Wednesday, April 29. 2009
In einer aktuellen Arbeit für das "Psychotherapeuten- Journal" 1/2009 stellen Rüdiger Retzlaff, Kirsten von Sydow, Wilhelm Rotthaus, Stefan Beher und Jochen Schweitzer mit "aktuellen Fakten, Entscheidungen und Aussichten" die "Systemische Therapie als evidenzbasiertes Verfahren" vor. Nach der Anerkennung der wissenschaftlichen Fundierung der Systemischen Therapie durch den Wissenschaftlichen Beirat Psychotherapie geht es jetzt um die Anerkennung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss G-BA, von dessem Votum die Aufnahme der Systemischen Therapie in die Richtlinienverfahren abhängt. Dementsprechend wird das Loblied der Evidenzbasierung auch hier weiter gesungen, weiß man ja, dass der G-BA auf allen anderen Ohren ohnehin taub ist. Leider wird damit aber auch ein Modell der RCT-orientierten Evidenzbasierung als state of the art der Psychotherapieforschung akzeptiert und für die Systemische Therapie übernommen, deren konstruktivistische Basis im Verlaufe dieser Operation aber nicht mehr recht erkennbar scheint. Die einzige Stelle in der vorliegenden Arbeit, die auf die kritischen Punkte überhaupt eingeht, bleibt konsequenterweise ziemlich im ungefähren: "Nach Veröffentlichung der Expertise zur Wirksamkeit der Systemischen Therapie (v. Sydow et al., 2007b) wurde vor der Gefahr der Übernahme eines einseitigen medizinisch-pharmakologischen Wissenschaftsverständnisses gewarnt, das den Besonderheiten des systemischen Modells nicht gerecht wird. In der Systemischen Therapie ist die Behandlung klinischer Störungsbilder im Sinne der ICD-10 in einen breiten Verstehenskontext eingebettet; Symptome werden als Ausdruck aneinander ankoppelnder biologischer, innerpsychischer und sozialer Interaktionen verstanden, und durch eine kooperative Entwicklung gesundheitsfördernder Kommunikationsmuster auflösbar gemacht (Was immer das heißen mag, TL). Insofern entsprechen sie den Anforderungen der Psychotherapie-Richtlinien, dass die Theoriesysteme von Therapieverfahren 'gegenwärtigen, lebensgeschichtlichen und gesellschaftlichen Faktoren in ihrer Bedeutung für das Krankheitsgeschehen gerecht werden' müssen." Operation gelungen, Patient tot?
Tuesday, April 28. 2009
 "He was a guru to the Beatles and a brilliant psychiatrist who redefined the family — but his own children remember only drink, adultery and violence". Russell Miller hat in der Ausgabe der Online-Times einen so eindrucksvollen wie deprimierenden Artikel über den Aufstieg - und vor allem den Abstieg von Ronald D. Laing geschrieben, der zur Lektüre empfohlen sei. Laing, ein schottischer Psychiater und Psychoanalytiker, der 1927 in Glasgow geboren wurde, wurde in den 60er Jahren zu einer der bekanntesten Führer der Anti-Psychiatrie-Bewegung. Seine Arbeiten zum Zusammenhang von familiärer Interaktion und Schizophrenie wurden auch in der Familientherapie-Szene rezipiert, so etwa sein Aufsatz " Mystifizierung, Konfusion und Konflikt", der im legendären, von Jürgen Habermas, Dieter Henrich und Niklas Luhmann herausgegebenen Sammelband "Schizophrenie und Familie" 1969 bei Suhrkamp erschien. George Spencer-Brown arbeitete in den 60er Jahren mit Laing zusammen. Der Artikel in der Times zeigt die Schattenseite von Laing, der in den 70er Jahren das Interesse der öffentlichen Wahrnehmung weitgehend verlor. Die eigenen Familienverhältnisse waren katastrophal, Gewalt, Alkohol- und Drogenkonsum bestimmen sein persönliches Leben. Er starb im Alter von 61 Jahren, mittellos und ohne feste Adresse, 1989 auf einem Tennisplatz in St. Tropez. Zum vollständigen Artikel…
Friday, April 24. 2009
 In einem äußerst interessanten Aufsatz, der in der neuen Ausgabe des Forums qualitative Sozialforschung erschienen ist, befasst sich der Metaphernforscher Rudolf Schmitt, Professor an der Hochschule für Sozialwesen in Zittau, mit der metaphorischen Konstruktion von Geschlecht. Seine Arbeit rezipiert die vorhandenen Studien, stellt zentrale Begriffe der kognitiven Metapherntheorie vor und versucht eine Revision derselben, welche dazu beitragen könnte, Metaphernanalysen der Konstruktion von Geschlecht theoretisch und forschungsmethodisch weiter zu entwickeln, wie es im abstract heißt. Dabei kritisiert er das mangelnde Verständnis der kognitiven Metapherntheorie für die „geschlechtsblinde und geschichtsvergessene“ Konzeption von Metaphern bei Lakoff und Johnson, die „von einer allgemein-menschlichen Körpererfahrung als Ausgangspunkt metaphorischen Denkens“ ausgingen. Andererseits seien viele Forschungsarbeiten von einer Tendenz gekennzeichnet, „nicht nur Unterschiede zu beschreiben, sondern sie auch herzustellen, wo sie nicht sind, sie durch eine Fokussierung zu übertreiben oder die gefundenen Differenzen durch wissenschaftliche Beschreibung nur zu verdoppeln, statt diese auch als hergestellte auszuweisen. Diese Formen beschreiben die alltäglich übliche, in der Forschung jedoch als methodischer Fehler zu diskutierende Praxis des doing gender“. Damit ist auch das Risiko verbunden, „Unterschiede über das vorhandene Maß hinaus zu betonen, Gemeinsamkeiten zwischen den Geschlechtern auszublenden sowie Überschreitungen von Geschlechtsstereotypen zu übersehen“. Zum vollständigen Text geht es hier …
Tuesday, April 21. 2009
„Es braucht ein Dorf“ – mit dieser Anspielung auf ein afrikanisches Sprichwort zu den Bedingungen eines guten Aufwachsens für Kinder eröffnet die kanadische Ergotherapeutin Francine Marguerite Gohier ihre Magisterarbeit zur Erlangung des M.A. in Counselling Psychologie an der City University in Vancouver Island [ A Support Team’s Experience of a Solution-Focused Intervention With Children, Oktober 2006]. Ausgehend von der Erfahrung, dass viele Kinder in westlichen Zivilisationen nicht in dem sprichwörtlichen „Dorf“ aufwachsen, untersuchte die Autorin, in welcher Weise gemeinschaftliche Hilfeformen gestaltet werden und sich bewähren können, die – auf einer kleineren Skala – dieses „Dorf ersetzen können. Im Fall der vorliegenden Untersuchung, einer Pilotstudie, ging es um Hilfen für Kinder mit ausgeprägten sozial-emotionalen Schwierigkeiten. Die Autorin geht ihrer Forschungsfrage ebenso beherzt wie politisch wach nach, thematisert auch die Folgen einer nachlassenden öffentlichen Finanzierung solcher Hilfen. Um so bedeutsamer erweisen sich die vorgestellten Ergebnisse, die sich auf die Zusammenarbeit von HelferInnen für bestimmte Familien mit ihren Kindern unter möglichst umfassenden Alltagsbedingungen beziehen. Zur theoretischen Einbettung greift die Autorin auf William Glassers "Choice Theory" zurück (eine an grundlegenden Bedürfnissen orientierte, akzeptierende Theorie persönlicher Freiheit des Wählenkönnens im Widerspruch zu Konzepten externer Kontrolle), womit eine partizipative Gestaltung von Hilfen als zentral gewichtet wird. Praktisch greift die Autorin in ihrer Studie auf Ben Furmans „Kids‘ Skills“-Programm zurück (auf deutsch: „Ich schaff’s“, Heidelberg: Carl Auer). In der abschließenden Diskussion heißt es u.a.: „Die Erfahrungen der TeilnehmerInnen mit der kollaborativen Methode des Kids‘-Skills-Ansatzes unterstützen die ökologische Perspektive eines umfassenden materiellen und menschlichen Engagements; viele helfende Personen unterstützten das jeweilige Kind an unterschiedlichsten Stellen. Die Erfahrungen eines bestimmten Teammitglieds wurden von anderen beobachtet und gewürdigt. Keiner funktionierte isoliert. Der Zusammenhalt des sozialen Netzwerks wurde aus gemeinsamen Diskussionen und den zur Verfügung gestellten Beschreibungen der jeweiligen Hilfen für die Kinder gebildet. Ein ökologischer Zug zeigte sich auch durch das Einbetten der jeweiligen Fertigkeiten, die die Kinder lernten, in den Alltag, anstelle in bestimmte Behandlungszeiten und –routinen. So entstanden wie von selbst natürliche Gelegenheiten, die gelernten Fertigkeiten auf andere Aufgaben zu übertragen.“ Zur vollständigen Master-Arbeit von F.M. Gohier geht’s hier …
Sunday, April 19. 2009
 Jens Daniel Peter, Jg. 1975 ist Diplom-Psychologe, Diplom-Musiktherapeut, systemischer Familientherapeut, Supervisor (IGST) sowie Pianist und Komponist. Er arbeitet in einer Erziehungsberatungsstelle und als Supervisor und ist Lehrtherapeut der Mannheimer Gesellschaft für systemische Therapie, Supervision und Weiterbildung. Auf der Website der MAGST ist seine ausgesprochen kritische und gründliche Auseinandersetzung mit Humberto Maturanas Konzept der autopoietischen Systeme und seiner Rezeption hierzulande von ihm zu finden, die die Lektüre lohnt: "Wenn Maturana behauptet, Repräsentationen könnten nicht existieren, weil das Nervensystem eben nur mit internen Zuständen umgeht, dann übersieht er dabei, daß „Repräsentation von etwas“ eine zweistellige Relation ist. Das Vorliegen einer solchen Relation kann also per definitionem nur von einem Beobachter festgestellt werden, der Zugang zu beiden Relata (System und Umwelt) hat. Diese Beschreibung dann als verzerrt zurückzuweisen, eben weil sie von einem Beobachter vorgenommen wurde, übersieht, daß eine Beschreibung „aus Sicht des Gehirns“ vollkommen sinnlos ist. Gleichzeitig privilegiert Maturana dadurch seine eigene Beschreibung allen anderen gegenüber als die „zutreffendere“ ohne Gründe dafür anzugeben oder seine Argumentation zu relativieren; denn auch Maturana befindet sich „nur“ in einer „verzerrenden Beobachterposition." Zum vollständigen Text…
Thursday, April 16. 2009
 In ihrem Aufsatz Science for the 21st century: from social contract to the scientific core plädieren Gilberto C. Gallopín (Foto links oben),  Silvio Funtowicz (Foto rechts), Martin O’Connor und Jerry Ravetz (Foto: links unten - Fotos: www.liphe4.org) für das Entwickeln von Rahmenbedingungen für eine Wissenschaft der Nachhaltigkeit und Umweltverträglichkeit [ Int. Journal of Social Science 168: 219-229 (2001)]. Die besonderen Herausforderungen für eine solche Nachhaltigkeits-Wissenschaft ergeben sich aus der wachsenden Komplexität in allen relevanten Systemebenen. Dies erfordere eine integrierte Wissenschaft, die den interdisziplinären Ansatz bei weitem übersteige. Ein neuer "Sozialer Wissenschaftskontrakt" sei notwendig, "business as usual" reiche nicht länger aus. Wissenschaft habe sich konstant weiterentwickelt. Bis zum 2. Weltkrieg sei ein akademischer, durch Neugierde beflügelter  Wissenschaftsstil kennzeichnend gewesen, daran anschließend entwickelte sich so etwas wie eine "industrialisierte" Form, auch "eingebundene Form" genannt. Hier ging es darum, Missionen zu erfüllen und Forscher wandelten sich von unabhängigen Kunsthandwerkern zu Angestellten. Aktuell dominiere so etwas wie ein "corporate know-how", die ökonomische Verwertbarkeit von Forschung sei das dominierende Leitbild (etwa die Gewinnerwartung angesichts von Gentechnologien). Demgegenüber schlagen die Autoren als eine nützliche wissenschaftliche Praxis vor, immer das Gesamtsystem zu definieren, innerhalb dessen eine Forschungsaufgabe/ein Problem isoliert oder beschrieben werde und nach wichtigen Vernetzungen zu suchen. Es gehe darum, diejenigen Variablen zu erkennen, die durch eine umschriebene Forschungsaufgabe mitbetroffen sind. Erst wenn dies explizit gemacht worden sei, könnten sinnvoll Ausschnitte bestimmt, bzw. umfassendere Kontexte beschrieben werden. Zum Volltext von Gallopín et al. geht es hier …
Tuesday, April 14. 2009

Das Center for Systemic Peace (CSP) wurde im Jahr 1997 gegründet. Es widmet sich der globalen Systemanalyse in Form innovativer Forschung zu Problemen der Gewalt, sowohl im zwischenmenschlichen Bereich als auch innerhalb gesellschaftlicher Entwicklungen. Im Mittelpunkt stehen Möglichkeiten eines Managements komplexer Systeme. Das CSP gibt regelmäßig Reports heraus zu generellen Trends innerhalb gesamtgesellschaftlicher Entwicklungen, sowohl auf der Ebene globaler, als auch regionaler und einzelstaatlicher Geschehnisse. Mittlerweile arbeitet das CSP mit dem Center for Global Policy an der George Mason University in Fairfax, Virginia zusammen. Für Interessierte besteht Zugang zu einer Reihe von Publikationen ( Center for Systemic Peace Virtual Library). Es handelt sich um unter anderem um regelmäßige Screenings zu Konflikttrends in Afrika, zu globalem Terrorismus, sowie zu genderspezifischen Konflikten. Zur Homepage des CSP geht es hier...
Sunday, April 12. 2009
Im September 2008 fand an der Universität Hohenheim eine prominent besetzte Tagung über systemtheoretisch inspirierte empirische Forschung unter dem Titel „Methodologien des Systems – Wie kommt man zum Fall und wie dahinter?“ statt. Jasmin Siri, Dipl.-Soziologin aus München, hat im Forum Qualitative Sozialforschung ( http://www.qualitative-research.net/index.php/) einen ausführlichen Tagungsbericht veröffentlicht, der zeigt, dass die Eignung für empirische Fragestellungen durchaus ein Maßstab ist, an dem sich die Systemtheorie zu messen hat. In ihrer Zusammenfassung schreibt sie: „Systemtheoretische Zugänge, das wird deutlich werden, nähern sich der Empirie sehr unterschiedlich. Besonders ergiebig scheinen dabei Ansätze zu sein, die sich vor allem für die Empirie – und weniger für die Geschlossenheit der eigenen Theorieanlage – interessieren. Gerade die Qualität der auf dieser Tagung verhandelten Ansätze spricht dafür, keinen starren Methodenkanon systemtheoretisch-empirischer Forschung zu implementieren, sondern am empirischen Fall zu entscheiden, welche Forschungsmethoden und theoretischen Öffnungen angemessen sind. Die Tagung hat gezeigt, dass systemtheoretische Forschung bei weitem nicht so ‚empirieblind‘ ist, wie ihr häufig vorgeworfen wird, aber auch, welche begriffs- und habitusinduzierten Missverständnisse diesen Vorwurf möglicherweise nähren.“ Zum vollständigen Tagungsbericht geht es hier…
Saturday, April 11. 2009
 Im Bereich psychosozialer Hilfen scheint es gelegentlich Irritationen zu geben über das Verhältnis von individuellem und kollektivem Nutzen von Hilfen. In ihrem Aufsatz Toward Validating the Therapeutic Benefits of Empowerment-Oriented Social Action Groups schreibt Linda Plitt Donaldson (Foto: www.ncsss.cua.edu/), Assistenzprofessorin an der Catholic University of America in Washington, DC , dass sich KlinikerInnen manchmal schwer damit tun, Sozialdienste ins Spiel zu bringen, die im größeren Rahmen zur Veränderung beitragen könnten, während umgekehrt manche „Makro-PratikerInnen“ sich hilflos dabei fühlten, wenn sie im Einzelkontakt therapeutische Hilfen anbieten sollten [ In: Social Works with Groups 27(2/3), 2004, S.159-175]. Die Autorin untersuchte in diesem Zusammenhang Empowerment-orientierte Gruppenarbeit als eine Hilfeform, die sowohl individuellen Bedürfnissen wie den Möglichkeiten eines systemischen Wandels zugute kommen könne. Die Autorin liefert einen gut recherchierten Überblick, bezieht sich auf Selbstwirksamkeitstheorien sowie Yaloms kurative Faktoren. In ihrem Resümee konstatiert sie, dass es trotz eines ausgeprägten Plausibilitätsvorsprungs der geschilderten Hypothesen noch an empirischer Unterstützung mangele. Dies müsse noch geleistet werden. Wichtig sei, dass die Gruppenarbeit Selbstwirksamkeitsfortschritte nicht als natürliches Beiprodukt betrachte, sondern die Entwicklung von Selbstwirksamkeitserfahrungen aktiv unterstütze. Zur Publikation von Linda P. Donaldson geht es hier …
Friday, April 10. 2009
 Auf der website des Netzwerk „Archivs der Zukunft“, das einen unterstützenswerten Kampf für eine neue Schule führt, findet sich ein sehr schöner Vortragstext von Horst Rumpf (Foto: www.adz-netzwerk.de), der zwar die Bemühungen der heutigen Didaktik anerkennt, Kindern und Jugendlichen Wissen durch möglichst ausgefeilten Technikeinsatz näher zu bringen, macht aber gleichzeitig auch deutlich, dass Lernen eben nicht nur in der Aufnahme von symbolischen Artefakten bestehen kann und soll, sondern ein Lernen sein sollte, „das Bruchlinien der Erfahrung freilegt, aushält – und das nicht darauf aus ist mit etwas fertig zu werden, es hinter sich zu bringen – das im Gegenteil darauf aus ist, es VOR sich zu bringen. Und dieses Lernen hat es zweifellos mit der körperlichen Nähe und Berührbarkeit zu tun (…) Unsre verwissenschaftlichte Zivilisation zielt (…) in vielen Bereichen darauf ab, alle erdenklichen Sinnenerfahrungen auf optisch ablesbare Zeigerausschläge zu reduzieren - ob es das Wetter, der Blutdruck, die Laufbewegung, die Entfernung , das Gewicht, das Tempo, die Wärme, die Luftfeuchtigkeit, die Helle oder Dunkelheit ist - alle sinnlichen Widerfahrnisse werden dadurch verfügbar, berechenbar gemacht, und auf Distanz gebracht, dass sie auf messbare Zeigerausschläge bezogen, wenn nicht reduziert werden. Die rätselhaften Sinnlichkeiten werden in sichtbare und zählbare Bewegungen verwandelt, die Welt wird zur Inkarnation von Zahlenwerken, der Körper zur Prothese des Sehsinns, der wiederum wird zum Zahlenableseapparat von Zeigerausschlägen reduziert. Alle körpergetragenen Erfahrungen, in denen Menschen erwischt werden von überwältigenden Berührungen, Bewegungen, Hörbarkeiten, Empfindungen – alles also wobei sie auch ausgeliefert sind an nicht beherrschbare Wirklichkeitsstösse, die an den Körper rühren – alles das hat im Leitbild moderner Naturwissenschaftlichkeit keinen Erkenntniswert. Und konsequenterweise kommt es im Leitbild eines Unterrichts nicht vor, dessen Lernvorstellung ferngesteuert ist von dem Paradigma dieser Erkenntnis: Fragen liegen fest, Antworten liegen fest – was eine Lernleistung ist, wird festgelegt und ist feststellbar, vergleichbar, messbar, testbar,d. h. aber zu Zahlen geronnen. Zum Volltext des Vortrages geht es hier…
Thursday, April 9. 2009
Zur Krise an sich kann man im Grunde – im Unterschied zur Katastrophe – gratulieren, steht sie doch nicht für das Hoffnungslose, sondern für die Wende zum Besseren. Jedenfalls für die altgriechischen Wortschöpfer. Und so heißt es denn auch, man solle das Eisen schmieden, wenn es heiß sei. Im übertragenen Sinne wüsste man dann allerdings schon gerne, ob man dabei das Eisen, das Feuer oder der Schmied ist. Es käme dann schon noch drauf an. Das sagt sich ja so leicht, dass im Chinesischen für „Krise“ und „Chance“ die gleichen Schriftzeichen verwendet werden. Das stimmt – zum Teil. Was stimmt, ist, dass in beiden das Schriftzeichen für „Gelegenheit“ enthalten ist. Und ob das Walten des Schmieds dazu führt, bei Gelegenheit sein Glück zu schmieden, hinge dann doch mit einigem und einigen Anderen zusammen. Zu den chinesischen Schriftzeichen gäbe es übrigens eine kleine Information. Zu dem Anderen, das dabei eine Rolle spielte, gehört wohl auch Vertrauen. Wohl auch ein ausreichend sicheres Gespür dafür, ob die Gelegenheit das Vertrauen rechtfertigt. Im Hinblick auf das aktuelle Wirtschaftsdebakel, das ja auch gerne als eine Art Vertrauenskrise beschrieben wird, dürfte vielleicht noch fraglich sein, ob das schon Krise genannt werden kann, Ausdruck eines Wendens zu womöglich Besserem. Da wüsste man noch nichts Genaues davon. Im Hinblick auf Psychotherapien wäre es schon eher möglich, sie mit Krise im Ursprungssinn in Verbindung zu bringen. Die Hoffnung auf Besseres dürfte jedenfalls damit verbunden sein. Daher könnte es nicht schaden, von einer Dissertation zu erfahren, die Martina Hewig 2008 an der Uni Trier vorgelegt hat mit dem Titel: Generalisierte und spezielle Vertrauensaspekte in der Psychotherapie. Es handelt sich um eine „empirische Studie zur prognostischen Bedeutung der Vertrauens-Trias für das Ergebnis stationärer Psychotherapie“. Die angesprochene Trias bezieht sich auf interpersonales Vertrauen, auf Selbstvertrauen und auf Zukunftsvertrauen, drei Variablen, die Günter Krampen zum Trias-Modell des Vertrauens verdichtet hat. Die vorliegende Dissertation bringt, wie es Dissertationen üblicherweise auszeichnet, viele grundsolide sortierte Fakten zusammen, und es mag ihr nachgesehen werden, dass sie nicht in erster Linie zur leichten Lektüre geschrieben wurde. Doch gibt es viele interessante Querverbindungen, Anstöße und Anregungen, unter anderem auch zum Thema „Therapeutische Beziehung als Wirkfaktor“, „Vertrauen als Bestandteil der therapeutischen Beziehung“, oder „Bindung in der therapeutischen Beziehung“. Der empirische Teil bringt Hinweise auf „bedeutsame Varianzaufklärung durch die bereichsspezifischen Vertrauensskalen“. Es mag nicht verwundern, dass das „bereichsspezifische Zukunftsvertrauen (…) dabei den varianzstärksten Prädiktor für den Therapieerfolg“ darstellte. Man muss sich schon vorstellen können, dass der Boden trägt, auf den man sich zum Besseren bewegen will. Zur Dissertation von Hewig geht es hier…
In einem äußerst interessanten Aufsatz, der soeben in der neuen Ausgabe des Forums qualitative Sozialforschung erschienen ist, befasst sich der Metaphernforscher Rudolf Schmitt, Professor an der Hochschule für Sozialwesen in Zittau, mit der metaphorischen Konstruktion von Geschlecht. Seine Arbeit rezipiert die vorhandenen Studien, stellt zentrale Begriffe der kognitiven Metapherntheorie vor und versucht eine Revision derselben, welche dazu beitragen könnte, Metaphernanalysen der Konstruktion von Geschlecht theoretisch und forschungsmethodisch weiter zu entwickeln, wie es im abstract heißt. Dabei kritisiert er das mangelnde Verständnis der kognitiven Metapherntheorie für die „geschlechtsblinde und geschichtsvergessene“ Konzeption von Metaphern bei Lakoff und Johnson, die „von einer allgemein-menschlichen Körpererfahrung als Ausgangspunkt metaphorischen Denkens“ ausgingen. Andererseits seien viele Forschungsarbeiten von einer Tendenz gekennzeichnet, „nicht nur Unterschiede zu beschreiben, sondern sie auch herzustellen, wo sie nicht sind, sie durch eine Fokussierung zu übertreiben oder die gefundenen Differenzen durch wissenschaftliche Beschreibung nur zu verdoppeln, statt diese auch als hergestellte auszuweisen. Diese Formen beschreiben die alltäglich übliche, in der Forschung jedoch als methodischer Fehler zu diskutierende Praxis des doing gender“. Damit ist auch das Risiko verbunden, „Unterschiede über das vorhandene Maß hinaus zu betonen, Gemeinsamkeiten zwischen den Geschlechtern auszublenden sowie Überschreitungen von Geschlechtsstereotypen zu übersehen“. Zum vollständigen Text geht es hier…
Sunday, April 5. 2009
 So lange ein umwelt-sensibles und ökologisch verantwortliches Verhalten eher mit Verzichtserleben und Selbstquälerei in Verbindung gebracht wird, dürfte es eine ziemlich harte Nuss bleiben, hier zu einem tragfähigen commitment zu kommen. Einerseits sind Sorgen um den Zustand unserer  "Welt" (des Klimas, der Meereserwärmung, der Eisbären,…) mittlerweile en vogue – wenn auch zur Zeit finanztechnisch vernebelt -, doch mag auch kaum jemand "zurück zur Natur", wenn die Natur es uns nicht gemütlich genug macht. Kirk Warren Brown (Foto links) (von der kanadischen McGill Universität) und Tim Kasser (Foto rechts (vom Knox College in Galesburg, Illinois) haben dazu im Jahr 2005 eine Untersuchung veröffentlicht (" Are Psychological and Ecological Well-Being Compatible? The Role of Values, Mindfulness, and Lifestyle", Social Indicators Research 74: 349-368).
Es ging ihnen um die Frage, ob es möglich sei, so zu leben, dass man sowohl das persönliche als auch das "planetarische" Wohlergehen fördere. Als Ergebnis ihrer Studie halten sie fest, dass persönliches Wohlbefinden und ökologisch verantwortliches Verhalten als komplementär angesehen werden können. Glücklichere Menschen lebten umweltverträglicher – wenigstens die, die an dieser Untersuchung teilnahmen. Die Autoren identifizierten zwei Faktoren, die das ermöglichten: eine intrinsische Wertorientierung und Achtsamkeit. Zusammengefasst: "Die Ergebnisse dieser Studie nähren die Hoffnung, dass eine wechselseitig vorteilhafte Beziehung besteht zwischen persönlichem und planetarischem Wohlbefinden, besonders dann, wenn unterstützende Faktoren wie Achtsamkeit und intrinsische Werte kultiviert werden können". Zur Studie von Brown und Kasser geht es hier …
Thursday, April 2. 2009
 Unter diesem Titel hielt Kurt Ludewig im November 1998 einen Festvortrag bei der Jubiläumstagung "15 Jahre BIF - Berliner Institut für Familientherapie." Das Institut ist nun schon 25 Jahre alt und unser Geschichte wird auch immer länger - kein Grund, nicht immer wieder mal einen Blick darauf zu werfen und sich die verschiedenen Entwicklungsstränge mal wieder vor Augen zu führen - gerade angesichts der momentanen berufs- und weiterbildungspolitischen Situation. Der Vortrag ist auch online zu lesen, zum Volltext geht es hier…
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