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systemagazin special: "Kongressgeschichten"
Rudolf Klein u. Barbara Schmidt-Keller: Varela, Luhmann, von Foerster und andere

Ehrlich gesagt habe ich in meinem bisherigen Berufsleben an nicht allzu vielen größeren Tagungen oder gar Kongressen teilgenommen. Weniger, weil ich die Themen oder die ReferentInnen als unattraktiv einschätzte. Vielmehr fand ich schon immer eine Tatsache auf großen Veranstaltungen besonders bedauerlich: Man versäumt immer mehr, als man miterlebt.
Als Tom Levold einlud, zum diesjährigen Adventskalender etwas beizutragen, war meine Entscheidung dennoch sofort klar. Ich erinnerte mich unmittelbar an das Forum „Lebende Systeme“, das eine katalysatorische Wirkung auf mich hatte und mich wie kein anderes zuvor oder danach zur Auseinandersetzung mit theoretischen und praktischen Modellen animierte.
Ich war zum damaligen Zeitpunkt in familientherapeutischer Ausbildung und fasziniert von der Genogrammarbeit, vom Hypothetisieren, vom zirkulären Fragen und paradoxen Intervenieren. Gleichzeitig tauchten neue Konzepte auf einer anderen erkenntnistheoretischen Basis auf - mit gravierenden Auswirkungen sowohl für die therapeutische Haltung als auch für die therapeutische Praxis.
Gerade hatte ich mich zur Vorbereitung auf ein Referat mit dem Thema „autopoietische Systeme“ mit den Schriften von Humberto Maturana und Francisco Varela befasst, das ich im Rahmen eines damals im Saarland sich regelmäßig treffenden „Familientherapeutenstammtisches“ präsentieren wollte. Ich kann mich noch erinnern, wie ich mich durch das Buch „Erkennen: Die Organisation und Verkörperung von Wirklichkeit“ kämpfte, Begriffe wie „Strukturdeterminismus“ und „strukturelle Koppelung“ kennen lernte, mit Konzepten von „energetischer Offenheit“ und „informatorischer Geschlossenheit“ konfrontiert wurde und mich an den Gedanken zu gewöhnen versuchte, „instruktive Information“ sei unmöglich. Alles war sehr interessant, aber für mich nur ansatzweise versteh- und erfassbar.
Just zu dieser Zeit – 1986 – fand das von der IGST organisierte Forum „Lebende Systeme“ mit den Hauptreferenten Francisco Varela, Heinz von Foerster und Niklas Luhmann im Hotel Molkenkur in Heidelberg statt.
Der Co-Autor des Werkes, durch das ich mich gerade durchgequält hatte, war anwesend und die beiden anderen Referenten kannte ich zumindest vom Namen. Irgendwie war vollkommen klar: „Da muss man hin.“
Inhaltlich kann man vieles über das Seminar berichten. So viel, dass es in einen solchen Bericht gar nicht hineinpassen würde. Daher mache ich das auch nicht. Schließlich kann man es auch heute noch gut nachlesen. Fritz Simon hat ein Buch über dieses Forum publiziert, das unter dem Titel „Lebende Systeme“ 1988 im Springer-Verlag erschienen ist.
Eine kleine Begebenheit ist mir immer im Gedächtnis geblieben. Ich war – neben dem Vortrag von Niklas Luhmann am Abend des ersten Tages in der alten Universität – v.a. von Heinz von Foerster sehr angetan. Ein kleiner und damals schon alter Mann mit einer unvergleichlichen Performance während seines Vortrages. Seine Leichtigkeit, sein Humor und seine Klugheit waren beeindruckend. Grund genug, den Workshop von ihm am Nachmittag zu belegen und auf andere, ebenfalls interessante Workshops zu verzichten.
Ich erscheine, um nichts zu versäumen, etwa zehn Minuten vor Beginn des Workshops.  Nach und nach finden sich auch andere Interessierte ein. Der Stuhlkreis füllt sich allmählich. Dann, kurz vor Beginn, erscheint Heinz von Foerster. Ich erkenne ihn, da ich ja vormittags bereits da war. Er setzt sich schweigend in den Stuhlkreis. Unmittelbar neben eine Teilnehmerin. Wir warten auf den Beginn. Nichts passiert. Schließlich wird die Nachbarin von Heinz von Foerster unruhig. Offensichtlich war sie am Vormittag nicht anwesend. Sie dreht sich zu ihm und fragt: „Soll hier nicht der Workshop von Heinz von Foerster stattfinden?“ Und er antwortet: „Ja, ja. Das habe ich auch gehört. So soll der heißen.“ Und schweigt.
Das Gemurmel der Anwesenden verstummt. Man kann die Fragen, die sich die Anwesenden stellen, förmlich fühlen: Was ist hier los? Ist er es tatsächlich nicht? Gibt es denn eine solche Ähnlichkeit? Und wenn er es nicht ist, wer ist dann dieser Mensch? Und wo ist Heinz von Foerster? Hat er seinen eigenen Workshop vergessen? Wie lässt sich das erklären? Ist das der Tribut an sein Alter? Wäre es ein Wunder, wenn man bedenkt, wie er sich heute früh verausgabt hat? Soll man nachfragen, für Klarheit sorgen, feststellen, wer wer ist und was wer zu tun hat? Kann das denn alles wahr sein?  
Dann, nach einigen, endlos erscheinenden Minuten, beginnt dieser alte, kauzige, immer verschmitzt dreinschauende Mann zu sprechen. Heinz von Foerster präsentiert einen phantastischen Workshop. Er spricht über die Ethik des Konstruktivismus, über die therapeutische Aufgabe, Klienten eine Erhöhung ihrer Wahlmöglichkeiten zu eröffnen und schließlich über seine Empfehlung, Hypothesen, die sich zu bestätigen beginnen, wieder fallen zu lassen und neue zu erfinden. Der therapeutischen Neugierde wegen.
Kurz: Er redet darüber, wie wir Wirklichkeiten erfinden. Nicht etwa, indem wir ein Bild von der Welt, sondern vielmehr eine Welt von einem Bild konstruieren. Eine Botschaft, die er in den ersten wenigen Minuten des scheinbar noch gar nicht begonnenen Workshops bereits erfahrbar gemacht hat. Das war großartig: Die Form im Inhalt und der Inhalt in der Form.
Bis heute weiß ich nicht, ob er diesen Lerneffekt beabsichtigt hat.  Eigentlich ist es auch egal. Ich habe mir diese Geschichte so erzählt und auf diese Weise mein Lernen begründet und meine Möglichkeiten erweitert.
Eigentlich wäre dieser Bericht jetzt zu Ende, wenn es da nicht noch eine erwähnenswerte Begegnung gegeben hätte. Ich erinnere mich, dass ich im Rahmen dieses Kongresses auf einen Diskutanten traf, der ein Podium moderierte. Es war eine auffällige Erscheinung. Groß, schlank und ungewöhnlich elegant und ästhetisch gekleidet. Das war für damalige Verhältnisse ungewöhnlich. (Ich war damals noch ein großer Anhänger selbstgestrickter Norwegerpullover.) Der Diskutant hingegen trug einen hellen, fast weißen Leinenanzug und einen Hut. Es kam noch hinzu, dass dieser Mensch deutlich jünger als die drei Hauptreferenten war, sich in deren Werken, v.a. in dem Luhmanns, gut auszukennen schien und entsprechend kluge Fragen stellte: Ich war zum ersten Mal Tom Levold begegnet.
Jetzt wäre mein Bericht tatsächlich zu Ende. Wenn mir Tom Levold, nachdem er meinen Bericht gelesen hatte, nicht diese Mail geschrieben hätte. Er schreibt darin, er sei zwar bei dieser Veranstaltung als Diskutant eingeladen und entsprechend angekündigt worden, habe jedoch wegen einer Grippe nicht teilnehmen können. Mein Gedächtnis scheine mich irgendwie zu trügen. Das will und kann ich nicht ausschließen. Schließlich wissen wir schon lange, dass wir unsere Vergangenheit konstruieren. Mir ist es nur lieber, wenn ich diese Tatsache bei anderen bemerke. Eines „schwöre“ ich dennoch: Tom Levold trug einen weißen Leinenanzug und einen Hut. Luhmann kannte er bestens. Und er stellte kluge Fragen. Es muss nur eine andere Veranstaltung gewesen sein.  

Rudolf Klein

Kleiner Nachtrag:
An Tom’s eleganten Leinenanzug erinnere ich mich interessanterweise (!) auch, ebenso wie an die von Rudi geschilderten Erlebnisse mit Heinz von Foerster. Was mich damals aber am nachhaltigsten  beeindruckt hat, war eine Erfahrung, die ich in der Nacherzählung als eine spirituelle bezeichnen möchte. Die Quintessenz der Tagung war für mich das Auftauchen eines tiefen inneren Respekts vor der Erfahrung von anschlussfähiger Kommunikation. Sich zu verstehen, einen Konsens herzustellen, wird oft wie eine Selbstverständlichkeit erwartet und behandelt und notfalls eingeklagt. Dabei sind die Möglichkeiten des Missverstehens so viel zahlreicher. Das Bemühen um und das Herstellen von konsensfähiger Kommunikation erscheint mir seitdem als sehr kostbar und als eine sich immer erneuernde Möglichkeit der Freude.
Barbara Schmidt-Keller



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