzelnen, an der Erziehung eines Kindes beteiligten Systeme gerichtet. Eine vergleichende Darstellung der beiden Fallstudien lässt Rückschlüsse auf die in den Einrichtungen konzeptionell verankerten sowie tatsächlich praktizierten Prinzipien systemischen Denkens zu. Im Schlussteil wird herausgearbeitet, dass sich systemtheoretische Ansätze in Bezug auf institutionelle Fragen als sehr fruchtbar erweisen, in ihrer praktischen Umsetzung jedoch die Gefahr bergen, dass der Terminus „systemisch“ zum leeren Modewort degeneriert. Die Grenzen werden vor allem aus einer handlungs- und kulturtheoretischen Perspektive ersichtlich. Daher wird der Impuls gegeben, diese drei wissenschaftlichen Ansätze in einem Denkmodell zu vereinen, um auf diese Weise sowohl für die wissenschaftliche als auch für die praktische Pädagogik einen Gewinn zu erzielen." Den vollen Text der Dissertation können Sie hier lesen…
Thursday, April 22. 2010
 In der Zeitschrift "Organisationsentwicklung" hat Dirk Baecker 2005 einen Aufsatz veröffentlicht, in dem er über Form und Medium der Führung in Organisationen schreibt und die Verbindung zu neueren netzwerktheoretischen Ansätzen knüpft. Das Manuskript dieses Beitrages ist im Internet veröffentlicht: "Der Knoten, den die Führung einer Organisation zugleich schnüren und lösen muss, besteht darin, dass die externen Sachverhalte, auf die sie intern verweisen muss, um interne Anschlussfragen der Entscheidungs- und Strategiefragen zu klären, immer schon intern konstruierte Sachverhalte sind. Hinzu kommt, dass die interne Konstruktion der externen Sachverhalte sich nur in der Auseinandersetzung mit der Umwelt der Organisation bewähren kann, ohne dass man je wüsste, ob man diese Umwelt zutreffend beschrieben hat und ob das, was sich bewährt, irgendetwas mit den eigenen Konstruktionen zu tun hat. Deswegen oszilliert die Führung einer Organisation zwischen Willkür und Ungewissheit, genauer noch: Sie schafft die Ungewissheit, die sie nur dank eigener Willkür bearbeiten kann, indem ihre eigene Willkür die Frage aufwirft, ob intern (Folgebereitschaft) und extern (Gelegenheiten) eine hinreichende Rechtfertigung dieser Willkür gegeben ist oder, alternativ, geschaffen werden kann. Die allgemeinste Form der Führung lässt sich danach bestimmen als Wiedereintritt der Unterscheidung zwischen Bestimmtheit und Unbestimmtheit auf der Seite der Bestimmtheit. Führung wird damit zur re-entry-Formel von Kommunikation auf der Seite der Bestimmtheit, wenn Kommunikation heißen darf, das Informations- und Mitteilungsverhalten an der Relation von Bestimmtem und Unbestimmtem zu orientieren, und wenn die Festlegung der Kommunikation auf etwas Bestimmtes als allgemeinste Form der Führung gelten darf. Diese allgemeine Form der Führung noch vor ihrer Spezifikation für organisierte oder andere Sozialsysteme lebt entscheidend, um nicht zu sagen: führend, davon, dass sie ihre eigene Festlegung im Kontext des Unbestimmten, der dazu mitgeführt werden muss, mit vorführt. Nur das ist Führung. Das schnürt den Knoten und das löst ihn." Zum vollständigen Text…
Wednesday, April 21. 2010
In einem aktuellen Beitrag für die "Zeitschrift für Kindschaftsrecht und Jugendhilfe" (2/2010) macht sich Wilhelm Rotthaus Gedanken über "Kinderrechte als Ausdruck der Beziehung des Erwachsenen zum Kind" und und reflektiert vor diesem Hintergrund die Geschichte der Erwachsenen-Kind-Beziehung und Möglichkeiten einer neuen Erwachsenen-Kind- Beziehung ohne Dominanzanspruch des Erwachsenen. Dieser Beitrag ist auch online zu lesen. systemagazin-Leserin Dorothee Meigen-Matthes aus Bad Wildungen hat dieser Aufsatz zu eigenen Überlegungen inspiriert. Sie schreibt dazu: "Ich habe ihn einfach aus der Lust heraus geschrieben, zu diesen überaus spannenden Themen "Beziehung/Erziehung" einen eigenen Beitrag zu leisten. Ich bin zwar nicht direkt "vom Fach", sondern führe zusammen mit meinem Mann eine Kleintierpraxis hier in Bad Wildungen, wodurch ich mit einer Menge Menschen zusammenkomme, aber ich als Ehefrau und Mutter zweier Kinder habe ich mit diesen Themen natürlich täglich zu tun und außerdem viele Freunde, die nach dem systemischen Ansatz arbeiten, so dass wir darüber immerzu im Gespräch sind…" Ihren Kommentar können Sie hier lesen…
Tuesday, April 13. 2010
Einem Hinweis von Michael B. Buchholz folgend, bin ich auf einem Beitrag in forum-gesundheitspolitik.de gelandet, bei dem es um Interessenabhägigkeit wissenschaftlicher Pharmastudien geht. Berichtet wird über eine Studie von Glen Spielmans und Peter Parry aus dem Jahre 2009, die interne Dokumente der Firmen AstraZeneca, Pfizer, Smith Kline Beecham (heute GlaxoSmithKline) und Eli Lilly untersucht haben, die sich auf Studien zu Arzneimitteln gegen Depressionen und Psychosen und ihre Vermarktung beziehen. In den dargestellten Beispielen nutzen die pharmazeutischen Unternehmen die wissenschaftlichen Daten für das Marketing, indem sie die Daten aus Studien marketinggerecht selektieren und interpretieren, über Publikationsfirmen in die entsprechende Form bringen lassen und in hochrangigen Fachzeitschriften platzieren. Angeboten wird auch ein Link zu dem Originalartikel der beiden Autoren, in dessen abstract es heißt: "While much excitement has been generated surrounding evidence-based medicine, internal docu- ments from the pharmaceutical industry suggest that the publicly available evidence base may not accurately represent the underlying data regarding its products. The industry and its associated medical communication firms state that publications in the medical literature primarily serve marketing interests. Suppression and spinning of negative data and ghostwriting have emerged as tools to help manage medical journal publications to best suit product sales, while disease mongering and market segmentation of physicians are also used to efficiently maximize profits. We propose that while evidence-based medicine is a noble ideal, marketing-based medicine is the current reality."
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Friday, April 9. 2010
Dass Therapie (wie auch Beratung oder andere Hilfen) nicht im luftleeren Raum stattfinden ist eine Binsenweisheit. Spätestens seit Michael Lamberts berühmtem Verteilungskuchen gilt die herausragende Bedeutung von KlientInnen- und Beziehungsvariablen für den Erfolg von Therapien als Richtschnur. Die Plausibilität solcher Ergebnisse sollte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass mit ihnen auch eine Vertrauensfrage im Spiel ist. Vieles von dem, was in solchen Studien publiziert wird, dürfte für PraktikerInnen augenscheinlich und stimmig sein, sie finden sich darin wieder. Wie solche Studien zu ihren Ergebnissen kommen, dürfte PraktikerInnen jedoch meist nicht wirklich interessant erscheinen. Muss es im Effekt wohl auch nicht, doch könnte das eine – wenn vermutlich auch ungewollte – Tendenz unterstützen, die aus Forschungsdaten gewonnenen Interpretationen mit objektiven Gegebenheiten zu verwechseln. Das wäre normal – statistisch gesehen. Dennoch besteht die Möglichkeit, sich zu informieren. Ein gutes Beispiel dafür bietet eine Dissertation von Markus Zillgens (2009) zum „ Einfluss emotionaler Unterstützung in Beziehungen und deren Fluktuation auf den Erfolg einer Psychotherapie“, an der Medizinischen Fakultät der TH Aachen unter der Betreuung von G. Schiepek und E. Petzold erstellt. Die Arbeit untersucht die Gültigkeit einiger aus der Synergetik abgeleiteter Hypothesen für die Psychotherapie. Die Identifikation von Rahmenbedingungen, die für einen Therapieerfolg von Bedeutung sind, ist dabei das Kernmotiv. In verschiedenen Varianten untersucht Zillgens nun, in welcher Weise das Erleben von wahrgenommener sozialer Unterstützung zum Erfolg von Psychotherapien beiträgt. Während die dabei geleistete differenzierte Erörterung spezifischer forscherischer und statistischer Fragen für PraktikerInnen tatsächlich nicht übermäßig anschlussfähig wirken dürfte, ergeben sich zwischendurch immer wieder interessante Gesichtspunkte, auch solche, mit denen man nicht gerechnet hätte. Allgemein, so Zillgens, „konnte gezeigt werden, dass emotionale Unterstützung in Beziehungen zu erfolgreicheren Therapien führt“. Des Weiteren heißt es: „Emotionale Unterstützung in Beziehungen während einer Phase kritischer Instabilität bedingt hohen Therapieerfolg. Gering ausgeprägte soziale Ressourcen als Ausdruck ungünstiger Rahmenbedingungen gehen mit einer weniger erfolgreichen Therapie einher“. In der Zusammenschau „unterstreichen [die ermittelten Daten] wieder die herausragende Bedeutung der Patient-Therapeuten-Beziehung“. Andererseits scheint es jedoch so zu sein, dass „die wahrgenommene emotionale Unterstützung in Beziehungen für einen positiven Ausgang einer Krise nicht speziell zur Zeit einer kritischen Instabilität hoch sein muss, sondern eher im Mittel. Letztlich relativiert dieser Schluss die Forderung, in Zeiten kritischer Instabilität konzentriert Unterstützung anzubieten“ – spricht andersherum aber auch für die Notwendigkeit, über einen als signifikant erlebten Zeitraum als unterstützend wahrgenommen zu werden. Wie auch immer, deutlich wird auch, dass therapeutische Maßnahmen stets kontextspezifische Überlegungen einbeziehen sollten, denn, so ein Ergebnis, „bei schlechten Rahmenbedingungen [können] Destabilisierungen in einigen Fällen auch kontraproduktiv sein“. Dies wäre dann etwas, was PraktikerInnen auch aus eigenem Augenschein vertraut ist – schön dass private und forscherische Empirie hier wie von selbst zusammenkommen. Die Dissertation von M. Zillgens lässt sich hier im Volltext lesen.
Thursday, April 8. 2010
 Michael Zirkler ist Professor Wirtschaftswissenschaftliches Zentrum (WWZ) der Universität Basel mit dem Arbeitsbereich Management- und Organisationsforschung (Foto: Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften). Gemeinsam mit seiner Mitarbeiterin Andrea Berreth (Foto: Universität Basel) hat er einen sehr schönen Text über die "Wiedererfindung einer sozialen Technologie zur Entscheidung unentscheidbarer Fragen" verfasst, nämlich das Orakel, als dessen moderne Form sich die Systemaufstellung verstehen lässt: "Es ist unsere Leitthese für den folgenden Beitrag, dass Orakel in einer modernen Variante hier und heute wieder zum Vorschein kommen, und zwar in Form von Systemaufstellungen, zunächst für den Bereich der Familie, aber zunehmend auch für Organisationen aller Art. Wir werden dabei argumentieren, dass die alten wie die neuen Formen der Orakel in ihren Wissens- und Glaubensgemeinschaften sinnvoll und nützlich eingesetzt wurden und werden.  Die Funktionalität von Orakeln soll untersucht werden und die Parallelität zu den Konzepten und Techniken der Systemaufstellung dargestellt werden. Betrachtet werden hierbei die Orakel von Delphi und das Hühnerorakel der Zande – letzteres ein teilweise noch aktuelles Phänomen, wohingegen die delphischen Orakel der Geschichte angehören. Da sich bei den beiden Beispielen die jeweils zugrunde liegenden Kulturen stark unterscheiden, hoffen wir, so etwas wie einen binokularen Blick über das Phänomen der Orakel bereitzustellen und damit Tiefenschärfe zu erhalten. Wenn wir unterstellen, dass die Orakel sinnvolle Mittel zur Entscheidungsfindung in einem bestimmten Kontext sind, ist die Frage erlaubt, ob eine Übertragung in einen anderen Kontext nicht möglich, statthaft und vielleicht aussichtsreich wäre. In vielen anderen Bereichen, etwa der Technik (Anwendung von Problemlösungstechniken aus der Natur) wurde dies erfolgreich getan. Wir wollen im Folgenden zeigen, wie der Zusammenhang von antiken sowie heutigen Orakeln mit der Methode der Systemaufstellungen aus unserer Perspektive aussieht. Dann soll geklärt werden, unter welchen Bedingungen das Management von Organisationen mit Systemaufstellungen als modernes Orakel arbeiten kann. Schlieβlich sollte deutlich werden, welchem Risiko man sich einerseits aussetzen würde und welchen Nutzen es andererseits stiften könnte." Zum vollständigen Text…
Tuesday, April 6. 2010
 Walter Zitterbarth, Philosoph am Institut für Philosophie der Philipps-Universität Marburg und Mitarbeiter am ViIST-Institut in Marburg, hat eine Arbeit über den "Erlanger Konstruktivismus" verfasst, der im konstruktivistischen Diskurs der systemischen Szene kaum eine Rolle spielt. Sein Text ist bereits 1991 im von Markus F. Peschl herausgegebenen Band "Formen des Konstruktivismus in Diskussion. Materialien zu den 'acht Vorlesungen über den konstruktiven Realismus'" erschienen (S. 73–87), der als PDF auf der " Radical Constructivism Homepage" von Alexander Riegler zur Verfügung steht: "Betrachtet man neuere Veröffentlichungen zum Radikalen Konstruktivismus und dessen Entstehungsgeschichte – und ich möchte im Rahmen meiner Ausführungen den “konstruktiven Realismus” als eine legitime Weiterentwicklung radikal konstruktivistischen Gedankengutes auffassen –, so gewinnt man den Eindruck, als gehöre der Erlanger Konstruktivismus weder in die Ahnengalerie noch zur unmittelbaren Verwandtschaft seines radikalen Namensvetters. Dieser Eindruck verstärkt sich noch, wenn man in einer sorgfältigen und kenntnisreichen Arbeit von Gebhard Rusch liest, daß der Ausdruck “Radikaler Konstruktivismus” in “keinerlei systematischem Zusammenhang mit dem Konstruktivismus der Erlanger Schule um Paul Lorenzen [steht]”. Handelt es sich bei den beiden Konstruktivismen also bloß um eine auf oberflächlichen Ähnlichkeiten beruhende, mehr oder minder zufällige Namensübereinstimmung? Ich denke es läßt sich zeigen, daß dem nicht so ist, und ich will dieser Aufgabe hier in zwei Schritten nachkommen. Zuerst möchte ich auf einen historischen Zusammenhang beider Ansätze zu sprechen kommen, der bisher völlig unbeachtet blieb, anschließend will ich die Frage nach dem Zusammenhang auch systematisch behandeln." Zum vollständigen Text…
Monday, April 5. 2010
Thomas Gruber, langjähriger leitender Psychologe im Gerhard-Bosch-Haus an der Kinder- und Jugendpsychiatrischen Klinik in Viersen, in dem Jugendliche im forensischen Zwangskontext behandelt werden, hat 2008 einen Aufsatz in systhema über den Zugang zu vermeintlich unmotivierten Jugendlichen geschrieben und macht sich darin Gredanken, wie Jugendliche auf dem Weg vom "Besucher" zum "Kunden" begleitet werden können: "Jugendliche wollen immer etwas – allerdings oft nicht das, was die professionellen Helfer wollen, dass sie es wollen sollen! Es gilt in der Arbeit mit Jugendlichen, ihnen Wege aufzuzeigen, die eine Verbindung zwischen dem Wollen der Jugendlichen und dem Wollen der Erwachsenen ermöglichen. Diese Wege sollen dazu beitragen, dass die Jugendlichen sich von einer Besucherposition, das heißt von Erwachsenen geschickten jungen Menschen hin zu einer Kundenposition entwickeln. Zentrales Moment ist hierbei, dass Erwachsene die spezielle Lebenssituation von Jugendlichen und die damit verknüpften Entwicklungsaufgaben ernst nehmen und sie respektieren sowie klare Orientierungen und Strukturen vorgeben." Zum vollständigen Text…
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