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16.04.2005
„Resilienz – Gedeihen trotz widriger Umstände“ - Internationaler Kongress vom 09.02. bis am 12.02.05 in Zürich, Schweiz
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Corinna A. Hermann, Bern:
„Mitten im Winter habe ich erfahren,
dass es in mir einen unbesiegbaren
Sommer gibt.“ Albert Camus
Unter dem Titel „Resilienz – Gedeihen trotz widriger Umstände“ fand vom
09.02.05 bis zum 12.02.05 ein internationaler Kongress an der
Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) in Zürich statt, welcher
vom Ausbildungsinstitut für systemische Therapie und Beratung Meilen
organisiert wurde. Rosmarie Welter-Enderlin und ihr Team luden nebst
über 40 Referenten und Referentinnen auch die beiden Pioniere der
Resilienzforschung Emmy E. Werner und Sir Michael Rutter ein.
In ihrer 1955 auf der Insel Kauai (Hawaii) gestarteten Langzeitstudie
beobachtete Emmy E. Werner während der letzten 40 Jahre die Entwicklung
von 700 Kindern. Dabei konzentrierte sie sich auf jenes Drittel der
Kindern, das sich trotz vieler Risikofaktoren wie chronische Armut,
Familien mit elterlicher Psychopathologie und dauerhafter Disharmonie
zu lebenstüchtigen Erwachsenen entwickelte, d.h. auf jene Kinder,
welche sich trotz oder gerade wegen schwerer Krisen positiv
entwickelten.
Die Frage stellte sich nun, welche Eigenschaften diese Kinder
aufweisen, was ihnen geholfen hat, Resilienz zu entwickeln und ihr
Leben zu meistern. Hierbei zeigten sich schützende Faktoren im Kind
selber, in der Familie und in der Gemeinde als wesentlich. Diese Kinder
waren zum Beispiel aktiv in der Suche nach Lösungen, hatten ein
gewinnendes Temperament und konnten so auch Erwachsene ausserhalb ihrer
Familie als wichtige Bezugspersonen gewinnen, die ihnen dann wiederum
als Rollenmodell für eine gute Lebensbewältigung dienten.
Wie Sir Michael Rutter in seinem eindrücklichen Beitrag betonte, geht
es um die individuelle Art und Weise, in der Menschen auf Risiken
reagieren. So kommt es darauf an, wie ein Individuum eine Erfahrung
definiert (z.B. als Herausforderung, Möglichkeit oder Bedrohung), wie
seine Reaktion darauf verläuft (z.B. Planung, Bewältigung, Resignation
oder Akzeptanz) und ob es eine adaptive oder schlecht angepasste
Bewältigung wählt (z.B. Problemlösung oder Drogenkonsum).
Immer wieder wurde hervorgehoben, so auch im dichten und spannenden
Vortrag von Friedrich Lösel, dass die Entwicklung von Resilienz keine
Eigenschaft, sondern ein aktiver Prozess ist, der sich interaktiv
zwischen dem Individuum und seiner Umwelt abspielt.
Resilienz variiert zudem über die Zeit und über verschiedene
Situationen. So scheint es auch im Leben Wendepunkte zu geben, in denen
die Resilienzentwicklung besonders begünstigt wird. In der
Langzeitstudie von Werner wurden diese nach der High School oder auch
in der dritten und vierten Lebensdekade gefunden.
Unter Resilienz wird somit die Fähigkeit von Menschen verstanden,
Krisen unter Rückgriff auf persönliche und sozial vermittelnde
Ressourcen zu meistern und als Anlass für Entwicklung zu nutzen, wobei
dieser Prozess das ganze Leben hindurch andauert.
Inzwischen liegen Arbeiten über den gesamten Lebens- und Familienzyklus
vor, die das Konzept der Resilienz aufgegriffen haben. Den über 400
Kongressteilnehmern aus ganz Europa und einzelnen Hörern aus den USA
wurde denn auch ein sehr breites Angebot präsentiert.
Neben den bereits kurz skizzierten Hauptvorträgen gab es weitere sehr
interessante Plenarveranstaltungen. So zeigte Elisabeth
Fivaz-Depeursinge in ihrer Präsentation, wie durch die Interaktion
zwischen Säuglingen und ihren Eltern schon sehr früh interaktive
Fähigkeiten trainiert und spätere Interaktionen vorgebahnt werden. Remo
Largo, der sein Konzept der Passung zwischen Umwelt und Individuum mit
demjenigen der Resilienz in Verbindung brachte, ging auf die
erzieherische Herausforderung ein, die mit der grossen Bandbreite der
Individualität von Kindern verbunden ist. Froma Walsh konzentrierte
sich in ihrem Beitrag vor allem auf die Stärkung der Familienresilienz,
wobei sie auch die Wichtigkeit von spirituellen Ressourcen, gerade auch
in Zeiten der Krisen, hervorhob. Familien, Krankheit und Behinderung
war das Thema des Vortrags von John Rolland. Er betonte dabei die
Wichtigkeit der Passung der familiären Kräfte mit den spezifischen
Anforderungen einer Krankheit. Als Vertiefung dieses Themas und als
Abschlussvortrag des letzten Tages gab Evan Imber-Black, in einer
ergreifenden Fallvorstellung über ein Paar mit einem krebserkrankten
Mann, einen berührenden Einblick in ihre Arbeitsweise.
Weitere Themenschwerpunkte des Kongresses waren die Entwicklung von
Resilienz bei Paaren und Familien (z.B. Jellouschek, Welter-Enderlin,
Willi), die Entwicklung von Resilienz bei Krankheit, Alter, Tod und
Kriegstrauma (z.B. Black, Ciompi, Radebold) sowie Psychoimmunologie
(z.B. Lauterbach, Rolland und Schedloswski) und die Bedeutung der
Entwicklung von Resilienz im Kontext von Organisationen (z.B. Clement,
Ritter, Welter) und viele mehr, welche zu erwähnen den gegebenen Rahmen
hier leider sprengen würde.
Im Forum „Geschichten zur Resilienz“ wurde das Thema, passend zum
Meilener Konzept der affektiven Rahmung, aus einer sehr persönlichen
Perspektive angegangen und mit den Biographien einzelner Vortragender
verknüpft. Die Hörer und Hörerinnen erhielten so die Chance trotz des
grossen Hörsaals der ETH Zürich sehr unmittelbar an den „resilienten
Geschichten“ der Vortragenden teilzunehmen.
Luc Ciompi, der die Soteria in Bern gegründet und den für das Meilener
Team wichtigen Begriff der „Affektlogik“ geprägt hat, erzählte wie er
seine schwierigen familiären Startbedingungen als positives Kapital für
seine spätere therapeutische Arbeit nutzen konnte. Hartmut Radebold und
Emmy E. Werner gingen auf ihr Aufwachsen in der Zeit des Zweiten
Weltkrieges und dessen Folgen ein. So verlor Emmy E. Werner während des
Zweiten Weltkrieges ihre ganze Familie und emigrierte bereits mit 20
Jahren in die Vereinigten Staaten. Wie sie betonte, sensibilisierte sie
diese Erfahrung, kombiniert mit ihrer optimistischen Veranlagung, für
das Thema der Resilienz. Ihre humorvolle Art wurde denn auch bei ihren
Beiträgen deutlich spürbar. Gunthard Weber erzählte schliesslich von
seinem neu gegründeten Schulwohnheim in Bamako für malische Mädchen.
Die grosse Heiterkeit, das Selbstbewusstsein und die Kraft, die von den
präsentierten Fotos der jungen Frauen ausstrahlte, beeindruckten als
deutliche Beispiele für Resilienz.
Wie bei Veranstaltungen von Rosmarie Welter-Enderlin und ihrem Team
üblich, wurde mit der Lesung von Melitta Breznik ein stimmungsvoller
Bezug zur Literatur geschaffen. Ihr Buch „Das Umstellformat“ beschreibt
eine Reise zurück in die familiäre Vergangenheit der Autorin und greift
das Thema der Resilienz eindrücklich auf.
Dieses breite und äusserst spannende Angebot an Vorträgen, Seminaren
und Workshops, bei dem die Hörer und Hörerinnen, wie so oft bei solchen
Anlässen, die Qual der Wahl hatten, weist jedoch auch auf eine
Problematik des Konstruktes hin. Wenn zuviel unter dem Begriff der
Resilienz subsumiert wird, läuft das Konzept Gefahr, zu wenig zu
differenzieren und im weit gefassten Feld der Ressourcenorientierung
unter zu gehen.
Wie verschiedentlich ausgeführt wurde, so zum Beispiel von Friedrich
Lösel und Tom Levold, wäre es zudem wünschenswert, wenn der Begriff der
Resilienz im politischen Diskurs so genutzt würde, dass er nicht als
„Freibrief“ für die Politik, im Sinne eines blinden
Entwicklungsoptimismus verwendet wird, sondern zur Orientierungshilfe
für die Prävention wirken kann.
Als Fazit lässt sich festhalten, dass die Erfahrung der Praxis durch
die Forschungen über Resilienz bestätigt wird. Immer wieder können der
Praktiker und die Praktikerin nur darüber staunen, was Menschen unter
zum Teil extremen Bedingungen aus ihrem Leben machen, wie sie oft die
schwierigsten Klippen meistern und gereift daraus hervorgehen. Wie sehr
dabei die Beziehungen zur Familie, zu wichtigen Bezugspersonen, zum
Umfeld eine zentrale Rolle spielen, wird dabei wiederum durch die
Resilienzforschung als auch durch die Erfahrungen der systemischen
Therapie und Beratung bestätigt.
Dieser gelungene Kongress zum aktuellen Thema der Resilienz wurde unter
anderem von starken Frauen geprägt, was sicher mit der Organisatorin
Rosmarie Welter-Enderlin zusammenhängt, welche mit den meisten
Vortragenden, die auch weite Anreisen nicht gescheut haben,
freundschaftlich verbunden ist. Dies war wohl auch ein wichtiger Faktor
für die sehr persönliche und herzliche Stimmung des Kongresses, welche
einen regen Austausch unter den Teilnehmenden förderte und begünstigte.
Für die systemische Therapie und Beratung, die sich, gerade in der
Schweiz, in einem wichtigen gesellschaftlichen und politischen Prozess
befindet, leistet eine solche Veranstaltung einen wichtigen Beitrag zur
Identitätsbildung.
Corinna A. Hermann
lic. phil. Psychologin FSP
Brunnmattstrasse 44
CH-3007 Bern
Anmerkung: Die wichtigsten
Beiträge des Kongresses werden in einem von Bruno Hildenbrand und
Rosmarie Welter-Enderlin herausgegebenen Band im Carl-Auer-Verlag
im Herbst 2006 erscheinen (Tom Levold).
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