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28.03.2005
Marie-Luise Conen: Wo keine Hoffnung ist, muss man sie erfinden
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Carl-Auer-Systeme Verlag Heidelberg 2. Auflage 2004
Mit Vorworten von Jorge Colapinto und Jochen Schweitzer-Rothers
239 Seiten, Kartoniert
ISBN: 3896702998
Preis: 24,90 € |
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Carl-Auer-Verlag
Franz Eiberg, Pulheim:
Ein sehr empfehlenswertes, praxisrelevantes Buch über „aufsuchende
Familientherapie“, für alle, die gangbare Wege suchen, um erfolgreich
mit sog. „Multiproblemfamilien“ zu arbeiten, die von herkömmlichen
Beratungs- und Therapieangeboten nicht erreicht werden.
Eine Stärke des Buches ist die sorgfältige Auswertung internationaler
Untersuchungen, aus denen fundierte Schlussfolgerungen für die eigene
Praxis gezogen werden. Zehnjährige, eigene Erfahrungen mit aufsuchender
Familientherapie in Deutschland werden vorgestellt und in einem
schlüssigen Konzept kotherapeutischer und helfernetzwerkbezogener
Kooperation zusammen gefasst. Die im Buch veröffentlichten,
reflektierten Erfahrungsberichte geben viele Anregungen, Scheuklappen
abzulegen, sich von unreflektierten Vorurteilen über eine schwierige
Klientel zu befreien und die eigene Arbeit kreativ weiter zu
entwickeln. Hier geht es nicht nur darum, Familien zu helfen, sondern
vor allem darum, wie aufsuchende Familientherapie Familien unterstützt,
sich selbst zu helfen, indem sie sich verändern und entwickeln.
Marie-Luise Conen hat sich als Pionierin aufsuchender Familienarbeit
intensiv mit amerikanischen Erfahrungen auseinandergesetzt,
insbesondere mit Salvador Minuchins Vorgehen in der Arbeit mit
Slum-Familien (1967, 1993, 2000), seiner Frau Patricia Minuchin und
verschiedener Mitarbeiter (Fussner 1992, Colapinto 1997). Dabei greift
sie Froma Walshs Konzept der Resilienz auf: Was stärkt Familien, um mit
schwierigen Situationen zurecht zu kommen, was fördert
Widerstandskräfte und hilft Belastungen und Krisen konstruktiv zu
bewältigen (Walsh 1993, 1998)? Zentral für die Fähigkeit, sich nicht
unter kriegen zu lassen, sich wieder auf zu richten, sind die Hoffnung
und das Zutrauen, es zu schaffen, aber auch die Fähigkeit, in der Krise
Sinnhaftigkeit zu finden, Kraft und Unterstützung zu mobilisieren,
zugleich eine stabile und flexible Haltung zu entwickeln.
Bereits beim ersten Kontakt mit der Familie richten die
FamilientherapeutInnen ihre Aufmerksamkeit vielfältig und aktiv auf
alles, was positiv aufgegriffen werden kann und wertschätzend Zugang zu
den Personen und Ressourcen ermöglicht.
Um diese Potentiale wahr zu nehmen, sie anzuregen und sich mit ihnen zu
verbünden, ist im Sinne Gianfranco Cecchins eine Haltung nützlich, die
„Neugier“ und auf respektvolle Weise „Respektlosigkeit“ integriert,
systemisches Denken und Handeln praktiziert und neue Perspektiven
ermöglicht. Neben der Bezugnahme auf systemtherapeutische Praxis mit
Inzestfamilien (Trepper und Barrett 1991) setzt sich Marie-Luise Conen
intensiv mit den familiären Problemlagen auseinander, die in sog.
„Multiproblemfamilien“ vorkommen und Indikationen für aufsuchende
Familientherapie darstellen. Außer nützlichen Hinweisen für die Arbeit
mit Familien mit sexuell mißbrauchten Kindern finden sich bewährte
Vorgehensweisen bei bevorstehender Fremdplatzierung von Kindern, bei
Rückführung in die Familie, bei elterlichem Suchtverhalten, bei
Misshandlung und Gewaltproblematik, für Trennungs- und
Scheidungssituationen, für Stieffamilien, für delinquentes Verhalten,
für Schulprobleme und für Familien mit richterlichen Auflagen.
Sorgfältig befasst sich die Autorin auch mit den Besonderheiten des
Hilfesystems: wie Evan Imber-Black (1990) richtet sie ihre
Aufmerksamkeit auf das institutionelle Netz der HelferInnen und benennt
Hindernisse und Chancen der Kooperation. Zugleich wird deutlich, wie
reflexive Dialoge im kotherapeutischen Setting (Tom Andersen 1990)
fruchtbare Anregungen bieten.
Beim Blick auf die Zusammenarbeit im Hilfesystem berücksichtigt die
Autorin auch, über welche Kompetenzen die FamilientherapeutInnen selbst
verfügen müssen, um wirksam handeln zu können. Hier wird auch in
erfreulich unideologischer Weise auf die Chancen für eine gelingende
Kooperation angesichts von „Zwangskontexten“ eingegangen. Die
konstruktive Nutzung institutionellen Drucks ist dabei mit einer
respektvollen und wertschätzenden Haltung gegenüber allen Beteiligten,
sowohl der Familienmitglieder als auch der verschiedenen Hilfs- und
Kontrollinstitutionen, verbunden, deren Sichtweisen und Interessen
berücksichtigt werden, um in einer klärenden Auseinandersetzung die
Auftragslage auszuhandeln und um Zusammenarbeit und Erfolge zu
erreichen.
Die Autorin geht auf verschiedene in Frage kommende
KooperationspartnerInnen der aufsuchenden FamilientherapeutInnen ein
und reflektiert die Besonderheiten in der Zusammenarbeit mit
Jugendämtern, mit Schulen, mit Kindergärten, mit Beratungsstellen,
BetreuerInnen und Erziehungsbeiständen, mit KindertherapeutInnen, mit
der Kinder- und Jugendpsychiatrie, mit stationären Einrichtungen und
Pflegeeltern und mit Familiengerichten.
Nützlich ist auch die Darstellung der zeitlichen Strukturierung der
aufsuchenden Familientherapie, die in einem Rahmen von ca. 290 Stunden
innerhalb von 6 bis 12 Monaten konzeptionell verschiedene Phasen
beinhaltet: Systematische Vorbereitung hilft bei der Auftragsklärung
und Ressourcenorientierung. Krisen werden als Entwicklungschancen und
zum Finden angemessener Problemlösungen genutzt, die der Stabilisierung
und der Einleitung des Abschlusses und einer „Nachphase“ bedürfen. Die
„Nachphase“ thematisiert eigenständige Aktivitäten der Familie und
potentielle Hilfen, um Eskalationen potentieller künftiger Krisen und
Chronifizierung zu vermeiden.
Eine Übersicht über Evaluationsmöglichkeiten und Erfolg bzw. Misserfolg
sowie über die Finanzierung beendet diese fundierte Darstellung
aufsuchender Familientherapie.
Weitere AutorInnen greifen spezielle Aspekte auf:
Angelika Golz setzt sich aus
der Sicht des Jugendamtes mit der zeitlichen Begrenzung dieses
Hilfeangebotes für „Multiproblemfamilien“ auseinander und kommt nach
einer statistischen Auswertung zum Ergebnis, dass sich die aufsuchende
Familientherapie bei sog. „Multiproblemfamilien“ bewährt hat. Sie
differenziert 3 verschiedene Familiengruppen, die unterschiedliche
zeitliche und inhaltliche Angebote nutzen, nämlich ein Drittel der
untersuchten Familien kamen in einer Klärungsphase von 3 Monaten zu
einer Entscheidung bzgl. Familienzusammenhalt, Trennung und
Fremdunterbringung; Familien mit akuten Krisen während der Pubertät
ihrer Kinder fanden in etwa 6 Monaten eine Lösung; Familien mit sog.
chronischen Krisen nutzten häufig während der Zeitspanne von 6 bis 12
Monaten das Hilfeangebot.
Hilfreich und klar werden Aspekte des Therapieabschlusses vorgestellt, um ein gutes Ende der Zusammenarbeit vorzubereiten.
Für diese zeitlich flexible Gestaltung der Arbeit bietet die mit dem
Berliner Landesjugendamtes abgestimmte Leistungsbeschreibung und eine
Kostenvereinbarung eine grundlegende Orientierung. Es wäre interessant,
die hier leider nicht näher vorgestellten Vorgaben bzw. Verträge mit
andernorts getroffenen Absprachen zu vergleichen.
Angelika Golz geht in einem weiteren Kapitel auf die notwendigen
Kompetenzen ein, die aus Sicht einer Koordinationstätigkeit im
Jugendamt für eine gute Zusammenarbeit unabdingbar sind und referiert
vier von Jochen Schweitzer (1998) benannte Essentials, die für eine
systemische Kooperation mit der Familie und im Helfersystem relevant
sind. Jenseits moralischer Postulate wird Zusammenarbeit auf der
Grundlage gegenseitiger Bedürfnisbefriedigung fundiert: Zusammenarbeit
entsteht da, wo sie sich für alle Beteiligten „lohnt“ und die
jeweiligen Interessen berücksichtigt werden. Kurz wird auch die
Situation der ASD-MitarbeiterInnen bei der Hilfeplanung und beim
„Zwangskontext“ thematisiert. Dabei geht die Autorin auf die
Problematik ein, dass qualifizierten MitarbeiterInnen in Einrichtungen
aufsuchender Familientherapie oft ASD-MitarbeiterInnen begegnen, denen
auf Grund der finanziellen Situation wenig Möglichkeiten für
Fortbildung und Supervision offen stehen. Hier wäre es meines Erachtens
wünschenswert, Perspektiven zu formulieren und zu erproben, inwiefern
die gemeinsame Kooperation Chancen für die eigene Weiterentwicklung
bietet, Chancen für Familien, Chancen für ambulante Dienstleister und
Chancen für Jugendamtsteams… und dies offensiv und argumentativ zu
vertreten, gerade auch unter Kostengesichtspunkten!
Hartmut Vogelau widmet sich den
Möglichkeiten kotherapeutischer Arbeit. Er begründet in Anlehnung an
narrative Ansätze therapeutischer Konversation (Harlene Anderson und
Harry Goolishian 1990, 1992 und Klaus Deissler 1994, 1997), wie
reflektierende, systemische Dialoge in der Kotherapie nützliche
Anstösse geben können und kollegiale Intervision fördern. Die Arbeit zu
zweit erweitert nicht nur die therapeutischen
Interventionsmöglichkeiten, sondern hat außerdem burnout-präventive
Wirkungen für das Team der FamilientherapeutInnen.
Die Besonderheiten des „zu-Gast-Seins-in-der Familie“ beleuchten Ralf Hepprich und Wolfgang Pauly.
Sie zeigen auf, welchen Erfordernissen aufsuchende
FamilientherapeutInnen gerecht werden müssen bei der Regulierung von
Nähe und Distanz. Mit einem Fallbeispiel thematisieren die Autoren die
Frage, wie TherapeutInnen in der Familie zu Gast sind und trotz des
„Heimspiels“ der Familie ihr Handeln professionell gestalten können,
trotz Einbindung in Familienrituale, die auf dem Territorium der
Familie praktiziert werden. Die im herkömmlichen Therapieraum, etwa in
einer Beratungsstelle, nicht vorhandenen „Störquellen“ im familiären
Wohnzimmer – etwa Haustiere oder Nachbarn - werden als
Informationsquelle genutzt und in die Arbeit einbezogen (Utilisierung).
Dabei greifen sie am Beispiel der Spiel-Metapher die Unterschiede
zwischen „Hallenvolleyball“ und „Beachvolleyball“ auf, um das Setting
des Heimspiels in der aufsuchenden Familientherapie zu illustrieren.
Beide Arten des Volleyballs haben ihre besonderen Bedingungen und
bieten Chancen, „Punkte zu machen“... Diese hier abstrakt klingende
Zusammenfassung veranschaulichen Ralf Hepprich und Wolfgang Pauly
nachvollziehbar mit drei Fallbeispielen.
Die Bedingungen aufsuchender Familientherapie im ländlichen Raum untersucht Margit Müller
in dem Artikel „Wenn der Nachbar über´n Zaun schaut...“. Die
Erfahrungen aus der Arbeit in einem thüringischen Landkreis mit 69
Gemeinden zeigen, dass zunächst die räumlichen Entfernungen im
Tätigkeitsfeld der aufsuchenden Familientherapeutinnen besondere
Mobilität und logistische Planung erfordern. Beweglichkeit anderer Art
ist aber auch gefordert, nämlich geistige Flexibilität, um
Assoziationen und Vorurteile bezüglich ländlicher Lebensverhältnisse zu
reflektieren. Die besonderen familiären Besonderheiten sind dabei
ebenso wahr zu nehmen wie Aspekte ihres ländlichen Lebensraumes: etwa
strukturelle Probleme des Landkreises (hoher Anteil
Langzeitarbeitslosigkeit, mangelnde Infrastruktur wie Verlust
industrieller Arbeitsplätze, Schließung von Schulen, große Entfernungen
und Nicht-Motorisierung, kaum Freizeitangebote, erschwerte soziale
Kontakte...).
Die Auswirkungen dieser Bedingungen auf das familiäre Leben, etwa das
am-Ort kleben-bleiben, die geringe Bereitschaft, mobil zu reagieren,
sich anderswo Arbeit zu suchen, wird leider nur kurz skizziert. Neben
der Darstellung der eigenen Erfahrungen wäre es meines Erachtens
sinnvoll, beispielsweise „den Klassiker“ sozialwissenschaftlicher
Forschung mit auszuwerten, die Studie Marie Jahodas und Paul
Lazarsfelds über „Die Arbeitslosen von Marienthal“. Die Besonderheiten
ländlicher Regionen sind in der systemischen Therapie bisher kaum
reflektiert und so könnten sich Ansatzpunkte systemtherapeutischer
Arbeit zeigen, die den familialen Interventionsfokus etwa mit
netzwerkbezogenen Kooperationen und Selbstevaluationsprozessen der
ländlichen Bevölkerung verbinden, die herausführen aus der Gefahr der
Passivität und Isolation.
Ivo Nicolai reflektiert im
Schlusskapitel unter der Überschrift „Herausfinden, was wirkt“
Möglichkeiten der Selbstevaluation, gestützt auf Überlegungen Maja
Heiners (1988, 1996, 1998) und Scherrers 1996. Außer der gezielten
Dokumentation der professionellen Vorgehensweisen seitens der
FamilientherapeutInnen bezieht er auch Selbsteinschätzungen anderer
Beteiligter, z.B. der Jugendlichen, der Eltern und der
JugendamtsmitarbeiterInnen mit ein, die aus ihrer Sicht quartalsweise
Veränderungsprozesse dokumentieren. Sämtliche so gewonnenen Daten
werden bei der Hypothesenbildung und –Überprüfung berücksichtigt und
für die Arbeit mit der Familie genutzt. Der Text illustriert dieses
Vorgehen mit Fallbeispielen und einem gut durchdachten, auf wesentliche
Aspekte konzentrierten Beobachtungsbogen.
Resümierend wünsche ich
- dem Buch viele LeserInnen und viele Auflagen (bei denen vielleicht noch
eine kurze Information mit Internethinweis auf die Fachgruppe
aufsuchende Familienarbeit in der DGFS untergebracht werden könnte, um Kontakt
und Vernetzung zu fördern)
- der Zunft der aufsuchenden
FamilientherapeutInnen, dass viele sich ermutigt fühlen, in
Fachzeitschriften ihre Praxis vorzustellen, auch offene Fragen zu
formulieren
- den Ausbildungsinstituten, dass sie diesem
Praxisfeld mehr Aufmerksamkeit widmen, um TeilnehmerInnen mit den
Besonderheiten und Herausforderungen dieses Arbeitsbereiches vertraut
zu machen, insbesondere Resilienz als Ressource zu erkennen und zu
berücksichtigen
- den Familien, dass sie selbst eingeladen werden,
ihre Sichtweise mit einzu-bringen und zu prüfen, was für sie nützlich
ist und was ihnen hilft, sich selbst zu helfen
Literaturhinweise:
Andersen, T. (1990): Das reflektierende Team. Dialoge und Dialoge über die Dialoge. Dortmund
Anderson, H. u. H. Goolishian (1990): Menschliche Systeme als sprachliche Systeme. Familiendynamik 15 (3): 212-243
Anderson, H. u. H. Goolishian (1992): Der Klient ist Experte. Ein
therapeutischer Ansatz des Nicht-Wissens. Zeitschrift für systemische
Therapie 10 (3): 176-189
Cecchin, G., G. Lane und A.R. Wendel (1993): Respektlosigkeit: Eine Überlebensstrategie für Therapeuten. Heidelberg
Colapinto, J. (1997): The patterns that disconnect. The foster care
system operates as if parent-child relationships can be switched on and
off. Family Therapy Networker 21 (11/12): 43-45
Deissler, K. (1994): Erfinde Dich selbst – ein therapeutisches Orakel? Zeitschrift für systemische Therapie 12 (2): 80-96
Deissler, K. (1997): Sich selbst erfinden? Münster
Fussner, A. (1992): Home-Based Family Service Model.(Unveröffentl.
Manuskript. Fachtagung des Paritätischen Bildungswerks und
Context-Instituts vom 12.-13.11.1992. Berlin)
Heiner, M. (1988): Von der forschungsorientierten zur
praxisorientierten Selbstevaluation. Entwurf eines Konzeptes. In: M.
Heiner (Hrsg.): Selbstevaluation in der sozialen Arbeit. Freiburg
(Brsg.)
Heiner, M. (1996): Qualitätsentwicklung durch Evaluation. Freiburg
Heiner, M. (1998): Selbstevaluation: Praktiker beforschen sich selbst.
(Unveröffentl. Vortrag auf der Tagung „Systemische Therapie- und
Beratungsforschung“ in der Abt. für Medizinische Psychologie der
Universität Heidelberg
Imber-Black, E. (1990): Familien und größere Systeme. Im Gestrüpp der Institutionen. Heidelberg
Jahoda, M., P. Lazarsfeld (1960): Die Arbeitslosen von Marienthal. Frankfurt/M.
Minuchin, S. (1967): Families of the Slums. Philadelphia
Minuchin, P., J. Colapinto u. S. Minuchin (2999): Verstrickt im
sozialen Netz. Neue Lösungswege für Multiproblem-Familien. Heidelberg
Minuchin, S., M.P. Nichols (1993): Familie – die Kraft der positiven Bindung. Hilfe und Heilung durch Familientherapie. München
Scherrer, W. (1996): Qualitätsentwicklung in der Kinder- und
Jugendhilfe. In: M. Heiner (Hrsg.): Selbstevaluation in der sozialen
Arbeit. Freiburg (Brsg.)
Schweitzer, J. (1998): Gelingende Kooperation: Systemische Weiterbildung in Gesundheits- und Sozialberufen. Weinheim/München
Trepper, T.S. u. M.J. Barrett (1991): Inzest und Therapie. Ein (system)therapeu-tisches Handbuch. Dortmund
Walsh, F. (1993): Conceptualization of normal family processes. In: F. Walsh (ed.): Normal family processes. New York
Walsh, F. (1998): Strengthening family resilience. New York/London
Johannes Herwig-Lempp, Tübingen:
Aufsuchende Familientherapie hat in den letzten 10 Jahren in
Deutschland Fuß gefasst – nicht zuletzt durch den engagierten Einsatz
von Marie-Luise Conen und ihrer Fachgruppe für Aufsuchende
Familientherapie. Angeregt durch Ansätze aus den USA und auf der
Grundlage eines soliden systemischen Basiswissens haben sie ein Modell
entwickelt, das sie nun erstmals in Buchform umfassend und auf eine
überaus ansprechende Art präsentieren.
Aufsuchende Familientherapie ist ausdrücklich eine Form der Hilfe und
Beratung für Familien, für die die Schwelle traditioneller Angebote zu
hoch ist. Sie wurde entwickelt für arme Familien mit vielen Problemen,
vor allem mit Problemen, wegen denen sie selbst nicht unbedingt um
Unterstützung nachsuchen würden, sondern bei denen eher die Fachleute
verlangen, dass die Familien sich bei deren Lösung helfen lassen. Kurz:
Ambulante Familientherapie ist insbesondere für „schwierige Familien“
gedacht und hat sich nicht umsonst insbesondere im Umfeld von
Jugendhilfe bereits bundesweit etabliert.
Das Buch beginnt konsequent mit einem Kapitel über „das Stärken der
familialen Resilienz“, wobei Resilienz aus dem Amerikanischen stammt
und auf die Fähigkeit von Klienten verweist, auch aus schwierigen,
deformierten und scheinbar aussichtslosen Situationen wieder
„zurückfedern“ zu können. Diese Resilienz wird von den Therapeutinnen
selbst den Familien, denen angeblich nicht mehr zu helfen ist,
unterstellt: „Was gibt uns professionellen Helfern das Recht, Klienten
aufzugeben?“ (S. 28). Conen belegt die Berechtigung dieser Hoffnung u.
a. auch mit Forschungsergebnissen.
Ein Hauptteil des Buchs, ebenfalls von Marie-Luise Conen geschrieben,
befasst sich mit methodischen und organisatorischen Fragen der
Ambulanten Familientherapie:
Wie finden wir Zugang zu Familien? Wie ist das mit Zwang („... wenn es
hilft, alle an einen Tisch zu bekommen ...“)? Problemstellungen und
Ziele, Erfolg und Scheitern, das Arbeiten mit Co-Therapie und
Reflecting Team – eine Vielzahl von Aspekten wird auf eine profunde,
von Erfahrung geprägte Weise behandelt. Nicht vergessen werden die
Fragen der Kooperation mit den möglicherweise zahlreichen anderen
Helfersystemen (bei aufsuchender Familientherapie sicherlich brisanter
als bei „normaler“ Familientherapie) und der Finanzierung: Eine der
seltenen Gelegenheiten, wo in einem Fachbuch auch einmal das doch
äußerst wichtige Thema Geld angesprochen wird.
In den weiteren Beiträgen von Angelika Golz, Hartmut Voglau, Ralf
Hepprich und Wolfgang Pauly, Margit Miller sowie Ivo Nicolai werden
nochmals einzelne Themen, teilweise mit Fallbeispielen, aufgegriffen
und ausführlich reflektiert – z. B. „Familientherapie zwischen Coach
und Katzenklo“, „Wenn der Nachbar über’n Zaun schaut“ (aufsuchende
Familientherapie im ländlichen Raum) oder „Herausfinden, was wirkt“
(Möglichkeiten der Selbstevaluation).
An diesem Band wird deutlich, dass auch auf diese Weise, mit diesem
neuen aufsuchenden Konzept, Familientherapie ein weiteres Mal ganz
selbstverständlich wieder dort ankommt, wo sie vor einigen Jahrzehnten
aufgebrochen ist: in der Sozialen Arbeit und bei armen Familien.
Empfehlen kann ich das Buch nicht nur für all diejenigen, die selbst
Aufsuchende Familientherapie anbieten, sondern auch für Fachkräfte mit
verwandten Tätigkeiten und Berufen, wie z. B. Mitarbeiterinnen in
Jugendämtern oder in der Sozialpädagogischen Familienhilfe. Sie werden
hier viele neue Anregungen und Hinweise erhalten – und vielleicht auch
die Lust darauf, Neues auszuprobieren und damit zu experimentieren.
(Mit freundlicher Genehmigung aus Kontext 2003, Heft 2)
Die Website von Marie Luise Conen finden Sie hier.
Eine weitere Rezension von Dieter Gnambs für das Institut für Psychosoziale Aufgaben
Eine Rezension von Bodo Christian Pisarsky für das Forum der Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, 2003, Heft 4
Verlagsinfo:
"Die Aufsuchende Familientherapie stellt ein neues Konzept
für die Arbeit mit "Multiproblemfamilien" dar, das auf immer größeres
Interesse bei Jugendämtern und freien Trägern der Jugendhilfe stößt. Es
zielt direkt auf das Herbeiführen von Veränderungen ab und belässt
dabei die größtmögliche Verantwortung bei der Familie. Die Aufsuchende
Familientherapie entspricht gleichzeitig den Wünschen und Hoffnungen
vieler Sozialarbeiter und professioneller Helfer, denen sie mehr
Lebendigkeit und Freude in der Arbeit mit "schwierigen" Familien
ermöglicht, nicht zuletzt, weil mit ihr in relativ kurzer Zeit
grundlegende Veränderungen möglich sind.
Marie-Luise Conen und ihre Mitautoren beschreiben in diesem Buch zum
einen die Erfordernisse und Anforderungen, denen sich die beteiligten
Helfersysteme zu stellen haben. Zum anderen zeigen sie hilfreiche
praktische Schritte für Familientherapeuten und andere professionelle
Helfer im Umgang mit "Multiproblemfamilien" auf. Die Autoren nehmen
Stellung zu dringenden Fragen der Erziehungshilfe und bringen in ihrer
Darstellung richtungsweisende neue Ideen ein. Praktiker finden hier
eine Vielzahl von Ideen, wie sie ihre bisherige Arbeit erweitern und
bereichern können.
Die Perspektiven und Überlegungen, die dieses Buch bietet, geben auch
für andere Bereiche der ambulanten Hilfe wichtige Orientierungen und
Anregungen".
Marie-Luise Conen:
Dr. phil., Dipl.-Psychologin, Dipl.-Pädagogin, Master of Education
(Temple University, Philadephia), Supervisorin/ BDP und DGSF,
Systemische Therapeutin/Familientherapeutin (DGSF); Lehrtherapeutin
(DGSF), Lehrende für Beratung (DGSF); Fort- und Weiterbildungen in
Paar- und Familientherapie u.a. bei Andersen, Boscolo, Cecchin,
Deissler, Framo, Liddle, Minuchin, Papp, Penn, Satir, G. Schmidt,
Stierlin, Watzlawick und Whitaker; ferner Supervisionsausbildung und
Ausbildung in Gruppendynamik und -beratung; seit 1980 als Supervisorin,
Fortbildnerin, Beraterin und Therapeutin tätig u.a. in den Bereichen
Jugendhilfe, Familientherapie und -beratung, Gesundheitswesen, Projekt-
und Institutionsberatung.
Leiterin des Weiterbildungsinstitutes Context in Berlin.
Inhaltsverzeichnis:
Conen, Marie Luise: Die Stärken der familialen Resilienz. S. 17-40.
Conen, Marie Luise: Aufsuchende Familienhilfe. S. 41-163.
Golz, Angelika: "Multiproblemfamilien" und kurzzeitorientierte
Hilfeansätze: Ein Widerspruch? Die Dauer von Hilfen aus der Sicht des
Jugendamtes. S. 164-173.
Golz, Angelika: Kompetenzen in der Zusammenarbeit mit Familien und Helfersystemen. S. 174-185.
Voglau, Hartmut: Co-Therapie in der aufsuchenden Familientherapie. S. 186-199
Hepprich, Ralf, & Pauly, Wolfgang: Familientherapie zwischen Coach
und Katzenklo oder: Systemarbeit im "n-dimensionalen Hyperraum". S.
200-210.
Müller, Margrit: "Wenn der Nachbar über'n Zaun schaut…" - Aufsuchende Familientherapie im ländlichen Raum. S. 211-219.
Nicolai, Ivo: Herausfinden, was wirkt… Selbstevaluation - eine Methode auch für aufsuchende Familientherapeuten. S. 220-230.
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