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20.07.2008
Arist von Schlippe, Michael Grabbe (Hrsg.): Werkstattbuch Elterncoaching. Elterliche Präsenz und gewaltloser Widerstand in der Praxis
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Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2007
292 S., kartoniert
Preis: 29,90 €
ISBN-10: 3525491093
ISBN-13: 978-3525491096 |
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Verlag Vandenhoeck & Ruprecht

Petra Bauer, Berlin:
Arist von Schlippe und Michael Grabbe haben mit ihrem Werkstattbuch einen Sammelband vorgelegt, in dem sie einen Einblick in die theoretische und feldspezifische Weiterentwicklung und in die empirische Fundierung der ursprünglich von Haim Omer entwickelten Konzepte des „gewaltfreien Widerstandes“ und der „elterlichen Präsenz“ ermöglichen. Diese – in Deutschland durch die Zusammenarbeit mit Arist von Schlippe und dem Weinheimer Institut für Familientherapie verbreiteten – Konzepte wurden ursprünglich für die therapeutische Arbeit mit Familien entwickelt, in denen die Kinder ihren Eltern gegenüber gewalttätig wurden. Wie Haim Omer im Vorwort betont, besteht ihr Kerngedanke darin, neue Formen erzieherischer Autorität zu entwickeln, die sich von traditionellen, auf Disziplinierung und Furcht setzenden Erziehungsformen, abgrenzen, aber dennoch ein Gegenmodell zu einer vollständigen Orientierung an Permissivität bilden.
Mit den im Werkstattbuch vorgestellten Projekten und Weiterentwicklungen lösen sich die Konzepte der elterlichen Präsenz und des gewaltlosen Widerstandes endgültig von ihrem ursprünglichen Kontext ab. Der Indikationsbereich ist breiter geworden und bezieht sich auf viele Formen elterlicher Hilflosigkeit. Damit entwickelt sich das Elterncoaching zu einem umfassenderen pädagogischen Programm, in dem sich spezifische erzieherische Grundhaltungen mit Interventionen aus der Praxis des gewaltlosen Widerstandes verbinden:
Zu den Beiträgen im Einzelnen: In zwei einführenden Artikeln der beiden Herausgeber werden unterschiedliche, bisher noch wenig beachtete, theoretische Aspekte beleuchtet, die sich aus den genannten Konzepten ergeben.Arist von Schlippe beschäftigt sich mit dem Mythos der Macht und beschreibt als Kern erzieherischer Präsenz eine paradoxe Grundhaltung im Umgang mit Macht. Das Ziel erzieherischer Präsenz ist es nicht, Macht (wieder) zu gewinnen, sondern sich der Macht des Anderen zu stellen. Michael Grabbe nimmt Bezug auf das Konzept der Resilienz und betrachtet elterliche Präsenz vor diesem Hintergrund als stärkenden Faktor im „Immunsystem“ der Familie.
Im Folgenden, mit „Praxis“ überschriebenen, Teil findet sich eine Fülle von Material zur praktischen Arbeit mit Eltern. Im Rahmen eines Manuals zum klassischen Einzelcoaching von Eltern (Barbara Ollefs/Arist von Schlippe) und zwei weiteren Artikeln mit Vorschlägen zur Durchführung von selbsthilfebetonten Gruppenangeboten für Eltern (Waltraud Danzeisen und Ursula Engelking) werden idealtypische Abläufe einzelner Sitzungen, nützliche Fragen, Anregungen für fachliche Impulsreferate und Interventionsvorschläge vorgestellt und jeweils durch Fallbeispiele illustriert.
Mit „Erfahrungen in der Anwendung“ sind drei Beiträge übertitelt, die zeigen, wie sich erzieherische Präsenz in der Beratungsarbeit (Olaf Düring), in der Heimerziehung (Bruno Körner/Elisabeth Uschold-Meier) und in der Schule (Martin Lemme/Ruth Tillner/Angela Eberding) fördern lässt. In allen drei Kontexten wird deutlich, dass erzieherische Präsenz auch in der professionellen pädagogischen Arbeit in der Jugendhilfe und in der Schule nutzbringend eingesetzt werden kann. Die in vielen Details beschriebenen Anpassungsprozesse zeigen aber auch, dass erzieherische Präsenz nicht in erster Linie auf dem Einsatz von Techniken, sondern auf der Entwicklung einer veränderten professionellen Haltung beruht, die im Idealfall mit einer Neuausrichtung der Kultur der jeweiligen Einrichtung einhergeht.
In zwei weiteren Beiträgen zur Einbeziehung des Ansatzes in störungsspezifische Konzepte wird die Arbeit mit Familien beschrieben, in denen Kinder mit Diagnosen wie ADHS und Adipositas versehen wurden. Der Verlust der elterlichen Präsenz und die Entwicklung einer um das Problem kreisenden Eskalationsdynamik sind gerade in diesen Familien sehr häufig. In Bezug auf ADHS (Martin Lemme) und Adipositas (Angela Eberding/Martin Lemme) stellen die Autoren integrierte Modelle für die Arbeit mit Eltern und Kindern vor, in denen sich Wissensvermittlung, Übungen zur Förderung der Selbstwahrnehmung, die Vermittlung von Deeskalationsstrategien und Interventionen zur Wiederherstellung der elterlichen Präsenz verbinden.
Am Ende des Buches werden unter dem Stichwort „Forschung“ erste Ansätze für weiterführende empirische Analysen vorgestellt. Im Rahmen von zwei Diplomarbeiten an der Universität Osnabrück wurde zum einen ein Fragebogen zur Erfassung elterlicher Präsenz entwickelt (Amelie Köllner/Barbara Ollefs/Arist von Schlippe). Die zweite Arbeit befasst sich mit der Mikroanalyse von Beratungsprozessen und stellt ein Kategoriensystem vor, mit dem sich erfassen lässt, wie das Konzept des gewaltlosen Widerstandes im Beratungsprozess eingesetzt wird (Charlotte Kötter/Arist von Schlippe). Beide Ansätze deuten die Richtung an, mit denen die Konzepte der elterlichen Präsenz und des gewaltlosen Widerstandes empirisch überprüft und theoretisch weiterentwickelt werden können.
Diskussionsbedürftig erscheinen mir vor allem zwei Punkte: Die Manuale, Falldarstellungen und insbesondere auch die Verknüpfungen mit spezifischen Störungsbildern verweisen darauf, dass sich die Konzepte immer weniger mit klassischer systemischer Therapie in Verbindung bringen lassen. Sichtbar wird stattdessen ein Ansatz, der den Grundgedanken von Elternbildung und der Förderung erzieherischer Kompetenzen folgt. Symptomatisch dafür ist beispielsweise der hohe Anteil an Wissensvermittlung und an Training in den Beschreibungen der konkreten Vorgehensweisen (z. B. in Form von Rollenspielen zur Vorbereitung problematischer Situationen). Auch wenn sich Therapie und Beratung einerseits, Elternbildung andererseits sicherlich nicht immer klar voneinander trennen lassen, würde es zur Klarheit der Konzepte beitragen, wenn sie noch dezidierter als dies bisher geschehen ist, auf ihre Anschlussfähigkeit an erziehungswissenschaftliche Befunde und Theorien, z. B. zur Familienbildung, zu Erziehungsstilen etc. überprüft werden würden.
Zum anderen betonen beiden Herausgeber in ihrem Vorwort sicher zu Recht, dass die Arbeit mit den von ihnen propagierten Konzepten immer auch auf die konkrete Situation der Eltern zugeschnitten sein muss. Die ausgeprägte Manualisierung und Konzeptualisierung, wie sie in diesem Band dargestellt wird, trägt u. U. aber auch dazu bei, genau das Gegenteil zu bewirken: die Orientierung an der Situation der jeweiligen Familien immer mehr zugunsten der Entfaltung eines allumfassenden Elternbildungskonzeptes zurücktreten zu lassen. Hier ist zu hoffen, dass die verstärkten Forschungsbemühungen zu einer Differenzierung beitragen und herausarbeiten, unter welchen Bedingungen und in welchem Rahmen diese Formen der Förderung erzieherischer Präsenz und der Einsatz von Interventionen des gewaltlosen Widerstandes tatsächlich sinnvoll und hilfreich ist.
Dennoch: der Band bietet mit seinen ganz unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen einen fundierten Einblick in den aktuellen Stand der Entwicklung des Elterncoaching. Vor allem diejenigen, die die Konzepte als Ganzes oder einzelne Elemente davon in ihrer Arbeit umsetzen wollen, finden eine Fülle von Anregungen, hilfreichen Überlegungen und Umsetzungsvorschlägen.
(mit freundlicher Erlaubnis aus Kontext 4/2007)

Zu einem Arbeitspapier "Autorität durch Beziehung" von der gleichnamigen Fachtagung im Oktober 2007 in Hannover von Bruno Körner, Martin Lemme und Ruth Tillner
Eine weitere Besprechung für socialnet.de von Ulrich Pfeifer-Schaupp

Verlagsinformation:
Das systemische Elterncoaching im gewaltlosen Widerstand bei gewalttätigem oder selbstschädigendem Verhalten von Kindern und Jugendlichen zur Herstellung elterlicher Präsenz basiert auf dem Konzept Haim Omers. Von der auf Deeskalation bedachten Haltung fühlen sich nicht nur Therapeuten und Berater, sondern auch Eltern angesprochen. In professionellen Zusammenhängen ergeben sich bei der Umsetzung eine Fülle von Fragen, denen das Werkstattbuch anhand von 13 Beiträgen umfassend nachgeht. Behandelt werden Grundlagen, praktische und störungsspezifische Anwendungen sowie Forschungsperspektiven.
Inhalt:
Schlippe, Arist von: Der Mythos der Macht und Krankheiten der Erkenntnistheorie. S. 17-24
Grabbe, Michael: Bündnisrhetorik und Resilienz im gewaltlosen Widerstand. S. 25-43
Ollefs, Barbara, & Schlippe, Arist von: Manual für Elterncoaching auf der Basis des gewaltlosen Widerstands. S. 47-101
Danzeisen, Waltraud: Wie Eltern sich in Gruppen unterstützen können, wenn die elterliche Präsenz bedroht ist. S. 102-112
Engelking, Ursula: Grenzen setzen ist nicht schwer, sie einzuhalten um so mehr! Manual zur Durchführung eines Elterncoachings zum bewussten Umgang mit elterlicher Präsenz. S. 113-166
Düring, Olaf: »Ich habe immer mehr so ein Willkommensgefühl «. S. 169-173
Körner, Bruno, & Uschold- Meier, Elisabeth: Pädagogische Präsenz in der Heimerziehung. Gewaltloser Widerstand - auch im Rahmen stationärer Jugendhilfe? S. 174-189
Lemme, Martin, Tillner, Ruth, & Eberding, Angela: Präsenz schafft Autorität. Coaching von Lehrerinnen und Lehrern im gewaltlosen Widerstand gegen soziale Störungen und destruktive Verhaltensweisen in der Schule. S. 190-201
Lemme, Martin: Familie Aufmerksam. Ein integriertes Modell für Elterncoaching, Gruppen- und Einzeltherapie bei Kindern mit der Diagnose AD(H)S unter Einbeziehung des Konzepts der elterlichen Präsenz. S. 205-222
Eberding, Angela, & Lemme, Martin: Adipositas bei Kindern - Präsenz von Eltern. Coaching im Rahmen einer Adipositasschulung im Kindes- und Jugendalter. S. 223-233
Köllner, Amelie, Ollefs, Barbara, & Schlippe, Arist von: »Elterliche Präsenz« - Entwicklung eines Fragebogens für Eltern. S. 237-268
Kötter, Charlotte, & Schlippe, Arist von: »Coaching im gewaltlosen Widerstand« - was ist das eigentlich genau? Ein Kategoriensystem zur Untersuchung von Beratungsprozessen auf der Mikroebene. S. 269-277
Schlippe, Arist von: »Liebe Frau R.«, »Lieber Herr T.«, »Lieber Wolfgang« - Antworten auf kritische Briefe. S. 281-289
Über die Herausgeber:
Prof. Dr. phil. Arist von Schlippe, Diplom-Psychologe, hat den Lehrstuhl für Führung und Dynamik von Familienunternehmen an der Wirtschaftsfakultät der Universität Witten/Herdecke inne. Er ist lehrender Supervisor und Lehrtherapeut am Institut für Familientherapie Weinheim, Ausbildung und Entwicklung e. V.
Michael Grabbe, Diplom-Psychologe, Psychologischer Psychotherapeut, systemischer Lehrtherapeut und lehrender Supervisor am Institut für Familientherapie Weinheim, Ausbildung und Entwicklung e. V., arbeitet in eigener Praxis in Melle.
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