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Fritz B. Simon über Niklas Luhmann
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In welchem Zusammenhang bist Du erstmals dem Namen, der Person oder dem Werk Niklas Luhmanns begegnet? Und welchen Unterschied hat diese Begegnung für Dich persönlich gemacht?
FBS: Mein erster Kontakt mit Luhmann bestand in der Lektüre seines Buches "Vertrauen".
Dort vertrat er die These, dass Vertrauen in erster Linie als ein
Mechanismus der Komplexitätsreduktion zu verstehen sei; ein Konzept,
das zwar nicht von ihm entwickelt, aber sehr erfolgreich von ihm in
Umlauf gebracht wurde. Für mich, der ich damals in einer
psychiatrischen Klinik arbeitete und dabei alle möglichen
Kontrollfunktionen auszuüben hatte (Patienten zwangseinweisen,
„niederspritzen“, vom Suizid abhalten usw.), während ich gleichzeitig
und paradoxerweise ihr Vertrauen zu gewinnen versuchte, war dies
erhellend. Es hat mir dabei geholfen, im Alltag in der Kommunikation
mit den Patienten klar zu signalisieren, dass wir uns in einem
institutionellen Kontrollkontext befinden und dies im Zweifel der
unsere Interaktion bzw. meine Entscheidungen stärker steuernde Rahmen
war als der vertrauensvoll therapeutische. Das Konzept der
Komplexitätsreduktion blieb aber über lange Jahre mein wichtigster,
wenn nicht einziger Bezug zu Luhmann, da ich viele seiner anderen
Modelle nicht verstand und mir der Mühe, seine Sprache zu lernen, nicht
wert zu sein schienen.
Welches seiner Werke hat eine besondere Bedeutung für Dich und warum?
FBS: Meine sehr selektive Wahrnehmung Luhmanns änderte sich, als er
begann, theoretische Modelle zu verwenden und sich auf Autoren zu
beziehen, die für mich bereits wichtig geworden waren und sich im
Bereich der systemischen Therapie bereits einer gewissen Popularität
erfreuten: Es waren als Autoren Gregory Bateson, George Spencer-Brown,
Heinz von Foerster, Humberto Maturana und Francisco Varela bzw. das
Konzept der Autopoiese und konstruktivistische Sichtweisen. Mir
erschien es immer so, als ob hier zwei Entwicklungslinien, die
Luhmannsche und die systemisch-therapeutische, sich getroffen hätten.
Als er das dachte, was wir dachten, habe ich ihn plötzlich einigermaßen
verstanden.
Dies ist für mich mit dem Erscheinen der „Sozialen Systeme“
verbunden. Hier scheint mir eine Vorher-Nachher-Unterscheidung
angemessen: der Autopoiese- und Vor-Autopoiese-Luhmann. Insofern hat
dieses Buch, neben „Vertrauen“, wohl den größten Einfluss auf mich
gehabt, d.h. Unterschied gemacht. Aber auch seine Konzeptualisierung
der Familie im Gegensatz zu Organisationen ist für mich – vor allem
seit ich mich mit Familienunternehmen beschäftige – wichtig geworden
(in verschiedenen Artikeln, z.B. „Sozialsystem Familie“ und
„Organisation und Entscheidung“).
Gab es persönliche Begegnungen mit Luhmann und, wenn ja: welche sind Dir besonders in Erinnerung geblieben?
FBS: Meine erste persönliche Begegnung war 1986 in Heidelberg, und
ich habe sie sehr genossen. Meine Kollegen und ich hatten damals eine
kleine Tagung organisiert, bei der wir systemische Praktiker mit Heinz
von Foerster, Francisco Varela und Niklas Luhmann zusammen brachten
(„Lebende Systeme“). Dabei zeigte sich, dass man nicht nur zwischen
mündlicher und schriftlicher Kommunikation, sondern auch zwischen dem
schriftlichen und dem mündlichen Luhmann unterscheiden musste. Wenn man
ihm den Kugelschreiber (oder womit er immer geschrieben haben mag)
wegnahm, so drückte er seine Gedanken klar und unmittelbar verständlich
aus. Seine spontanen Analysen der dort gezeigter Videobänder von
Therapiesitzungen zeigten, dass er – weit schneller und besser als die
beiden anderen – verstand, was die Therapeuten taten und mit welcher
Absicht sie wie intervenierten. Seine Kommentare waren nicht nur
präzise und verständlich formuliert, sondern obendrein auch noch witzig
und von einem trockenen Humor bestimmt. Ich habe den ganzen Abend mit
ihm verbracht und mich köstlich amüsiert.
Unter den anderen Begegnungen mit ihm, habe ich vor allem eine kleine,
elitäre Tagung zu den „Laws of Form“ von George Spencer-Brown in
Erinnerung. Dort ist die Idee entstanden, seine Vorlesung zur
„Einführung in die Systemtheorie“ auf Band aufzunehmen und unter dem
Etikett „Autobahn-Universität“ auf den Markt zu bringen. Auch hier
zeigte er sich gleich bereit dazu, ganz offen und unkonventionell –
obwohl er mir, im Widerspruch dazu, als einer der konventionellsten
Menschen erschien, die mir je begegnet sind. Irgendwie schien diese
Konventionalität die sichere prozedurale Basis für seine, dem
Mainstream zuwider laufenden, unkonventionellen Theorie-Ansätze und
vielleicht ja auch für sein Paradoxiebewußtsein zu sein.
Inwiefern können Mitglieder der
beratenden Professionen (Psychotherapie, Beratung, Supervision etc.)
von der Lektüre der Werke Luhmanns aus Deiner Sicht profitieren - und
wie würdest Du die Antwort begründen?
FBS: Psychotherapie und Beratung (zumindest im psychosozialen Feld)
wie auch Supervision sind alle mit einer personenorientierten
Face-to-face-Kommunikation beschäftigt. Hier haben sie ihre Methoden
entwickelt, hier hat jeder Einzelne seine professionellen Kompetenzen
und Erfahrungen gesammelt. Doch hier liegen auch die Begrenzungen der
systemisch-therapeutischen Techniken (wie beispielsweise des
„Zirkulären Fragens“).
Was die therapeutischen Praktiker nicht entwickelt haben, ist ein
Modell, das größere soziale Systeme wie etwa Organisationen, das
Gesundheitssystem, die Wirtschaft usw., die den Kontext ihrer Arbeit
bilden, systemtheoretisch konzeptualisert.
Mir wurde das bewusst, als Kollegen aus dem Bereich der
Organisationsberatung, die in ein Forschungsprojekt zum Thema
Familienunternehmen involviert waren, mich vor vielen Jahren zu einem
Workshop einluden. Dabei wurde klar, dass ich damals zwar seit 20
Jahren mit Familien arbeitete, aber keine Idee hatte, wie sich Familien
als soziale Systeme von anderen sozialen Systemen (etwa
Gesangsvereinen) unterschieden. Als Praktiker hatte ich zwar eine
Theorie des Problemsystems und des Lösungssystems, aber Familie konnte
ich undefiniert als gegeben hinnehmen.
Durch diese Erfahrung und auch die zunehmende Beschäftigung mit
Organisationsberatung wurde Luhmann immer wichtiger. Denn er liefert in
einer unglaublich konsistenten Weise die systemtheoretischen
Definitionen von Organisation, Familie, gesellschaftlichen Subsystemen
usw. Was unterscheidet sie alle als Kommunikationssysteme? Erst durch
die Antwort auf diese Frage wird es möglich, sich Gedanken darüber zu
machen, wie in größere Systeme – jenseits des reinen Blicks auf
Personen – interveniert werden kann.
Wer sich als Berater, Psychotherapeut und gerade auch als Supervisor
nicht mir diesen größeren Systemen und ihrer Eigenlogik
auseinandersetzt, blendet meines Erachtens einen wesentlichen Kontext
aus, der die Bedeutung seines eigenen Handelns bestimmt – und das
scheint mir schon rein handwerklich nicht sehr empfehlenswert. Insofern
ist die Beschäftigung mit Luhmann m.E. jedem Kollegen nur nachdrücklich
ans Herz zu legen (ein guter Anfang sind wahrscheinlich wirklich seine Vorlesungen:
Man kann ihn hören und gegebenenfalls, da es sie auch gedruckt gibt,
noch mal nachlesen; dadurch wird er auch als Person ein wenig
greifbarer und vor allem: Er hat diese Texte frei - nur aufgrund von
Notizen - gesprochen, so dass er relativ gut verständlich bleibt).
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