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Neuvorstellung zur Übersicht
28.11.2008
Peter Burke: Was ist Kulturgeschichte?
Burke Kulturgeschichte Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2006 (2. Aufl.)

202 Seiten, fester Einband

Preis: 19,80 €

ISBN-10: 3518584421
ISBN-13: 978-3518584422
Suhrkamp-Verlag





Tom Levold, Köln:

„Kultur“ ist ein umstrittener Begriff. Beklagt wird immer wieder seine Unschärfe, die es erlaube, alles unter den Kulturbegriff zu subsumieren. Niklas Luhmann hat Kultur als „einen der schlimmsten Begriffe, die je gebildet worden sind“, bezeichnet. Andererseits ist uns der Begriff der Kultur ebenso geläufig - und so naheliegend - wie der Gesellschaftsbegriff. Unter Kultur verstehen wir mittlerweile ganz allgemein die verschiedensten Praktiken menschlichen Denkens und Handelns, die sich in sozialen Gemeinschaften und Milieus historisch herausgebildet haben und kontinuierlich verändern. Die Rekonstruktion dieser historischen Prozesse ist die Aufgabe von Kulturgeschichte, die Peter Burke zufolge bislang innerhalb der historischen Disziplinen eher eine Aschenputtelstellung innehat. Burke, Jahrgang 1937, der den Ruf eines der bedeutendsten Historiker der Renaissance-Zeit innehat, legt mit diesem – angesichts seines kaum überschaubaren Gegenstandes recht knappen – Buch eine anregende Übersicht über die verschiedenen Spielarten der Kulturgeschichte vor: „Als gemeinsame Grundlage der Kulturhistoriker könnte man das Interesse für das Symbolische und dessen Deutung bezeichnen“ (S. 10), wobei die „Tätigkeit des Lesens und Schreibens über die Vergangenheit … ebenso zeitgebunden wie alle anderen Tätigkeiten“ ist (ebd.). Damit schließt die Kulturgeschichte einen reflexiven Bogen: sie ist in gewisser Weise ein Teil ihres eigenen Gegenstandes und kommt deshalb auch als Kulturgeschichte der Kulturgeschichte daher.
Weshalb sollten sich aber systemische BeraterInnen und TherapeutInnen mit Kulturgeschichte befassen? Die Antwort liegt auf der Hand. Die individuellen und sozialen Konstruktionen von Wirklichkeit können sich nur innerhalb kulturell vorhandener und vorfindbarer (Be-)Deutungsrahmen vollziehen, welche wiederum durch diese Konstruktionen im historischen Fortgang modifiziert werden. Wir haben es insofern nie mit geschichtslosen Problemen oder Anliegen a priori zu tun, sondern immer mit kulturell codierten Problembeschreibungen, die an spezifische soziale und historische Kontexte gebunden sind. Auch wenn diese im Hier und Jetzt nicht immer auf den ersten Blick erkennbar sind, vermag der kulturgeschichtliche Blick eine Vorstellung davon zu vermitteln, wie sehr auch unser aktuelles Denken und Handeln in der Vergangenheit verwurzelt ist. Für konstruktivistische Therapeutinnen und Berater könnte es daher über die Suche nach den Lösungen von Problemen hinaus gewinnbringend sein, auch die kulturellen Voraussetzungen und Kontexte von Problem- und Lösungskonstruktionen zu verstehen - und womöglich zu dekonstruieren.
In sechs Kapiteln zeichnet Burke die Geschichte der Kulturgeschichte nach, beginnend mit der klassischen Periode der „großen Tradition“ des Schweizer Historikers Jacob Burckhard und des Holländers Johan Huizinga und Anderen, die erstmals überhaupt die Beschreibung und Deutung kultureller Muster als eine Aufgabe der Geschichtswissenschaften postulierten. Diese klassische Tradition der Kulturgeschichte wies zunächst eine starke Orientierung an Kunst und Literatur als Ausdruck und Verkörperung von (Hoch-)Kultur auf, wurde aber im 20. Jahrhundert zunehmend von soziologischen Vorstellungen inspiriert. So war in den Vereinigten Staaten eher der Begriff „civilization“ als der der „Kultur“ gebräuchlich. Die Emigration von mitteleuropäischen Forschern nach Großbritannien und in die USA schärfte „das Bewusstsein … für das Verhältnis zwischen Kultur und Gesellschaft“ (27), marxistische und wissenssoziologische Konzepte fanden damit Eingang in die Kulturgeschichte. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde die Orientierung an der traditionellen Hochkultur zunehmend kritisch bewertet, die „Volkskultur“ wurde als historischer Gegenstand entdeckt und in den 60er Jahren reüssierte auch die Populärkultur, die „Welt der Waren, der Werbung und des Fernsehens“, zum wissenschaftlichen Gegenstand (32).
Im zweiten Kapitel behandelt Burke die damit verknüpften Probleme der Kulturgeschichte. Dabei geht es in erster Linie um die Behandlung historischer Quellen sowie um Deutungs- bzw. Interpretationsfragen. Angesichts der hohen Selektivität von Quellenlagen, Abhängigkeiten von Zufallsfunden, speziellen Interessenlagen bei den Schöpfern untersuchter Quellen (deren Aussagekraft über ihre Epoche womöglich durch Erfindung, Täuschung oder andere Absichten in Frage steht) usw. sollten Kulturhistoriker nicht der „Versuchung erliegen, die Texte und Bilder einer Zeit unkritisch als Spiegelungen dieser Zeit zu begreifen“ (33). Auch die Deutung von Texten ist trotz aller Bemühungen um eine systematische Inhaltsanalyse bzw. eine Diskursanalyse („eine linguistische Analyse von Texten, die länger als ein Satz sind“, 36) grundsätzlich kontingent, d.h. sie vollzieht sich innerhalb von Einordnungsschemata, die selbst wiederum das Ergebnis einer (vor-)theoretischen Wahl der Historiker sind, und die erst im Rückblick aus späteren Epochen ihre Evidenz beanspruchen können, wie z.B. anhand der marxistischen Debatte zum Thema kurz angedeutet wird. Schlüsselkategorien wie Tradition oder Innovation befreien Burke zufolge zwar von „der Notwendigkeit, Einheit oder Homogenität eines ,Zeitalters’ wie des Mittelalters oder der Aufklärung unterstellen zu müssen“ (41), ermöglichen also, das Ungleichzeitige im Gleichzeitigen zu erkennen, führen jedoch grundsätzlich zur Frage, was denn eine Kulturgeschichte überhaupt über vergangene Epochen aussagen kann, bzw. welche Aspekte durch die verwandten analytischen Konzepte eher ausgeblendet und verdunkelt werden. Dies betrifft nicht zuletzt den Begriff der Kultur selbst, der - wie Burke zeigt - immer wieder auch Bedeutungsverschiebungen unterworfen wurde.
Diese Überlegungen sowie die Begegnung von Anthropologie und Geschichtswissenschaften in den 70er und 80er Jahren des letzten Jahrhunderts führten zu einer enormen Ausdehnung des Kulturbegriffes insofern, „dass man den Begriff der Kultur nun im Plural und in einem immer weiteren Sinne verwendete“ (47), was sich in einer neuen Literaturgattung niederschlug, den sogenannten „cultural studies“. Nun wurden alle möglichen Gegenstände Objekt der Kulturwissenschaften: „Träume, Nahrungsmittel, Gefühle, Reisen, Erinnerungen, Gesten, Humor, Prüfungen und so weiter“ (49). Ökonomische und politische Ereignisse, auch das war neu, wurden als kulturelle Phänomene erklärt. Die kulturellen Beobachtungen von Ethnologen wie Clifford Geertz, Mary Douglas oder Victor Turner wurden intensiv rezipiert. Burke zitiert die Definition der Kultur von Clifford Geertz („Dichte Beschreibung“) als „ein geordnetes System von Bedeutungen und Symbolen, vermittels dessen gesellschaftliche Interaktion stattfindet. … (Sie ist) das Geflecht von Bedeutungen, in denen Menschen ihre Erfahrungen interpretieren und nach denen sie ihr Handeln ausrichten“ (56). Ebenfalls in diesen kulturhistorischen Paradigmenwandel gehört die Hinwendung zur Mikrogeschichte, die den Wert regionaler Kulturen und lokalen Wissens betont und als „Reaktion auf die zunehmende Desillusionierung hinsichtlich der ‚großen Fortschrittsgeschichte‘“ verstanden werden kann, sowie die postkolonialistischen und feministischen Rekontextualisierungen der Kulturgeschichte.
Ende der 80er Jahre kam es erneut zu einer Verschiebung des kulturwissenschaftlichen Fokus: „Die ‚Neue Kulturgeschichte‘ ist die vorherrschende Form der heute praktizierten Kulturgeschichte“ (75). Das umfangreiche vierte Kapitel „Ein neues Paradigma?“ stellt zunächst vier Theoretiker vor, die für die Neue Kulturgeschichte von besonderer Bedeutung sind: Michail Bachtin, Norbert Elias, Michel Foucault und Pierre Bourdieu, die sich alle auf die eine oder andere Weise mit der Struktur und Geschichte menschlicher Praxis und Praktiken beschäftigt haben. „‚Praxis‘ ist eines der Schlagwörter der Neuen Kulturgeschichte: Geschichte der religiösen Praxis statt Theologie, Geschichte des Sprechens statt Geschichte der Sprache, Geschichte des Experiments statt Geschichte der wissenschaftlichen Theorie“ (86). In diese Rubrik fallen auch die zahlreichen und bis heute populären Darstellungen der Geschichte(n) des Lesens, des Gedächtnisses, der Musik, des Körpers u.ä.
Die Entfernung von einer offiziellen Geschichtsschreibung der Hochkultur und die Hinwendung zu den vielen unterschiedlichen Aspekten des Alltagslebens und der Individuellen und sozialen Ausgestaltung von Praxisformen hat den Blick für die Konstruktivität der beschriebenen Phänomene geschärft. Dem Einfluss konstruktivistischen Denkens auf die Geschichtswissenschaft ist das fünfte Kapitel gewidmet. Schätze man die Bedeutung der Konstruktion richtig ein, so Burke, „ist letztlich alle Geschichte Kulturgeschichte“ (117): „Nehmen wir zum Beispiel die Krankheit. Die neue Kulturgeschichte des Körpers unterscheidet sich von der eher traditionellen Medizingeschichte durch die Betonung der kulturellen Konstruktion von Krankheit und insbesondere von ‚Wahnsinn‘. Michel Foucault brachte diese Sicht in dem Werk auf, das ihn berühmt machte: Histoire de la Folie (1961 - Wahnsinn und Gesellschaft)“ (117f.).
Die Arbeit von Foucault lässt sich auch als Startschuss für die Dekonstruktion aller möglichen sozialen, politischen und historischen Konzepte und Begriffe verstehen. Der Korpus der Literatur, die sich kritisch mit den Konstruktionen von Klasse, Geschlecht, Nation, Gemeinschaft, Monarchie, Identität usw. In den Geschichts- und Sozialwissenschaften beschäftigt, ist ziemlich unüberschaubar geworden. Die Untersuchung von konkreten Praktiken anstelle von normativen Konzepten und vermeintlich objektiven historischen Beschreibungen führte zudem zu einer stärkeren Akzentuierung performativer Aspekte von Kulturen - es wurde immer deutlicher, dass z.B. die Beschreibungen von Festen und Ritualen eher idealisierten Vorstellungen als ihrer tatsächlichen Umsetzung durch die Beteiligten entsprachen, die sich vor allem an den situativen Notwendigkeiten und Gelegenheiten ausrichteten: „Der von mir so genannte ‚Okkasionalismus‘ bedeutet zwar keinen vollkommenen Übergang vom sozialen Determinismus zur individuellen Freiheit, aber doch eine Verschiebung weg von der Idee festgelegter, an Regeln ausgerichteter Reaktionen hin zur Vorstellung eines flexiblen Verhaltens, das sich an der ‚Logik‘ oder ‚Definition der Situation‘ orientiert“ (140).
Dennoch warnt Burke gleichzeitig vor einem übertriebenen Dekonstruktivismus, da der Prozess der Konstruktion selbst wieder kulturellen und sozialen Beschränkungen unterworfen sei: „Die Historiker müssen die Grenzen kultureller Formbarkeit erkunden“ (145). Die Frage laute: „Wer konstruiert hier? Unter welchen einschränkenden Bedingungen? Aus welchem Material?“ (144). Gleichzeitig warnt er davor, die Idee der Konstruktivität als ein Produkt der Gegenwart zu betrachten: „Manchen Forschern erscheinen die Vorstellungen früherer Historikergenerationen heute als naiver Realismus, doch hier sollte man nicht übertreiben. Einige von ihnen waren sich durchaus der aktiven Rolle des Historikers bei der Konstruktion sozialer Kategorien bewusst. So bemerkte Frederick William Maitland schon in den 1880er Jahren: ‚Wollte man fragen, wer den Feudalismus in England einführte, wäre es, entsprechend erläutert, eine gute Antwort, wenn man sagte, das sei Henry Spelman gewesen‘ (ein Gelehrter des 17. Jahrhunderts, der sich für die Geschichte des mittelalterlichen Rechts interessierte)“ (142).
Das abschließende sechste Kapitel versucht einen Ausblick in die kulturgeschichtlichen Aufgaben des neuen Jahrhunderts und entwickelt einige mögliche Szenarien. Als eine mögliche Zukunft für die Kulturgeschichte sieht Burke eine „neuerliche Konzentration auf die Hochkultur“ (149), die in den cultural studies der vergangenen Jahrzehnte praktisch nicht mehr vorkomme. Eine zweite Möglichkeit besteht für ihn darin, „dass man die neue Kulturgeschichte auch auf Bereiche erweitert, in denen sie bislang vernachlässigt wurde, unter anderem auf Politik, Gewalt und Emotionen“ 150). Burke weist hier auf einige grundlegende Arbeiten hin, deren Perspektive fortgeführt werden könnte.
Ein weiteres, alternatives Szenario sieht Burke in einer denkbaren „Rache der Sozialgeschichte“ als Gegenbewegung, welche zuviel politisches oder soziales Terrain an die Kulturgeschichte hätte abgeben müssen. Ohnehin ginge es wohl nicht ohne Korrekturen an den Kulturwissenschaften ab. Ihre Definition sei mittlerweile nicht mehr zu eng, sondern zu weit. Vor allem geht Burke kritisch mit der kulturwissenschaftlichen Idee um, dass Kultur eine Art Text sei, der entschlüsselt werden kann und muss. „So wertvoll das konstruktivistische Projekt für die ‚Kulturgeschichte der Gesellschaft‘ auch sein mag, sie darf die Sozialgeschichte der Kultur einschließlich der Geschichte des Konstruktivismus nicht ersetzen. Es mag durchaus an der Zeit sein, über die kulturelle Wende hinauszugehen. Wie Victoria Bonnell und Lynn Hunt gesagt haben, sollte die Idee des Sozialen nicht über Bord geworfen, sondern neu gefasst werden. So sollten etwa Historiker des Lesens ‚Interpretationsgemeinschaften‘ untersuchen, Religionshistoriker ‚Glaubensgemeinschaften‘, Historiker der Praxis ‚Praxisgemeinschaften‘, Historiker der Sprache ‚Sprechergemeinschaften‘ usw. Tatsächlich stellen Untersuchungen der Rezeption von Texten und Bildern … die große soziale Frage: ‚Wer‘? Mit anderen Worten: Welche Art von Menschen sah sich diese Objekte an bestimmten Orten und in bestimmten Zeiten an?“ (167). Und: „Der Gedanke, wonach Kultur ein Text ist, den Anthropologen und Historiker lesen können, ist verführerisch, aber auch sehr problematisch. Jedenfalls ist anzumerken, dass Historiker und Anthropologen die Metapher des Lesens nicht in der selben Weise benutzen. (…) Ein fundamentales Problem der Metapher des Lesens liegt in der Tatsache, dass sie der Intuition große Bedeutung einräumt. Wer soll entscheiden, wenn zwei Leser in ihrer Intuition nicht übereinstimmen? Ist es möglich, Regeln für das Lesen zu formulieren oder zumindest eine falsche Lektüre zu erkennen?“ (168).
Was auch immer unter Kulturgeschichte verstanden wurde und verstanden werden kann, der Leser wird von Peter Burke an ein reich gedecktes und appetitanregendes Büfett geführt, das die Reichhaltigkeit des Faches aufs Beste in Szene setzt. Wer sich an Kulturgeschichte sättigen möchte, wird schnell damit konfrontiert, dass es sich vor allem um Appetizer handelt, die Lust auf mehr machen. Das ist bei einem Buch von unter 200 Seiten kein Wunder. Bewundernswert ist aber, wie es Burke gelingt, ganz gelassen und entspannt, eigentlich im Plauderton, eine solche Fülle von Hinweisen und Anregungen zu geben, ohne den Überblick über das doch mittlerweile sehr umfangreiche Wissensgebiet zu verlieren. Hier erkennt man die Handschrift des erfahrenen Meisters seines Faches, der seine Schätze liebevoll auszubreiten versteht, ohne auf eine kritische Einordnung und Bewertung zu verzichten.
Wer im Kontext von Beratung und Therapie arbeitet und für die Frage sozialer Praktiken in Organisationen wie in der alltäglichen Lebenswelt sensibel ist, wird von einer kulturwissenschaftlichen Perspektivenerweiterung im Sinne eines vertieften Kontextverständnisses profitieren und vielleicht Lust bekommen, sich mit dem einen oder anderen Thema intensiver auseinanderzusetzen. Auch Leser, die nicht gleich die Bibliotheken aufsuchen werden, um ihre Neugier zu befriedigen, werden in Burkes Zusammenschau ausreichend mit spannenden Material versorgt. Wer aber Lust auf mehr bekommt, wird vom Autor mit weiterführenden Literaturhinweisen versorgt, darüber hinaus hat Burke eine persönliche Auswahl von Werken zur Kulturgeschichte als Liste angefügt, die Titel von 1860 bis 2003 enthält, in dem bekannte Klassiker wie auch eher außerhalb der Geschichtswissenschaft unbekannte Werke zu finden sind. Abgerundet wird das Buch durch ein ausführliches Stichwortregister.
Zum Schluss sei hier noch das Schlussplädoyer des Autors wiedergegeben: „Das modische Interesse an der Kulturgeschichte war für Praktiker wie mich selbst eine angenehme Erfahrung, aber wir wissen natürlich, daß Moden in der Geschichte nicht lange anhalten. Früher oder später wird es eine Gegenreaktion, eine Gegenbewegung gegen ‚Kultur‘ geben. Wenn es soweit ist, werden wir alles tun müssen, um sicherzustellen, daß der historische Erkenntnisgewinn der letzten Zeit - das Ergebnis der als ‚kulturelle Wende‘ bezeichneten Hinwendung zur Kultur - nicht verlorengeht. Historiker und vor allem empiristische oder ‚positivistische‘ Historiker litten früher unter der Krankheit der Buchstabengläubigkeit. Viele von ihnen hatten keinen Sinn für Symbole. Viele von ihnen behandelten Dokumente als durchsichtige Quellen und achteten kaum auf deren Rhetorik. Viele von ihnen taten menschliche Aktivitäten wie das Segnen mit zwei oder drei Fingern (…) als ‚bloße‘ Rituale, als ‚bloße‘ Symbole, als unwichtige Dinge ab. In der letzten Generation haben Kulturhistoriker und Kulturanthropologen die Schwächen dieses positivistischen Ansatzes aufgezeigt. Welchen Weg die Geschichtswissenschaft in Zukunft auch einschlagen mag, eine Rückkehr zu dieser Buchstabengläubigkeit sollte es nicht geben“ (184).




Eine Reihe weiterer Rezensionen, alle von 2006: von Andreas Fahrmeir für die sehepunkte.de

von Alexandra Pontzen für die literaturkritik.de

von Wolfgang E.J. Weber für hsozkult.geschichte.hu-berlin.de

und von Wolfgang Ruppert für den "Freitag"





Verlagsinformation:

„»Gesellschaft« war gestern, heute ist »Kultur« das Zauberwort der Epoche, und dies nicht nur im akademischen Kontext. Im Zuge dieses Cultural Turn ist auch das ehemals häßliche Entlein unter den historischen Wissenschaften, die Kulturgeschichte, zu neuem Ansehen gelangt und erlebt seit mehr als zwei Jahrzehnten eine veritable Renaissance. Peter Burke, einer der profiliertesten zeitgenössischen Kulturhistoriker, stellt sich in seinem neuen Buch nicht nur die Frage, wie es zu dieser Renaissance kommen konnte, sondern auch, was Kulturgeschichte überhaupt ist bzw. was sie sein sollte. In meisterhafter Beherrschung des Materials, mit leichter Hand und kritischem Blick führt er durch die großen Traditionslinien, Debatten und Paradigmenwechsel seiner Disziplin. Beginnend mit der »klassischen Phase«, untrennbar verbunden mit den Werken von Jacob Burckhardt und Johan Huizinga, über deren marxistische Widersacher bis hin zum Aufstieg der sogenannten New Cultural History in all ihren Facetten und Verzweigungen entwirft er das reiche Tableau einer Wissenschaft, die es wie kaum eine andere verstanden hat, Impulse aus anderen Disziplinen wie Philosophie, Ethnologie, Anthropologie und Soziologie produktiv aufzunehmen und auf diese Weise die vordem »positivistisch« geprägte Geschichtswissenschaft zu verändern. Stringente Einführung und kritische Bestandsaufnahme in einem, geschrieben von einem der Großen des Fachs, ist dieses Buch ein wertvolles Kompendium für jeden, der sich für das Handwerk der Kulturgeschichte interessiert.“


Inhalt:

Einleitung

Erstes Kapitel
Die Große Tradition
Die klassische Kulturgeschichte
Kultur und Gesellschaft
Die Entdeckung des Volkes

Zweites Kapitel
Probleme der Kulturgeschichte
Die Klassiker im Rückblick
Marxistische Debatten
Paradoxien der Tradition
Die Volkskultur auf dem Prüfstand
Was ist Kultur?

Drittes Kapitel
Die Stunde der historischen Anthropologie
Die Ausweitung des Kulturbegriffs
Die Stunde der historischen Anthropologie
Unter dem Mikroskop
Postkolonialismus und Feminismus

Viertes Kapitel
Ein neues Paradigma?
Vier Theoretiker
Praxis
Darstellungen
Materielle Kultur
Geschichte des Körpers

Fünftes Kapitel
Von der Darstellung zur Konstruktion
Der Aufstieg des Konstruktivismus
Neue Konstruktionen
Performances und Anlässe
Dekonstruktion

Sechstes Kapitel
Jenseits der kulturellen Wende?
Burckhardts Rückkehr
Politik, Gewalt und Emotionen
Die Rache der Sozialgeschichte
Grenzen und Begegnungen
Die Erzählung in der Kulturgeschichte

Schluß

Ausgewählte Werke zur Kulturgeschichte, 1860-2003: Eine chronologische Liste

Zur weiteren Lektüre


Über den Autor:

Peter Burke, geboren 1937, hat in Oxford studiert und ist seit 1978 Professor für Kulturgeschichte am Emmanuel College in Cambridge. Er ist einer der führenden Historiker der Gegenwart und hat zahlreiche Standardwerke insbesondere zur Kulturgeschichte des frühneuzeitlichen Europas und der Geschichte des historischen Denkens verfasst.





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