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Clemens Metzmacher: Mauerfall? Zwanzig Jahre in 45 Minuten
Es ist halb zwölf. Ich stehe in der Küche und bereite das Essen für unseren Kleinen vor, den ich bald von der Krippe holen muss. Im Radio laufen Sendungen über die Montagsdemonstrationen vor zwanzig Jahren und ich komme unwillkürlich ins Nachdenken, weil mir dieses Gefühl der Spannung und dieser unerwartete Einschnitt des Mauerfalls wieder nahe sind. Mir wird plötzlich bewusst, dass ich längere Zeit meines Lebens im Nachwende-Deutschland lebe, als in der BRD, mit der ich meine Kindheit verbinde.
Zwanzig Jahre, in denen sich viel verändert hat, gesellschaftlich, aber eben auch mein persönliches Leben. Mir wird wieder einmal sehr bewusst, wie sehr dieses Datum mein Leben bestimmt hat und es immer noch tut: Nach der Schulzeit in Niedersachsen als einer der ersten „Wessis“ zum Zivildienst in das „befreundete Ausland“ – wie ich es für mich damals scherzhaft nannte - nach Leipzig, der „Heldenstadt“. Außer dem Abenteuer, als das ich diesen Wechsel damals erlebte, hatte ich wenige Vorstellungen davon, warum es mich damals in den Osten zog. Dass ich im Westen recht wenig Interesse an „Neufünfland“ spürte, störte mich schon damals.
Mittlerweile ist es Viertel vor zwölf. Oder dreiviertel zwölf? Jetzt bin ich in Gedanken in beiden Lebenswelten: Nach dem Studium im äußersten Westen der Republik trieb es mich noch einmal nach Leipzig und Berlin, bis ich dann für mehrere Jahre im vorpommerschen Hinterland blieb, was mir bis dahin vollkommen unbekannt gewesen war. Und immer wieder stellte sich die Frage, was mich denn an diese Orte brachte und mich zum Überschreiten innerdeutscher Grenzen trieb. Warum ich mir für meine Familientherapie-Ausbildung gerade eine explizit deutsch-deutsche Ausbildungsgruppe gesucht hatte?
So langsam kristallisierte sich Sinn für mich heraus, dass dieser Lebensweg auch eine Suche nach meiner familiären Geschichte wird: Nach meinem Vater, der noch vor dem Mauerbau von Sachsen nach Westberlin flüchtete, nach meinem Großvater, der mehrere Jahre aus politischen Gründen im Gefängnis in der DDR gesessen hatte, nach den Orten im Norden der DDR, in denen die Flüchtlingsfamilie auf die Rückkehr meines Großvaters aus der russischen Kriegsgefangenschaft wartete, auf…
Das Erleben der offensichtlich anderen ostdeutschen Realität wurde für mich damals zum Kennenlernen eigener Wurzeln. Der Blick auf die Unterschiede wird heute ein Blick in die Vergangenheit. Dies wird auch umgangssprachlich deutlich: aus „Ossis“ und „Wessis“ sind oftmals eher „Ost-sozialisierte“ und „West-Sozialisierte“ geworden.
Es ist zwölf. Mittlerweile lebe ich mit meiner „ost-sozialisierten“ Frau im Nordwesten Deutschlands. Auch sie hat eine „deutsch-deutsche Familiengeschichte“, die durch Flucht und Ausreiseantrag geprägt ist. Und gemeinsam erleben wir immer wieder, dass diese Geschichte und Geschichten einen Unterschied machen, dass wir in unterschiedlichen Kulturen groß geworden sind. Dass wir gelegentlich unterschiedliche Werte und Traumata mitbekommen haben. Und dass es immer wieder wichtig ist – wenn auch bisweilen mühsam - sich über diese Hintergründe auszutauschen, denn beide Seiten sind für uns beide äußerst relevant.
Mir fällt der Kleine ein, den ich bald von der Krippe holen muss. Beim Thema „Krippe“ werden mir diese unterschiedlichen deutsch-deutschen Voraussetzungen bewusst: Wie normal/unnormal ist professionelle Kinderbetreuung im Kleinkindalter? Wie reagiert wer und warum auf unsere Entscheidung zur frühen Kinderbetreuung? Und wären wir jetzt z.B. in Sachsen-Anhalt, hätten wir einen gesetzlichen Anspruch schon nach wenigen Monaten. Hier müssen wir um einen Platz kämpfen und wesentlich mehr Geld zahlen. Die konkreten Entscheidungen mögen vielleicht ähnliche sein in Ost und West, nur die Grundlagen und Diskurse um sie herum sind immer noch unterschiedlich: eben „ost-“ oder „west-sozialisiert“.
Und die Diskurse können sehr emotional verlaufen, denn sie berühren an unterschiedlichen Punkten tiefe Wertüberzeugungen und Erfahrungen. In unserer Partnerschaft wird mir das immer wieder deutlich. Der Blick zurück, ins Genogramm, zu den Wurzeln zeigt viel Unterschiedliches, aber doch auch viel Verbindendes. Vielleicht auch auf gesellschaftlicher Ebene. Nur ist das nicht immer angenehm, denn es verweist doch immer wieder auch auf das verbindende ganz große „groß-deutsche“ Trauma…
Ein Blick auf die Uhr: In welchen Gedanken habe ich mich denn da verloren?! Ich muss los. Ob es jetzt Viertel nach Zwölf ist oder Viertel Eins spielt keine Rolle: Der Kleine muss abgeholt werden.



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