
Detlef Horster, Professor für Sozialphilosophie in Hannover und Autor einer
Einführung in das Werk Niklas Luhmanns, hat sich 1997 in der Zeitschrift für philosophische Forschung mit dem Problem einer postchristlichen Moral auseinandergesetzt: "Daß es Moral geben muß, liegt an der schlichten sozialen Tatsache, daß wir unser Handeln mit anderen koordinieren müssen. Handeln muß so selbstverständlich erfolgen und koordiniert werden können, daß es im Alltag durch wechselseitig verpflichtende Regeln reibungslos geschieht. Das wiederum ist nur möglich, wenn Moral zum Bestandteil des Selbst der einzelnen handelnden Menschen geworden ist. Es verhält sich so, wie Immanuel Kant es für den Kategorischen Imperativ formulierte, er kann nur wirksam sein, wenn er zur zweiten Natur geworden ist. In früheren Gesellschaften war das moralisch richtige Verhalten für alle gleichermaßen unstreitig "durch den Gehorsam gegenüber Gottes heiligen Geboten motiviert, also durch Gottes Liebe oder auch nur durch Furcht vor Gottes Zorn oder Hoffnung auf Belohnung moralisch guten Verhaltens im Jenseits". (Patzig 1994, 7) Moralisches Handeln hatte einen für alle gleichermaßen verbindlichen und sicheren Bezugspunkt: Gott und die Offenbarung. Das ist heute unwiderruflich anders, spätestens nachdem die christliche Religion ihre gesellschaftsintegrierende Kraft verloren hat. Das Problem besteht darin, daß wir es in der Gegenwartsgesellschaft mit einschneidenden Fragmentierungen zu tun haben, von denen zunächst die Rede sein muß, wenn wir uns dem Problem der Handlungskoordinierung auf der Basis postchristlicher Moral zuwenden wollen. Dabei stellt sich die Frage, ob es trotz der später zu beschreibenden Fragmentierungen für alle moralischen Regeln und Handlungen und darüber hinaus für alle rechtlichen Regeln und Entscheidungen einen gemeinsamen Bezugspunkt gibt, der für die Interaktionen der vergesellschafteten Individuen als Kontextbedingung und Basis gelten kann. Die Antwort auf diese Frage wird zentraler Gegenstand der Abhandlung sein."
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