Saturday, May 30. 2009
 "Man kann nicht unschuldig bleiben. Die Theorie hat nicht das letzte Wort. Wenn sie als Kommunikation Erfolg hat, verändert sie die Gesellschaft, die sie beschrieben hatte; verändert damit ihren Gegenstand und trifft danach nicht mehr zu. So hat die sozialistische Bewegung zu einer Marktunabhängigkeit der Arbeitspreise geführt - eine Tatsache, mit der wir nun leben müssen. So hat die Partizipationsbewegung der 68er, soweit sie sich auswirken konnte, zu riesigen Partizipationsbürokratien geführt und damit zu einem immensen Zuwachs an organisierten Entschuldigungen dafür, daß nichts geschieht, - einer Tatsache, mit der wir nun leben müssen. Die Wirklichkeit sieht anders aus als die Theorie, die sie herbeiführen wollte. Was ist aus dieser Affäre zu lernen? Zunächst und vor allem: "Die" Gesellschaft hat keine Adressen. Was man von ihr verlangen will, muß man an Organisationen adressieren. (…) Auf der Ebene der theoretischen Beschreibungen muß man alledem entnehmen, daß es keinen Standpunkt außerhalb der Gesellschaft und in moralischen Dingen keine unschuldigen Positionen gibt, von denen aus man die Gesellschaft "kritisch" beschreiben und Vorwürfe lancieren könnte. Wir haben keine Labyrinththeorie, die erforschen und dann voraussagen könnte, wie die Ratten laufen. Wir selbst sind die Ratten und können bestenfalls versuchen, im Labyrinth eine Position zu finden, die vergleichsweise bessere Beobachtungsmöglichkeiten bietet. Eine Gesellschaftsbeschreibung ist immer eine Beschreibung, die den Beschreiber selbst einbeziehen muß." (aus: "Protest", in: TAZ, 4.8.88)
Friday, May 29. 2009

"Organisationen sind spießig - zumal wenn unter Spießigkeil verstanden wird, dass Kontingenz überwiegend nicht erkannt, und wenn doch, dann vermieden und in ihrer Ausnutzung systematisch umgangen wird. Alles kann und darf nur so sein, wie es ist. Veränderungen sind, so gesehen, stets eine Bedrohung. Ein erster Schritt, um diesem Verspießungsprozess der Organisation entgegenzutreten, ist die Bewusstwerdung seiner Mechanismen, die in der Logik der Organisation verhaftet sind. In diesen Ausführungen steht besonders das organisationale Programm der Entakademisierung im Vordergrund. Organisation verfolgen - bewusst und unbewusst - vor allem ein Programm der Entakademisierung ihrer Mitglieder und gleichsam ihrer eigenen organisationalen Strukturen. Auf Mitarbeiterebene ist zu beobachten, dass eine zentrale Zugangsvoraussetzung, um in eine Organisation zu gelangen, die des akademischen Abschlusses ist. Das gilt mittlerweile für fast alle Stellen, die es zu besetzen gilt und die sich inhaltlich mit der Sachbearbeitung einer bestimmten Materie befassen. Dabei ist zu beobachten, dass der Stelleninhaber bei Ausfüllung seiner Position niemals mehr den Grad an intellektuellem Leistungsvermögen abrufen wird, wie es noch beim Verfassen einer wissenschaftlichen Qualifizierungsarbeit (z. B. Diplom- oder Magisterarbeit) vonnöten und üblich gewesen ist. Auch der Grad an Komplexität, die bei einer guten wissenschaftlichen Arbeit bewältigt und hergestellt werden muss, findet in der Praxis keine Anwendung mehr. Und das Herzstück wissenschaftlichen Arbeitens, nämlich Sachverhalte, von denen geglaubt wird, dass man kennt, in neuem Kontext mit neuem Erkenntnisgewinn erscheinen zu lassen, findet ebenfalls nur mehr äußerst bedingt einen Platz im alltäglichen Managen. Wir haben es folglich hier mit einem systematisch etablierten Gefälle von intellektueller Potenzialität und tatsächlich abgerufenem Leistungsvermögen zu tun."
Thursday, May 28. 2009
 "Ex-Kommunikation bezieht sich auf die Grenze eines sozialen Systems, erfordert also die Kooperation mehrerer (beim Paar: zweier) Beteiligter. Die Phantasie, die Erfahrung der einzelnen Person, von der der Partner nichts weiß, ist damit gleichwohl präsent, also noch keineswegs verdrängt. Sie ist nicht aus dem Bewusstsein, sondern aus der Kommunikation verbannt. Der Begriff Ex-Kommunikation ist deskriptiv-analyti  sch, er hat keine normative Bedeutung, etwa in dem Sinne, dass Kommunikation besser sei als Ex-Kommunikation oder dass Ex-Kommunikation das Synonym für ein verklemmtes Tabu sei. Nein, Ex-Kommunikation ist ein unvermeidlicher Vorgang in der Entwicklung einer Paarkultur. Diese kann - als soziales System - ihre kulturelle Identität erst erhalten, in dem sie die Unterscheidung zwischen Kommunikation und Exkommunikation realisiert. Auch das Paar, das sein Sexualleben unter das Motto »Wir sagen uns alles« stellt, sagt sich nicht alles. Es kann sexuell nicht alles gesagt werden. Das Universum des sexuell Möglichen, Erfahrbaren und Phantasierbaren ist so unerschöpflich, dass eine selektionsfreie Offenheit gegenüber Allem nicht nur zeitlich unmöglich wäre, sondern gleichbedeutend mit einem Verlust von Identität. Man kann sexuell nicht nicht auswählen, mag auch die Einschluss-Ausschluss-Grenze inkonsistent und widersprüchlich sein. Sexuell zu leben heißt sexuell auszuwählen." (Systemische Sexualtherapie, Klett-Cotta, Stuttgart 2004, S. 70).
Wednesday, May 27. 2009
 "HVF: Ich bin Anti-Ist. Ja, das ist mein Ismus. Wann immer jemand sagt, Heinz, wie hältst du es mit dem Konstruktivismus, da sage ich, ich möchte mit dem nichts zu tun haben. Ich habe keine Ahnung, was Konstruktivismus ist. AM: Nur deine Artikel stehen in den Textbüchern des Konstruktivismus. HVF: Ja, ja, genau. Ich habe versucht, meine Ideen vorzutragen, aber nicht unbedingt als Konstruktivist. Man kann über Objekte sprechen, man kann über Meinungen sprechen, über Beobachtungen, über dieses und jenes sprechen, aber den Ismus, den möchte ich vermeiden. Und diese Haltung, solche buzzwords oder catchwords zu vermeiden, liegt in folgender Vorsicht. Sobald ein solches Schlagwort auftaucht, weiß jeder, wovon geredet wird. Man braucht also nicht mehr zuzuhören, weil jeder schon weiß, das ist ein Konstruktivist. Wenn ich vermeide, ein Konstruktivist genannt zu werden, dann müssen die Leute fragen, ja, was sind sie dann? Dann können wir einmal darüber reden, jetzt hört vielleicht einer zu! Aber wenn ich sage, das ist ein Konstruktivist, können wir uns ja alle schlafen legen und sagen, das weiß ich ja sowieso schon, was der redet: Die Welt ist erfunden, es ist alles nicht vorhanden, es gibt keine Realität, und diesen Blödsinn, den brauchen wir ja nicht mehr anzuhören, denn das haben wir ja schon fünfhundertmal von anderen Idioten gehört."
(Heinz von Foerster im Gespräch mit Albert Müller)
Tuesday, May 26. 2009
 Beobachte das Schwimmen der Fische im Wasser, und du wirst den Flug der Vögel in der Luft begreifen!
Monday, May 25. 2009
 Mit dem Finanzkapital waren die alten Griechen noch nicht vertraut, die Philosophen beschäftigten sich damals noch mit den Gefahren des Kleinhandels, der einen extrem schlechten Ruf genoss. Den hat die Geldwirtschaft bis heute nicht ablegen können. In Marcel Hénaffs eindrucksvollen Buch "Der Preis der Wahrheit. Geld, Gabe und Philosophie" ist ein Zitat aus Platons Gesetzen zu finden, das als Vorläufer Keynesianischen Denkens nachdenklich macht: "Gegen solche Übel muß denn der Gesetzgeber stets ein Abwehrmittel bereit halten. [...] Erstens muß er die Vertreter des Kleinhandelsgewerbes auf eine möglichst geringe Zahl beschränken, sodann zum Betriebe desselben nur solche Leute zulassen, die ohne großen Schaden für den Staat sittlich mehr und mehr sinken können, und drittens doch auch den Leuten selbst, die diesen Beruf erwählt haben, beizukommen suchen, indem man es ihnen nicht gar zu bequem und leicht macht, ihrer Neigung zu einer schamlosen und unwürdigen Sinnesart zu frönen (Gesetze, 919b)."
|