Schattauer-Verlag
Andreas Manteufel, Bonn:
Diese für den deutschsprachigen Raum einmalige Aufsatzsammlung schlägt
die Brücke zwischen Neurobiologie und Psychotherapieforschung. Beide
Gebiete haben in den letzten Jahren ihr Gesicht verändert. Mit der
Verfügbarkeit bildgebender Verfahren wie Positronenemissionstomographie
(PET), funktionelle Magnetresonanztomographie (fMRT) oder
Single-Photon-Emissions-Computertomographie (SPECT) sind ganz neue
Einsichten in neuronale Vernetzungen und Dynamiken möglich. Die
Psychotherapieforschung bewegt sich von reiner Effektivitätsforschung
hin zu einer Prozessforschung, die mit Hilfe neuer, nichtlinearer
Auswertungsmethoden mehr über die Veränderungsdynamik erfolgreicher
therapeutischer Beziehungsgestaltung zu erfahren sucht. Günter Schiepek
baut diese Brücke nach der Architektur der Synergetik, zu der ihr
Begründer Hermann Haken ein anschauliches Kapitel beisteuert. Bausteine
sind die Konzepte der zirkulären Kausalität, der Phasenübergänge und
der kritischen Instabilitäten, ohne die das Nachvollziehen neuer
Ordnung sowohl im Gehirn als auch in psychotherapeutischen Prozessen
nicht möglich ist. Bereits im einführenden Kapitel wird dieses Programm
klar umschrieben. Nach dieser Vorgabe wagt es kein Autor, auf einen
Bezug seines Themas zur Psychotherapie zu verzichten. Gerade das hebt
das Buch von anderen, zumeist leeren Integrationsversprechungen ab.
Daher greift Klaus Grawe in seinem Vorwort nicht zu hoch, wenn er von
einem Meilenstein spricht.
Praktiker müssen wissen, dass sie keine „Rezepte“ für therapeutisches
Tun finden. Der Schwerpunkt liegt eindeutig auf neuen
Forschungsperspektiven, nämlich der Synchronisierung von klinischen
Beobachtungen mit dazu korrespondierenden hirnphysiologischen
Ableitungen. Es wäre auch unehrlich zu behaupten, dass die
Neurobiologie neue psychotherapeutische Praktiken erfinden könnte. Doch
Therapeuten werden dafür sensibilisiert, auf welche Weise sie auf
biologische Abläufe Einfluss nehmen. Dem Praktiker am ehesten
zugänglich ist wahrscheinlich, dank einer Einzelfalldarstellung, das
Kapitel zur Psychoneuroimmunologie von Schubert und Schiepek.
Zugegeben, ein Einsteigerbuch ist dies nicht. Wer mit dem Aufbau des
Gehirns und der Terminologie der Neurobiologie wenig vertraut ist, wird
sich schwer tun. Doch für den interessierten Nicht-Hirnforscher werden
sowohl die bildgebenden Verfahren als auch die anspruchsvollen
Auswertungsmethoden ausführlich erläutert. Hervorzuheben ist, dass
dabei auch ihre realistischen Grenzen nicht verschwiegen werden. Für
den Bereich der Psychotherapieforschung hat Schiepek mit seinen
Mitarbeitern Pionierarbeit geleistet. Dieses Kapitel steht zu Recht in
der Mitte der fast 550 Seiten, befindet sich der Leser doch hier
sozusagen auf dem Scheitelpunkt der Brücke zwischen Hirnforschung und
Therapie. Wenn auch noch viel Zukunftsmusik mitschwingt: Kaum eine
Therapieforschung ist derart anregend für die Praxis wie diese.
Die Autorengruppe ist hochkompetent besetzt. Inhaltlich ist das Buch
auf dem allerneuesten Stand der Forschung, reich illustriert und dank
des roten Fadens des Herausgebers auch aus einem Guss. Wie in einem
guten Lehrbuch werden zwischen den Artikeln immer wieder hilfreiche
Bezüge hergestellt. Schwerpunktthemen sind Neuroplastizität, Emotions-,
Angst- und Stressforschung, physiologische Regulationsmuster und
einzelne, psychiatrisch relevante Störungsbilder. Der detaillierten
Themensuche dient ein ausführliches Sachverzeichnis. Das eine oder
andere Thema mag man vermissen, doch wer sich mit dem Stoff dieses
Werks vertraut gemacht hat, darf getrost von sich behaupten, auf dem
aktuellsten Stand der „Neurobiologie der Psychotherapie“ zu sein.
(mit freundlicher Genehmigung aus dem Kontext, Heft 4/2004)
Eine weitere ausführliche Besprechung von Fritz Mewe für die "Arbeitsgemeinschaft für Sozialberatung und Psychotherapie
Ein Aufsatz für das "gepfefferte Ferkel von Günter Schiepek, Friedebert Kröger und Heiko Eckert "'Nichts ist praktischer als eine gute Theorie…' Das systemische Projekt als wissenschaftliche Herausforderung"
Ein Vortrag von Hinderk M. Emrich auf den Lindauer Psychotherapiewochen 2001 zum Thema Neurowissenschaften als Herausforderung für die Psychotherapie
Unterschiedliche Links zum Thema Neurobiologie vom Uni-Klinikum Dresden
Ein Artikel "Wie die Psyche das Gehirn baut" von Joachim Rogosch aus der Badischen Zeitung
Verlagsinfo: "Was passiert im
Gehirn, wenn Psychotherapie wirkt? Wie können Umstrukturierungsprozesse
des komplexen Systems Gehirn erfasst und dargestellt werden? Zunehmend
richtet sich das wissenschaftliche Interesse auf die neurobiologischen
Vorgänge, die menschlichen Lern- und Entwicklungsprozessen zugrunde
liegen. Die Persönlichkeitsentwicklung, die Handlungsplanung oder die
zwischenmenschliche Kommunikation - also wesentliche Bereiche der
"Psyche" - rücken ins Blickfeld. Zugleich ermöglichen die modernen
bildgebenden Verfahren, wie MRT, PET oder SPECT, neue Einblicke in das
lebende Gehirn.
Die "Neurobiologie der Psychotherapie" vermittelt einen Überblick über
den aktuellen Wissensstand und die verfügbaren Methoden. Die Mess- und
Forschungsmethodik wird einführend und zugleich innovativ behandelt;
die neurobiologischen Grundlagen der Psychotherapie und die
wesentlichen psychotherapeutischen bzw. psychiatrischen
Krankheitsbilder werden von führenden Autoren aktuell und umfassend
dargestellt. Wesentliche Akzente des Buches liegen auf den Themen
- neuronale Plastizität,
- die Auswirkungen von Emotionen und Stress,
- Psychoneuroimmunologie,
- Veränderung physiologischer Regulationsmuster,
- Identifikation kritischer Übergänge und Instabilitätsphasen in der Psychotherapie.
Dieser Band vermittelt zugleich verständliche Information und die
Grundlagen für Innovation und Weiterentwicklung auf einem neuen und
zukunftsträchtigen Forschungsfeld. Er liefert damit neue Ansatzpunkte
zur Optimierung psychotherapeutischer Vorgehensweisen und fördert ein
integratives und interdisziplinäres Verständnis von Psychotherapie, das
der Komplexität biopsychosozialer Entwicklungsprozesse des
selbstorganisierenden Systems Mensch gerecht wird.
Günter Schiepek:
Prof. Dr. Dr. phil., Dozent an der Universität Bamberg,
Projektleiter am Universitätsklinikum Aachen, Leiter des
Forschungsinstituts für Komplexe Systeme in den Humanwissenschaften
(München), stellvertretender Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft
für Komplexe Systeme und Nichtlineare Dynamik, Autor zahlreicher
Fachbücher. Praktische Tätigkeit im Bereich lösungsorientierter
Kurzzeittherapie und Supervision. Evaluations- und Prozessforschung zur
systemischen Therapie; Forschungsprojekte zur Anwendung von Synergetik
und Chaostheorie auf klinische und sozialpsychologische
Fragestellungen; Mitherausgeber der Zeitschrift Systeme,
Wissenschaftlicher Beirat verschiedener systemischer Fachzeitschriften.
Inhaltsverzeichnis:
01. Schiepek, Günter, Lambertz, Manfred, Perlitz, Volker, Vogeley, Kai,
& Schubert, Christian: Neurobiologie der Psychotherapie -
Ansatzpunkte für das Verständnis und die methodische Erfassung
komplexer biopsychischer Veränderungsprozesse. S. 1-27.
02. Roth, Gerhard: Wie das Gehirn die Seele macht. S. 28-41.
03. Spitzer, Manfred: Neuronale Netzwerke und Psychotherapie. S. 42-57. 04. Müller, Viktor, Preißl, Hubert, Lutzenberger, Werner, & Birbaumer, Niels: Komplexität und Hirndynamik. S. 58-79.
05. Haken, Hermann: Synergetik der Gehirnfunktionen. S. 80-103.
06. Krings, Timo: Grundlagen der funktionellen Magnetresonanztomographie. S. 104-130.
07. Setani, Keyvan, & Büll, Udalrich: Biologisches und funktionelles
Brainimaging mit der Emissionscomputertomographie (PET, SPECT). S.
131-145.
08. Erkwoh, Ralf: Möglichkeiten des Neuroimaging in psychotherapeutischen Ansätzen. S. 146-157.
09. Vaitl, Dieter, Schienle, Anne, & Stark, Rudolf: Emotionen in der Psychotherapie: Beiträge des Neuroimaging. S. 158-185.
10. Fujiwara, Esther, & Markowitsch, Hans J.: Das mnestische
Blockadesyndrom - hirnphysiologische Korrelate von Angst und Stress. S.
186-212.
11. Flor, Herta: Wie verlernt das Gehirn den Schmerz? Verletzungsbezogene
und therapeutisch induzierte neuroplastische Veränderungen des Gehirns
bei Schmerz und psychosomatischen Störungen. S. 213-223. 12. Hüther, Gerald, & Rüther, Eckhart: Die nutzungsabhängige
Reorganisation neuronaler Verschaltungsmuster im Verlauf
psychotherapeutischer und psychopharmakologischer Behandlungen. S.
224-234.
13. Schiepek, Günter, Weihrauch, Stefan, Eckert, Heiko, Trump, Thilo,
Droste, Siegfried, Picht, Arthur, & Spreckelsen, Cord:
Datenbasiertes Real-time-Monitoring als Grundlage einer gezielten
Erfassung von Gehirnzuständen im psychotherapeutischen Prozess. S.
235-272.
14. Heim, Sabine, Eulitz, Carsten, Keil, Andreas, Rockstroh, Brigitte,
& Elbert, Thomas: Interventionseffekte auf phonologische
Verarbeitung und kortikale Organisation bei Kindern mit spezifischer
Sprachbeeinträchtigung. S. 273-292. 15. Schmid-Schönbein, Holger, Perlitz, Volker, & Schiepek, Günter: Das
Paradigma antriebsabhängiger Ordnungsübergänge - eine Verbindung von
Tradition und aktueller Forschung in der Physiologie. S. 293-301. 16. Lambertz, Manfred, Vandenhouten, Ralf, & Langhorst, Peter:
Transiente Kopplungen von Hirnstammneuronen mit Atmung,
Herzkreislaufsystem und EEG: Ihre Bedeutung für Ordnungsübergänge in
der Psychotherapie. S. 302-324.
17. Perlitz, Volker, Cotuk, Birol, Haberstock, Sandra, & Petzold, Ernst
R.: Selbstorganisation kutaner Perfusionsrhythmik bei therapeutisch
induzierter psychovegetativer Entspannung. S. 325-348.
18. Basar-Eroglu, Canan, Hoff, Edwin, Strüber, Daniel, & Stadler,
Michael A.: Multistabile Phänomene in der Neurokognitionsforschung. S.
349-364.
19. Schiepek, Günter, & Kowalik, Zbigniew J.: Societies of brains:
nichtlineare Ordnungsübergänge in der psychotherapeutischen
Interaktion. S. 365-377.
20. Miltner, Wolfgang H.R., Krieschel, Silke, Hecht, Holger, Trippe, Ralf
H., & Weiß, Thomas: Angstmotivierte Aufmerksamkeitsanomalie:
psychobiologische Grundlagen und neuronale Aspekte ihrer
therapeutischen Modifikation. S. 378-403.
21. Flatten, Guido: Posttraumatische Belastungsreaktionen aus neurobiologischer und synergetischer Perspektive. S. 404-422.
22. Vogeley, Kai, Bergmann, Andrea, & Falkai, Peter: Theory of mind und
Selbstperspektive - neuronale Korrelate und Veränderungen bei der
Schizophrenie. S. 423-435.
23. Kunert, Hanns Jürgen, Prüter, Christian, & Hoff, Paul: Wahn - eine neurobiologische Bestandsaufnahme. S. 436-452.
24. Kaiser, Stefan, Mundt, Christoph, & Weisbrod, Matthias: Störung der
exekutiven Kontrollfunktionen bei depressiven Patienten - Implikationen
für die Psychotherapie. S. 453-468.
25. Schneider, Udo, Gödecke-Koch, Thomas, Paetzold, Wolfgang, Becker,
Hinnerk, & Emrich, Hinderk M.: Biologische Korrelate zur Erklärung
von Persönlichkeitsstörungen. S. 469-484.
26. Schubert, Christian, & Schiepek, Günter: Psychoneuroimmunologie und
Psychotherapie: psychosozial induzierte Veränderungen der dynamischen
Komplexität von Immunprozessen. S. 485-508.
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