Über diese schon lange strittige Frage streiten in der Ausgabe 11/06 von DNP ("Der Neurologe & Psychiater") Mathias Berger, Ärztlicher Direktor der Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums Freiburg (Pro) und Christoph Mundt, Ärztlicher Direktor der Klinik für Allgemeine Psychiatrie an der Uniklinik Heidelberg (Contra). Mundt: "EBM wird meist unter den Gesichts punkten der Akzeptanz und der Praktikabilität, der Ausbildungs- und Weiterbildungscurricula und der Motivierbarkeit der Praktiker diskutiert. Und wo bleibt die Expertiseforschung? Zur Entwicklung von Expertise tragen Intuition, Gedächtnisleistung, praktische
Intelligenz und Episodenlernen bei. Nach Studien von Sackett u.a. wird das Erkennen klinischer Muster aus fallorientiertem Lernen und Erfahrung generiert, und erst daraus sind medizinische Entscheidungskompetenz und Effizienz ableitbar. Wissen und Gedächtnis von Experten sind offenbar an narrativen Fallepisoden orientiert. Das deklarative Wissen der EBM trägt erst durch die Verknüpfung mit dem Fallepisoden-basierten Wissen zur Kompetenzsteigerung bei." Zum vollständigen Text…
In der heute veröffentlichten Themenausgabe des Forums Qualitative Sozialforschung FQS zum Thema "Zeit und Diskurs" findet sich unter anderem ein Aufsatz von Dirk Koob, Privatdozent für Soziologie an der Universität Göttingen, der eine studentenorientierte Einführung in die Theorie des Symbolischen Interaktionismus bietet, welche vor allem in den 70er Jahren kollossalen Einfluss auf die Sozialwissenschaften hatte. Am Beispiel von Loriots Badewannendrama wird unter dem Titel "Loriot als Symbolischer Interaktionist. Oder: Warum man selbst in der Badewanne gelegentlich soziale Ordnung aushandeln muss" u.a. die These verdeutlicht, dass Menschen Dingen gegenüber auf der Grundlage von Bedeutungen handeln, die sie diesen Dingen beimessen." systemagazin freut sich, das empirische Material gleich mitzuliefern. Zum vollständigen Artikel…
Am 29. Januar 18887 wurde René Arpad Spitz als Kind ungarischer Eltern in Wien geboren, wuchs aber in Budapest auf. Nach dem Medizinstudium in Lausanne, Berlin und Budapest, wo er 1910 promovierte, ließ sich Spitz als Schüler Ferenczis zum Psychoanalytiker ausbilden. Seine Lehranalyse absolvierte er bei Siegmund Freud. 1924 zog er nach Wien, 1930 nach Berlin, später nach Paris, von wo aus er angesichts der Bedrohung durch die Nationalsozialisten nach New York übersiedelte. Nach seiner Emigration in die USA wurde er 1956 Professor für Psychologie an der Graduate Faculty des City College of New York und 1967 Professor für Psychiatrie an der University of Colorado. Er starb am 14. September 1974 in Denver, Colorado. In seiner Wiener Zeit erhielt er einen Forschungsauftrag unter Charlotte Bühler in der Kinderkrippe der Kinderübernahmestelle der Stadt Wien. Er befasste sich als erster mit der systematischen Erforschung der Psychologie des Säuglingsalters und begründete das Interaktions-Paradigma in der Säuglingsforschung, das die Untersuchung der Sozialbeziehungen des Babys in den Mittelpunkt der Forschung rückt und neben der Untersuchung der kognitiven Entwicklung bis heute die Forschungsbemühungen in diesem Sektor dominiert. In einem schon älteren Text mit dem Titel "Sozialwaisen - Kleinkinder ohne Familie. Auswirkungen von Hospitalismus" aus dem Jahre 1982 beschreibt Maximilian Rieländer zusammenfassend die Ergebnisse der Hospitalismusforschung dar, die dauerhaft mit dem Namen von René Spitz verbunden sein wird. Zum vollständigen Text (PDF)…
Das Jahr der Geistenswissenschaften? Haben wir! Jetzt. Wirklich. Und gestern ist es im Berliner Martin-Gropius-Bau eröffnet worden. Vom Soziologen, und Friedenspreisträger Wolf Lepenies. Seine interessante Rede ist in der heutigen Online-Ausgabe der Welt nachzulesen: "Am bedrohlichsten aber ist das Verschwinden ganzer Disziplinen. Auch wenn wir von den Biologen gelernt haben, dass zum Erhalt der Artenvielfalt keine Maximierungs-, sondern eine Optimierungsstrategie notwendig ist: Analog zum Artenschutz- benötigen wir längst ein Fächerschutzabkommen. Es steht zu befürchten, dass der sogenannte Bologna-Prozess, der in das deutsche Universitätssystem die Bachelor- und Master-Studiengänge hineinzwingt, das Todesurteil für eine Reihe kleiner Fächer bedeutet." Und: "Im Zeitalter der Wanderungen, des Kulturenwechsels und hoher Mobilitätsansprüche an den Einzelnen helfen die Geisteswissenschaften, sich in unterschiedlichen Milieus und Lebenswelten zurechtzufinden. Die Geisteswissenschaften sind Verstehens- und Übersetzungswissenschaften - aber sie übersetzen nicht mit dem Ziel, ein einheitliches Idiom zu schaffen, in dem sich alle mühelos miteinander verständigen könnten. In den Geisteswissenschaften muss die Geschichte vom Turmbau zu Babel neu erzählt werden: Am Anfang sprachen die Menschen verschiedene Sprachen, und weil es großer Anstrengung bedurfte, sich zu verständigen, werteten sie jede gelingende Verständigung hoch; zum Konflikt kam es erst, als die Menschen ein einziges Idiom zu sprechen anfingen und nun der Illusion verfielen, sich für die Verständigung untereinander nicht mehr anstrengen zu müssen. Die Geisteswissenschaften ebnen Unterschiede nicht ein, sondern machen sie verstehend deutlich - und zeigen dabei, dass ästhetisches Vergnügen und ethische Befriedigung darin liegen, sich über erkannte Unterschiede miteinander zu verständigen. Dies ist der Sinn einer auf den ersten Blick etwas rätselhaften Bemerkung des Anthropologen Claude Lévi-Strauss: ,Nicht die Ähnlichkeiten ähneln sich, sondern die Unterschiede.' Das Motto für die Geisteswissenschaften steht in Shakespeares ,King Lear', und der Graf von Kent spricht es aus: ,I'll teach you differences' - ,Ich will euch Unterschiede lehren.'" Zum vollständigen Artikel…
Gestern, am 25.1., wäre Ilya Prigonine, 90 Jahre alt geworden. Der Physikochemiker und Nobelpreisträger für Chemie (1977) wurde am 25.1.1917 in Moskau geboren und übersiedelte mit seiner Familie 1921 nach Deutschland und 1929 nach Belgien, wo er 1949 die belgische Staatsbürgerschaft annahm. Er wurde weltberühmt für seine Arbeiten, in denen er sich mit dem Problem der Genererierung von Ordnung aus Chaos beschäftigte. Der berühmt gewordene Begriff der "dissipativen Strukturen" wurde von ihm geprägt. Sein Werk ist weit über den eigenen Arbeitsbereich hinaus bekannt geworden, so auch in der Psychologie und den Sozialwissenschaften. Im Internet ist ein autobiografischer Text von ihm auf der website des Nobelkomitees zu finden.
"Magersucht, extreme Ängste, Aggressionen, Minderwertigkeitskomplexe, Depression – die Krankheiten der Seele und ihre Erscheinungsformen sind vielfältig. Vielfältig sind auch die Methoden, mit denen Psychotherapeuten versuchen, mit dem Leiden umzugehen. Psychoanalyse, Familientherapie, Verhaltenstherapie und viele weitere Methoden gibt es, für den Laien sind sie kaum zu überschauen. Wie helfen sie, was unterscheidet sie voneinander? Und für wen ist welche Methode die richtige? In der elfteiligen Reihe "Therapien für die Seele" stellt SWR2 die unterschiedlichen Therapieformen und ihre Begründer vor. Zu hören ist die Sendereihe vom 7. Februar bis 18. April 2007, jeweils mittwochs ab 10.03 Uhr in SWR2 Leben.
Viktor Frankl, Karl Rogers, Fritz Perls, Milton Erickson - große Therapeuten, die mit Ihrem Menschenbild nicht nur das Denken in der Psychologie, sondern auch unser Alltagsdenken geprägt haben. Aber welcher Name gehört eigentlich zu welcher Therapieform? Was für Persönlichkeiten waren die Gründerväter. Wer sind ihre Nachfolger, und was zeichnet die verschiedenen Therapieformen aus? In SWR2 Leben geht es nicht um bloße Fakten, vielmehr lernen die Hörer das Besondere der jeweiligen Therapieform anhand von Menschen und ihrer Entwicklung kennen. In manchen Sendungen steht dabei die Geschichte eines Patienten und seine Therapie-Erfahrung im Vordergrund, in anderen die Gedanken und das Menschenbild der großen Therapeuten.
In der Auftaktsendung am 7. Februar um 10.03 Uhr geht es um die systemische Familientherapie. Sie bezieht das menschliche Umfeld mit ein. Wenn beispielsweise ein Mädchen an Magersucht leidet, können Verhaltensänderungen von Familienangehörigen viel bewirken. Die folgenden Sendungen stellen Logotherapie, Verhaltenstherapie, Psychodrama, Gesprächspsychotherapie, Gestalttherapie, Psychoanalyse und weitere Therapien bzw. Methoden vor. In der letzten Sendung am 18.4. geht es um den Dialog der Therapieformen."
Unter diesem Titel veröffentlichte die Historikerin Dagmar Herzog im Jahre 2005 im Siedler-Verlag ein Buch über die "Sexualität in der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts". In einem interessanten Gespräch mit dem Sexualforscher Gunter Schmidt für die TAZ vom 20. Januar ist mehr über ihre Thesen zu erfahren, vor allem darüber, dass der Nationalsozialismus für den nicht-unterdrückten Teil der Bevölkerung, also die Mehrheit, eher mit einer liberalen sexualpolitischen Haltung verbunden war: "Für das Gros der Bevölkerung, das nicht zu den verfolgten Minderheiten gehört, war die Botschaft: ,Leute, habt Spaß!' Die Botschaft meinte Verheiratete wie Unverheiratete, Männer wie Frauen. Das ist natürlich ein Bild vom ,Dritten Reich', das man nicht gerne sehen möchte. Kondome waren zugänglich, Vorschläge für bessere Orgasmen präsent, Freude an der Sexualität war erwünscht, die ganze Diskussion war eher sexpositiv eingestellt - für Nichthomosexuelle, Nichtbehinderte, Nichtjuden." Die sexuelle Repression ist für sie eher ein Phänomen der Nachkriegszeit und wurzelt in den konservativ-klerikalen Versuchen, Deutschland zur "sexuellen Sauberkeit" zurückzuführen: "Sie waren ehrlich überzeugt, dass die Grenzüberschreitung in sexuellen Dingen mit einer Grenzüberschreitung gegenüber Wehrlosen eng verknüpft war - und haben dennoch dazu beigetragen, die Christen als Opfer der Nationalsozialisten zu stilisieren, statt sie als deren Geburtshelfer zu begreifen." Sie betont, dass die – letztlich erfolgreiche – sexuelle Liberalisierung der sechziger Jahre sich wesentlich der kombinierten Bemühungen von liberalen Ex-Nazis wie Hans Bürger-Prinz und Hans Giese einerseits und jüdischen Remigranten wie Curt Bondy und Adorno andererseits verdankte. Zum vollständigen Interview…
Am Rande der epochalen Umstellung der Gesellschaft von der Schichtordnung auf den Typus der funktionalen Differenzierung tritt ein seltsames Phänomen auf, nämlich daß die Systeme (mitunter auch nur: die sozialen Kontexte), die sich auf Personenbewirtschaftung eingestellt haben, Schwierigkeiten haben, ernstgenommen zu werden. Ob es nun um Erziehung, Soziale Arbeit oder um Psychotherapie im weitesten Sinne geht – die jeweiligen Primärrollen sind allesamt längst ironisierbar geworden. Das gilt insbesondere für das Erziehungspersonal der Schulen, das nach einer langen Karriere eher liebenswert feuerzangenbowlenartiger ‚Originalisierung’ nun angekommen ist nicht nur in der heiteren und klaren Welt des Humors oder der Ironie, sondern auch und entschieden in einer der Schmähung, der Herabwürdigung, der sozialen Ächtung, kurz, in der Welt einer Statusdegeneration, die wohl ihresgleichen sucht." So beginnt ein Text des Systemtheoretikers Peter Fuchs mit dem Titel „,El Caballero de la Triste Figura' – Zur Funktion von Lächerlichkeit im System der Erziehung". Im weiteren Verlauf heißt es: "Die These ist, daß das System der Erziehung eine fungierende Anthropo-Ontologie pflegt, die das, was in der funktionalen Differenzierung als soziale Adresse zustande kommt, nicht deckt. Das Adressenformular des Systems sieht zwar Einträge vor wie Individualität, Autonomie, Selbstreferenz, die im Zuge funktionaler Differenzierung bis an den heutigen Tag sozial plausibel sind (es geht also nicht: um eine antiquierte Tradition, nicht darum, der Erziehung ihre Nicht-Modernität nachzuweisen). Aber dieses Formular ist, wie wir sagen wollen, eine scharfe Reduktion der Komplexität, eine Spitzenleistung der Simplifikation, wenn man es in die polykontexturale Differenzierungstypik der Gesellschaft einbaut." In der Folge führt das, so Fuchs, zu einer gewissen Unüberzeugtheit des Erziehungspersonals, verbunden mit Larmoyanz und einer Appellkultur: "dann bleibt nur noch das Beschwören via Appell an Affekte, an die Vernunft und an die mögliche Enttäuschung der Erzieher mit der Hoffnung auf korrespondierende Scham beim Edukanden. Kurz: Das System gönnt sich zunehmend Sentimentalität, und wenn dies wahrgenommen wird durch die weitaus weniger sentimentale Öffentlichkeit, stellt sich der Eindruck des Närrischen ein. Der Erzieher wird zum Caballero de la triste figura." Zum vollständigen Text…
Sexualtheoretiker müssen sich irgendwann, spätestens nach ihrem Ableben, die Frage gefallen lassen, wie es denn um ihre eigene Sexualpraxis bestellt gewesen ist. Das gilt in ganz besonderem Maße für die Person Sigmund Freuds, dessen Libido seit Jahrzehnten alle möglichen Biografen auf der Spur sind. Nun ist mal wieder jemand fündig geworden, nämlich der Heidelberger Soziologe, Psychoanalytiker und Freud-Forscher Franz Maciejewski, dem es gelang, im vergilbten Fremdenbuch eines kleinen Schweizer Hotels eine Eintragung ausfindig zu machen, aus der hervorgeht, dass Freud hier am 13.8.1898 mit seiner Schwägerin Minna in einem Doppelzimmer mit Doppelbett abgestiegen ist. Das erregt den Freud-Forscher, weil diese Tatsache aus irgendeinem Grunde bedeute, dass "die Psychoanalyse … nicht länger durch die Einheit der Person (Freud) zusammengehalten werden" könne, als ob - wie Ludger Lütkehaus in der NZZ treffend bemerkt, "sie jemals dadurch zusammengehalten worden wäre". Wir sind gespannt auf die zukünftigen Enthüllungen über das Sexualleben der Freud-Biografen. Zum vollständigen Artikel…
Thomas Fuchs, Professor für Psychiatrie und Psychotherapie und Leiter der Sektion »Phänomenologische Psychopathologie und Psychotherapie« an der psychiatrischen Universitäts-Klinik in Universität Heidelberg schreibt in der neuen Ausgabe von "Gehirn und Geist" unter dem Titel "Neuromythologien" über "einige teils deutlich zutage liegende, teils eher verborgene Motive …, die in der Avantgarde gegenwärtiger Hirnforschung wirksam sind (Abb.: Wikipedia): – die von anti-idealistischen Affekten getragene Entthronung des sich souverän dünkenden Subjekts, verbunden mit der Reduzierung von Seele und Geist auf materielle Prozesse („Was die Seele wirklich ist“, „Geist im Netz“); – der Anspruch auf die Deutungsmacht im Bereich der Humanwissenschaften („Neuro-Philosophie“, „Neuro-Ethik“, „Neuro-Pädagogik“ etc.); – die Hoffnung auf medizinisch-technische Eingriffsmöglichkeiten („Die Technik auf dem Weg zur Seele“, „Das Gehirn – eine Gebrauchsanleitung"); – die Ausleuchtung des Dunkels der Subjektivität und der Intersubjektivität, bis hin zur Utopie des Gedankenlesens („Wie das Gehirn die Seele macht“); – die Selbstverdinglichung des Menschen als Flucht vor der Freiheit („Verschaltungen legen uns fest“); – schließlich, im Gegenzug, die Erhebung des Gehirns zum neuen Meta-Subjekt, zum transzendenten Schöpferorgan, das die Welt und uns selbst in einer creatio continua hervorbringt („Aus Sicht des Gehirns“, „Kosmos im Kopf“, „Das Gehirn und sein Geist“)." Der komplette Text dieses lesenswerten Artikels ist bei wissenschaft-online.de unter diesem Link zu finden…
Sheila McNamee vom Department of Communication an der University of Hampshire ist eine führende Vertreterin des Sozialen Konstruktionismus und in Deutschland vor allem durch ihre Kooperation mit Klaus G. Deissler bekannt. Zum Buch "Furthering Talk. Advances in the discursive therapies" (New York 2004), das von Thomas Strong und David Pare herausgegeben wurde, steuerte sie einen Beitrag "THERAPY AS SOCIAL CONSTRUCTION. Back to Basics and Forward toward Challenging Issues" bei, der auch auf ihrer Website heruntergeladen werden kann. In der Einleitung des 28seitigen Papers schreibt sie: "Perhaps the most useful way to enter into the conversation about discursive therapies is to address what I see as a central issue that we must confront as spokespersons of therapy as social construction: What does it mean to approach therapeutic practice from a constructionist stance? What do we do, as therapists, once we propose that meaning emerges in the on-going flow of persons in situated activity? This concern gives rise to a related issue which I will touch upon as an exciting and vitally important direction in which we must now move: how do we assess or evaluate our therapeutic practice if meaning is understood as a local achievement? This question emerges as we confront both the continuing conversation around therapeutic practice and its relation to a constructionist orientation1 (e.g., this volume stands as one illustration). Our discussions might be well focused on appreciating conversations that challenge us to articulate what we mean when we talk of therapeutic practice as social construction." Zum vollständigen Beitrag (PDF)…
Wenn der bayerische Ministerpräsident sich seinen Weg nach oben nicht selbst mit zahllosen Intrigen gebahnt hätte: der Mann könnte einem Leid tun. Wie weiland Herr Honecker und anderes Politpersonal wird er nun nach allen Regeln der Kunst abserviert und merkt es selbst nicht richtig - so schnell geht das alles. So geht es halt in der Politik zu. Und was fällt einem dazu ein? Ein Zitat von Karl Kraus aus dem ersten Heft des ersten Jahrgangs der "Fackel" im Jahre 1899:
"Die Verworrenheit unserer politischen Zustände hat einen großen Vortheil; sie erleichtert die Beurtheilung der führenden Männer. Unter minder schwierigen Umständen konnte sich ein Minister jahrelang der Feststellung seines Wertes entziehen. Selbst der Geschichte fehlen die Anhaltspunkte zur Beurtheilung einzelner Staatsmänner. Aber dieses historische Dämmerlicht ist vorüber. Heute ist die Beleuchtung so grell, dass man die Umrisse politischer Unfähigkeit weithin erkennt. Unsere Zeit richtet jeden Minister binnen ein paar Tagen — standrechtlich. Auch auf die Abstufungen der Mittelmäßigkeit lässt sie sich nicht mehr ein.
Schwierigkeiten gibt es nur für den, der sie nicht überblickt. Der Mann, an dessen Intelligenz gemessen, die Conflicte unserer Politik klein erscheinen würden, ist aber noch nicht gefunden. Hat die individualistische Auffassung in der Geschichte Unrecht, die den historischen Verwicklungen nur die Aufgabe zuerkennt, die Persönlichkeit zu zeitigen, die ihrer Herr wird?" Für alle, die Karl Kraus lieben, gibt es jetzt eine wunderbare Nachricht. Mit Ablauf der Urheberrechtsfrist ist sein Werk für die Allgemeinheit freigegeben und die Österreichische Akademie der Wissenschaften bietet ab sofort den freien und kostenlosen Online-Zugang zu allen 37 Jahrgängen der Fackel von 1899 to 1936 an: 415 Ausgaben und mehr als 22.500 Seiten. Die Datenbank ist im Volltext (und sehr schnell) durchsuchbar und bietet sowohl eine Darstellung im Faksimile an als auch einen (seiten- und zeilengenauen) digitalen Text. Einen Dank für diese editorische Leistung. Und ein Trost: An Edmund Stoiber wird in hundert Jahren nichts mehr erinnern, Karl Kraus wird bleiben. Zur Online-Präsentation der Fackel…
Die Geschichte der Psychotherapie erschließt sich zu einem nicht unbeträchtlichem Teil auch über die Biografien ihrer Protagonisten. Eine der jüngeren Biografien von Sigmund Freud wurde 1989 vom bekannten österreichischen Schriftsteller und Journalisten Georg Markus verfasst und ist 2006 im Verlag Langen/Müller in einer vollständig überarbeiteten Neuauflage erschienen. Auf der Website des Verlages findet sich eine Leseprobe aus dem Kapitel über die Krebsdiagnose und Behandlung Freuds, die folgendermaßen beginnt: "Professor Dr. Markus Hajek, Vorstand des Universitätsinstituts für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde, empfing den prominenten Kollegen persönlich in den Ambulanzräumen seiner Klinik. Zu Hause hatte Freud, um die Familie nicht zu beunruhigen, in den frühen Morgenstunden angekündigt, er wollte einen Spaziergang unternehmen. Gegen Mittag erhielten Martha und Anna Freud einen Anruf, sie mögen sofort ins Allgemeine Krankenhaus kommen, es wären unvorhergesehene Komplikationen eingetreten. Als die beiden Frauen, von der Nachricht überrascht, im Spital eintrafen, glaubten sie ihren Augen nicht trauen zu können. Sie fanden den geliebten Mann und Vater blutüberströmt und mutterseelenallein auf einem Küchenstuhl der Klinik vor, weder ein Arzt noch eine Krankenschwester kümmerten sich um ihn, nachdem als Folge des Eingriffs von Professor Hajek Blutungen eingetreten waren. Auf dringendes Ersuchen Anna Freuds wurde der so lieblos behandelte Patient notdürftig versorgt und in einen kleinen Raum gebracht, wo er sich auf einer primitiven Holzpritsche erholen sollte." Wer weiterlesen möchte, findet hier den Zugang…
Einer der wichtigsten Bücher für die beginnende Familientherapiebewegung hierzulande war zweifellos der 1969 in der von Jürgen Habermas, Dieter Henrich und Niklas Luhmann besorgten Reihe "Theorie" bei Suhrkamp erschienene Reader "Schizophrenie und Familie", der auch heute noch in der stw-Reihe erhältlich ist. Hier waren bahnbrechende Arbeiten von Bateson, Haley, Weakland, Wynne u.a. zum ersten Mal in deutscher Übersetzung zu lesen. Einer meiner Lieblingstexte war während meines Studiums der Aufsatz "Mystifikation, Konfusion und Konflikt" des schottischen Psychiaters Ronald D. Laing (Foto: Wikipedia) über die Verwirrung erzeugenden Kommunikationsmuster, die er (u.a.) in Familien mit psychotischen Angehörigen aufgefunden hat. Er ist erstmals in dem Band "Intensive Family Therapy" erschienen, der von Ivan Boszormenyi-Nagy und James Framo 1965 bei Harper & Row in New York herausgegeben wurde und erst später (1975) bei Rowohlt in einer deutschen Fassung erschien. Dieser Aufsatz ist auch heute noch, wie ich finde, lesenswert. Im Kontext der kritischen Diskussion der vergangenen Jahrzehnte könnte man die Arbeit von Laing im Zusammenhang mit einer Kritik des "Mother-Blaming" lesen - sie bedient sich natürlich nicht einer konstruktivistischen Terminologie oder Denkweise. Andererseits macht er aber auch deutlich, dass Familienmitglieder nicht nur unterschiedliche Realitäten erzeugen, sondern auch entsprechend unterschiedliche Interessen verfolgen: "Jede Familie hat ihre Differenzen (die von leichten Meinungsverschiedenheiten bis zu gänzlich unvereinbaren und widersprüchlichen Interessen und Standpunkten reichen), und jede Familie verfügt über bestimmte Mittel zu ihrer Handhabung. Eine Art, solche Widersprüche zu behandeln, soll hier unter dem Stichwort Mystifizierung dargestellt werden." Gleichzeitig wendet er sich dagegen, das Konzept der Mystifizierung als Pathologie-Konzept zu verstehen: "Leider neigen wir dazu, diese besondere Mystifikation zu zementieren, wenn wir den Begriff der »Pathologie« der Familie oder Gruppe benutzen. Der Begriff der individuellen Psychopathologie ist schon problematisch genug, da man ohne Spaltung und Verdinglichung von Erleben und Verhalten, um zur Vorstellung von einer »Psyche« zu kommen, dieser Fiktion keine Pathologie oder Physiologie zuschreiben kann. Von der »Pathologie« der Familie zu sprechen, ist aber noch problematischer. Die Prozesse, die sich in einer Gruppe abspielen, werden durch die Praxis ihrer einzelnen Mitglieder erzeugt. Mystifizierung ist eine Form der Praxis; sie ist kein pathologischer Prozess." Der Text ist im Internet nachzulesen, wenn Sie diesem Link folgen…
In der Neuen Zürcher Zeitung von heute konstatiert Joachim Güntner angesichts der gegenwärtigen Mutation des Opferbegriffs zum Schmähwort einerseits und der zunehmenden Kritik an einer Stilisierung des Opfers einen Wandel in der "Opferkultur": "Sollten etwa die vielen abwertenden Stimmen, bei allem Niveauunterschied, letztlich Kinder eines Zeitgeistes sein? Das wäre eine hässliche Vorstellung. Wir müssten dann glauben, dass die Opferverhöhnung, wie sie Gangsta-Rapper und Unterschicht-Jugendliche mit Wonne betreiben, untergründig Verbindung hält mit der intellektuellen Kritik an den Auswüchsen der Opferkultur. Es muss keine nachweisbare Allianz sein. Denkbar wäre ein Mitschwingen in sozialen «vibrations», ein rückgekoppelter Regelkreis sich langsam verstärkender Aversionen. Vielleicht haben wir es mit einem Stimmungswandel zu tun, der durchaus allgemein ist, sich nur eben je nach gesellschaftlichem Standort bald klug und abgewogen, bald brutal artikuliert. Eine fundamentale Differenz der Positionen liesse sich gleichwohl noch markieren. Entscheidend für die Frage, wes Geistes Kind ein Verächter der Opferkultur ist, ist seine Haltung zur «Täterkultur». Höhnt, spottet und kritisiert er nur? Oder geht seine Verachtung einher mit der Billigung von Schikanen und Gewalt? Die Beschimpfung «Du Opfer», diese Reduktion des Beschimpften auf ein soziales Nichts, strotzt vor solcher Billigung." Zum vollständigen Artikel…
Insoo Kim Berg, die Mitbegründerin des Lösungsorientierten Ansatzes und Ehefrau von Steve de Shazer, der bereits im September 2005 verstarb, ist am Nachmittag des 10. Januar 2007 in ihrer Heimatstadt Milwaukee (Wisconsin) gestorben. Wie Arnoud Huibers aus den Niederlanden in der Solution Focused Therapy-Mailingliste mitteilte, war ihr Tod überraschend, aber friedlich. Sie hatte noch für den Januar einen neuen Online-Kurs im Brief Family Therapy Center geplant. Insoo Kim Berg kam 1957 als Pharmaziestudentin (und Tochter einer Familie aus der Pharmabranche) aus Korea in die USA, um dort ihre pharmazeutischen Studien fortzusetzen. Im Prozess ihrer Verselbständigung von ihrer Familie entschied sie sich jedoch für die Aufnahme eines Studiums der Sozialarbeit und absolvierte früh eine eher psychoanalytisch orientierte familientherapeutische Ausbildung in Chikago, die ihr jedoch nicht sehr zusagte. Sie wandte sich dann dem Palo Alto Institut in Kalifornien zu, wo sie auch ihren späteren Ehemann Steve de Shazer kennenlernte. Gemeinsam mit Steve ging sie nach Milwaukee, seinem Heimatort, wo sie später das "Brief Family Therapy Center" gründeten. In Europa ist Insoo Kim Berg durch viele Veröffentlichungen, vor allem aber durch ihren häufigen Workshops und Seminare bekannt geworden. Ihr Tod ist ein großer Verlust für die internationale Psychotherapie über die Schulengrenzen hinaus. Wer sich ein bisschen genauer mit ihr als Person beschäftigen möchte, sei hiermit auf ein ausführliches Interview mit ihr über ihre psychotherapeutische Entwicklung verwiesen, das Victor Yalom mit ihr für psychotherapy.net geführt hat. Auf der Website des BFTC ist ein schöner kurzer Aufsatz unter dem Titel "Hot Tips" von ihr veröffentlicht, in dem es unter anderem darum geht, warum sie wie ein "Pitbull" ihrer Maxime folgt, Klienten niemals als hoffnungslose Fälle aufzugeben: "Some people even compared my style as similar to "pit bull." Imagine that! But I'm quite proud of this comparison, not in viciousness but in not giving up on client and the tenacity to hang in there until I find some strengths, resources, and exceptions to build on, in most situations. Many people believe that because the basic premise of SFBT is so simple, it should be easy to do. They are surprised to find that a therapist must work very hard just to hang in there and not give up on clients as hopeless. This is especially true if the therapist does not believe that client has the resources and ability to solve their problems on their own. Where does my tenacity and ability to hang in there like a pit bull with a bone? It is because of the belief in people, that is, this absolute belief in people that if they have survived this far in their lives, they surely know how to go a little further. Most clients have abilities but they do not believe they do. Therefore, if you do not see it, it is easy to become discouraged. In order to work with people, we all begin with certain assumptions and belief about what we believe about them. Unfortunately I believe many practitioners are not clear about their belief. But certain kinds of belief about people brought you to this field. Whether we admit it or not, these belief is spilled over in our interactions with clients in many subtle and not so subtle manner."
SAGE ist einer der bedeutendsten englischsprachigen Fachverlage im Bereich der Geistes- und Sozialwissenschaften und publiziert über 460 Fachzeitschriften. Erfreulicherweise gibt der Verlag in regelmäßigen Aktionen Lesern die Möglichkeit, für einen beschränkten Zeitraum eine bestimmte Zeitschrift genauer kennenzulernen. In diesem Zeitraum besteht die Möglichkeit, nach einer kostenlosen Registration Volltext-Zugang zu allen Ausgaben einer Zeitschrift (online und als PDF) zu erhalten. Derzeit besteht diese Möglichkeit bis zum 28. Februar für die Zeitschrift "Current Sociology", die von Dennis Smith (London) für die International Sociological Association ISA herausgegeben wird und sechsmal pro Jahr erscheint. Nach Anmeldung kann man auf alle Jahrgänge bis zum Jahre 1952 online zugreifen und ein interessantes Bild von der Entwicklung des Faches im englisch-sprachigen Raum gewinnen. Zur Registrierung bei SAGE Journals…