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13.03.2005
Jürgen Hargens: Aller Anfang ist ein Anfang. Gestaltungsmöglichkeiten hilfreicher systemischer Gespräche
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Vandenhoeck & Ruprecht
Januar 2004
160 Seiten
ISBN: 352546195X
Preis: 17,90 € |
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Vandenhoeck & Ruprecht
Wolfgang Loth, Bergisch Gladbach:
Jürgen Hargens hat für das Aufkommen und Entwickeln systemischer Ideen
im deutschsprachigen Raum entscheidende Beiträge geleistet. Mit der
Gründung der Zeitschrift für systemische Therapie 1983 hat er
hierzulande erstmals ein Forum dafür geschaffen, die aufkommenden
systemischen Ideen regelmäßig zu diskutieren. Aus der Rückschau kann
dies als entscheidendes Datum für die Möglichkeit angesehen werden,
dass sich das Feld formieren konnte. Die Zeitschrift wurde zum
Sammelbecken und zum Flußbett gleichermaßen. Mit der Herausgabe der
Reihe Systemische Studien schuf Hargens einen weiteren Rahmen, der die
Entwicklung des Feldes nachhaltig förderte. Auch als Autor hat Hargens
viele Akzente gesetzt, der Begriff des "unerschrockenen Respektierens"
(1995) als Beispiel für vieles. In letzter Zeit ist es Hargens
gelungen, durch wirkliche "Taschen"-Bücher (z.B. 2000, 2002), durch
Comics (2003) und durch einen Roman (2003b) eine breitere
LeserInnenschaft mit systemischen Ideen bekannt zu machen.
Mit dem nun vorliegenden Buch "Aller Anfang ist ein Anfang"
stellt Hargens eine Möglichkeit zur Verfügung, ihm bei der Arbeit über
die Schulter zu schauen. Arist von Schlippe bemerkt in seinem Vorwort
treffend, das Buch könne durchaus als ein Lehrbuch angesehen werden,
als eine Art "Mikroskopierkurs", in dem wesentliche systemische
Leitmotive auf ihre Alltagstauglichkeit abgeklopft werden.
Als methodische Überlegung stellt Hargens die Idee in den
Mittelpunkt, es gehe bei dieser Art von ressourcenorientierter Arbeit
immer um Erstgespräche. Veränderung sei unvermeidlich, und daher habe
er es "bei jeder Begegnung mit anderen Menschen zu tun (...): anders in
dem Sinne, dass sie sich verändert haben. Dasselbe gilt in gleicher
Weise auch für mich – auch ich habe mich verändert" (S.102). Man könnte
sich natürlich verlieren bei einer solch radikal veränderungsoffenen
Sichtweise. Hargens scheint dies zu bedenken: "Deshalb", sagt er, "ist
es mir in meiner Arbeit wichtig, einen Rahmen zu schaffen, der
zieldienlich ist, der Kooperieren begünstigt und der auch mir die
Arbeit erleichtert. Dazu bedarf es sowohl theoretischer Leitlinien wie
praktischer Erfahrung" (S.16). Über beides, so der Autor, wolle er in
diesem Buch berichten.
Interessant ist es, wie Hargens die "Arbeit" definiert: einmal
bezeichnet er sie "als eine Art fortlaufende Forschung, welche
Erwartungen, Überzeugungen und Vorannahmen am hilfreichsten sein
können, das aus der Therapie herauszuholen, was beide –Kunde/Kundin und
Therapeut/in – wollen" (S.30). Ein wesentlicher Teil dieser
Zusammenarbeit bestehe dann darin, "einer Kundin/einem Kunden zu helfen
zu wählen und auszusuchen, also zu entscheiden und die Konsequenzen zu
tragen" (S.33). Und schließlich: es sei "unsere Aufgabe, Kund(Inn)en zu
helfen, sich der Welt, die sie konstruiert und die sie in den
Therapieraum geführt hat, bewusster und klarer zu werden" (S.37), nicht
zuletzt im Hinblick auf das "Zusammenpassen von Weltsichten", das in je
unterschiedlichen Gemeinschaften zu entsprechend unterschiedlichen
Konsequenzen führt.
Insgesamt baut Hargens konsequent auf konstruktivistischen und
sozial-konstruktionistischen Annahmen auf und stellt dabei Erkenntnisse
aus der Psychotherapieforschung in den Mittelpunkt, die die besondere
Bedeutung von KlientInnenvariablen heraus heben. Immer wieder weist
Hargens auf seinen Grundsatz hin: "Keine Tricks!" Nachhaltig vertritt
er eine Position gleichberechtigten Kooperierens. Es sind, so betont
er, die KlientInnen, die entscheiden, ob ihnen etwas gut tut oder
nicht. Sie sind kundig für ihre Bedürfnisse, kundig für ihre Ziele,
kundig für ihre Bewertung dessen, was da (mit ihnen) geschieht. Hargens
bezieht aus solchen Überlegungen seine Sicherheit, auch Ratsuchende als
"Kunden/Kundinnen" zu bezeichnen und sie als solche zu behandeln. Dass
sich die Einschätzung des Prozesses durch die KlientInnen als einer der
validesten Prädiktoren für den Erfolg von Therapien erweist, ist
mittlerweile ein häufig zitiertes Ergebnis der Psychotherapieforschung
(Auch hier hat Hargens mit der Übernahme des Grundlagenwerks von Hubble
et al. (2001) in die Reihe "Systemische Studien" einen wichtigen
Beitrag geleistet).
In verständlicher, nachvollziehbarer Sprache schildert Hargens
seine Konsequenzen aus den dargelegten theoretischen Erwägungen. Er
lässt unmittelbar nachvollziehen, wie er mit Ratsuchenden spricht und
erläutert, wieso er so mit ihnen spricht. Die Grundlagen klingen wie
Anleitungen: "Jedes Treffen zeichnet sich durch den Dreischritt
Joining, Ziele klären und Möglichkeiten in Richtung Zielannäherung aus"
(S.107). Die Kunst besteht darin, dass dennoch kein kochbuchartiges
Vorschreiben von bestimmten Vorgehensweisen entsteht, sondern das
plausible Eröffnen von Möglichkeitsräumen. So könnte es gehen, es
spricht einiges dafür. Für Hargens geht es nicht darum, ein bestimmtes
Verhalten einzufordern. Wichtig ist, dass sich alle Beteiligten klar
darüber werden können, dass sie auswählen, also etwas bestimmen.
Zusammen wird daraus mit-bestimmen. Und die Aufgabe für professionell
Mit-Bestimmende besteht darin, ihren Teil des Beisteuerns
nachvollziehbar öffentlich reflektieren zu können. Ohne das Wort
Verantwortung explizit zu benutzen, macht Hargens doch klar, dass und
wie er professionelles Beisteuern als verantwortliches Tun (und Lassen)
versteht: "Jede Theorie, jede Handlungsweise bleibt immer zugeschnitten
auf die Person, die diese Handlung oder Theorie mit Leben füllt – sie
bleibt immer persönlich" (S.101). Es gehe nicht um das Anwenden von
Techniken, sondern um das "Realisieren von Haltungen".
Am Beispiel eines telefonischen Anmeldegesprächs und am Beispiel
dreier Anfänge von Folgegesprächen illustriert Hargens sein Vorgehen.
Auch wenn die Beispiele fiktiv sind, so sind sie doch so gestaltet,
dass sie völlig plausibel und überzeugend die Friktionen des
Arbeitsalltags widerspiegeln. Hargens kommentiert dabei jeden einzelnen
Schritt und lässt so am konkreten Beispiel nachvollziehen, was in den
Kapiteln vorher als Rüstzeug vorgestellt wurde. Das hat Hand und Fuß
und wirkt unmittelbar praxistauglich. Im Anhang des Buches findet sich ein Nachdruck des 1993er
Aufsatzes "Kundin, Kundige, Kundschafter/in. Gedanken zur Grundlegung
eines "helfenden" Zugangs". Beim Wiederlesen dieses Aufsatzes
erschließt sich zum einen die langjährige Beschäftigung des Autors mit
den Möglichkeiten eines gleichberechtigten Kooperierens beim
Konstruieren von Wirklichkeiten. Zum anderen kann der Aufsatz als eine
Art Glossar für eine Reihe von Begriffen dienen, die im Hauptteil des
Buches eine wichtige Rolle spielen. Insgesamt ein sehr nützliches, anregendes und arbeitsalltagstaugliches Buch. Ich empfehle es.
Literatur:
Jürgen Hargens (1995): Kurztherapie und Lösungen – Kundigkeit und Respektieren. Familiendynamik 20(1): 32-43.
Jürgen Hargens (2000): Bitte nicht helfen! Es ist auch so schon schwer
genug. (K)ein Selbsthilfebuch. Heidelberg: Carl-Auer-Systeme
Jürgen Hargens (2002): Kinder, Kinder… oder: wer erzieht wen… und wie. Dortmund: verlag modernes lernen
Jürgen Hargens (2003): Systemische Therapie… und gut. Ein Lehrstück mit Hägar. Dortmund: verlag modernes lernen
Jürgen Hargens (2003b): Erwach(s)en. Geschichten über Männer und
Frauen, Freud und Leid, Beziehungen und Trennungen, Menschliches und
Psychologisches wie über das Leben an sich. Wien: Krammer
Hubble, M.A.; B.L. Duncan & S.D. Miller (2001). So wirkt
Psychotherapie. Empirische Ergebnisse und praktische Folgerungen.
Systemische Studien, Bd.21. Dortmund: verlag modernes lernen
Die Zeitschrift "systhema" stellt online von Jürgen Hargens zwei Beiträge als PDF-Dateien zur Verfügung: "Intuition - ja, und…? - Spuren einer persönlichen Suche" von 2001 sowie "Systemisch? Anerkennung? Kassenfinanzierung?
Viel- oder Einfalt? Beginn eines Multilogs? Oder: Einige letzte Worte…?
Ein Interview mit Arist von Schlippe und einige Anmerkungen" von 2000.
Eine Seite zur Person von Jürgen Hargens
Verlagsinfo:
"Jürgen Hargens, Anfang der Achtzigerjahre Gründer der »Zeitschrift für
systemische Therapie« und Herausgeber einer themenverwandten Buchreihe,
arbeitet seit mehr als 25 Jahren als Therapeut und Lehrtherapeut auf
der Basis sich ständig fortentwickelnder systemischer Konzepte. Mit
»Aller Anfang ist ein Anfang« legt er eine Bilanz seiner Arbeit vor.
Ein wesentliches Ergebnis ist für ihn die Erkenntnis, dass jedes, auch
ein zweites oder drittes Gespräch mit Klientinnen und Kundinnen als
»Erstgespräch« angesehen werden kann, entwickelt sich doch jede Person
fortwährend.
Vor dem Hintergrund seines ressourcenorientierten Ansatzes liegt
somit ein Schwerpunkt auf Erstgesprächen, die es unter Berücksichtigung
der Kompetenzen der Klienten/Kunden ziel- und passgenau zu
strukturieren gilt. Und das erst recht, seitdem empirisch belegt ist,
welch entscheidenden Anteil der Beginn der gemeinsamen Arbeit auf das
Therapieergebnis hat.
Nach einer kurzen theoretischen Einführung stellt Hargens drei
fiktive Erstgespräche vor, bei denen er – ganz im Sinn eines
Arbeitsbuchs – jeden Schritt darstellt und jede Äußerung kommentiert
und erläutert.
Für Therapeutinnen und Beraterinnen erweist sich das Buch als
eine Fundgrube, insbesondere was schwierig erscheinende Situationen
angeht."
Jürgen Hargens:
Jahrgang 1947, Klinischer Psychologe, Psychotherapeut,
Supervisor, Coach, Gründer und Herausgeber der "Zeitschrift für
systemische Therapie", Leiter von "projekt:system" einer Assoziation
von systemisch arbeitenden Berater-/TherapeutInnen in
Schleswig-Holstein
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