Tuesday, February 27. 2007
 Ein sehr schöner Aufsatz von Martin Altmeyer in der neuesten Ausgabe der "Kommune" befasst sich mit der "Zukunft der Psychoanalyse nach Freud" und geht sehr kritisch mit der psychoanalytischen Vergangenheit um. Gleichzeitig macht er aber auch deutlich, dass mit dem Fokus auf Intersubjektivität ein wirklicher Paradigmenwechsel in der Psychoanalyse stattgefunden hat, der die Aufmerksamkeit weg von einer letztlich illusionären Tiefenschau hin zu einer Untersuchung der zwischenmenschlichen Oberflächen bzw. Interfaces führt: "Die Psychoanalyse hat das Graben in der Tiefe übertrieben. Im Fluss des Lebens fließt alles mehr oder weniger weit oben. Die allertiefste Tiefe ist eine Illusion« – so lautet die kritische Bestandsaufnahme des indischen Psychoanalytikers Sudhir Kakar, aus der eine Psychoanalyse, welche im Zuge ihrer Modernisierung die Psyche zunehmend unter dem Paradigma der Intersubjektivität betrachtet, ihre Konsequenzen zu ziehen scheint. Der aufgeklärte psychoanalytische Blick gilt dem, was – unsichtbar, aber dennoch zu beobachten – an der sozialen Oberfläche passiert, nämlich im Austausch des Einzelnen mit seiner Umwelt, in der Dynamik von Paarbeziehungen, in der Interaktion von und zwischen Gruppen, im interreligiösen oder auch im interkulturellen Konflikt. Darin könnte das intersubjektiv angereicherte Erbe Freuds in Zeiten der Globalisierung bestehen: die Erkenntnis, wie sehr Menschen mental miteinander verwoben sind und unbewusst aufeinander bezogen bleiben – im positiven wie im negativen Sinne. Für diesen Befund bietet eine zusammenwachsende Welt zahlreiche Fallbeispiele." Es dürfte deutlich werden, dass die Rezeption der Psychoanalyse innerhalb der systemischen Gemeinde nach wie vor völlig unterkomplex ist und sich immer noch an einer Psychoanalyse orientiert, die langsam und allmählich ausstirbt. Die Lektüre von Altmeyers Aufsatz bietet vielleicht Anregungen zur Korrektur. Zum vollständigen Text…
Monday, February 26. 2007
 Heute vor 100 Jahren wurde John Bowlby als viertes von sechs Kindern einer Familie aus der gehobenen Mittelklasse Englands geboren, einer der bedeutendsten psychologischen Theoretiker des vergangenen Jahrhunderts und der Begründer der Bindungstheorie. Seine wissenschaftliche und konzeptuelle Leistung ist umso höher zu bewerten, als sie – zumindest zu Beginn – relativ isoliert und weitgehend autonom von Bowlby erbracht wurde, der seitens der psychoanalytischen Gemeinde, der er angehörte, massiv wegen der Aufgabe traditioneller psychoanalytischer Prinzipien (Triebtheorie, Ödipuskomplex etc.) und der Einbeziehung moderner systemtheoretischer Konzepte angegriffen und ausgestoßen wurde. In den vergangenen Jahrzehnten hat sich die Bindungstheorie nicht nur als bedeutsames Forschungsparadigma etablieren können, sondern auch breite schulenübergreifende Anerkennung in der psychotherapeutischen Szene verschafft. Allan Schore, Neurowissenschaftler und Psychoanalytiker, spricht in einem längeren (nur auf englisch veröffentlichten) Interview über John Bowlby, die Entwicklung seiner Theorie und ihre Bedeutung für die gegenwärtige Forschung. Zum Interview…
Wednesday, February 21. 2007
 Unter diesem Titel hat Johannes Herwig-Lempp 1993 im verlag modernes lernen ein Buch veröffentlicht, das mittlerweile nicht mehr erhältlich ist. Ein weitgehend identisches PDF-Manuskript ist aber mittlerweile von der website des Autors online zugänglich. Über das Buch schreibt der Autor: "Drogenabhängigkeit ist das Erklärungsmodell für ein bestimmtes, von der Norm abweichendes Verhalten im Umgang mit Alkohol, Heroin, Medikamenten und anderen Stoffen. Dieses Erklärungsmodell läßt sich, zunächst theoretisch, dekonstruieren, indem man es durch das Erklärungsmodell der Autonomie und Selbstbestimmung ersetzt. Folgt man diesem Modell, werden Drogenkonsumenten nicht mehr als willenlose Opfer ihrer Sucht, sondern als Subjekte verstanden. Man setzt lediglich voraus, daß auch Menschen mit stark abweichendem Konsumverhalten sich dabei sinnvoll verhalten. Diese Sichtweise hat Folgen für die Praxis. Selbstbestimmung ist eine Frage der Zurechnungsfähigkeit: inwieweit bin zunächst ich fähig, dem anderen Selbstbestimmung zuzugestehen? Die „Rekonstruktion der Unabhängigkeit“ findet im Lebensalltag, im Dialog statt. Mit den Ansätzen der Akzeptierenden Drogenarbeit und der systemischen Beratung werden Handlungsmodelle entwickelt und ausführlich dargestellt, die neue Wege und Perspektiven in der Arbeit mit drogenkonsumierenden Menschen eröffnen. Das Buch richtet sich sowohl an SozialpädagogInnen, SozialarbeiterInnen und PsychologInnen, die in speziellen Drogenberatungs- und Drogentherapieeinrichtungen arbeiten, als auch an BeraterInnen und TherapeutInnen, die mehr am Rande mit Problemen des Konsums von legalen und illegalen Drogen zu tun haben." Zum vollständigen Manuskript…
Saturday, February 17. 2007
 Mit "Trauma & Gewalt. Forschung und Praxisfelder" hat eine neue Fachzeitschrift aus dem Verlag Klett-Cotta in dieser Woche das Licht der Publikationsöffentlichkeit erblickt, herausgegeben von Günther H. Seidler, Harald J. Freyberger und Andreas Maercker. In ihrem programmatischen Editorial schreiben sie in Heft 1: "Im Umfeld psychischer Traumatisierung werden Zusammenhänge zerrissen. Das betrifft Zusammenhänge im Erleben der betroffenen Personen, Erinnerungsfetzen geistern durch die Seele des Opfers, sind nicht raum-zeitlich verortet und drängen sich immer und überall auf. Es betrifft auch Lebenszusammenhänge des Opfers: Die berufliche Tätigkeit ist häufig gefährdet oder geht verloren, das gleiche gilt für Partnerschaften, die Beziehungen zu anderen Menschen sind nicht mehr so wie früher, und Opfer von Gewalt erleben sich häufig aus dem Gesamt ihrer bisherigen Bezüge zu sich, zu anderen Menschen und zur »Welt« als herausgefallen, als nicht mehr zugehörig. Eine vergleichbare Unterbrechung von Zusammenhängen ist aber auch in der Beschäftigung mit dem Opfer zu erkennen. Das betrifft zum einen dessen Versorgung: Welche therapeutische Disziplin ist zuständig, welcher Kostenträger, welche Hilfseinrichtung? Zum andern betrifft es aber auch den wissenschaftlichen Diskurs. Ein Gewaltopfer wird zum Patienten oder Klienten und wird zum »Gegenstand« der Heilberufe. Das, was zu seiner Not führte, die Gewalt, wird in diesem Rahmen nicht mehr Gegenstand wissenschaftlicher Reflexion. Eine solche Dissoziation, ein solches Auseinanderreißen von Ereignis und Ereignisfolge, macht diese Zeitschrift nicht mit. Diese Schein-Alternative von Innen und Außen, von Subjektivem und Objektivem, verkennt, dass es sich bei dieser Alternative um einen in die Welt hineingetragenen Dualismus handelt, der bei genauer, sorgfältiger Betrachtung und Beschreibung in sich zusammenfällt. So trägt diese Zeitschrift ihr Programm im Titel: Gewalt verursacht Wunden, die ihrerseits wieder Ursache von Gewalt sein können. Auf diesem Hintergrund verstehen wir Psychotraumatologie als klinisches Anwendungsfeld der über greifenden Thematik von Gewalt und Gewaltbereitschaft und ihrer Folgen und Bedingungen, wobei »Gewalt« in der Natur ebenso zu finden ist (als »Naturgewalt«) wie im sozialen und psychischen Raum. Die so verstandene »Gewalt« ist aber wiederum nur als interdisziplinäres Gegenstandsfeld einigermaßen angemessen begrifflich zu fassen und forschungsmäßig zugänglich zu machen." Das Inhaltsverzeichnis des ersten Heftes finden Sie hier. Es enthält u.a. ein ausführliches Interview von Michaela Huber mit dem niederländischen Trauma-Forscher Onno van der Hart, in dem dieser Auskunft über seine Theorie der strukturellen Dissoziation der Persönlichkeit und ihre klinische Umsetzung gibt. Dieses Interview ist auch online im Volltext zu lesen.
Wednesday, February 14. 2007
 UNICEF stellte heute eine Studie in der Öffentlichkeit vor, mit der die Lebenssituation von Kindern in Industrienationen vergleichend untersucht worden ist: "Die erste internationale Vergleichsstudie zur Situation der Kinder in Industriestaaten zeichnet für Deutschland ein ernüchterndes Bild. Deutschland ist nur Mittelmaß, wenn es darum geht, verlässliche Lebensumwelten für die junge Generation zu schaffen. Bei dem UNICEF-Vergleich der zentralen Aspekte kindlicher Entwicklung in 21 Industrieländern kommt Deutschland nur auf Rang 11. Die Niederlande führen die UNICEF-Tabelle als kinderfreundlichstes Land an, gefolgt von Schweden, Dänemark und Finnland. Besonders schlecht schneiden Großbritannien und die USA ab. UNICEF hat die Lage der Kinder erstmals anhand von sechs Dimensionen umfassend verglichen: materielle Situation, Gesundheit, Bildung, Beziehungen zu Eltern und Gleichaltrigen, Lebensweise und Risiken sowie eigene Einschätzung der Kinder und Jugendlichen. Für den Bericht wurden Daten aus internationalen Studien und Untersuchungen auf Länderebene ausgewertet. Deutschland erreicht in allen Dimensionen nur durchschnittliche Werte." Genauere Informationen auf der UNICEF-Website…
 Heute hat einer meiner Lieblingsautoren Geburtstag. Alexander Kluge, Jurist, Medientheoretiker, Erzähler, Filmregisseur, Fernsehmacher, Einflussnehmer, Interviewer, um nur einige Bezeichnungen zu verwenden, wird 75 Jahre alt. Hier zwei Interviews mit ihm aus kürzerer Zeit: eines mit der Literaturzeitschrift volltext über seine Beziehung zum Film und eines mit der Neuen Zürcher Zeitung zum Thema Suhrkamp-Kultur, Bücher und Internet. Gratulation.
Sunday, February 11. 2007
 Elisabeth Wagner, Lehrtherapeutin an der Wiener Lehranstalt für systemische Familientherapie und langjährig erfahrene Psychologin in der Forensik, hat einen schönen Aufsatz über Systemkompetenz in der forensischen Psychiatrie geschrieben, der 2004 in den "systemischen notizen" erschienen ist, der Zeitschrift der Lehranstalt: "Nach einer einführenden Darstellung des Arbeitskontextes Maßnahmenvollzug soll in diesem Beitrag aufgezeigt werden, wie eine unkritische Anwendung zentraler systemischer Konzepte wie Auftragsfokussierung, Lösungs- und Ressourcenorientierung den Erfordernissen einer verantwortungsvollen therapeutischen Arbeit in der Forensischen Psychiatrie zuwiderläuft, während die kritische Reflexion dieser Konzepte unter Einbeziehung der Systemtheorie als Theorie sozialer Systeme und als Metatheorie des Beobachtens und Unterscheidens eine besondere Kompetenz des systemischen Therapeuten darstellen kann. … „Systemkompetenz“ in der Forensischen Psychiatrie besteht neben einer angemessenen Konzeptualisierung des institutionellen Kontextes also auf theoretischer Ebene darin, die Kontextabhängigkeit von Verhalten und die Beobachterabhängigkeit von Beschreibungen im Bewußtsein zu halten und für die Leitdifferenzen und damit auch für die blinden Flecken anderer klinischer Konzepte zu sensibilisieren. Auf einer praktischen Ebene ermöglicht Systemkompetenz eine therapeutische Haltung, die das explizite Thematisieren von Rollenverquickungen nahelegt und in der damit verbundenen Offenheit und Transparenz (nicht in der unkritischen Akzeptanz jeder Selbstbeschreibung) auch Respekt gegenüber dem zur Therapie Gezwungenen ausdrückt. Zum vollständigen Beitrag…
Saturday, February 10. 2007
Der wissenschaftliche Verlag SAGE-Publications bietet einen bis Ende Februar begrenzten kostenfreien Zugang zu allen seinen Online-Zeitschriften: "SAGE knows that a journal's archive is just as valuable to today's research as the latest up-to-the minute findings. We are therefore pleased to announce that SAGE has scanned and digitized over 300,000 articles from our print journal backfiles* and uploaded them to the SAGE Journals Online platform. This means over 3.5 million additional pages are now online across the fields of Business, Humanities, Social Sciences, and Science, Technology and Medicine, and even more are on the way soon. To celebrate, throughout February all content on SAGE Journals Online is accessible for free!" Benutzer müssen sich (kostenfrei) einloggen und können dann alle Beiträge als PDF herunterladen. Zur Website von SAGE…
Sunday, February 4. 2007
Ein außerordentlich differenzierter Artikel über ein Pilotprojekt der psychotherapeutischen Arbeit mit Pädophilen an der Berliner Charité von Cornelia Gellrich erschien in der gestrigen Ausgabe der TAZ: ""Lieben Sie Kinder mehr, als Ihnen liebt ist?", warb 2004 das Institut für Sexualmedizin an der Berliner Charité für sein bislang einzigartiges Forschungsprojekt "Zur Prävention von sexuellem Kindesmissbrauch im Dunkelfeld" potenzielle und reale Täter an. Mehr als 500 Männer meldeten sich zur "Dissexualität-Therapie", 170 davon, unter ihnen Herr P., begannen die auf ein Jahr angelegte Therapie 2006, 100 sind noch übrig, 50 weitere beginnen jetzt in diesem Frühjahr. Nur diejenigen werden behandelt, bei denen tatsächlich eine pädophile Neigung in den Vorgesprächen erkannt wird. Viele befürchten, pädophil zu sein, interessieren sich aber in Wahrheit nur für Kinder als Ersatzobjekte, weil sie einer gleichberechtigten Beziehung zu einem Erwachsenen nicht gewachsen sind. (…) Für Professor Beier und seine Kollegen fällt unter sexuellen Missbrauch jede Handlung an oder mit einem Kind, die der Stimulierung oder Befriedigung der sexuellen Bedürfnisse eines Erwachsenen dient, auch wenn es sich dabei nur um Händchenhalten oder Haareordnen handelt. Deshalb lautet ihre Losung strikt: Hands off! Das Pilotprojekt "Prävention im Dunkelfeld" will Pädophile nicht umpolen, denn eine Veränderung der sexuellen Präferenz, die sich spätestens in der Pubertät festigt, ist nicht möglich. Zu schaffen ist aber nach Einschätzung von Professor Beier und seinem Team eine vollständige Verhaltenskontrolle. Darüber hinaus sollen außerdem psychische Sekundärschäden gelindert werden. Die meisten Pädophilen leiden unter Depressionen, Ängstlichkeit, paranoidem Denken. Dazu kommen Einsamkeit, Soziophobie, Suchtverhalten." Zum vollständigen Artikel…
 Niels Werber zum zweiten (Foto: Gegeninformationsbüro.de): Die Gesamtheit aller Kommunikationen lässt sich Niklas Luhmann zufolge als "Weltgesellschaft" verstehen. Die technische Entwicklung macht es scheinbar möglich, dass Kommunikationen weltweit, ohne Berücksichtigung räumlicher Grenzen, für andere Kommunikationen anschlussfähig werden. In einem differenzierten Text (eines Vortrages von November 2001) untersucht Werber die Implikationen dieser Idee bei Luhmann, Willke und Stichweh, die - so Werber - darauf hinauslaufen, dass die materialen und räumlichen Voraussetzungen der technischen Medien der Kommunikation weitgehend ausgeblendet werden, zugunsten einer Vorstellung, dass Raum (z.B. Staaten, Grenzen etc.) angesichts der zunehmend möglichen raumüberwindenden Gleichzeitigkeit von Kommunikation eine immer kleinere Rolle spiele. Diese Vorstellung wird von Werber kritisiert: "Wenn die Unterscheidung des Raums: da oder dort, einen Unterschied macht, also den Systemzustand eines sinnverarbeitenden Systems verändert und mithin Information erzeugt, dann sollte man sie in den Rang einer Sinndimension befördern. Mit der Aufwertung des Raums würde man Anschluß gewinnen an den Stand der medientheoretischen Diskussion, welche Verbreitungsmedien nicht nur auf ihre temporalen Strukturen untersucht, sondern wesentlich auch auf räumliche. Der Raum würde auch Gewicht bekommen für die Wahl der raumüberwindenden Medien: Maultiere und Boten oder Datenpakete und Glasfaserleitungen. Saskia Sassen hat daran erinnert, daß die Rhetorik der globalen real-time-Kommunikation, die immer gleichzeitig überall stattzufinden scheint, den Blick dafür verstellt, daß ,die führenden Telekommunikationsunternehmungen, um Telekommunikationsdienstleistungen anzubieten, die Distanz neutralisieren, einen Zugang zu echtem, materiellem Land brauchen, weil die wesentliche Technologie immer noch Glasfaser sind, und die sind auch ganz materiell.' Da Land gebraucht wird und Land immer noch Hoheitsgebiet eines Staates ist, gehört zur politischen Souveränität die Möglichkeit, im Ausnahmefall die Kabel kappen lassen zu können. Die schon zitierte Behauptung, daß Grenzen zwischen Staaten ,weder von Wahrheiten noch von Krankheiten, weder von Bildung noch vom Fernsehen, weder vom Geld noch von der Liebe respektiert werden', ist also nur bedingt gültig, nämlich nur für den Normalfall. Daß die Funktionssysteme ,unabhängig von Raumgrenzen' operieren, trifft nur dann zu, wenn der Verkehr von Daten und Gütern: also die entsprechende Technik funktioniert. Den Ausnahmefall zu denken, in dem auf Räume und Körper zugegriffen wird, vermeidet die Systemtheorie bisher. Deshalb kennt sie zwar infinite Hierarchien von Medium-Form-Unterscheidungen, nicht aber die Frage nach den Medien in Medien, die uns hier zum Raum, zum Körper und zur Technik geführt hat." Zum vollständigen Text…
In einem kurzen und klaren Aufsatz in der gestrigen Online-Ausgabe der Frankfurter Rundschau konstatiert der Bochumer Medientheoretiker Niels Werber, derzeit Lehrer für Medienkultur an der Bauhaus-Universität in Weimar, einen fundamentalen Wandel der Gesellschaft, der sich in der Auflösung des klassischen begrifflichen Gegensatzes von Krieg und Frieden offenbart: "Dass diese "neuen" oder "asymmetrischen Kriege" nicht mehr Krieg heißen, sondern Konflikt, militärische Operation oder Kampf, könnte man für einen euphemistischen Etikettenschwindel halten, um störende Hegungen wie die Genfer Konventionen, die Ächtung bestimmter Waffen oder die Haager Landkriegsordnung zu umgehen, aber es geht um viel mehr: Mit der Unterscheidung von Krieg und Frieden geht ein Begriffspaar verloren, das seit der Antike der Selbstbeschreibung der Kulturen gedient und das Selbstverständnis der Gesellschaften orientiert hat. … Die erfolgreiche Karriere des Nicht-Kriegs erschüttert nicht nur die Begriffsarchitektur der Völker- und Menschenrechte, sondern eröffnet eine neue Epoche gesellschaftlicher Selbstbeschreibungen, die ohne den Gegensatz von Krieg und Frieden auskommen müssen. Nach den alten Regeln wird nicht mehr gespielt, ob es neue gibt, ist noch unklar. Der vollständige Verlust an begrifflicher, rechtlicher, politischer und kultureller Bestimmtheit, wie sie dem alten Begriffspaar Krieg und Frieden einmal zukam, verweist auf eine Lage, in der "Interventionen", "Maßnahmen", "Special Operations" und "Preemptive Strikes", "rechtsfreie Zonen", "Ausnahmezustände" oder Fälle wie die von Murat Kurnaz oder Alexander Litwinenko niemanden mehr überraschen können. Die Gesellschaft, die sich an die Effekte des allenthalben und allerorten geführten Nicht-Krieg gewöhnt hätte, wäre eine andere. Sie wäre "entsichert" (Tom Holert/Mark Terkessidis). Der Friede wäre ihr unbekannt." Zum vollständigen Artikel…
Friday, February 2. 2007
Unter dieser Überschrift gibt es einen Text ("Erster Entwurf") von Thomas Krumm, Politologe an der Philipps-Universität Marburg, der mit der Technik der Sequenz-Analyse aus der Schule der "objektiven Hermeneutik" Oevermanns ein veröffentlichtes Luhmann-Interview (von Detlef Horster) mit dem Ziel untersucht, biografische Motive im Werke Luhmanns aufzuschlüsseln, ein reizvolles Projekt, da Luhmann bekanntermaßen mit autobiografischen Äußerungen mehr als sparsam umging. Zunächst stellt Krumm überraschende Ähnlichkeiten zwischen Luhmann und Max Weber fest: "Überraschenderweise war Luhmann, als es 1961 zur Strukturkrise in seiner Biographie kam, mit 34 Jahren genauso alt wie Max Weber, als dessen Nervenleiden mit einem ersten nervö-sen Zusammenbruch und anschließendem Erholungsaufenthalt am Genfer See im Jahr 1898 begann. Die Behauptung einer Lebenskrise Luhmanns im Alter von 34 Jahren, im Jahr 1961, mag zunächst überraschen und muss in den folgenden Fallrekonstruktionen belegt werden. Die Hypothese stützt sich darauf, dass in einem Jahr zugleich geheiratet wurde und die Verwaltungskarriere, die der jungen Familie ein sicheren Rückhalt gegeben hätte, zugunsten eines Stipendiums an der Harvard-Universität, wo er dann mit Talcott Parsons zusammen traf, aufgegeben wurde." Anhand des Interviews versucht Krumm aufzuzeigen, dass Luhmanns Theorieoptionen bereits früh in seiner - als zwanghaft charakterisierten - Neigung, Ordnung zu schaffen, gebahnt ihre Wurzeln finden: "Für den vorliegenden Fall ist typisch, dass dieses Realabstrahieren nicht nur zwanghaft ist, sondern auch schon sehr früh in diese Intellektualität sublimiert ist, eine sehr frühe Systematisierung enthält. So stellt er sich auf interessante Weise so dar, dass er schon in seiner Frühzeit Systemtheoretiker war. Die Grundhaltung war die des Ordnung-Schaffens. Er sieht sich in der Kontinuität dieser Ordnungsproduktion." Zum vollständigen Text (25 S.)…
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