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06.02.2008
Lothar Eder: Psyche, Soma und Familie. Theorie und Praxis einer systemischen Psychosomatik
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Kohlhammer Verlag, Stuttgart 2007
265 S., broschiert
Preis: 28,00 €
ISBN-10: 3170183745
ISBN-13: 978-3170183742
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Kohlhammer
Tom Levold, Köln:
Ein Buch zur Theorie und Praxis systemischer Psychosomatik weckt insofern vielfältige Erwartungen, als das Feld der Psychosomatik seit langen Jahrzehnten deutlich von psychodynamisch ausgerichteten Arbeiten dominiert wird. Explizite systemische Arbeiten sind dagegen nicht sehr zahlreich, hierzulande sind vor allem einige Arbeiten aus der „Heidelberger Schule“ um Helm Stierlin zu diesem Thema bekannt geworden sind, die den Nachweis eines spezifischen Zusammenhanges von Symptomen und familiären Interaktionsstilen versuchten. Diese Spezifizitätshypothesen haben allerdings viel Kritik auf sich gezogen. Lothar Eder, Systemischer Therapeut und Lehrtherapeut der SG aus Mannheim, hat sich mit vorliegendem Band daran gemacht, das systemische Spektrum zum Thema Psychosomatik zu erweitern, wobei er sich wesentlich auf die „Heidelberger“ Autoren Helm Stierlin, Arnold Retzer, Gunther Schmidt und Fritz Simon bezieht - und damit auch gewisse Vereinseitigungen in Kauf nimmt. Ihm geht es dabei weniger um familiäre Interaktionsstile (deshalb geht es in diesem Buch auch nicht primär - wie der Buchtitel nahelegen könnte - um die Familie), sondern vielmehr um die Konzeptualisierung eines therapeutischen Ansatzes, der an den Erzählungen von Klienten anknüpft und die „dramaturgische“ Umgestaltung der darin enthaltenen Krankheitsnarrative zum Ziel hat. Literatur und Theater bieten ihm dabei eine unerschöpfliche Fundgrube für kreative Interventionen, die den Klienten gewissermaßen die Möglichkeit bieten, als Autoren oder Regisseure in ihre eigenen Lebensstücke einzugreifen und notwendige Veränderungen vorzunehmen. Überhaupt ist die Verbindung erzählerischer Fähigkeiten mit therapeutischen Kompetenzen eine der großen Stärken Eders, die das Buch zu einer interessanten und sprachlich angenehmen Lektüre werden lässt (1). Das Buch ist vor allem in den praktischen Teilen stark. Die Fallgeschichten sind ausführlich und durch zahlreiche Transkripte gut nachzuvollziehen, die therapeutischen Erörterungen und Vorgehensweisen sind stichhaltig, originell und werden souverän vorgetragen, so dass der praktische Gewinn für den Leser gesichert ist. Die theoretischen Passagen kommen dagegen bedauerlicherweise ein wenig zu kurz, was schade ist, da der Autor über einen fundierten philosophisch-psychologischen-historischen Hintergrund verfügt. Nach einem sehr kurzen historischen Abschnitt über die Leib-Seele-Problematik werden recht schnell Psyche und Soma metaphorisch als „Partner auf Lebenszeit“ (S. 29) eingeführt, was es dann erlaubt, „beziehungsdiagnostische Kriterien an(zu)wenden, wie sie in der Beschreibung interindividueller Bezogenheiten angewendet werden“ (38). Der Körper wird auf diese Weise zum Kommunikanten gemacht, der etwas mitzuteilen hat, dem Motive und Interessen unterstellt werden können. Die Mitteilungen des Körpers haben also etwas textartiges, sie können als eine Erzählung aufgefasst werden - eine Theoriefigur, die natürlich schon lange in der Psychoanalyse zu Ehren gekommen ist, wie auch Eder betont: „Die psychoanalytische und die systemische Herangehensweise haben als Gemeinsamkeit folglich die Bedeutung der Narration. Jedoch … sind auch die Unterschiede augenfällig. Die narrative Gattung der Analyse ist die Erzählung von den Ursprüngen. Die narrative Gattung der systemischen Therapie ist auch und vor allem die Erzählung von den Wechselwirkungen, den Möglichkeiten und Zukünften“ (47). Allerdings darf hier mit Fug und Recht bezweifelt werden, dass ein Psychoanalytiker, der noch ganz beieinander ist, sich ausschließlich mit den Ursprüngen und nicht etwa mit Wechselwirkungen, Möglichkeiten und Zukünften beschäftigt. Spannender dagegen ist die - allerdings nicht weiter ausgeführte -Beobachtung, dass in klassischen psychoanalytischen Konzeptionen das Verhältnis von Psyche und Soma mit Metaphern wie beispielsweise „Verdrängung“ oder „Unterwerfung des somatischen Feldes durch das Individuum“ metaphorisch als „Täter-Opfer-Verhältnis“ und Win-Lose-Situation entworfen wird (47), während systemische Ansätze eher Raum für dialogische Verhandlungslösungen bieten. Dazu hätte man gerne mehr gelesen. Die Überbetonung der Erzählung als Text, der Narration, führt leider auch zu einer Ausblendung von Phänomenen, die primär körperliche Reaktionen und Ausdrucksmöglichkeiten betreffen. Worte wie Affekt, Emotion, Gefühl oder gar Trieb findet man in diesem Buch vergeblich. Zwar gibt es einen kurzen Abschnitt über Stress und Stressreaktionen, der aber im weiteren Verlauf der Argumentation auch nicht mehr aufgegriffen wird. Der Körper als autonome Sphäre von Regulationsprozessen wird daher theoretisch eher vernachlässigt, was die Erwartungen an ein Buch über Psychosomatik erst einmal durchkreuzt. Vor diesem Hintergrund erscheint es konsequent, wenn Eder postuliert: „‚Psychosomatisch‘ ist ein Phänomen eigentlich erst dann, wenn entsprechend über es gesprochen, gedacht und gehandelt wird. ‚Psychosomatisch‘ ist ein Element des Systems Sprache, eine Erzählung, die mehr oder weniger plausibel den Zusammenhang bestimmter Phänomene - ein körperliches Erleben, Denken, Fühlen, Interaktion - beschreibt und mit Bedeutung versieht“ (S. 111). Aus dieser Perspektive wäre eine „psychosomatische Erzählung“ genauso zu verstehen und zu thematisieren wie jede andere Problemkonstruktion auch, was die Notwendigkeit einer spezifischen Psychosomatik jedoch in Frage stellen würde. Eine solche Ausgangsposition wäre wohl eher unbefriedigend. Lothar Eder erweitert gottlob diese Perspektive, denn ihm geht es um zweierlei: „zum einen (um) die Erzählung über den Körper, zum anderen (um) die Erzählung des Körpers, wenn er symbolisch befragt wird“ (109). Um die Erzählung des Körpers kreist ein großer Teil der ausführlich dargestellten therapeutischen Überlegungen Eders, die „die Wiedereinführung des Körpers in die Kommunikation“ zum Ziel haben. Auf verschiedene und originelle Weise (etwa durch „Organinterviews“, innere Konferenzen, Aufstellungen, Theatermetapher) werden die Klienten mit ihrem Körper bzw. dessen Organen in einen Dialog gebracht und es zeigt sich hier, dass der Körper vermittels der angebotenen Symbolisierungen etwas zu sagen hat. Diese Überlegung stellt natürlich wieder einen Anschluss an ein psychodynamisches Verständnis von Psychosomatik her, bei dem die Mitteilung des Körpers ebenfalls entschlüsselt und verstanden werden sollen, wenngleich diese Anschlussmöglichkeiten hier nicht expliziert werden. Ein weiterer konzeptueller Bezugspunkt für Eder ist die Theorie sozialer Systeme Niklas Luhmanns, die freilich ausschließlich sprachliche Kommunikationen als Bestandteile sozialer Systeme zulässt und psychische sowie körperliche Phänomene eigenen (operational geschlossenen) Systemen zurechnet. Der Körper ist für soziale Systeme bei Luhmann also allenfalls Anlass für Kommunikation bzw. (beim psychischen System) für Wahrnehmung und Reflexion, als soziales Phänomen sui generis findet der Körper bei Luhmann keine Beachtung. Dieses Manko registriert natürlich auch Lothar Eder. Spannend zu sehen, dass in seinem Buch dem Körper („als Mitkonstrukteur der Wirklichkeit“ und Erzähler) gewissermaßen unvermeidbar eine Subjektrolle zugewiesen wird (und werden muss), die bei Luhmann nicht vorgesehen ist. Zwar wird mit dem Konzept der „symbolischen Befragung“ auf den metaphorischen Charakter dieser Subjektzuweisung hingewiesen, an dieser Stelle wäre aber auch möglich gewesen, eine Verknüpfung mit weiterreichenden theoretischen und empirischen Befunden zur Einbeziehung des Körpers in soziale Kommunikationen herzustellen. Leider bleibt aber die theoretische Erörterung an dieser Stelle stehen. Das Buch gliedert sich in fünf Abschnitte. Der erste Teil ist einer „Kartografie der psychosomatischen Landschaft“ gewidmet, die die strukturelle Koppelung von Psyche, Soma und Kommunikation und die „Koppelung von gelebtem, erlebtem und erzähltem Leben“ nachzuzeichnen versucht. Der zweite Teil, „die systemische Kartografie“ fügt das Konzept der Interaktionsmuster und Beziehungsstile hinzu, die sich idealtypisch als „psychosomatische Muster“ beschreiben lassen und deren Konfliktdynamik mithilfe des Tetralemma-Modells erfasst wird. Im Abschnitt über die „Systemische Erkundungen des Innenraums“ wird die Übertragung des „kommunikativen Außenraums“ (89) auf den psychischen Innenraum zum Leitmotiv des narrativen Ansatzes Eders, das sich wesentlich auf die Konzepte Metaphorizität, Vielstimmigkeit oder Polyphonie, Dialog und die Metapher des Theaters stützt (94f.) Im dritten Teil präsentiert Eder ihm wesentliche Elemente systemischer Therapie (Konstruktion und Dekonstruktion von Landkarten, Auftragsklärung, Re-Kontextualisierung von Symptomen, Ressourcenorientierung, Lösungs-, Klärungs- und Beziehungsperspektive und Systemische Diagnostik), ganz nebenbei auch als hervorragender Einführungstext in systemisches Denken zu lesen! Der vierte Abschnitt schließlich bietet einen - wie schon erwähnt - lohnenswerten Einblick in die therapeutische Praxis des Autors. Ganz überraschend zum Schluss ein Abschnitt, den Lothar Eder selbst als „gewagt“ einordnet. Vor dem Hintergrund der Trias aus „gelungener bezogener Individuation“ sensu Stierlin, Wohlbefinden und Selbstregulation will Eder hier einen „Brückenschlag vollziehen“ (236), nämlich zu Qi Gong, welches dem Autor schon seit Jahren vertraute Praxis ist und hier als eine „psychosomatische Methode“ charakterisiert wird, die die Herstellung dieser Dreiheit ermöglichen oder zumindest erleichtern kann. Spannend deshalb, weil es hier weniger um das erzählte, sondern mehr um das gelebte Leben geht, um Trance-Zustände und Hypnose, um eine Transzendierung von Psyche-Soma-Beziehungen, die noch einmal ganz neue „Aspekte einer positiven Psychosomatik“ in die Diskussion einführen könnten. Es stellte sich mir die Frage, was es für den Gang der Argumentation bedeutet hätte, wenn Eder diesen Abschnitt nicht so verschämt ans Ende, gewissermaßen als persönliche Fußnote, gestellt hätte, sondern stärker in seine theoretischen Überlegungen eingebaut hätte. Aber womöglich ist das vielleicht der Stoff für eine weitere Arbeit. Trotz seiner sehr selektiven Anlage, die den Anspruch einer „systemischen Psychosomatik“ nur zum Teil erfüllen kann, ist das Buch ausgesprochen lesenswert, niemals langweilig und voll von Ideen und Anregungen, aufgrund derer man es nur zur Anschaffung empfehlen kann.
(1) vgl. auch die Arbeiten des Autors von (2004): Vom Organdialekt zur Symptomerzählung: Systemische Psychosomatik als narrative Disziplin. In: systeme 18(2), S. 95-113, und (2006): Therapie und Beratung als literarischer Prozess. Über hilfreiches Sprechen, Lesen und Schreiben. In: ZSTB 24(1), S. 5-19
Wolfgang Loth, Bergisch Gladbach:
Lothar Eder hat sich sowohl als erfahrener Lehrtherapeut wie auch als Autor in der systemischen Szene einen Namen gemacht. Nun hat er ein Buch vorgelegt, in dem seine langjährige Auseinandersetzung mit Fragen einer systemischen Psychosomatik eine gescheite und gut lesbare Form gefunden hat. In seinem Geleitwort attestiert Helm Stierlin dem Autor, dass er „mit Leichtigkeit ein weites Terrain umspült“. Da ist etwas dran. Bei der Lektüre schien es mir gelegentlich, als betätige sich Lothar Eder als eine Art Conferencier, der mit Witz und Charme durch ein reichhaltiges Programm führt und diesem dabei eine plausible und abwechslungsreiche Struktur gibt. Dabei wird auf vielfältige Weise deutlich, dass mit der Trias Psyche, Soma und Familie eine aufeinander angewiesene Einheit auf dem Plan ist, die sowohl einander bereichern kann als auch aneinander leiden. Nun ist das Thema ein „altes“ und man kann sich ihm aus sehr unterschiedlichen Richtungen nähern. So erlaubt es etwa die Luhmann’sche System-Umwelt-Perspektive, die „alte“ Leib-Seele-Beziehungsthematik konstruktiv zu entzerren, ihr Miteinander sowohl als eigenständig wie auch als aufeinander bezogen zu beschreiben. Die Denkfigur der bio-psycho-sozialen Einheiten erweist sich darüber hinaus als extrem fruchtbar für neuere Forschungsansätze, die sich mit Hilfe von Theorien zu nichtlinearen dynamischen Systemen formalisieren lassen. Und schließlich sind auch die vertrauten narrativen Ansätze weiterhin gut für frische Beschreibungen und emanzipatorische Anstöße. Diese narrativen Ansätze sind Eders Domäne, weniger die naturwissenschaftliche Diskussion. Eder selbst stellt sein Buch als eine „Einladung zu einer gemeinsamen Ortsbegehung von Ideen, Kartografien und Wegweisungen im Gebiet des Psychosomatischen“ vor und macht deutlich, dass dies immer schon und immer noch ein „work in progress“ ist, aller bisherigen Forschungsfülle zum Trotz: Die Erzählung desselben, oder besser dessen, was damit gemeint sein könnte, was dabei empfunden wird und wie es Sinn und Orientierung stiftet (oder nicht), das ist eben nicht „fertig“ zu stellen, es sei denn um den Preis des Plastinierens („Körperwelten“ als Endprodukte sozusagen). Die Einbettung des Themas tendiert im vorliegenden Buch zur sprachphilosophischen Seite, gelegentlich unterstützt durch Hinweise auf Luhmanns differenztheoretische Systemsicht, aber vor allem durch die Konzeptbildung der Heidelberger Institute, insbesondere die Arbeiten von Helm Stierlin und Fritz Simon. Gelegentlich scheint mir denn auch ein deutlicher Bias in Richtung Heidelberg die Richtung vorzugeben, während naturwissenschaftlich geprägte Ansätze, wie sie etwa von Günter Schiepek zum Thema vorliegen, keine Berücksichtigung finden. Es wäre also nicht die Vollständigkeit eines Überblicks, die das vorliegende Buch auszeichnet, sondern eindeutig die Kunstfertigkeit seiner narrativen Ausrichtung. Dies kann durchaus wörtlich verstanden werden. Dass der Autor in der Welt der Künste, insbesondere der Literatur zuhause ist, vermitteln nicht nur die vielen Literaturzitate zu Beginn der einzelnen Kapitel, sondern auch viele inhaltlich und formal wunderbar passende Beispiele im Text. Das Buch gliedert sich in fünf Abschnitte. Im ersten diskutiert Eder „Kartografien der psychosomatischen Landschaft“: Psyche, Soma und Kommunikation werden „an sich“ und in ihrem Wechselspiel sondiert. In der folgenden „Systemischen Kartografie“ kommen systemisch relevante Aspekte psychosomatischer Interaktionen zur Sprache: drinnen und draußen sowie der Ort des „Dazwischen“ als Ansatzpunkt systemischer Konzepte. Im Kapitel „Orientierungshilfen“ skizziert Eder basale Konzepte und Hilfsmittel systemischen Therapieverstehens und es beginnen erste ausführlichere Fallvignetten. Dies wird nun zunehmend vertieft im Kapitel über „systemisch-psychosomatische Pragmatik“, einer reichhaltigen Sammlung kenntnisreich und nachvollziehbar kommentierter Fallbeispiele. Ein abschließendes Kapitel „Ausblick: Aspekte einer positiven Psychosomatik“ hat mich noch einmal besonders beeindruckt. Hier versteht es Eder, die Stierlin’sche Triade bezogene Individuation, Wohlbefinden und Selbstregulation zu verknüpfen mit fernöstlichen Verfahren und Übungswegen. Der Autor, so zeigt sich, ist ein langjährig erfahrener Übender und vertraut mit Geist und Körperleben etwa des Qi Gong. Das Kapitel macht neugierig darauf, wie diese Perspektive ausgebaut werden kann, ohne vom Esoterik-mainstream vereinnahmt zu werden. Bei aller umfassenden und immer wieder erklärend, kommentierend oder weiter verweisend eingesetzten Sachkenntnis: Die Seele des Ganzen scheint mir die Fähigkeit des Autors zu sein, Beziehungen in Geschichten zu spiegeln, diese Geschichten dann zu transformieren und auf diese Weise dazu beizutragen, dass sich über das Verändern der Geschichte auch die Beziehungen verändern, auch wenn diese Veränderungen sich auch wiederum „nur“ in Geschichten festmachen lassen. Dabei ergibt sich ein Rhythmus von Festmachen und Losmachen, in dem die Balance zwischen Selbst- und Beziehungswirksamkeit die Richtschnur darstellt. Solche Art der Geschichten-Schreibung kann natürlich der Gefahr unterliegen, dass sie beim eiligen oder unreflektierten Lesen mit ontologisierenden Beschreibungen verwechselt wird. Zwar weist Eder selbst auf die „Nichtgültigkeit der Spezifitätshypothese in der systemischen Therapie“ hin (S. 51), was aber nichts daran ändert, dass die Geschichten einen gewissen Sog entwickeln, ein Eigenleben, womöglich hin zu: das ist so, anstelle: was wäre, wenn wir uns auf solche Beschreibungen einlassen?! Auch Sprache hat eben ihre (mindestens) zwei Seiten: die Orientierung und Verbundenheit vermittelnde und die verführend-verwirrende. Aber so ist es eben: auch bei den guten Büchern sollte das eigene Denken nicht ausbleiben. So wünsche ich diesem anregenden Buch viele interessierte LeserInnen, die sich dafür Zeit nehmen und sich dabei zu eigenem Denken inspirieren lassen.
(Mit freundlicher Genehmigung aus systeme 2006)
Zu einer Powerpoint-Präsentation von Lothar Eder zum Buchthema
Verlagsinformation:
Vor einem (system-)theoretischen Hintergrund zeigt dieses Buch anhand einer detaillierten Methodologie und zahlreicher Fallbeispiele die Möglichkeiten einer systemischen Perspektive der Psychosomatik: vom klassischen zirkulären Interview in der Einzel-, Paar- und Familientherapie bis hin zur Organaufstellung.
Inhalt:
Geleitwort von Helm Stierlin Geleitwort von Arist von Schlippe 1 Kartografien der psychosomatischen Landschaft 1.1 Erste Erkundungen des Terrains 1.2 Psyche und Soma : die Suche nach der Schnittstelle 1.3 Psyche und Soma : Partner auf Lebenszeit 1.4 Psyche , Soma und Kommunikation 1.4.1 Organsprache, Organdialekt, Symptomerzählung: von der Sprachmetapher zum Begriff der Narration 1.4.2 Die Einbettung des symptomatischen Geschehens in soziale Kontexte: Gesellschaft und Familie 1.4.3 Psyche , Soma und Kommunikation: ein Modell 2 Die systemische Kartografie 2.1 Familiäre Interaktion 2.2 Interaktionsmuster, individuelle Beziehungsstile und idealtypische psychosomatische Interaktionen 2.2.1 Interaktionsmuster und individuelle Beziehungsstile 2.2.2 Konfliktorganisation und idealtypische psychosomatische Muster im Tetralemmamodell 2.2.3 Der Zusammenhang von individuellen Symptomen und den Mustern der Interaktion 2.3 Systemische Erkundungen des Innenraums: innere Kommunikation, innere Dialoge 3 Orientierungshilfen 3.1 Therapie als Prozess des Erkundens 3.1.1 Dekonstruktion und Konstruktion von Landkarten 3.1.2 Psychosomatik als soziales Konstrukt und Sprachspiel 3.1.3 Drei Aspekte von Auftragsklärung 3.2 (Re-)Kontextualisierung 3.2.1 Kontext als interaktionsbezogene Perspektive 3.2.2 Kontext als Bedeutungsrahmung 3.2.3 (Re-)Kontextualisierung als Einbindung eines Symptoms in relevante Zusammenhänge 3.3 Ressourcenorientierung 3.4 Die Lösungs-, Klärungs- und Beziehungsperspektive in der Psychotherapie 3.5 Therapie als Prozess der Verhaltensänderung 3.6 Systemische Diagnostik 3.6.1 Diagnostik von Interaktionsmustern und Beziehungsstilen 3.6.2 Diagnostik von Organisationsformen des Erlebens und der Erzählung 3.6.3 Diagnostik der Organisation des Therapieprozesses 3.7 Fallbeispiele 3.7.1 Frau M. oder: brave Mädchen kommen in den Himmel 3.7.2 Zu den rettenden Ufern der Kommunikation: Herr S. 3.7.3 Nun kann er seine Überstunden abfeiern: Herr A. 4 Systemisch-psychosomatische Pragmatik 4.1 Die Ebene der sozialen und familiären Interaktion 4.1.1 Familie W. 4.1.2 Das Symptom als hilfreicher Dritter: Frau K. und Herr W. oder: von der Hautverträglichkeit einer Paarbeziehung 4.1.3 Nikolausi, Osterhasi und die Lenorflasche: Frau A. 4.2 Die Wiedereinführung des Körpers oder Organs in die Kommunikation 4.2.1 Soziale Kredite und die Mitsprache des Körpers bei der Rückzahlung: Frau G. 4.3 Ausweitung der Fragezone: das Interview mit der inneren Konferenz 4.3.1 Exemplarische Darstellung des Vorgehens anhand einer Asthmaproblematik: Frau B. 4.4 Das körperliche Symptom als Metapher 4.4.1 Pulmonale Nähe-Distanzregulation: noch einmal Frau B. 4.4.2 Gesichtsfeldverengung als Anstoß für neue Perspektiven 4.4.3 Psychotherapie als Orthopädie: Neuausrichtung des Lebens als Therapieziel 4.5 Körperkontrakte 4.5.1 Herr M.: mit dem Kehlkopf durch Portugal 4.6 Die Verkörperung im Raum als Methode: Skulptur, Aufstellung, Theatermetapher 4.6.1 Frau F. oder: ein Ohr für das Ohr 4.6.2 Organaufstellung bei einer Morbus-Crohn-Symptomatik 4.6.3 Die Arbeit mit der Theatermetapher: noch einmal Frau M. 5 Ausblick: Aspekte einer positiven Psychosomatik
Einführung:
Die Lektüre dieses Buches löste bei mir immer wieder Vergnügen und Wertschätzung aus. Denn es verdeutlicht, was eine systemisch-therapeutische Perspektive in unserer Zeit vor allem für den Bereich der Psychosomatik bedeutet. Wenn das Wort Revolution nicht so abgegriffen wäre, könnte es hier seinen Platz finden. Denn gerade mit Blick auf die Psychosomatik zeigt der Autor, wie systemisch inspiriertes Denken und Handeln, das sich unterschiedlichen Forschungs- und Praxisfeldern verdankt, zu einem revolutionären Umdenken überhaupt Anlass gibt. Mit Wittgenstein könnte man von einem "Drehen der ganzen Betrachtung" sprechen. Es freute mich, dabei auch wieder feststellen zu können, dass nicht zuletzt unsere Heidelberger Arbeitsgruppe, die sich seinerzeit aus Arnold Retzer, Fritz Simon, Günther Schmidt, Jochen Schweitzer, Gunthard Weber und mir selbst zusammensetzte, dazu ihren Beitrag leisten konnte. In Lothar Eders Darstellung geht nicht unter, was andere Ansätze für die Theorie und Praxis der Psychosomatik erbracht haben. Das gilt nicht zuletzt auch für das, was die Psychoanalyse an Erkenntnissen geliefert hat. Aber diese Erkenntnisse werden nun gleichsam neu verortet und in einen größeren Zusammenhang - oder vielleicht richtiger: in größere Zusammenhänge - eingebettet und daher zum Teil auch relativiert. Und daraus ergeben sich dann auch immer wieder, wie Eder zeigen kann, neue Fragen und neue Herausforderungen für Psychotherapeuten. Diese Fragen und Herausforderungen vermittelt er uns nicht nur als Autor eines Lehr- und Lernbuches, sondern auch als ein Autor, der uns einen Lesefluss ermöglicht, der gleichsam mit Leichtigkeit ein weites Terrain umspült. So bringt er nicht nur bekannte Hirnforscher wie Singer, Hüther und Roth in den Blick, sondern auch Philosophen wie Platon, Descartes, Merleau-Ponty und Plessner, nicht zu reden von Autoren wie Shakespeare und Botho Strauß, die sich alle Gedanken über das geheimnisvolle Zusammenspiel - oder auch Gegeneinanderspiel - von Leib und Seele gemacht haben. Und er lässt auch nicht wenige an psychosomatischen Störungen leidende Patienten zu Worte kommen, denen er mit Hilfe eines systemisch-therapeutischen Vorgehens zu mehr Klärung, wenn nicht zur Lösung ihrer Probleme und damit auch zu mehr Wohlbefinden verhelfen konnte. Man kann auch sagen: In diesem Buch regt der Autor mit einer fast spielerischen Leichtigkeit zu immer neuen Linseneinstellungen an, durch die das, was wir heute unter Psychosomatik und nicht zuletzt auch unter Familiensomatik verstehen, nicht weniger in den Blick kommt als die glückende oder auch missglückende Kommunikation so etwa zwischen den unterschiedlichen körperlichen als auch zwischen den eher psychisch orientierten "Bedürfnis-Parteien" in des Patienten "innerer Konferenz". Kein Wunder daher, dass ich dieses Buch in die Hände vieler Leserinnen und Leser wünsche.
Heidelberg, im Herbst 2006, Helm Stierlin
Arist von Schlippe:
Vor vielen Jahren musste mir der Blinddarm entfernt werden. Wie in solchen Fällen üblich, wurde ich am Vorabend in die Klinik aufgenommen, vorbehandelt und lag am nächsten Morgen, sehr früh, nur mit einem grünen OP-Hemd bedeckt auf einer Pritsche, eine Schwester fuhr mich in den OP. Als sich die automatische Tür öffnete, begegneten wir einem Leidensgenossen von mir, der gerade herausgefahren wurde. "Meine" Schwester fragte die andere gut gelaunt: "Na, was ist das denn?" - "Ein Knie" lautete die knappe Antwort, "und das da?" - "Das ist'n Wurm", war die Antwort meiner Fahrerin. Ein Wurm. So fühlte ich mich auch, aller Insignien meiner Identität beraubt, reduziert auf die Identität eines Wurms. Niemand wird bei einem Blinddarm umfangreiche Spekulationen über mögliche psychosomatische Zusammenhänge anstellen (oder?), das Beispiel zeigt auch keine solchen Verbindungen auf. Dagegen macht es sehr deutlich, dass Krankheitsphänomene eingebunden sind in sprachliche Umwelten. Krankheit geschieht nicht allein, sondern über Krankheit wird gesprochen, nachgedacht, sie wird beschrieben und hat damit Teil an unseren sozialen Konstruktionen. Im Fall des geschilderten Beispiels ist ein solcher Prozess nicht weiter dramatisch zu werten, doch kenne ich so viele Geschichten, in denen die Beschreibung von Krankheiten eine höchst belastende Kontextbedingung für die Betroffenen darstellte. Als Wesen, die ein Bewusstsein ihrer Umgebung besitzen, beginnen wir vom ersten Moment unseres Lebens, diese zu beschreiben. Wir beschreiben die Welt und hören auf Beschreibungen, die uns erzählt werden, und nur selten sind wir uns dessen bewusst, dass wir die Welt so, wie wir sie uns beschreiben, (mit-)konstruiert haben: "Bei unserer Wahrnehmung der Welt vergessen wir alles, was wir dazu getan haben, sie in dieser Weise wahrzunehmen", sagte Francisco Varela einmal. Wir neigen dazu, unsere Begriffe als Dinge zu behandeln, nicht als Möglichkeiten des Begreifens. Unsere Begriffe verwandeln Prozesse in Gegenstände. Genau besehen lässt sich etwa "Körper" als Beschreibung einer Vielzahl von ineinander verschränkten Prozessen verstehen, die gar nicht so eindeutig abgrenzbar sind, wie es der Begriff nahe legt. Und auch "Seele" oder "Bewusstsein" sind Begriffe, die eine Klasse von Prozessen beschreiben und damit verdinglichen. Wenn man anschließend beginnt, zwischen "Körper", "Seele" und "Kommunikation" Bezüge herzustellen und dabei Bilder aus der klassischen Physik verwendet, also danach sucht, wie das eine auf das andere kausal einwirkt, dann kann man sich in unlösbaren Fragen verlieren: "Was wirkt denn nun auf was, und wie geht das genau?" Dabei scheint das Problem nicht eines der richtigen Antwort zu sein, sondern eines der Frage. Wir bewegen uns in Sprachspielen im Wittgenstein'schen Sinne und können uns in ihnen verfangen, wenn wir sie mit der Wirklichkeit verwechseln: Wer durch den Akt des Unterscheidens Phänomene wie Körper, Seele, Krankheit, Kommunikation (mit-)erschafft, ist oft blind dafür, dass dieser Akt der Erzeugung von Wirklichkeit Szenarien erschafft, die wiederum sich selbst beeinflussen können. Das ursprüngliche Anliegen der Frage danach, wie die Seele auf den Körper einwirke, lag sicher darin, die Achtsamkeit für körperliche Vorgänge und ihre Verbindungen mit dem eigenen Lebensweg zu erhöhen. Doch heute sind diese Fragen vielfach popularisiert und in gewisser Weise "entgleist". Heute erleben wir es nicht selten, dass das Wort "psychosomatisch" auf eine Weise verwendet wird, wie früher das Wort "hysterisch" gebraucht wurde, nämlich im Sinne von "selbst verursacht". Im Fall der Erkrankung eines Kindes bezieht sich dies dann v.a. auf die Mutter, die als Verursacherin ausgemacht wird. Mütter asthmakranker Kinder etwa erzählen hier oft Leidensgeschichten, in denen ungefragt von Nachbarn, Freundinnen und auch Profis Zuschreibungen gemacht werden, die zwar in sich widersprüchlich sind ("Sie klammern zu sehr!" kann durchaus bestehen neben: "Sie sind zu weit von Ihrem Kind weg! Das Symptom des Kindes ist der unterdrückte Schrei nach der fernen Mutter!"), deren gemeinsamer Nenner aber darin besteht, dass einer den "schwarzen Peter" hat: die Mutter. So geschieht es schnell, dass Betroffene dann nicht nur mit ihren Krankheitssymptomen (oder denen ihrer Kinder) beschäftigt und belastet sind, sondern dass sie sich auch noch mit den Bedeutungen, die diesen von ihnen selbst oder Menschen aus der Umwelt gegeben werden, befassen müssen. Ken Gergen hat einmal darauf hingewiesen, dass Krankheit in unserer Kultur zu großen Teilen in einer "metaphorischen Welt" dargestellt wird. Mit einer Diagnosestellung werden Menschen in diese metaphorischen Räume hineingestellt und die Beschreibungen, mit denen sie beschrieben werden oder sich selbst beschreiben, erweisen sich allzu oft nicht als harmlose Abbilder einer vorgefassten "Wirklichkeit", sondern sie greifen in das Beschriebene ein, verändern es. Solche Beschreibungen können auch zu Handlungen führen, die mehr oder weniger stark zu Zusatzbelastungen werden können - man denke beispielsweise an das Herausnehmen eines asthmakranken Kindes aus dem Elternhaus, wissenschaftlich als "Parentektomie" bezeichnet: ein "Herausschneiden" der "pathogenen Eltern", noch vor wenigen Jahrzehnten eine häufig praktizierte Methode. Das Buch, das Sie, liebe Leserin, lieber Leser nun in der Hand halten, sensibilisiert in hervorragender Weise für genau diese Vorgänge. Die soeben beschriebenen Entgleisungen und die Belastungen, die sie für die Betroffenen mit sich bringen, sollten nicht dazu führen, dass wir aufhören zu fragen, sollten nicht zu einer ausschließlichen Apparatemedizin zurückführen und das gesprochene Wort, psychologische Perspektiven aus der Medizin verbannen. Im Gegenteil: wir sollten weiter fragen, wir sollten uns weiter Gedanken über Zusammenhänge und Verbindungen zwischen Körper und Seele, diesen "Partnern auf Lebenszeit" machen, und dabei auch unsere soziale Verfasstheit nicht aus dem Auge verlieren. Doch sollten wir zugleich auf die Fallen achten, in die unsere Art der Sprachverwendung uns führen kann. Eine der wichtigsten Aufgaben - und da weiß ich mich mit dem Autor dieses Buches einig - sehe ich darin, zwischen den Systemen "Leben", "Bewusstsein", "Kommunikation" keine Kausalbezüge herzustellen. Sie sind - dies wird in diesem Buch unter Bezug auf Luhmann deutlich ausgeführt - strukturell eng aneinander gekoppelt, aber es ist sinnvoll, sie sich jeweils als autopoietisch organisierte Bereiche vorzustellen, zwischen denen das Herstellen linearer Verknüpfungen nur in die Irre führt. Menschen sind Wesen in Sprache, aus ihr gibt es "kein Entrinnen" und so sind in unserer Kultur alle Phänomene, auch Krankheit, vom ersten Moment ihres Auftretens an von sprachlichen Prozessen umspielt. Krankheit wird zwar körperlich erfahren, doch sie ist immer in ein Netzwerk aus Geschichten, Metaphern, kurz: von Sinnumwelten eingebettet. Nur ein Teil des krankheitsbezogenen Handelns, nicht einmal der größte, hat unmittelbar mit körperlichen Erkrankungen zu tun, über Krankheit wird daneben und vor allem nachgedacht, gesprochen, gestritten, geweint - kommuniziert. Professionelle "Gesundheitsarbeiter" klinken sich mit ihren Beschreibungen in die Beschreibungsnetzwerke der sozialen Systeme ein, in denen Krankheit auftritt. Und wenn wir - gerade in Zusammenhang mit länger andauernden Krankheiten - mit einem Patienten oder mit einer Familie in Kontakt kommen, dann hat diese bereits ein paar Hunderttausend, ja Millionen von Interaktionsabläufen hinter sich. Wir sehen immer ein System, das sich um ein Krankheitsphänomen herum sprachlich organisiert hat, das komplexe Konstruktionen um die Krankheit herum entwickelt hat. Wie man sich mit diesen Sinn-Umwelten auf sinn-volle Weise verbinden kann, wird in diesem Buch aufgezeigt. Eine systemische Psychosomatik sucht mit Betroffenen nach Beschreibungen, in denen eine Vielzahl von Optionen und Möglichkeiten zu finden ist. Begriffe wie "respektvolle Partnerschaft" und "geteilte Verantwortung" kennzeichnen die Qualität eines solchen Beziehungsangebots - und wenn Sie, liebe Leserin, lieber Leser, dem Autor auf der Reise durch das Buch folgen, werden Sie feststellen, dass diese Arbeit zum einen kunstvoll ist, dass sie aber zugleich lernbar ist. Wer sich durch das Tor eines Denkens, wie es in diesem Buch vorgestellt wird, hindurchbegibt, der wird beginnen, sich in die Diskussion über die Prämissen auf denen unsere Gesundheitsfürsorge beruht, konstruktiv einzumischen. Ich wünsche diesem guten und wichtigen Band viel Erfolg!
Osnabrück/Witten, im Herbst 2006, Arist von Schlippe
Über den Autor:
Lothar Eder, Dipl.-Psych., ist systemischer Lehrtherapeut, lehrender Coach und Supervisor (SG), approbierter Psychotherapeut und Qi Gong Lehrer (DQGG). Er arbeitet in eigener Praxis für lösungsorientierte Therapie und Beratung in Mannheim und als Lehrtrainer für systemische Theorie und Praxis (www.systema-institut.de). |
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