Monday, October 23. 2006
 1996 erschien unter diesem Titel im Sammelband "Pädagogische Professionalität" (Hrsg. von Arno Combe und Werner Helsper) ein Aufsatz von Rudolf Stichweh, der für seine Untersuchungen zur Genese der Professionen in der modernen Gesellschaft berühmt geworden ist und derzeit einen Lehrstuhl für Soziologie an der Universität Luzern innehat. Sein Artikel befasst sich mit dem Schicksal der Professionen in einer funktional differenzierten Gesellschaft, die auf die Professionen und Professionalisierung als Strukturmerkmal gesellschaftlicher Entwicklungen zunehmend verzichten kann. Dieser Befund ist insofern interessant, als die Bestrebungen der interessierten Verbände, Psychotherapie oder Supervision als Profession im klassischen Sinne des Wortes zu etablieren, sich womöglich vor diesem Hintergrund als unzeitgemäß erweisen. Stichwehs äußerst lehrreicher Beitrag ist nun online mit einem Nachwort zu lesen, in dem u.a. dieser konzediert, dass "jetzt, wo die Soziologie der Professionen ihrem Ende vermutlich nähergekommen ist, sichtbar (wird), dass die Soziologie der Professionen den Gegenstand ihrer Beobachtung zu einem Teil miterzeugt hat". Er macht weiter deutlich, dass die Professionen ihre Autonomie weitgehend verloren haben und "die formale Organisation jener Ort im Gesellschaftssystem ist, an dem die Arbeitsteilung zwischen den Berufen in einem Funktionssystem und auch zwischen den Funktionssystemen reorganisiert wird", etwa in modernen Kliniken als "bürokratischen Grossorganisationen, die unter politischen und ökonomischen Gesichtspunkten rationalisiert werden und dann dem historischen Status der medizinischen Profession nicht mehr Rechnung zu tragen bereit sind". Die nationalstaatlich organisierten Professionen werden Stichweh zufolge zunehmend von global vernetzten "epistemischen communities" abgelöst: "Als ein globaler in Normen und Kognitionen fundierter Zusammenhang von Praktikern fast beliebiger Funktionszusammenhänge. Mit dem Wegfall nationaler regulatorischer Umwelten entfallen aber auch die Monopole und Privilegien, die diese Umwelten den von ihnen instituierten Berufsgruppen sicherten. Vieles spricht dafür, dass die Soziologie der Professionen ihre Fortsetzung und künftige Entwicklung in einer allgemeineren Theorie globaler epistemischer Communities finden wird." Zum vollständigen Aufsatz (PDF)…
Saturday, October 21. 2006
So lautet der Titel der Diplom-Arbeit von Maren Lehmann, die 1996 verfasst wurde und für interessierte LeserInnen auf der Website von sozialarbeit.ch online verfügbar ist. Lehmann ist Lehrbeauftragte für Soziologie an der Universität Halle und durch zahlreiche systemtheoretische Beiträge zu unterschiedlichen Themen bekannt geworden. Zur Programmatik ihrer Diplomarbeit schreibt sie in der Einleitung: " Ich werde, nach dieser Einleitung, im ersten Teil des Textes den Begriff Helfen näher zu
bestimmen versuchen. Es geht zunächst darum, welche Funktion Hilfe für die Gesellschaft hat. Daran anschließend kann die hier wichtigste Frage gestellt werden, nämlich die nach der Codierung von Hilfe. Welche Unterscheidung(en) verwendet helfende Kommunikation, um Exklusion beobachtbar zu machen? Gibt es ein Medium der Hilfe? Und schließlich: Kann helfende Kommunikation Personen inkludieren?
An dieser Stelle schließt der zweite Teil an, der sich mit helfenden Organisationen beschäftigen soll. Läßt sich Hilfe, läßt sich eine Beobachtung programmieren, die zugleich dekonstruieren und rekonstruieren muß? Die Unterscheidung von Funktions- und Komplementärrollen wird hier wichtig, weil sie auf das Problem von Inklusion und Exklusion verweist. Es geht um die Unterscheidungen von Mitgliedern und Klienten der Organisation, von Entscheidern und Betroffenen. Was ist die Spezifik von Organisationen, die personenbezogene Entscheidungen produzieren?
In der Literatur zum Thema wird diese Spezifik in der Angewiesenheit auf Interaktion
gesehen. Mit helfender Interaktion beschäftigt sich daher der dritte Teil. Wie können Wahrnehmung und Kommunikation unterschieden werden, die beide Komponenten der Interaktion sind? Welche Bedeutung hat die Wahrnehmung von Bedürftigkeit als Körperlichkeit? Sind Diagnosen möglich: Kann also im Gespräch die Stelle gefunden werden, an der die Karriere wieder als offen erscheint, an der also neu angeschlossen werden könnte? Wie kommt die Organisation, die für das Zustandekommen der Interaktion sorgt, in der Interaktion wieder vor?
In einem abschließenden Teil soll dann das Problem der Inklusion und Exklusion von Personen in die Funktionssysteme der Gesellschaft zusammenfassend thematisiert werden. Dabei soll die Frage im Vordergrund stehen, ob und wie die Codierung der Funktionssysteme mittels eines gesellschaftlichen Metacodes Inklusion/Exklusion beobachtet werden kann. Denn wenn die funktionale Differenzierung im Laufe der gesellschaftlichen Evolution auf Exklusion statt auf Inklusion der Personen hinausläuft, könnte eine solche Beobachtung zweiter Ordung die Personen wieder in Erinnerung rufen. Eine Reparatur der Exklusionsfolgen aber wäre wieder nur den Funktionssystemen selbst möglich. Das Problem stellt sich von neuem." Zum vollständigen Text (PDF, 105 S.)…
Friday, October 20. 2006
Wer Hilfe anbietet, hat in der Regel eine Idee davon, worin eine effektive Hilfe bestehen kann. Die metaphorische Basis dieser Ideen, die unser Verständnis von Problemen und Lösungen und unser Handeln leitet, ist aber dabei häufig nicht wirklich bewusst – und zwar unabhängig, von welcher theoretischen oder praktischen Position wir auf Hilfe schauen. Diese Basis kann erst erfasst werden, wenn man einen Blick darauf wirft, wie Helfer über Hilfen sprechen. Rudolf Schmitt, Psychologe und Germanist am Fachbereich Sozialwesen an der Hochschule Zittau/Görlitz, befasst sich seit langem mit der Sammung und Analyse solcher – und anderer – Metaphern. In seinem Aufsatz "Kollektive Metaphern des Psychosozialen Helfens" schreibt er: "'Klären' wir die Probleme unserer Klientinnen? 'Lösen' wir ihre 'Verstrickungen'? Oder sollten wir sie besser nur 'begleiten', damit sie ihren 'Weg' selbst 'finden'? Wir könnten allerdings versuchen, diese Prozesse (lat.: procedere, processi: vorwärts schreiten) zu 'erleichtern', wenn die Menschen es zu 'schwer' haben. Oder? Was machen wir eigentlich? 'Machen' wir denn etwas? Es gibt sehr differierende Antworten auf diese Fragen; in sozialpädagogischen Handlungsanweisungen und psychotherapeutischen Fortbildungen, in vergleichenden Therapiestudien und qualitativen Untersuchungen des psychosozialen Helfens werden sehr unterschiedliche Formen und Inhalte des psychosozialen Helfens diskutiert. Eine Antwort, die so sehr an der Oberfläche des Phänomens liegt, daß sie fast immer übersehen wird, besteht darin, dem Volk der HelferInnen "auf das Maul zu sehen" (Luther). Die amerikanischen Linguisten und Sprachphilosophen George Lakoff und Mark Johnson behaupten, daß unsere sprachlichen Bilder nicht nur Oberflächenphänomene des Redens sind, sondern Modelle des Denkens und der Interaktion offenbaren. Die Untersuchung, die ich hier vorstelle, nutzte die Theorie der beiden Autoren, um in systematischer Weise kollektive Sprachbilder, sog. 'Metaphern', im psychosozialen Bereich zu sammeln und zu analysieren. Ich fand neun verschiedene metaphorische Modelle des Helfens, die uns vor jeder Theorie schon vertraut sind, aus unserer Alltagspraxis stammen und unsere Interaktionen wahrscheinlich schon steuerten, als wir noch keine professionellen HelferInnen waren." Zum vollständigen Artikel…
Tuesday, October 17. 2006
 Unter diesem etwas eigentümlichen Namen bietet Sabine Klar, Biologin und Lehrtherapeutin bei der Österreichischen Arbeitsgemeinschaft für Systemische Therapie und Systemische Studien (ÖAS) etwas recht Außergewöhnliches an, nämlich eine Synopse von methodischen und epistemologischen Wissensbereichen, die sie für die Weiterbildung in systemischer Therapie und Beratung als bedeutsam erachtet. Sie stellt damit ihr Wissen (und auch dessen curriculare Aufbereitung etwa in Form von Arbeitsblättern) auch für eine Öffentlichkeit außerhalb der eingetragenen Kursteilnehmer zur Verfügung. Wissen zu teilen ist – so merkt man sofort – eine wunderbare Vorgehensweise, um mit denen in Kontakt zu kommen, die noch mehr lernen wollen (im Unterschied zur Marketing-Strategie, Wissen bloß anzudeuten, aber letztendlich vorzuenthalten, um Menschen in die eigene Weiterbildung zu locken). Auf ihrer website (des von ihr mit ihrem Philosophen-Partner Franz Reithmayr betriebenen Instituts für Angewandte Menschenkunde) sind diese Materialien als PDF-Dateien zu finden. Sie werden durch drei Sammlungen mit "Tipps und Tricks für den Umgang mit menschlichen Lebewesen" eröffnet, nämlich 1. zur " Systemischen Sozialarbeit" (65 S.), 2. zur " Systemisch orientierten Psychotherapie und Beratung" (37 S.) und 3. zur Arbeit mit Menschen, die Depersonalisationsstörungen oder Dissoziative Störungen (35 S.) aufweisen. Ergänzt werden diese Texte durch vier "Reflexionen", die sich mit Systemischer Ausbildung und dem Theoriebezug Systemischer Psychotherapie (26 S.), mit ethologischen Perspektiven auf therapeutische Prozesse (41 S.), mit dem Einsatz von Interpretationen, Metaphern und der Arbeit mit "inneren Personen und Stimmen (38 S.) sowie dem Verhältnis der Systemischen Therapie zur Philosophie (vor allem mit dem Konzept der Person und den damit verbunden ethischen Implikationen) befassen (33 S.). Diese Texte stellen – ganz unabhängig von dem individuellen Grad der Übereinstimmung mit ihnen – eine Fundgrube für Lernende und Lehrende der Systemischen Therapie und Beratung dar. Die Bereitschaft Sabine Klars zur allgemein zugänglichen Veröffentlichung der eigenen Konzepte sei zur Nachahmung empfohlen.
Sunday, October 15. 2006
 Heute vor 80 Jahren wurde Michel Foucault in Poitiers geboren, er starb am 25. Juni 1984 im Alter von 57 Jahren in Paris an AIDS, das damals noch relativ wenig bekannt war (Foto: Stein des Künstlers Tom Fecht zur Erinnerung an Michel Foucault, aus: Wikipedia.de) . Als Philosoph und Historiker der Macht, des Wissens, des Wahnsinns, der Sexualität und anderer Schlüsselthemen der 60er und 70er Jahre trug er maßgeblich dazu bei, zu erkennen, dass diese (und andere Phänomene) sich nicht aus der menschlichen Natur ergeben, sondern durch soziale Diskurse erschaffen werden, ohne dass es andererseits der Intention einzelner sozialer Akteure bedard. Nicht zuletzt durch die Veröffentlichungen von Michael White haben ist auch die Rezeption der Werke Foucaults in der systemischen Bewegung angeregt worden. In der Online-Enzyklopädie Wikipedia sind ausführliche Hinweise auf seine Biografie und sein Werk zu finden. systemagazin weist auf ein Interview mit Foucault durch Paul Rabinow hin, das dieser im Mai 1984, also kurz vor Foucault's Tod, geführt hat und in dem Foucault eine schöne Begründung liefert, warum er sich nicht an Polemiken beteiligen möchte: "In the serious play of questions and answers, in the work of reciprocal elucidation, the rights of each person are in some sense immanent in the discussion. They depend only on the dialogue situation. The person asking the questions is merely exercising the right that has been given him: to remain unconvinced, to perceive a contradiction, to require more information, to emphasize different postulates, to point out faulty reasoning, and so on. As for the person answering the questions, he too exercises a right that does not go beyond the discussion itself; by the logic of his own discourse, he is tied to what he has said earlier, and by the acceptance of dialogue he is tied to the questioning of other. Questions and answers depend on a game—a game that is at once pleasant and difficult—in which each of the two partners takes pains to use only the rights given him by the other and by the accepted form of dialogue." Zum vollständigen Interview…
Wednesday, October 11. 2006
Das vom verstorbenen Heinz Kersting begründete und von Heiko Kleve fortgeführte Online-Journal "Das gepfefferte Ferkel" steht mit seiner 21. Einstellung ganz im Zeichen systemischer Aufstellungen. Heiko Kleve schreibt im Editorial: "Wie kaum ein anderes systemisches Verfahren sind Aufstellungen in den letzten Jahren – ausgehend von der umstrittenen Arbeit Bert Hellingers – in unterschiedlichen Arbeitsfeldern (z.B. in der Familientherapie und -beratung, der Supervision, der Organisationsentwicklung und -beratung) populär geworden. Äußerst beeindruckend ist die Wirksamkeit dieser sehr körper- und erfahrungsorientierten Art, soziale Systeme in ihrer strukturellen Kopplung mit biologischen und psychischen Systemen zu reflektieren." Folgende Beiträge sind zu lesen: Dirk Baecker: „Therapie für Erwachsene: Zur Dramaturgie der Strukturaufstellung“, Wilfried Nelles: „Familien- und Systemaufstellungen. Methode, soziale Ordnungen und philosophische Grundhaltung“, Gabriele Ulsamer: „Der Ansatz von Bert Hellinger in der praktischen Sozialarbeit“, Franz Ruppert: „Die fundamentale Bedeutung der Mutter-Kind-Bindung für die seelische Gesundheit und für seelische Erkrankungen“ und Hans Scherner: „Leben in Aufstellungen“. Außerdem gibt es noch zwei Beiträge zur Sozialen Arbeit, nämlich „Soziale Arbeit als polyglotte Kommunikation: Zur historischen Genese und aktuellen Relevanz“ von Matthias Müller und „Systemische Arbeit in einer Kriseneinrichtung“ von Ingo Bullermann. Ein weiterer Beitrag von Heide Cardinal, Cornelie Junghans, Elke Löffler und Hartmut Zückner mit dem Titel „Von der Triade zur Quadriga oder Vier Professionelle suchen neue Wege“ gibt Einblicke in die innovative Praxis systemischer Supervision der Autoren. Zum Ferkel…
Wednesday, October 4. 2006

Christian Schlüter gratuliert dem Philosophen Richard Rorty in der heutigen Online-Ausgabe der Frankfurter Rundschau zu seinem 75. Geburtstag und schreibt unter anderem unter Bezugnahme auf sein 1989 erschienenes Buch "Kontingenz, Ironie und Solidarität": Es gilt der Vorrang der Demokratie vor der Philosophie. Auch die Begründung lässt nichts an Deutlichkeit zu wünschen übrig: Weil die Philosophie sich in ihrer prinzipiellen Maßlosigkeit nicht, wie Immanuel Kant noch glaubte, selber Grenzen zu setzen vermag, müssen ihr von außen, gegebenenfalls auch politisch, Grenzen gesetzt werden. Etwas pragmatischer und - ganz im Sinne Rortys - schnoddriger formuliert, ließe sich auch sagen, dass, wer gerne große Worte tut und dabei auch noch stets Recht behalten will, doch im Beisein anderer besser schweigen solle, denn sein Tun schafft nur Unfrieden. Toleranz ist die erste Bürgerpflicht, Zwistigkeiten sind durch Ironie zu entschärfen. "Wir sollten versuchen", fasst Rorty sein Credo zusammen, "an den Punkt zu kommen, wo wir nichts mehr verehren, nichts mehr wie eine Quasi-Gottheit behandeln, wo wir alles, unsere Sprache, unser Bewusstsein, unsere Gemeinschaft, als Produkte von Zeit und Zufall begreifen." Zum vollständigen Artikel…
Monday, October 2. 2006
Heute vor vier Jahren, am 2. Oktober 2002 starb Heinz von Foerster im Alter von 90 Jahren in Pescadero, CA. Anlässlich dieses Datums sei hier auf ein Interview von Albert und Karl H. Müller mit Heinz von Foerster hingewiesen, dass auszugsweise auf der schönen website des Heinz-von-Foerster-Archivs der Heinz von Foerster-Gesellschaft in Wien zum Thema "Rück- und Vorschauen" geladen werden kann (PDF). Zum Interview…
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