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Neuvorstellung zur Übersicht
15.05.2007
Peter Fiedler: Integrative Psychotherapie bei Persönlichkeitsstörungen
Fiedler: Integrative Psychotherapie

Hogrefe, Göttingen 2003 (2. Aufl.)

373 S., zahlr. Abb., gebunden

Preis: 39,95 €

ISBN-10: 3801713555
ISBN-13: 978-3801713553
Hogrefe Verlag





Birgit Kreipe, Berlin:

Peter Fiedler ist Verhaltenstherapeut und Professor für klinische Psychologie in Heidelberg.
„Integrative Psychotherapie für Persönlichkeitsstörungen“ ist nicht die erste Veröffentlichung des Autors zum Thema. Mit „Persönlichkeitsstörungen“ (2001) legte er ein Lehrbuch vor, in dem (nicht nur) der jeweilige Stand der Forschung zu den verschiedenen Persönlichkeitsstörungen, ihren diagnostischen Kriterien sowie verschiedene Erklärungsansätze in verständlicher und übersichtlich angeordneter Form dargeboten wurden. Der Autor zeigte in diesem Buch eine sehr unvoreingenommene, wertschätzende und differenzierte Haltung, so dass er in den Anfangskapiteln des hier vorgestellten Therapiehandbuches auf Zuschriften von Betroffenen zurückgreifen kann, die sich von der mittlerweile zum Standardwerk aufgestiegenen Monographie ebenso angetan zeigten wie Therapeuten und andere Fachleute.
In dem 2003 erstmals erschienenen Therapiehandbuch zur „Integrativen Therapie“ versucht Fiedler, einen der aktuellen Therapieforschung entsprechendes Indikationsmodell für die Therapie von PS vorzulegen. Der Schwerpunkt liegt also diesmal nicht auf der genauen Darstellung der insgesamt 11 wichtigsten PS – Bilder, sondern auf der möglichst optimalen Zuordnung von Therapiemethoden. Im Anfangsteil werden die elf wichtigsten Persönlichkeitsstörungen aber dennoch einzeln vorgestellt, und zwar unter der Überschrift „Persönlichkeit und Persönlichkeitsstörung“. Der Autor legt Wert darauf, die Persönlichkeitsstörungen nicht als monströse, unverbesserliche Erkrankungen zu begreifen, sondern vor allem als besonderen Ausprägungsgrad persönlicher „Stile“: „Statt ihnen die Möglichkeit zu eröffnen, kreativ und unabhängig auf Herausforderungen zu reagieren, bedingen es die charakteristischen Persönlichkeitsstile geradezu, dass die Betreffenden unglücklich, unerfüllt oder außerstande sind, ihr Leben aus eigener Kraft befriedigend zu gestalten. Statt anpassungsförderliche Persönlichkeitsstile herauszubilden, entstehen bei diesen Menschen Persönlichkeitsstörungen“ (S. 22). Wie fließend und vielschichtig die Übergänge zwischen „Stil“ und „Störung“ sind, macht der Autor schon bei der Gestaltung der Überschriften der einzelnen Persönlichkeiten deutlich: Die Abschnitte sind bspw. überschrieben mit „Anhänglich–loyale Persönlichkeit“, und „Dependente Persönlichkeitsstörung“ taucht als Untertitel auf.
In diesem Zusammenhang sei auch auf das sehr lesenswerte Kapitel über das unvermeidliche „Stigmatisierungsproblem“ verwiesen, in dem der Autor, ausgehend von einem Zitat von Karl Jaspers, die mit der Diagnose einer Persönlichkeitsstörung entstehende zwischenmenschliche Schräglage diskutiert. Die Überzeugung, ihre KlientInnen mit einer solchen Diagnose zu verunsichern, dauerhaft zu pathologisieren und zu stigmatisieren, hat viele TherapeutInnen, vor allem in der Vergangenheit, die Diagnose einer Persönlichkeitsstörung als Bestandteil der eigenen Arbeit verwerfen lassen. Fiedler diskutiert Auswege aus diesem Dilemma, wobei er u.a. die  Kommunikation mit den KlientInnen über die Diagnose, Respekt und positive Konnotationen als Bestandteile einer hilfreichen und therapiefördernden Metakommunikation als Alternative zum „Abbruch“ der Kommunikation vorschlägt, die nach Jaspers eine „Diagnose“ eines Menschen unvermeidlich herbeiführt.
Der Hauptteil des Buches ist der Behandlung von Persönlichkeitsstörungen als integrativem – u.a. schulenübergreifendem - Ansatz gewidmet, vor allem der differentiellen Indikation. Der Anspruch, ein Modell zu entwickeln, das sowohl die verschiedenen Typen und Abstufungen von Persönlichkeitsstörungen, als auch die unterschiedlichen Behandlungsansätze der wichtigsten Therapieschulen, sowie eine Vielzahl von Wirksamkeitsstudien und Erfahrungen berücksichtigt, ist außerordentlich hoch und wird dennoch eingelöst. Das Ergebnis ist kein Flickenteppich aus Methodenvorschlägen, sondern ein fundiertes, verständliches und klar gegliedertes Modell der Zuordnung von Behandlungsansätzen – und modulen zu unterschiedlichen Störungen, das sich gleichzeitig ein wenig liest wie eine Übersicht der Ergebnisse der aktuellen Therapieforschung zu Persönlichkeitsstörungen.
Es existieren drei Abschnitte. Zunächst wird die Frage nach der „Selektiven Indikation“ gestellt: „Welches Grundkonzept passt zu welcher Persönlichkeit?“ Die Zuordnung erfolgt nach Kriterien eines sog. „Bedürfnisraumes. Ein mögliches Zuordnungsbeispiel wäre nach dieser selektiven Indikation die kognitiv – verhaltenstherapeutische Behandlung für Persönlichkeiten, zu deren Eigenarten die Verlust der Impulskontrolle, Stimmungslabilität und übermäßige Stimmungsorientierung gehören (z.B. Borderline) Hingegen wäre für Persönlichkeiten, bei deren Unabhängigkeit und Normorientierung besonders ausgeprägt ist, etwa bei schizoider Störung, ein zieloffenes, gefühls – und beziehungsoffenes Angebot indiziert.
Der Abschnitt „differentielle Indikation“ beschäftigt sich mit störungsspezifischer Psychotherapie. Hier werden konkrete Behandlungsansätze für die unterschiedlichen Persönlichkeitsstörungen vorgestellt. Außer der Diskussion der wichtigsten Therapieverfahren (Psychoanalyse, TP, VT, interpersonelle – und Gesprächspsychotherapie) nach ihrer Eignung für die jeweilige Störung finden z.B. auch Interventionen im Lebensumfeld der Betroffenen Berücksichtigung, wie im Fallbeispiel eines Klienten mit zwanghafter PS, der durch den Wechsel an einen Arbeitsplatz mit überwiegender Kontrollfunktion eine große Entlastung und erhebliche Steigerung seiner Wertschätzung erfuhr.
Im Abschnitt „adaptive Indikation“ geht es schließlich im Krisenprophylaxe und Krisenmanagement, um die Steuerung des Therapieprozesses durch den Therapeuten durch die immer wieder auftretenden Krisen, Verschlechterungen und Destabilisierungen, die auch – aber eben nicht nur, wie der Autor betont – in der Behandlung von PS auftreten können.
Insgesamt ist das Buch lohnend und aufschlussreich für alle, die mit PS arbeiten, für Ausbildungskandidaten und erfahrene TherapeutInnen, es ist aber auch lesbar und verständlich für Betroffene und Nicht- Professionelle. Die ausdrücklich schulenübergreifende, wertschätzende, respekt – und ressourcenorientierte Haltung zum Thema wünscht man sich automatisch bei allen integrativ arbeitenden TherapeutInnen und Beraterinnen.






Eine ausführliche Rezension von Rudolf Sponsel

Ein Online-Text von Peter Fiedler aus "Beratung aktuell": Beratung in der Psychotherapie? Ein Beitrag zur Diskussion am Beispiel der Behandlung einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung

Und noch ein Artikel von Peter Fiedler für das Psychotherapeutenjournal: Ressourcenorientierte Psychotherapie bei Persönlichkeitsstörungen






Verlagsinformation:

Das Buch bietet einen ausführlichen Überblick über die Psychotherapie der Persönlichkeitsstörungen. Erstmals wird dazu das Rahmenkonzept für eine Integrative Psychotherapie vorgestellt, welches auch Modellcharakter für die schulenübergreifende Behandlung anderer psychischer Störungen besitzt. Das Buch bietet Psychotherapeuten konkrete Hilfen für die Entscheidung, bei welchen Patienten mit welchen Persönlichkeitsstörungen, welche herkömmlichen Behandlungskonzepte indiziert sind. Weiterhin werden moderne Ansätze für selektive, differenzielle und adaptive Indikationsstellungen in der Psychotherapie vorgestellt, die eine konkrete Planung, Analyse und Bewertung von Behandlungsmaßnahmen in Forschung und Praxis ermöglichen. Das Buch vermittelt ein klares und nachvollziehbares Konzept für eine diagnostische Einordnung der Persönlichkeitsstörungen und für die ätiologische Ableitung und Begründung schulenübergreifend bedeutsamer Behandlungsansätze. Schließlich werden aktuelle Behandlungskonzepte für verschiedene Persönlichkeitsstörungen dargestellt und konkrete Anregungen für den Umgang mit schweren Krisen und Problemen, z.B. Gewaltprävention und Suizidprophylaxe, die bei allen Persönlichkeitsstörungen vorkommen können, gegeben.


Inhalt:

1 Einführung
2 Prolog. Das Stigmatisierungsproblem
3 Persönlichkeit und Persönlichkeitsstörung. Zwei Seiten einer Medaille
4 Integrative Psychotherapie. Von der selektiven zur differenziellen Indikation
5 Grundkonzepte der Psychotherapie. Gemeinsamkeiten und Unterschiede
6 Selektive Indikation. Welches Grundkonzept passt zu welcher Persönlichkeit?
7 Differenzielle Indikation. Störungsspezifische Psychotherapie
8 Adaptive IndikationKrisenprophylaxe und Krisenmanagement


Über den Autor:

Prof. Dr. Peter Fiedler, geb. 1945. 1969–1973 Studium der Psychologie in Münster. 1975 Promotion. 1978 Habilitation. 1973–1980 Wissenschaftlicher Angestellter an der Universität Münster. Seit 1980 Professor für Klinische Psychologie und Psychotherapie am Psychologischen Institut der Universität Heidelberg. Forschungsschwerpunkte: Stottern, Ängste und Phobien, Schizophrenie, Depression und Persönlichkeitsstörungen.


Einführung:

Nach wie vor herrscht im Bereich der Behandlung von Persönlichkeitsstörungen ein eigenwilliger "Omnipotenzanspruch" vor: Der sieht - etwas überspitzt - so aus, dass sich nicht nur Verhaltenstherapeuten und Psychoanalytiker, sondern auch die Gesprächspsychotherapeuten sowie die Interpersonellen Psychotherapeuten für persönlichkeitsbedingte Probleme von Menschen grundsätzlich, und zwar über alle Persönlichkeitsstörungen hinweg, für zuständig halten. Das spricht für ein gesundes Selbstbewusstsein der Wortführer und ihrer Anhänger in den Therapieschulen. Nicht jedoch entspricht eine solche Sicht der Empirie. Für die Patienten können solchermaßen überzogene Fehleinschätzungen von Therapeuten hinsichtlich der Wirksamkeit ihrer Verfahren fatale Folgen haben.
Letzteres zeigt sich beispielsweise in der Behandlung von Patienten mit Borderline-Persönlichkeitsstörungen (
Kapitel 6.4 und 7.1). In einigen Studien wird die Zahl der Patienten, die in psychiatrischen Kontexten bereits während der Behandlung Verbesserungen erreichen können, mit etwa bis zu 70 bis 80 Prozent angegeben (z.B. Linehan, Heard & Armstrong, 1993). Das ist immer noch nicht befriedigend, aber es sind die höchsten unmittelbar positiven Behandlungswirkungen, die empirisch bei schwerer gestörten Borderline-Patienten gefunden werden. In anderen Studien werden bei vergleichbar schwer gestörten Borderline-Patienten Verbesserungen nur für etwa 50 Prozent der Betroffenen berichtet - was konkret heißt, dass sich der psychische Zustand bei der anderen Hälfte der Behandelten dieser Studien nicht verbessert hat (z.B. Hull, Clarkin & Kakuma, 1993). Im Gegenteil: Bei einer Reihe von diesen zeigten sich bereits während der Behandlung mehr oder weniger gravierende Verschlechterungen, und zwar ganz offensichtlich ohne die Konsequenz, dass die Therapeuten ihr Behandlungskonzept änderten.
Kommt hinzu, dass im Fall guter Wirksamkeit eines Verfahrens selten über vorzeitige Therapieabbrüche der Patienten berichtet wird. Das spricht gewöhnlich für eine hohe Akzeptanz des Therapieverfahrens durch diese Patienten. In Studien mit geringeren Erfolgszahlen hingegen brechen zahlreiche weitere Patienten von sich aus die Behandlung bereits vorzeitig ab. In Forschungsarbeiten werden die Therapieabbrüche als Dropouts zwar mitgeteilt. Ob sich diese Patienten bis zum Therapieabbruch verbessert oder verschlechtert haben, wird kaum sorgfältig untersucht.
Wer sich Forschungsarbeiten unterschiedlicher Therapieschulen vergleichend ansieht, wird häufiger auf solche Diskrepanzen in den Raten erfolgreicher Patienten und Therapieabbrecher stoßen, und zwar nicht nur bei Borderline-Patienten, sondern bei den unterschiedlichsten Persönlichkeitsstörungen.
Nun sollte man eigentlich annehmen, dass Forschungsergebnisse über Therapieerfolge in der Praxis zur Kenntnis genommen werden und dass möglichst viele Institutionen und Therapeuten sich das jeweils bessere Therapieverfahren möglichst schnell zu eigen machten. Das jedoch ist mitnichten der Fall.
Im Ringen um Behalt und Erweiterung von Marktanteilen und unter grober Vernachlässigung überprüfbarer und überprüfter Erfolgszahlen wird innerhalb der Therapieschulen immer noch viel zu häufig "an Treu und Glauben" festgehalten - nicht gerade selten (wie die obigen Zahlen andeuten) in unbedachter Verantwortungslosigkeit den Patienten gegenüber.
Und genau wegen dieser Konkurrenz der Therapieschulen ergibt sich denn heute eine hochgradig unbefriedigende Situation: Fragen nämlich Patienten einen Psychotherapeuten, ob und welche Therapieart bei ihren persönlichen Problemen besonders zu empfehlen sei (also: ob beispielsweise eine Verhaltenstherapie, eine Gesprächspsychotherapie oder Psychoanalyse) und ob diese als Einzel- oder Gruppentherapie durchgeführt werden sollte, oder wann besser mit der Gesamtfamilie oder mit dem Partner, dann werden diese Patienten häufig keine klare Antwort bekommen. Eigentlich ein Grund zur Empörung: Denn dieser unbefriedigende Zustand besteht jetzt schon mehr als 100 Jahre! Solange ist es nämlich her, seit Bernheim (publiziert:1891) in Frankreich für die psychologische Behandlung von Patienten "Psychotherapie" als Begriff einsetzte.
Psychotherapie, wie sie Bernheim, Janet und viele Kollegen gegen Ende des vorigen Jahrhunderts verstanden, war übrigens ein Prototyp für integratives Denken und Handeln, was etwas in Vergessenheit geraten ist. Denn leider haben Sigmund Freud und seine Schüler versucht, aus der damals bestehenden Verfahrensvielfalt eine Glaubensgemeinschaft mit strikten Methodenvorschriften zu formen. Sie legten damit den Grundstein für jene ungute Situation der Konkurrenz der Therapieschulen gegeneinander, vor der wir heute stehen und die nach wie vor schwer zu überwinden ist.
Wann ist endlich Schluss mit der abgrenzenden Konkurrenz psychotherapeutischer Richtungen und Schulen? Angesichts der bestehenden Vielfalt von mehr oder weniger wirksamen Psychotherapieverfahren wäre es endlich an der Zeit, Bilanz zu ziehen.
Gerade jetzt? Warum nicht?
Wenn man genau hin schaut, kann man bei Durchsicht der in den letzten Jahren erschienenen Publikationen in zunehmender Zahl sogenannte schulübergreifende Perspektiven entdecken.
Viele Anzeichen sprechen dafür, dass das Vorhaben Integrative Psychotherapie in den kommenden Jahren endlich zu einem Mainstream-Thema wird, mit dem sich nicht mehr nur einige wenige Außenseiter in der Psychotherapieszene beschäftigen.
Mit diesem Buch über integrative Psychotherapie-Perspektiven möchte ich genau in diese Richtung einen Vorstoß unternehmen - auch wenn er sich wesentlich auf die Behandlung von Persönlichkeitsstörungen bezieht. Dennoch lassen sich viele Vorschläge, die in diesem Buch als Perspektiven für eine Psychotherapie-Integration entwickelt werden, recht zwanglos auch auf andere psychische Störungen übertragen. Es bleibt also zu hoffen, dass meine Initiative zahlreiche Nachahmer finden wird.

1.1    Die Indikationsfrage in der Psychotherapie

Integrative Psychotherapie (bei Persönlichkeitsstörungen) zielt ausdrücklich auf einen Blick über die eigene Therapieschule hinaus. Fast zwangsläufig ergibt sich die Notwendigkeit des Therapieschulenvergleichs. Genau in diesem Zusammenhang berührt das Thema eine der wichtigsten Fragen in der Psychotherapie überhaupt. Dabei handelt es sich um die Indikationsfrage der Psychotherapie, wie sie von Paul (bereits 1967) als die wichtigste Aufgabe der Psychotherapieforschung überhaupt herausgestellt wurde:
Welches Psychotherapiekonzept und von wem durchgeführt ist bei welchen Personen mit welchen psychischen und Persönlichkeitsstörungen und welchen weiteren spezifischen Problemen und unter welchen Rahmenbedingungen am effektivsten?Von der Beantwortung dieser Indikationsfrage gehen die wesentlichsten Weichenstellungen in der Therapie aus. Obwohl in diesem Buch die Psychotherapie-Integration als allgemeines Ziel angesteuert wird, steht die Indikationsfrage als ihr zentraler Kern immer gleichzeitig und gleichwertig im Mittelpunkt. Wir werden versuchen, uns der Indikation therapeutischer Strategien und Methoden im Bereich der Persönlichkeitsstörungen von den unterschiedlichsten Seiten her anzunähern. Zum Beispiel:
· Selektive Indikation (1)
Welches Psychotherapiekonzept und von wem durchgeführt ist bei welchen Personen mit welcher Persönlichkeitsstörung und welchen weiteren spezifischen Problemen und unter welchen Rahmenbedingungen am effektivsten?
Diesem ersten Aspekt der Indikationsfrage entsprechend, nämlich der Zuweisung von Patienten zu einem bestehenden Psychotherapiekonzept, werden die wichtigsten Therapieschulen, die heute "Besitzansprüche" auf eine effektive Behandlung der Persönlichkeitsstörungen erheben, einem konzeptuellem Vergleich unterzogen -das sind die Psychoanalyse, die Interpersonelle Psychotherapie, die Verhaltenstherapie und die Gesprächspsychotherapie, die inzwischen auf eine gewisse Tradition in der Behandlung der Persönlichkeitsstörungen zurückblicken können.
In Kapitel 5 beispielsweise werden diese vier Verfahren unter verschiedenen Perspektiven einander gegenüber gestellt und bewertet. Dabei ergeben sich einerseits zwar eine Reihe von Gemeinsamkeiten. Auffälliger sind jedoch gleichermaßen bemerkenswerte wie bedenkenswerte Unterschiede. Innerhalb der Therapieschulen könnte bereits hier eine erste "integrative" Diskussion darüber in Gang kommen, ob es sich zukünftig nicht lohnen könnte, bestimmte Defizite, die gegenüber anderen Konzepten deutlich sichtbar werden, endlich sinnvoll auszugleichen.
· Selektive Indikation (2)
Bei welcher Persönlichkeitsstörung welcher Person mit weiteren spezifischen Problemen ist welches Behandlungskonzept und von wem durchgeführt, unter welchen Rahmenbedingungen am effektivsten?
Ein zweiter Bewertungsprozess der Therapieschulen soll unter theoretischer Perspektive erfolgen. Auf der Grundlage einer theoretischen Begründung von gesunder Persönlichkeit und Persönlichkeitsstörungen werden einige konzeptuelle Einseitigkeiten in den unterschiedlichen Therapierichtungen deutlich.
Diese Analyse in Kapitel 6 ist sozusagen das "Herzstück" dieses Buches. Sie wird zeigen, dass in den unterschiedlichen Therapieschulen Sicht und Verständnis dessen, was Persönlichkeit und Persönlichkeitsstörungen insgesamt ausmacht, immer schon mit der Fehlerhaftigkeit konzeptueller Einseitigkeit behaftet gewesen sind. Diese Einseitigkeiten bestehen zumeist nur deshalb, weil alternative Zugänge immer schon eher als konkurrierend und deshalb zumeist als nicht beachtenswert und weiter deshalb nicht als zu integrierende Aspekte wahrgenommen wurden.
Die theoretische Grundlegung eines Modells für zunächst selektive und später differenzielle Therapieentscheidungen in Kapitel 6 wird auch die späteren Kapitel nachhaltig beeinflussen. Es wird zunehmend deutlicher, dass die bestehenden Grundkonzepte der Psychotherapie, so wie sie sind, gar nicht ausreichen, die Persönlichkeitsstörungen in ihrer Vielfalt und Unterschiedlichkeit zu behandeln. Es wird sich als sinnvoll und notwendig erweisen, völlig neue Zugangswege mit zu entwickeln, die über die bestehenden Therapieschulkonzepte hinausreichen - und zwar deutlich hinausreichen. Dazu werden in Kapitel 6 einige herkömmliche und vor allem innovative Konzepte vorgestellt, die jeweils für bestimmte Untergruppen von Persönlichkeitsstörungen als Vorgehen der ersten Wahl in Frage kommen.
Jedes der beschriebenen Grundkonzepte wird jeweils nur für eine Untergruppe von Persönlichkeitsstörungen als wesentlich angesehen. Nicht jedoch kann irgendeines der dort besprochenen Konzepte für sich allein in Anspruch nehmen, über alle Störungsbilder hinweg gleichermaßen unverzichtbar zu sein. Hier ergibt sich zwangsläufig die größte Herausforderung für eine Diskussion, die die zukünftige Entwicklung integrativer Therapieangebote nachhaltig beeinflussen und voranbringen könnte.
· Differenzielle Indikation (1)
Bei welcher Persönlichkeitsstörung und bei Vorliegen welcher weiteren spezifischen Probleme ist welche Art der Komposition oder Zusammenstellung unterschiedlicher Behandlungsmaßnahmen und unter welchen Rahmenbedingungen durchgeführt am effektivsten?
In Kapitel 7 werden wir uns mit Behandlungskonzepten auseinandersetzen, die bis heute für die einzelnen, jedoch jeweils unterschiedlichen Persönlichkeitsstörungen getrennt entwickelt wurden. Dies soll wesentlich unter der Frage geschehen, inwieweit die vorliegenden Konzepte sich ausdrücklich auf das inzwischen vorliegende Wissen über Ätiologie, Verlauf, Behandlung und Prognose tatsächlich beziehen. Therapeuten, die sich auf die dort entwickelten differenziellen Vorschläge einer störungsspezifischen Indikation bei Persönlichkeitsstörungen einlassen, werden viele neue Perspektiven für eine effektivere Behandlung persönlichkeitsgestörter Menschen entdecken und schätzen lernen.
· Differenzielle Indikation (2)
Bei welchen weiteren spezifischen Problemen von Personen mit Persönlichkeitsstörungen und von wem durchgeführt ist eine Behandlung unter welchen Rahmenbedingungen am effektivsten?
Diese zweite zu entscheidende Frage einer differenziellen Indikation betrifft das Komorbiditätsproblem. In aller Regel suchen Patienten die psychotherapeutische Praxis nicht mit der Bitte um Veränderung ihrer Persönlichkeit auf. Vielmehr führen klinisch abgrenzbare Störungsbilder zur Behandlung, wie z.B. affektive Störungen, Ängste, Phobien oder somatoforme Beschwerden. Nicht selten sind diese Störungsbilder durch eine krisenförmige Zuspitzung im psychosozialen Umfeld verursacht, welche die persönlichkeitsbedingten Bewältigungsstrategien und Ressourcen des Patienten überfordern.
Nicht immer ergibt sich der Verdacht auf das Vorliegen einer Persönlichkeitsstörung schon beim Erstkontakt. Eventuell führen erst die Fremdanamnese oder Compliance-Probleme während der Behandlung auf die Spur. In vielen dieser Fälle stellt sich die Frage nach dem weiteren Vorgehen: Sollen die später diagnostizierbaren Persönlichkeitsstörungen stärker in den Mittelpunkt gerückt werden? Oder sollte zunächst in der Behandlung der spezifischen psychischen Störung fortgefahren werden? Sollte nicht besser die Behandlungsstrategie unter Berücksichtigung der Persönlichkeitsstörung abgeändert werden?
Auf einige dieser Fragen nach der differenziellen Therapieplanung werden wir in Kapitel 7 jeweils im Zusammenhang mit einzelnen Persönlichkeitsstörungen zu sprechen kommen. Nicht bei jeder Persönlichkeitsstörung ist jede Art Komorbidität zu finden. Es bestehen jeweils besondere Zusammenhänge zwischen beiden Bereichen, die von Therapeuten gekannt und berücksichtigt werden sollten ( Kapitel 3).
Insgesamt werden in dieser Diskussion die unterschiedlichsten Aspekte der integrativen und schulübergreifenden Indikationsfrage ausführlich zur Sprache kommen, dabei wiederholt auch jene mit folgender Akzentuierung:
· Differenzielle Indikation (3)
Sollten Persönlichkeitsstörungen überhaupt behandelt werden - oder sollten sie nicht besser als markante persönliche Stile betrachtet werden, von denen zum Beispiel eine Ressourcen-Orientierung in der Psychotherapie ausgehen könnte?
Persönlichkeitsstörung ist nicht gleich Persönlichkeitsstörung. Und selbst innerhalb prototypischer Persönlichkeitsstörungen gibt es gravierende Unterschiede. In der aktuellen Persönlichkeits(er)forschung normaler (klinisch unauffälliger) Probandengruppen fällt zum Beispiel auf, dass die in den Diagnosesystemen findbaren Kriterien der Persönlichkeitsstörungen sehr häufig auf Personen zutreffen, die man selbst kaum als persönlichkeitsgestört bezeichnen würde oder dürfte (Kapitel 3). Nicht gerade wenige Menschen erfüllen die Mindestzahl von Kriterien einer Persönlichkeitsstörung, kommen jedoch in ihren sozialen Bezügen ohne große Probleme zurecht, gehören gelegentlich sogar zu angesehenen Personen unserer Gesellschaft.
Genau dieser Aspekt der adaptiven Kompetenz bei Personen mit auffälligen und markanten Persönlichkeitsstilen bleibt auch in der Behandlung von Patienten zu beachten. Häufig begründen sich Probleme innerhalb der Behandlung lediglich mit Schwierigkeiten von Therapeuten, wenn ihnen markante und auffällige Persönlichkeiten als Patienten gegenüber sitzen. Auf die Beantwortung der Frage einer Differenzierung normaler und gestörter Persönlichkeit sowie auf die Perspektive der "Persönlichkeitsstörung" als adaptive Strategie wird innerhalb der Therapieschulen ebenfalls recht unterschiedlich eingegangen. Insbesondere die in diesem Zusammenhang wichtig werdende Ressourcen-Orientierung der Psychotherapie wird die späteren Kapitel kontinuierlich durchziehen.
· Adaptive Indikation (1)
Mit welchen, möglicherweise wechselnden Zielen ist welche Behandlung bei Personen mit Persönlichkeitsstörungen und weiteren spezifischen Problemen und von wem durchgeführt am effektivsten?
Diese Frage nach der adaptiven Indikation betrifft (a) Settingaspekte der Behandlung sowie (b) Fragen der Prozess-Steuerung (adaptive Indikation). Beide Bereiche werden unter jeweils zwei Perspektiven beleuchtet:
Einerseits erfordert der Schweregrad der Störungen zumindest zeitweilig einige differenzielle Überlegungen. Insbesondere bei akut oder chronisch vorliegender Gefahr einer Fremd- oder Selbstgefährdung (Suizidalität; Gewaltneigung; Rechtsverletzung) kann die Behandlung nur unter Beachtung einiger besonderer Rahmensetzungen durchgeführt werden. Dazu werden in Kapitel 8 konkrete Vorschläge unterbreitet, wie ein Vorgehen im Sinne selektiv und differenziell ausgewählter Behandlungskonzepte in Richtung einer therapeutischen Beeinflussung gravierender Lebensprobleme und Krisen abgewandelt werden sollte.
Die schweren Interaktionsstörungen einiger Patienten mit Persönlichkeitsabweichungen führen regelhaft zu Krisen und Problemen, auch in der laufenden Therapiearbeit. In Kapitel 8 werden deshalb weitere Uberlegungen dazu angestellt, wie Krisen in der Therapeut-Patient-Beziehung erfolgreich vermieden werden oder wie diese bewältigt werden können.
Es ist bei der Behandlung von Persönlichkeitsstörungen nicht ungewöhnlich, dass sich Therapeuten an wechselnden Behandlungszielen orientieren. Auswahl und Organisation dieser Behandlungsziele, also die Frage, welches Problem zu welchem Zeitpunkt und mit welchen Mitteln bearbeitet werden sollte, wird ebenfalls in unterschiedlichen Kapiteln in den Mittelpunkt rücken. Es wird versucht, einige klare Regeln zu entwerfen, an denen sich Therapeuten zur Krisenprophylaxe und zum Krisenmanagement orientieren können. Dazu gehört auch der nächste Punkt:
· Adaptive Indikation (2)
Unter welchen Rahmenbedingungen ist welche Behandlung bei Personen mit Persönlichkeitsstörungen und weiteren spezifischen Problemen und von wem durchgeführt am effektivsten?
Die im therapeutischen Prozess bearbeiteten Probleme stehen nicht im luftleeren Raum. Sie erfordern eine Beachtung und Strukturierung des sozialen Umfeldes, in dem sie originär verankert sind und in das Menschen bereits während der ambulanten oder nach einer stationären Behandlung zurückkehren. Nicht selten erweist sich das Umfeld und nicht ausschließlich die psychische Verfassung des Patienten als pathogenetisch bedeutsam und damit als interventionsbedürftig.
Dieser Aspekt wird konsequenterweise alle Kapitel dieses Buches durchziehen, jedoch insbesondere in den Abschnitten zur differenziellen Indikation (Kapitel 7) und zur Krisenprophylaxe und zum Krisenmanagement (Kapitel 8) einen besonde-ren Stellenwert erhalten. Das hängt mit den Eigenarten spezifischer Persönlichkeitsstörungen zusammen: Das Spektrum einer notwendigen Netzwerkintervention kann vom dominierenden Partner einer dependenten Persönlichkeit bis zum fortgesetzten Missbrauch bei Borderline-Patienten reichen. Je nach Kompetenz des Patienten oder je nach Dringlichkeit der Problematik variieren die Behandlungsstrategien - zum Beispiel von beraterischer Tätigkeit über den Einsatz von Sozialarbeitern bis hin zum Einschalten der Justiz.
Auch bedürfen die im therapeutischen Prozess erworbenen neuen Erfahrungen und Kompetenzen einer Verankerung im sozialen Alltag. Die angestrebte Generalisierung sollte nicht am Ende der Therapie stehen. Bisweilen ist die Einbeziehung der nahen Bezugspersonen unumgänglich. Langfristig könnte sich vielleicht sogar eine Auffassung von Integrativer Psychotherapie durchsetzen, in der die entscheidenden Veränderungen nicht im Behandlungsraum, sondern in den Zeiten zwischen den Behandlungssitzungen angestrebt und gesichert werden. Immer sollten Patienten dazu angeregt werden, die kontinuierlichen Erfahrungen außerhalb des therapeutischen Rahmens in die Therapie einzubeziehen, nicht zuletzt, um notwendige Wechsel in den Therapiezielen rechtzeitig zu erkennen und einzuleiten.
· Indikation zur Supervision
Welche Probleme der Psychotherapeuten sollten bei welchen Patienten mit welchen persönlichkeitsbedingten und weiteren spezifischen Problemen von wem und wie behandelt werden?
Die Fähigkeit, Persönlichkeitsstörungen wirksam zu behandeln, erfordert ein reiches Maß an klinischem Wissen und Erfahrung. Trotzdem werden Anfängertherapeuten nicht daran vorbeikommen, persönlichkeitsgestörte Menschen behandeln zu müssen. Einzel- und Gruppensupervision sind deshalb insbesondere in den ersten Jahren psychotherapeutischer Tätigkeit unverzichtbar.
Inzwischen scheint es an der Zeit, herkömmliche Supervisionsformen zu überdenken und durch neue Möglichkeiten anzureichern. Supervision - insbesondere bei Persönlichkeitsstörungen - dient nicht mehr nur der Besprechung von Problemen in der Behandlung. Sie dient der Prävention therapeutischer Risiken und bekommt damit häufig die Qualität der Krisenintervention und des Krisenmanagements. Als solche dient sie kontinuierlich der Erhöhung therapeutischer Kompetenzen, wozu schlichte Besprechungen nicht immer hinreichend sind. Balintgruppen und andere Supervisions- bzw. lntervisionsgespräche sind zwar unverzichtbar, kommen als ausschließlich praktizierte Form aber langsam "in die Jahre"!
Neue Möglichkeiten wie Audio- und Video-Techniken beispielsweise bieten heute den Vorteil einer detaillierten Verhaltensbeobachtung. Sie erlauben eine gezielte Einflussnahme und Anreicherung der therapeutischen Kompetenz. Inzwischen kann nurmehr sehr bedingt davon die Rede sein, dass Ton- oder Video-Aufzeichnungen zu Supervisions- oder Forschungszwecken die Vertraulichkeit der Therapiebeziehung stören. Das Gegenteil scheint eher zuzutreffen, wie sich empirisch gut belegen lässt. Patienten können nämlich sicher davon ausgehen, dass eine video-supervidierte Therapie bessere Erfolgsaussichten zu garantieren vermag. Gegenübertragungsprobleme der Therapeuten können besser geklärt werden. Und ein emotionaler oder gar sexueller Missbrauch der Patienten durch ihre Therapeuten ist vor laufender Kamera gleichfalls kaum zu erwarten. Oder umgekehrt: Auch Manipulationsversuche durch Patienten werden bei Ton- und Video-Aufzeichnungen eingeschränkt zu erwarten sein. Einige Therapeuten gehen inzwischen sogar so weit, den Patienten Tonaufzeichnungen der Therapie mit nach Hause zu geben, damit diese ihrerseits die Therapiesitzung nochmals gründlich nachbearbeiten können (Kapitel 8).
Weiter sollte in der Supervision zusätzlich zur Fallbesprechung stärker die Möglichkeit des direkten Trainings der Therapeuten im Umgang mit schwierigen Therapiesituationen genutzt werden. Supervisionsformen wie das Micro-Teaching haben sich inzwischen in Therapie- und Forschungsprojekten als wesentliche Quelle der Fortentwicklung therapeutischer Kompetenz erwiesen (übrigens nicht nur für angehende Therapeuten). Videoanalysen, Verhaltenstraining und Micro-Teaching sollten ganz allgemein mehr und mehr in herkömmlichen Supervisionsformen integriert werden. Wir werden auf Fragen, die mit Schwierigkeiten der Therapeuten zusammenhängen, kontinuierlich im Buch eingehen.

1.2    Integrative Psychotherapie

Begonnen wird in diesem Buch jedoch mit zahlreichen Argumenten, weshalb es sich zukünftig lohnen könnte, die Therapieschulenperspektive zugunsten einer Integrativen Psychotherapie weiter zu entwickeln. Der Kurzcharakterisierung von Persönlichkeitsstörungen (Kapitel 2 und 3) folgend steht das Kapitel 4 in dieser Hinsicht im Mittelpunkt. Dort soll ein Rahmenmodell für die schulenübergreifende Integration unterschiedlicher Therapiekonzepte entwickelt werden. Das vorgeschlagene Konzept gilt nicht nur für Persönlichkeitsstörungen, sondern auch darüber hinaus. Dazu gibt es bereits einige Vorläufer, auf die wir eingehen werden (z.B. Grawe, 1998; Wagner & Becker, 1999). Diese bereits vorhandenen Integrationsvorschläge haben bisher allerdings nur in Ansätzen Akzeptanz gefunden. Dies lag u.a. daran, dass sie gegenüber den herkömmlichen schulenspezifischen Ansätzen zu große, zumeist nur schwer überwindbare Diskrepanzen aufgebaut haben.
Die in diesem Buch entwickelte und vorgeschlagene Integrationsperspektive setzt jedoch ausdrücklich auf die besonderen Vorteile der bisherigen Therapieschulen, die - wenn sie denn schon Vorteile darstelle bei der Suche nach Integrationspunkten nicht vorschnell aufgegeben werden brauchen.
Andererseits: Dass sich trotz Betonung und Erhalt grundsätzlicher Vorteile der bisherigen Therapiekonzepte dennoch die Notwendigkeit zum Umdenken ergibt (oder besser: die Notwendigkeit zum Weiterdenken über das Gewohnte hinaus), das lässt sich nicht vermeiden. Dass dem Leser, der einer Therapieschule eng verbunden ist, bei der Lektüre dieses Buches viele Vorschläge etwas fremdartig anmuten werden, weil sie auf den ersten Blick mit den eigenen Denkgewohnheiten schwer vereinbar scheinen, lässt sich nicht umgehen. Hätte ich dieses Buch mit Blick auf eine grundsätzliche Akzeptanz über alle Schulen hinweg schreiben wollen, hätte ich es nicht schreiben können.
Integrativ arbeitende Psychotherapeuten kommen nicht daran vorbei: Sie müssen zukünftig kritisch um- und weiterdenken. Wäre das nicht der Fall, würde Integrative Psychotherapie lediglich das Festhalten an der gewohnten psychotherapeutischen Praxis beinhalten. Das jedoch kann mit Integration nicht gemeint sein. Die nach wie vor vorhandenen Misserfolge, Rückfallzahlen und Dropout-Raten verlangen geradezu nach Innovation. Gleichzeitig fordere ich alle Leser zur hochgradig kritischen Lektüre auf. Für jede begründete Verbesserung meiner Vorschläge bin ich dankbar. Auch jede grundsätzliche Alternative zu meiner Integrationsidee ist sehr erwünscht. Andererseits sollte jede prinzipielle Zurückweisung möglichst gleichzeitig Vorschläge enthalten, wie Integrative Psychotherapie zukünftig besser, als von mir hier vorgedacht, aussehen könnte. Kritik und Vorschläge, die in die Richtung zielen, in den ausgetretenen Pfaden nur einer einzigen Therapieschule weiter zu wandern, gehen einer ernsthaften Frage nach den Möglichkeiten einer Integration therapeutischer Ansätze aus dem Weg.
Und zum Schluß dieser Einführung sollen jene namentlich genannt werden, die das Buch ganz oder Teile daraus kritisch durchgesehen haben. Es sind dies Peter Becker, Thomas Fydrich, Annette Kämmerer, Frieder Kapp, Babette Renneberg, Birgit Römer-Wolf, Claudia Theilmann und Claudia Wölfer. Insgesamt hat das Buch durch die offenherzige Kritik dieser Mitleser einige wichtige Veränderungen erfahren und deutlich an Klarheit gewonnen, wofür der Autor sehr dankbar ist.



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