Monday, July 6. 2009

Liebe Leserinnen und Leser, zum ersten Mal seit 4,5 Jahren geht systemagazin in Urlaub. Nicht überall auf der Welt gibt es Internet-Zugang - und manchmal soll dann sogar ein gewisser Erholungseffekt eintreten. Voraussichtlich ab dem 6.8. gibt es wieder (fast täglich) etwas im systemagazin, bis dahin wünsche ich allen eine gute Pausenzeit. Zum Start bekommen alle eingetragenen Newsletter-Abonnenten eine Nachricht, wer eine haben möchte und noch nicht den Newsletter abonniert hat, kann dies hier tun.
Einen schönen Sommer wünscht
Tom Levold
Sunday, July 5. 2009
 "Was sich sukzessive und unmerklich in den Vordergrund schiebt, ist eine neue Unterscheidung zwischen menschen- und bürgerrechtsgeschützten Menschen auf der einen Seite und nicht-rechtsgeschütztem Noch-nicht-Menschen - dem Fötus - sowie dem ebenfalls nicht-rechtsgeschützten Nicht-mehr-Menschen, dem Sterbenden, den Sterbewilligen, den Kollateralschäden oder den Schläfern. Ins nomenklatorische Raster des potenziellen Selbstmordattentäters gerät die Zielgruppe der ungesetzlichen Kombattanten oder der Insassen von Flüchtlingslagern. Aus dem Rechtssystern Exkludierte aber dürfen wie ein Objekt vernutzt, instrumentalisiert und vernichtet werden. Mit dieser Entwicklung wird der Menschenrechtsstandard nicht herabgesetzt, aber auf eine diabolische Weise unterlaufen, indem gewisse Menschen aus dem Definitionsbereich des lebenden Menschen einfach ausgeschlossen werden. Kriege gegen Menschenrechtsverletzungen können dann scheinbar widerspruchsfrei neben einer menschenverachtenden Praxis geführt werden und der eigentlich zu erwartende weltweite Aufschrei bleibt aus. Das Menschenbild ändert sich unmerklich unter der Oberfläche vonn Subdifferenzierungen, die Menschsein nicht mehr als unbefragt Geltendes vorauszusetzen erlauben. Der Inhaber des Menschenrechtstitels bekommt die Beweislast aufgebürdet, zur bevorzugten rechtsgeschützten privilegierten Spezies zu gehören." (In: Postmoderner Terrorismus. Zur Neubegründung von Menschenrechten aus systemtheoretischer Perspektive. Verlag Barbara Budrich, Opladen 2004, S. 12).
 "Auch wenn das vorliegende Buch nicht explizit aus der „systemischen Werkstatt“ kommt, gehört es in jedes Bücherregal eines Systemikers. Brigitte Vetter hat ein Werk verfasst, dass sich allein schon vor dem Hintergrund der umfangreichen und differenziert vorgestellten Materialien durchzuarbeiten lohnt. Es ist unkompliziert geschrieben und viele Inhalte und Methoden können in die praktische Arbeit integriert werden. Fazit: 100 komplizierte Fragen wurden kompakt und ausführlich beantwortet", schreibt Dennis Bohlken, der diese Rezension für das systemagazin verfasst hat. Zur vollständigen Rezension…
Friday, July 3. 2009
 "Intuition muss wie jedes Urteilen über Wirklichkeit in verschiedenen Dimensionen beschrieben und kritisch befragt werden. Intuitives Urteilen kann zum Beispiel falsch oder richtig, qualifiziert oder unqualifiziert, befangen oder unbefangen, konventionell oder kreativ, borniert oder weitsichtig, versponnen oder weltzugewandt, liebevoll oder gnadenlos sein. »Intuitiv« ist also weder ein Gütesiegel noch eine Disqualifikation. Wenn wir uns mit Intuition auseinandersetzen, müssen wir uns mit den Weltbildern und dem Urteilsvermögen, das sich in der Intuition zeigt, befassen. Intuition ist Teil unserer Kultur und weder im positiven noch im negativen Sinn eine natürliche Kraft, die durch Erziehung verschüttet wurde und lediglich freizusetzen ist. Intuition ist wie jedes Urteilen im Zusammenhang mit der persönlichen Entwicklung von Menschen und der Kultur, in der sie sich bewegen, zu sehen. Intuitive Steuerung heißt also weder Steuerung nach einer anderen, besseren Intelligenz noch unbedachte und in ihren Motiven und Interessen unkontrollierte Steuerung. Intuitiv steuern heißt, komplexe Daten zu Informationen verarbeiten zu können, so wie wir sie bewusst und erklärbar nicht verarbeiten könnten. Intuitiv steuern heißt außerdem, dass dieser Vorgang ungeheuer schnell abläuft und unabhängig von der Übersetzung in Sprache direkt in Handlung umgesetzt werden kann." (In: "Intuition und Professionalität. Systemische Transaktionsanalyse in Beratung und Therapie". Carl-Auer-Verlag, Heidelberg 2008, S. 33).
Thursday, July 2. 2009
 "Luhmanns und Bourdieus Systemtheorie und Strukturalismus nehmen beide Abstand von Theoriemustern, die man zunächst von Systemtheorie und Strukturalismus erwartet. Weder Systeme noch Strukturen gelten hier als eine Art objektive Wirklichkeit, als deren Entäußerung das Besondere nur anzusehen sei. Vielmehr geht es beiden um die Dynamisierung von Systemen und Strukturen. Sowohl die ereignistheoretische Perspektive Luhmanns als auch die praxistheoretische Soziologie in Bourdieus Sinne sind operative Theorien, die Ganzeheiten als Folge emergenter Operationen ansehen und die als Ganzheiten nur einem Beobachter zugänglich sind - etwa einem wissenschaftlichen Beobachter, der sich freilich nicht nur für die vordergründige Sichtbarkeit interessiert, sondern für den Anschlusszusammenhang, in dem Praxis möglich ist. Exakt deshalb interessieren sich sowohl Bourdieu als auch Luhmann für die operative Dekonstruktion von Strukturen." (In: Der soziologische Diskurs der Moderne. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2006, S. 252).
Max Ernst, der das Titelbild der aktuellen Familiendynamik 1926 malte, wurde von seinem Vater häufig geprügelt, als Kind aber von ihm auch immer wieder als süßer Jesusknabe gemalt. Die Ausstellung des Bildes in Paris und später in Köln löste einen Skandal aus, in dessen Verlauf Ernst vom Kölner Erzbischof exkommuniziert wurde. Als Bildnis einer bigotten, gewalttätigen Kultur im Umgang mit Kindern (und Zeugen, die nicht wirklich hinschauen) ist das Bild in gewisser Weise zur Ikone geworden. Im Elterncoaching geht es dagegen um die Stärkung von Eltern, die nicht zu Lasten der Kinder geht. Diesem Ansatz und der Multifamilientherapie, die die Ressourcen von Familien füreinander auch therapeutisch in einem Mehrfamiliensetting zu nutzen versucht, ist das aktuelle Heft der Familiendynamik gewidmet. Zu den abstracts…
Wednesday, July 1. 2009
 "Die Frage nach dem Sinn des Lebens setzt (…) eine gewisse Fremdheit des Lebens sich selbst gegenüber voraus. Dieses Fremdheitsgefühl hat etwas an sich Unheimliches, denn es ist hier das eigene Leben, das sich selbst fremd vorkommt. Es ist merkwürdig, weil ich doch mit meinem Leben eng vertraut bin. Trotz dieser unaufhörlichen Intimität behält das Leben etwas Bestürzendes, Geheimnisvolles, lrres, als ob wir auf dem Rücken eines Tigers hängen würden, wie Nietzsche schreibt. Unser Leben erstreckt sich von der Geburt bis zum Tod hin, aber wir haben doch meist keine Erinnerung an unsere Geburt oder unsere ersten Jahre; und unser Tod wird nicht mehr - so hat es zumindest den Anschein - von uns erfahrbar sein. Wir stecken dazwischen, ohne wirklichen Zugriff auf uns selbst. Ein »Griff« ist ja nur gegenüber einem vor uns befindlichen Gegenstand möglich, was für unsere Existenz nicht zutrifft: Sie ist uns eher inhärent als gegenübergestellt. Niemand ist für seine Geburt verantwortlich, und der Tod bleibt in den meisten Fällen unvorhersehbar, plötzlich und kläglich. Er erinnert uns daran, dass wir armselig vor ihm stehen und dass wir wie alle Tiere, denen gegenüber wir uns so überlegen dünken, sterben werden." (In: Vom Sinn des Lebens. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2006, 27f.)
Unter diesem Motto fand im November 2008 an der Hochschule Merseburg eine Fachtagung statt, die die Perspektivenvielfalt systemischer Sozialer Arbeit zum Inhalt hatte. Die aktuelle Ausgabe des Kontext unter der Gastherausgeberschaft von Johannes Herwig-Lempp, langjähriger Mitherausgeber des Kontext und Mitorganisator der Tagung, bringt die Vielfalt der auf der Tagung vertretenen theoretischen und praktischen Perspektiven in elf Beiträgen zusammen. Die Beiträge dieser wie auch vorangegangener Tagungen des systemischen Netzwerkes in den Sozialarbeitswissenschaften zeigen einmal mehr, dass die Theorie der systemischen Sozialen Arbeit für die Fortentwicklung des systemischen Diskurse bedeutsame Perspektiven zur Verfügung stellen kann. Zu den vollständigen abstracts…
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